Man tauscht sich aus über absolvierte Touren. Spricht über besondere Erlebnisse und kommt sich näher. Bald wird klar, die beiden sind eigentlich Stadtpflanzen, die sich mit den Touren eine Auszeit aus dem quirligen Leben ihrer Großstadt schaffen.
Karin hingegen kommt sich vor wie eine Dorfpomeranze. Sie möchte stiller werden, sich in sich zurückziehen, wären die beiden nicht so herzlich und bänden sie immer wieder ein ins Gespräch.
Durchaus fällt Karin dabei auf, wie oft der Blick der anderen Frau ihren Mann streift. Bettina heißt sie, wissen die beiden inzwischen, und wieder einmal merkt Karin, wie schnell ihr Mann mit anderen Frauen Kontakt knüpft.
Zwei Stunden vergehen so wie im Fluge und das Gespräch kommt auf das Abendessen. Bettina und Carsten hatten vor ihrer Ankunft einen Stopp in einem kleinen Lokal gemacht. Karin und Harald aber noch nichts zu sich genommen.
Harald braucht auch nichts mehr. Auf diesen Touren lebt er sehr minimalistisch und lässt gerne eine Mahlzeit aus. Karin hat sich da schon etwas angepasst, verspürt dennoch ein wenig Hunger.
Flugs steht Carsten auf und holt eine Box mit Pflaumen und Mirabellen, die er unterwegs gepflügt hat. Ein Brötchen legt er auch noch dazu, denn für einen Gaststättenbesuch ist es zu spät geworden, meinen Karin und Harald.
Der möchte jetzt endlich duschen und fragt nach den Örtlichkeiten.
„Warte, ich zeig sie dir“, meint Bettina im Aufstehen. „Es sind getrennte Bereiche für Mann und Frau, und ich möchte mich auch noch duschen.“
Kurz hat Harald den Eindruck, einen erstaunten Augenaufschlag bei Carsten zu sehen. Doch schon im nächsten Augenblick widmet sich dieser wieder Karins leiblichen Wohl.
Der Bereich mit den Nasszellen ist über die offene Küche zu erreichen. Davor ist ein Hinweisschild, dass er ohne Straßenschuhe betreten werden soll. Für Harald kein Problem, er hat schon Badelatschen an. Bettina schlüpft aus ihren Schuhen und steigt die zwei Stufen hinauf, die zum Vorraum führen.
Zwei Türen führen von dort in die getrennten Bereiche von Mann und Frau. Dazwischen steht ein Hocker, auf dem man etwas ablegen kann.
Bettina stellt ihren rechten Fuß auf den Hocker und fragt Harald:
„Weißt du, was das bedeutet?“
Ihr Zeigefinger liegt neben einem kleinen Tattoo, das über ihren Knöchel thront. Ein Pik-Dame-Zeichen, mit einem weißen Q darin. Darüber ein Frauenkopf und ein schönes Fußkettchen unter dem Tattoo.
Sofort überzieht Haralds Gesicht eine heiße Röte und er antwortet vorsichtig:
„Das Kettchen ist für die Meisten nur ein schönes Accessoire. Für manche aber … hat es eine Bedeutung. Bei dem Tattoo bin ich überfragt.“
„Und wenn ich dir sage, dass beides bei mir die von dir gedachte Bedeutung hat? Wir könnten jetzt zusammen in die Dusche gehen, wenn du magst. Gestört werden wir nicht, mein Mann wird dafür Sorge tragen.
Es ist aber auch okay, wenn du das nicht willst“, setzt sie mit fragendem Blick hinzu.
Harald ist innerlich zerrissen. Bettina hat’s ihm schon angetan, doch jetzt nur zwei Türen weiter von seiner Frau, mit ihr in die Dusche zu gehen, lässt seinen moralischen Kompass Purzelbäume schlagen.
Die Radtour
Sehnsüchte, Träume und Gelegenheiten: Teil1
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