Diese verdammte Nacht mit Vivian

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Diese verdammte Nacht mit Vivian

Diese verdammte Nacht mit Vivian

Yupag Chinasky

Zum Glück war die Stadt nicht sehr groß und der angebliche Bekanntenkreis auch nicht und so endete die Tour doch noch beizeiten und er konnte endlich in das Hotel gehen, das beste in der Stadt, ein umgebautes ehemaliges Lagerhaus. Es war auf den ersten Blick ganz ordentlich, hielt aber natürlich keinen Vergleich mit den Häusern statt, in denen er sonst abzusteigen pflegte, aber er war ja auch nicht in Buenos Aires, New York, London oder Paris, sondern hier, in der entlegenen Provinz, sozusagen am Rande der zivilisierten Welt. Er hatte noch zwei Stunden Zeit, um sich auszuruhen, dann fände die Lesung in der Aula seiner ehemaligen Schule statt. Anschließend war er zu einem festlichen Abendessen in kleinem Kreis der Honoratioren und ihrer Frauen eingeladen. Der Bürgermeister hatte ihm gesagt, dass das Essen auf Einladung eines Mäzens stattfände, demselben, der auch das Honorar für ihn gestiftet habe und zwar in einem Restaurant, einem sehr guten, wenn nicht dem besten, das ihm auch gehöre. Diesen Mäzen, den bei weitem reichsten Mann der Stadt, den alle nur den Rinderbaron nannten, hatte er auf der Rundfahrt nicht kennengelernt, er sei sehr beschäftigt, werde sich aber am Abend Zeit für ihn nehmen, obwohl, der Bürgermeister sagte es etwas verlegen, der Rinderbaron es mit der Bildung nicht so habe, er könne gar nicht richtig lesen und schreiben, er sei halt nur ein erfolgreicher Bauer und ein noch erfolgreicherer Unternehmer. Er habe früh erkannt, dass die lokale Rinderrasse mit ihrem schmackhaften, fettarmen Fleisch, sich sehr gut in der Hauptstadt vermarkten ließ. Er habe klein angefangen, mit einer kleinen Hazienda, daraus habe er aber im Laufe der letzten Jahre ein richtiges Imperium geschaffen, mit eigener Zucht, eigener Mast und eigener Schlachtung. An jedem Werktag fahre ein Kühllaster voller Steaks die sechs Stunden bis in die Hauptstadt und bringe auf dem Rückweg Kraftfutter mit, dass man trotz der üppigen Weiden immer noch brauche, dazu Antibiotika und Vitamine und all die anderen Lebensmittel, die es hier nicht gab, wie Obst, Gemüse, Fisch, Meeresfrüchte. Da diese Waren immer ganz frisch seien, profitierte nicht nur die Bevölkerung von der guten Versorgung, sondern vor allem einige Lokale. Ob er wisse, fragte der Bürgermeister, dass es nur noch in der Hauptstadt mehr Sternerestaurants als hier gäbe, die wegen ihrer Qualität und ihrer niedrigen Preise rege besucht würden, vor allem von auswärtigen Gästen, die oft eine sehr lange Anfahrt auf sich nähmen. Der Rinderbaron war also ein wichtiger Mensch, der größte Steuerzahler ohnehin und er habe sofort zugestimmt, als er ihn um Hilfe gebeten habe. Kultur, so spöttelte der Bürgermeister, sei wirklich nicht sein Ding, aber weil er ein cleverer Geschäftsmann sei, habe er erkannt, dass die Berichterstattung über einen berühmten Schriftsteller, der in seinem Restaurant zu Gast ist, sehr nützlich sein konnte. Am liebsten wäre es ihm gewesen, wenn dort auch die Lesung stattfinden würde, aber das habe er nicht zugelassen, so der Bürgermeister, die Schule als Ort der Kultur sei gewählt worden und damit basta.

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Gedichte auf den Leib geschrieben