Als sie das Hotel erreicht hatten und er aussteigen wollte, sagte der Bürgermeister noch, er würde ihn am nächsten Morgen um neun zu dem Frühstück beim Rinderbaron abholen, das im engen Familienkreis stattfände. Der Grund für diese spontane Einladung sei die Frau des Gastgebers, die ihn unbedingt kennenlernen wolle. Sie habe sich beim Reiten, ihrem Lieblingssport, ein Bein gebrochen und auch noch andere Verletzungen zugezogen. Sie sei nicht gut dran und dürfe deswegen das Haus nicht verlassen. Aber sie wolle ihn unbedingt kennenlernen, denn sie sei eine gebildete Frau und würde sich, im Gegensatz zu ihrem Mann, für Kultur und Literatur sehr interessieren. Eigentlich sei sie es gewesen, die ihn, den Bürgermeister, auf die Idee gebracht hatte, den berühmten Autor und Sohn der Stadt zu dem Stadtfest einzuladen. Und weil er nun schon am Erklären sei, wolle er auch noch ein Geheimnis lüften, das eigentlich erst beim Festakt am Sonntag publik werden sollte. Die Frau des Rinderbarons habe nicht nur seine Einladung betrieben, auf ihre Initiative hin, solle ihm auch die Ehrenbürgerschaft der Stadt verliehen werden. Er wollte ihn damit überraschen, so der Bürgermeister, er sei davon ausgegangen, dass er diese Ehre bestimmt annehmen würde und deshalb habe er bisher nichts darüber gesagt. Bei diesen Worten sah er ihn fragend an, ob seine Annahme richtig war. Wegen des vielen Weins brauchte der Autor eine Weile, ehe er verstanden hatte, dass er geehrt werden sollte, doch dann war er einigermaßen perplex, eine solche Ehre nach diesem Auftritt, das mochte er kaum glauben. Aber als er Zweifel äußerte, ob die Mehrheit der Bevölkerung das überhaupt wolle, beruhigte ihn der Bürgermeister, die Leute hier würden alles akzeptieren, was er und der Rinderbaron beschlössen.
Leicht schwankend, aber mit einem Hochgefühl im Bauch, legte er die wenigen Meter bis zum Eingang des Hotels zurück, stieg vorsichtig die paar Stufen der breiten Treppe hoch und ließ sich von dem jungen Mann an der Rezeption den Schlüssel geben. Als er zum Lift ging, musste er an einem Getränkeautomat vorbei und da merkte er plötzlich, dass sein Durst immer noch nicht gestillt war, dass der viele Rotwein ihn eher verstärkt hatte. Er kramte in seinem Geldbeutel nach ein paar Münzen, warf sie ein und hielt dann eine sehr kalte und ziemlich große Flasche in der Hand, ein Bier erschien ihm als der ideale Durstlöscher. Dann stand er vor seiner Zimmertür, fummelte mit dem Schlüssel zunächst vergeblich herum, bis er dann doch das Schlüsselloch fand. Er trat ein und wunderte sich, dass das Licht brannte, er hatte es am Nachmittag bestimmt nicht angemacht. Er zog sein Jackett aus, hängte es in die Garderobe und erst als er aus dem kleinen Gang in das Zimmer trat, zeigte sich die wahre Überraschung und diese versetzte ihm einen gelinden Schock. Auf seinem Bett saß, nackt wie Gott es erschaffen hatte, das braun-gelockte Wesen, das ihn bei der Lesung schon beeindruckt hatte und sah ihn aus unschuldigen, großen Augen an, so als ob es die selbstverständlichste Sache der Welt sei, einen Fremden nackt in einem Hotelbett zu empfangen. Die Überraschung war zwar groß, aber sie hatte ihn nicht sprachlos gemacht. Er fragte sie, wegen des wirklich unerwarteten Anblicks und auch wegen des vielen Weins, ziemlich konfus und leicht stotternd und sich verhaspelnd, was sonst nie vorkam, wer sie eigentlich sei, wie sie hereingekommen sei und was sie hier wolle. Das Mädchen lächelte ihn an und sagte, sie heiße Vivian, sie sei bei der Lesung gewesen, dass wisse er doch noch, er habe ihr doch ein Buch geschenkt und sie habe den Eindruck gehabt, dass er ihr noch ein paar Fragen hatte stellen wollen. Da sie auch eine ganze Menge Fragen über seine Werke habe und die nicht stellen konnte, weil sie leider dringend weg musste, habe sie beschlossen, ihn hier zu treffen und alles in Ruhe zu besprechen. In das Zimmer zu kommen, sei kein Problem gewesen, der Mann an der Rezeption sei ein Freund, er habe sie herein gelassen. Nun seien sie zusammen und könne anfangen sie zu fragen, aber er könne auch alles andere mit ihr machen, wirklich alles was er wolle, sie sei für ihn da.
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