Die Magie des Wassers

Josie

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Die Magie des Wassers

Die Magie des Wassers

Gero Hard

Mit beiden Händen an meinen Hüften schob er mich um den Kabinenaufbau herum und zeigte nach halb links. Ein wunderschöner Sandstrand, der scheinbar nur vom Wasser aus erreichbar war, denn er war menschenleer und von hohem Schilf umwachsen. Eine Bucht, wie sie am Mittelmeer kaum schöner sein konnte. Nur, dass dort das Wasser viel klarer war, als hier.
„Gott ist das schön hier!“, stellte ich kurz fest und ging zum Bootsheck auf die kleine Plattform, die wie eine hölzerne Terrasse nach hinten überstand.
Das Holz war von der Sonne aufgeheizt und fühlte sehr angenehm an, als ich mich hinsetzte und meine Füße im Wasser baumeln ließ.
Falk kam zu mir und kuschelte sich bei mir an, wobei er seinen Kopf an meine Brust drückte. Auch Franzi stand wenig später neben uns, in ihrem Badedress aus den wilden 70igern.

„Können wir rein Josie?“, sah Falk mich erwartungsvoll an.
„Ich weiß nicht. Chris, Franzi, können wir?“, fragte ich in die Runde.
„Er kann noch nicht gut schwimmen, aber er kann. Also sei bitte vorsichtig und pass bitte auf ihn auf.“
„Versprochen!“, lachte ich und stieg mit dem Jungen auf meinem Arm, die kleine Treppe in den See hinab.

Der Temperaturunterschied verschaffte mir eine satte Entenpelle und meine Brustwarzen zogen sich schrumpelig zusammen. Aber irgendwann hatten wir die Kälte überwunden und im gleichen Augenblick war es wunderbar angenehm im Wasser.
Chris wagte einen Kopfsprung und tauchte nach einem langen Unterwasserschwimmzug prustend neben uns auf.
Falk tobte auf mir herum, versuchte mich unter Wasser zu zwingen und lachte aus vollem Herzen, wenn es ihm sogar ein wenig gelang. Sein Vater interessierte ihn gerade nicht. Franzi war ebenso abgeschrieben, weil er doch nun eine Person gefunden hatte, die er quälen konnte.

Zusammen paddelten wir mehr, als dass wir schwammen, auf den hellen Sand zu. Franzi stand etwas verloren auf der Plattform am Heck und sah uns traurig zu. In diesem Moment kam es mir vor, als wenn sie sich überflüssig vorkam. Klammheimlich hatte ich ihre Aufgabe übernommen und Falk fühlte sich pudelwohl mit seiner neuen ‚Nanny‘. Sie tat mir leid und es sah so aus, als wolle sie nicht mit uns an den Strand, sondern auf dem Boot bleiben.
„Chris, kannst du bitte mal den Jungen übernehmen? Ich möchte mal eben mit Franzi reden, sieh mal …“
Er sah zum Bott und schien sofort zu erkennen, was ich meinte.
„Sie kommt sich überflüssig vor, meinst du das?“
„Genau das! Bestimmt denkt sie, sie wird nun nicht mehr gebraucht, jetzt wo wir …“
„Zusammen sind?“
„Genau, jetzt, wo wir zusammen sind.“, wiederholte ich verliebt, strich ihm kurz über die Wange und schwamm zurück zum Boot.

