Diese verdammte Nacht mit Vivian

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Diese verdammte Nacht mit Vivian

Diese verdammte Nacht mit Vivian

Yupag Chinasky

Das Rätsel, wer die junge Frau war, die ihn regelrecht überfallen und auf jeden Fall verführt hatte, sollte sich schon bald auflösen. Der Bürgermeister hatte ihn pünktlich abgeholt, auf seine Frage, wie es ihm gehe, nach all dem köstlichen Wein, erhielt er nur eine grummelnde, ungewisse Antwort. Als er an der Rezeption vorbeiging, fiel ihm wieder ein, dass er das Schweigen des jungen Mannes, an den er sich noch dunkel erinnerte, bestärken wollte, aber nun war da eine resolute, ältere Frau und er machte keinen Versuch, ihr etwas erklären zu wollen. Auf der Fahrt zur Villa des Rinderbarons, auch sie lag außerhalb der Stadt, erklärte ihm der Bürgermeister noch einmal den Grund dieses Frühstücks. Die Frau des Rinderbarons wolle ihn unbedingt kennenlernen. Sie sei auch Präsidentin des örtlichen Kulturvereins, ja, das gäbe es hier, und nur auf ihre Initiative hin, sei sein Besuch zustande. Er unterbrach den Bürgermeister, das wisse er ja bereits, er solle etwas über die Familie erzählen. Die Frau stamme aus der Hauptstadt, ihr Mann habe sie mit Hilfe einer Kontaktanzeige in einer Zeitung gefunden. Das Ehepaar habe fünf Kinder, die er auch alle kennenlernen würde. Vier stramme Jungs so zwischen 8 und 18 und eine sehr hübsche Tochter, die in diesem Jahr 15 geworden war. Sie sei der Augenstern ihres Vaters und eine der besten Partien für einen strebsamen Mann, die man sich hier denken konnte. Dann waren sie angekommen, aber zunächst sah man nur ein mächtiges Tor aus Metall, auf dessen Flügel stilisierte Kühe mit den charakteristischen Hörnern der "flechas doradas" abgebildet waren. Der Bürgermeister kannte sich gut aus, er kannte auch den Code für das Tor. Er tippte ihn an einer kleinen Säule ein, dann schwangen, wie von Geisterhand, die beiden Flügel nach innen und gaben den Blick auf eine vielleicht 200 Meter lange und sehr breite Zufahrt frei. Der Straßenbelag, heller weißer Sand, bildete einen schönen Kontrast zu den kleinen Bäumchen links und rechts und dem tadellos gemähten, grünen Rasen dahinter. Am Ende der Privatstraße stand die prächtige Villa, ein breites, strahlend weißes Gebäude mit Säulen vor dem Haupteingang und einer großen Freitreppe. Die Villa war so richtig protzig, einem Rinderbaron durchaus angemessen. Auf dem kleinen Parkplatz vor dem Haus standen mehrere Autos, ein kleiner Stadtwagen, zwei Jeeps und ein dicker Mercedes.