Franzi war derweil unter Deck gegangen. Als ich tropfnass auf das Boot kletterte, kam sie angezogen wieder an Deck. Geweint hatte sie nicht, so sah sie jedenfalls nicht aus, aber dass sie traurig war, erkannte ich an ihrer Körperhaltung, ihren hängenden Schultern und ihrem Gesichtsausdruck. Sie dachte wohl, wir hätten etwas vergessen, was ich nun holen wollte. Sie trat zur Seite, um mir damit aus dem Weg zu gehen, aber ich versperrte ihr den Weg nach draußen.
„Ne, ne Franzi, du bleibst bitte! Ich möchte mit dir reden.“
„Wozu, du hast doch jetzt alles. Chris … Falk … wozu braucht ihr mich alte Frau denn noch, sie haben doch jetzt dich.“
„Kann sein, dass sie mich haben. Aber brauchen tun sie dich
auch. Weißt du Franzi, ich kann und will gar nicht deinen Platz einnehmen. Ich möchte dich nicht ersetzen. Nicht bei Chris und auch nicht bei Falk.“
„Falk beachtet mich doch kaum noch, wenn du in seiner Nähe bist. Und Chris … der braucht mich doch schon lange nicht mehr.“
„Da irrst du dich, denke ich. Mag ja sein, dass Chris verlernt oder vergessen hat, seine Dankbarkeit auszudrücken. Für ihn ist es leider selbstverständlich geworden, dass du dich um alles kümmerst. Aber er braucht dich mehr als mich, soviel ist klar. Na ja, dann noch Falk … für ihn ist das alles neu. Er probiert sich aus, sammelt Erfahrungen. Dich kennt er in- und auswendig. Nun bin ich ab und zu mal da, logisch, dass er das Neue testen möchte. Franzi ehrlich, du bist nicht zu ersetzen, schon gar nicht durch mich! Ich würde mich freuen, wenn ich auf deinen Erfahrungsschatz zurückgreifen dürfte. Vielleicht anders als die zwei Männer, brauche ich dich nämlich auch.“
„Aber es fühlt sich komisch an. In so einer Situation war ich noch nie. Wie gesagt, die anderen Frauen …“
„Ich bin nicht wie die anderen‘! Tust du mir bitte den Gefallen und hörst auf zu schmollen und kommst nun mit an den Strand?“
„Dann muss ich mich wieder umziehen.“
„Stimmt, das wäre praktisch! Ist nun wieder alles gut ‚Mama‘ Franzi‘?“
„‘Mama‘, nun hör aber mal auf!“
„Wieso, bist du doch! Für die Männer auf jeden Fall. Nu los, mach hin, wir warten auf dich!“
Ich ließ sie mit offenem Mund stehen, offensichtlich hatte ich sie mit meiner Ansage überfahren. Ihre Stirn hatte sich in feine Falten gelegt, als sie über das eben Gesagte nachdachte.
„Ich komme gleich.“, sagte sie leise, als ich mich aufmachte, wieder ins Wasser zu steigen.

****

Es war fast 7 Uhr abends, als wir das Boot am Steg festmachten. Auf der Rückfahrt hatten wir zwei Frauen uns das Sorgerecht um Falk schwesterlich geteilt. Viel gab es allerdings nicht zu teilen, denn er war völlig kaputtgespielt. Er schlief tief und fest mit dem Kopf auf Franzi’s Oberschenkeln, während ich mich mit ihr unterhielt.
Sie trug mir ihre Sorgen und Nöte vor, offen und ehrlich. Themen, von denen ich mir nicht im mindesten vorstellen konnte, dass Chris davon eine Ahnung hatte. Ich hörte ihr aufmerksam zu und erkannte schnell, dass ich ihr helfen musste. Vermutlich hatte sie ihre ganze Hoffnung in mich gesetzt, warum sollte sie mir sonst davon erzählen?
Neben dem goldenen Käfig, in dem sie lebte, der ihr aber auch über den Kopf zu wachsen drohte, war Falk ihr die Spur zu lebhaft. Sie liebte den Zwerg wie ihren eigenen Sohn. Aber wie ich jetzt erst erfuhr, war sie bereits 63 Jahre alt, was sie auch oft in den Knochen und Muskeln spürte. Alles in allem: Es wurde ihr langsam zuviel.
Nun war ihr mit meinem Auftauchen klar geworden, dass ihre Zeit zu Ende sein könnte, was ihr Angst machte. ‚Was ist mit mir, wenn ich alt bin, wer will mich dann noch? Darf ich in diesen Haus bleiben, oder wo soll ich sonst hin? Wovon soll ich leben, meine Rente wird schmal ausfallen?‘ Solche und ähnlich Fragen stellte sie sich selbst wohl schon lange, und nun auch mir. Alles durchaus berechtigte Fragen, jede für sich genommen Grund genug, sich Sorgen zu machen.

„Hast du schon mal mit Chris darüber gesprochen?“
„Nein, hab ich mich nicht getraut.“
„Aber warum nicht? Ich habe ihn als sehr verständnisvoll erlebt. Vor allem, weil du ihm wie eine Mutter warst kann ich mir kaum vorstellen, dass er dich einfach so, wie eine heiße Kartoffel fallen lassen würde. Sieh mich an, er hat mir geholfen, als es mir dreckig ging.“
„Ach Josie, du bist jung und schön, steckst voller Kraft und Energie, bist klug, kannst ihm helfen, kannst ihm eine wertvolle Partnerin sein. Hier, im Büro und auch im Bett.“
„Kann sein. Aber du warst für ihn da, seit er klein war. Das wird er dir nie vergessen! Dessen bin ich mir sicher! Was hältst du davon, wenn ich mal mit ihm rede?“
„Nein, bitte nicht Josie! Ich möchte nicht, dass er von meinen Ängsten weiß. Solange er nichts sagt, ist doch alles in Ordnung … oder nicht?“

Ich nickte nur, aber meine Gedanken waren woanders. Diese Frau musste doch irgendwann zur Ruhe kommen können. Deshalb nahm ich mir vor, ihre Baustelle auch zu meiner zu machen. Ich hatte in der Kürze der Zeit schon ein paar wenige Ideen dazu entwickelt, während wir so vertrauensvoll sprachen. Ich musste es allerdings so hinbekommen, dass ich nicht als die große Petze dastand. Auf keinen Fall durfte es auf einen Vertrauensbruch hinauslaufen.
Ich hielt das für einen guten Zeitpunkt dafür, ihr etwas zurückzugeben, was sie - mit Ausnahme von Falk - bestimmt lange nicht bekommen hatte. Eine innige Umarmung. Eine ehrlich gemeinte, die von Herzen kam.
Das tat ich dann auch. Beugte mich leicht zu ihr rüber und zog sie fest in meine Arme. Lange hielt ich sie so an mich gedrückt. Keine Abwehr ihrerseits. Im Gegenteil hatte ich das Gefühl, dass es ihr wirklich gut tat, sie sich sogar noch fester an mich drückte, als ich sie zog. Sie genoss den Moment, der ihr wohl viel mehr gab, als ich vorher gedacht hatte. Ein Grund mehr für mich, sie so lange festzuhalten, wie sie es zuließ.

„Du hast ein gutes Herz Josie. Ich war dumm zu glauben, du wolltest dich zwischen uns drängen. Ich gebe zu, zuerst hielt ich dich auch für eine von denen, die nur an Chris‘ Geld wollten. Es tut mir leid, dass ich dir das unterstellt habe, und es ist gut, dass ich mich so geirrt habe.“
„Chris‘ Geld ist mir völlig egal! Aus solchen Dingen mach ich mir nicht viel, auch wenn das sicher ganz angenehm ist, nicht jeden Euro umdrehen zu müssen. Aber kann ich dir ein Geheimnis anvertrauen Franzi?“
„Natürlich! Du kannst immer mit mir reden.“
„Danke! Immer wenn ich durch das große Tor bei der Villa fahre, ist es, als wenn ich in ein Gefängnis fahre, oder eben hinaus. Es ist, wie wenn man eine Zugbrücke an einer Burg herunterlässt. Dieses Tor entscheidet über Freiheit oder Gefangenschaft. Es vermittelt ein unbeschreibliches Gefühl von Sicherheit, aber es sperrt eben auch ein. Vor allem wegen der Zugangsberechtigungen. Das ganze Gelände ist groß genug, um keine räumliche Enge entstehen zu lassen, doch ist es nicht so, dass es einen trotzdem einengt? Mal ehrlich … ich bin noch nicht so oft dadurch gefahren, wie muss es da erst euch gehen. Vor allem dir Franzi. Chris hat ja noch sein Büro, aber du …?“
„Du sprichst mir aus der Seele, Josie. Es ist so wie eine eigene Welt, abgekapselt aus dem Großen. Eine Enklave. Man vereinsamt dort, wenn man nicht aufpasst. Ich sehe höchstens den Postbooten, den Lebensmittellieferanten und/oder den Gärtner. Das ist bestimmt auch der Grund, warum deine Vorgängerinnen nach so kurzer Zeit aufgegeben haben. Aber wohl auch, weil Chris sie eben nicht mit Gold, Schmuck und teuren Klamotten behängt hat.“
„Dann ist es noch wichtiger, dass wir Frauen zusammenhalten!“

Das Boot fuhr einen großen Bogen, der Motor wurde ganz leise, drehte dann aber für einen kurzen Moment wieder auf. Dabei fühlte es sich an, als könne so ein Boot auf dem Wasser bremsen. Neben uns tauchte der Steg auf, von dem wir vorhin aufgebrochen waren. Chris kam von oben herunter, sprang über den Bootsrand und vertäute mit geübten Handgriffen den Bootskörper. Dann kam er wieder zu uns an Deck, legte seine Hände um meine Hüfte und küsste mich.

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