Auch als sie das Haus betraten, zeigte sich, dass der Bürgermeister hier wohl oft zu Gast war, denn sie gingen ohne auf jemanden zu warten, direkt in den Speisesaal, ein anderes Worte wäre für den Raum untertrieben. In dessen Mitte stand ein großer runder Tisch, um diesen mehrere Stühlen, weitere, kleinere Tische an den Wänden. Der Tisch war bereits üppig gedeckt, es duftete intensiv nach Kaffee und gebratenem Speck. Die Stühle waren noch frei, aber der Raum dennoch nicht leer. Neben einem der Abstelltische stand eine junge Frau in einem hochgeschlossenen, schwarzen Kleid, das aber ihre ausgeprägten Kurven sehr betonten. Sie grüßte die Eintretenden freundlich. Der Bürgermeister kannte sie, sie wechselten ein paar unverbindliche Worte und die junge Frau, offensichtlich ein Dienstmädchen, sagte, sie sollten doch bitte Platz nehmen und ob sie vielleicht einen Saft wollten oder ein Glas Champagner, sie würde sogleich den Herrschaften ihre Anwesenheit melden. Kurz danach und nacheinander kamen dann auch schon die Herrschaften, erst die vier strammen Jungs, die sich alle glichen. Sie waren klein und gedrungen ihr Gesicht hatte denselben Indioeinschlag, den auch der Vater aufwies. Sie wurden ihm vom Bürgermeister vorgestellt, sie setzten sich und warteten steif und stumm, in der Familie schien eine gewisse Disziplin zu herrschen. Als nächstes kam die Ehefrau und Mutter, eine attraktive, sehr hellhäutige, sehr blonde Mitvierzigerin, das genau Gegenteil ihres Mannes, deren Schönheit zwar schon etwas zu verblassen begann, aber durch ihre intensive Lockenpracht gerettet wurde, ein wahrer Rauschgoldengel und das hier, in der tiefsten Pampa. Ihr Auftritt und auch ihr Anblick wurden allerdings durch die Tatsachen geschmälert, dass sie in einem Rollstuhl saß, der von der Bedienung im schwarzen Kleid herein geschoben wurde, ein Bein war im Gips, und sie sah insgesamt ziemlich mitgenommen, ziemlich leidend aus. Aber sie war sehr freundlich und bedankte sich überschwänglich, dass der Autor, dieser berühmt Herr aus der Hauptstadt, wie sie sagte, den Weg hierher in die tiefe Provinz gefunden habe, in eine Gegend, in der man Kultur wie die Nadel im Heuhaufen suchen müsse. Allein deswegen würde sie sich ja so freuen, ihn kennenzulernen, sie danke ihm von Herzen, dass er die Einladung zum Frühstück angenommen habe und hoffe auf ein intensives Gespräch über seine Werke. Sie sei eine treue, begeisterte Leserin und er könne sich nicht vorstellen, wie wichtig ihr sein Besuch sei. Auch der Bürgermeister, der sich zu hier hinab gebeugt und mit einem Küsschen begrüßt hatte, bekam ihren Dank ab, dass er es auf sich genommen habe, den Besuch neben seiner vielen Arbeit zu organisieren und sogar den Fremdenführer und Chauffeur selbst zu spielen. Die Idee, ihn zum Frühstück einzuladen, sei ihr erst spät, erst gestern Abend gekommen, als sie sich ziemlich geärgert hatte, weil sie weder an der Lesung noch an dem Essen teilnehmen konnte. Ihr Mann habe gleich eingewilligt, das entgangene Treffen beim Frühstück nachzuholen und der Bürgermeister, ein freundlicher Blick in seine Richtung, ihr lieber Freund, habe es auch geschafft, diese kurzfristige Änderung zu realisieren und dafür wollte sie sich bei beiden noch einmal herzlich bedanken. Der liebe Freund war über so viel Dank etwas irritiert, nickte aber routiniert und strahlte zurück. Nachdem die Begrüßung endlich beendet war, wies sie die Bedienung an, sie möge nun servieren. Zum Autor gewandt, der neben dem Rollstuhl Platz genommen hatte, fügte sie entschuldigend hinzu, ihr Mann käme immer zu spät, er sei immer so beschäftigt und die Geschäfte hätten für ihn absolut Vorrang. Ihm würde es aber nichts ausmachen, wenn sie ohne ihn anfingen, das sei für ihn normal, aber, fügte sie noch hinzu, ein wenig unhöflich sei es schon, den berühmten Gast so zu behandeln, er möge es verzeihen. Nachdem die Bedienung Kaffee eingeschenkt und Eier mit Speck verteilt hatte, langten die Jungs kräftig zu und das tat auch der Bürgermeister. Er war sofort in intensive Gespräche mit ihnen verwickelt oder waren es freundschaftlich Frotzeleien, jedenfalls schienen sie sich gut zu kennen und sich gut zu amüsieren.

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