Eicheln mit Sprengkraft

Feenzauber - Teil 5

30 8-13 Minuten 0 Kommentare
Eicheln mit Sprengkraft

Eicheln mit Sprengkraft

Peter Hu

…Ja, der Landvermesser hatte sich eine solch ernüchternde Standpauke nicht träumen lassen. Hatte er doch eben noch so traumhaft gefickt….

Betroffen blickte der Mann in ihre grünen Augen. Es fiel Egidius sichtlich schwer, ihre Vorwürfe gerade jetzt, nach dieser köstlichen Vereinigung zu verarbeiten. Er war es doch nicht, der die Welt verbrannte. Was sollte er denn tun? Egidius war schließlich nur ein kleines, unbedeutendes Rad im großen Getriebe.
Und doch: Er konnte es nicht leugnen. Er war ein Teil des Ganzen. Als Landvermesser legte er die Grundsteine für solch schmutzige Vorhaben. Auch wenn er sich innerlich sträubte. Er sah buchstäblich vor sich, wie sein sauberes Mäntelchen der Unschuld, bei ehrlicher Betrachtung immer mehr unschöne Flecken bekam.
Auch er liebte schnelle Autos, Flugreisen in ferne Paradise, kulinarische Spezialitäten aus aller Welt; dazu jeden erdenklichen Luxus, der sein hübsches Eigenheim verschönerte.
Doch was war das eigentlich alles wert, wenn man es mit diesem einfachen, aber wunderbaren Paradies verglich?
Mit welchem Recht entrissen er und seine Auftraggeber den "Naturgeistern" ihre letzte Bastion? Er hatte hier weder sein Auto noch einen gemütlichen Fernsehabend vermisst. Eigentlich fehlte es ihm hier an nichts. Und er brauchte hier auch kein Geld in seinen Taschen.
Egidius hatte es kaum bemerkt: Aber er war hier glücklich. Ein Zustand, der sein abgesichertes Dasein bei weitem in den Schatten stellte. Wie blind war er nur in all den Jahren zuvor?

„Ich habe schwer gesündigt“, ...gestand er plötzlich in entsetztem Begreifen. Er sprach zwar nur halb zu sich selbst. Doch die Nixe hatte verstanden
„Es macht mich sehr glücklich, dass du am Ende in mir die tiefere Einsicht gefunden hast“, ...atmete Jalladine da erleichtert aus. „Ich hätte dich sonst, leider, wenn auch nicht gern, in meinem See ertränken müssen. Denn das Feenvolk sieht jetzt nicht mehr länger tatenlos zu. Damit du dich aber noch recht lange an mich erinnerst, will ich dir noch ein Abschiedsgeschenk machen. Komm, lass uns nun gemeinsam auf den See hinausschwimmen“...

Ein eisiger Schauer durchrann Steinharts Leib. Er zuckte förmlich über dem Wasserfräulein zusammen. Denn mit einem Schlag wurde ihm bewusst, dass jene sanfte Zauberfrau, ebenso gut sein Todesengel hätte sein können.
Die aber grinste nur.
„Du hast die Prüfung bestanden, Egidius Landvermesser. Jetzt hast du keinen Grund mehr, dich zu fürchten. Ich werde dich jetzt zum Ufer bringen. Denn die Königin erwartet dich. Auf dem Weg dorthin aber, möchte ich, dass du mich zum Abschied noch einmal liebst. Ach, wie ich dieses heiße Prickeln vermissen werde“...
Mit diesen Worten stieß sie ihn in die sprudelnde Gischt. Sein Herz tat einen gefährlichen Sprung, als er durch das Tosen des Sturzwassers segelte. Er schluckte nicht wenig Wasser, bevor die Nixe ihn aus dem Strudel zog. Leben und Tod lagen wirklich manchmal sehr eng beieinander. Besonders in dieser geheimnisvollen Mondnacht.
‚Die Überraschung ist ihr wirklich gelungen‘ ...dachte er grummelnd bei sich. So schnell würde er diesen Schock wohl nicht vergessen.“
Doch sein Groll verwandelte sich augenblicklich in größtes Wohlgefallen. Denn als er in sicheren Zügen durchs Wasser glitt, spürte er plötzlich den Leib der Nixe unter sich. Wallendes Haar streifte seine Haut, weiche Brüste rieben sich an Egidius, so dass sich seine geschrumpfte Makrele augenblicklich wieder in einen stattlichen Seehecht verwandelte.
Und plötzlich schnappten warme Lippen nach seinem aufgerichteten Gemächt. Er entspannte sich dermaßen vollkommen, dass er beinahe doch noch ertrunken wäre. Doch rechtzeitig legten sich der Nixe Lippen auf seinen Mund, ...und spendeten ihm amphibischen Sauerstoff.
Derart verbunden sanken sie hinab auf den Grund des Sees. So, wie ihre Münder bereits fest miteinander verbunden waren, schlossen sich nun auch die Lippen ihres Geschlechtes um seinen straffen Raubfisch. Elegant, ja beinahe schwerelos, begann sie auf ihm zu reiten.
Unendlich erschien ihm die Zeit. Tausend Sternchen explodierten in seinem Kopf. Nach einer nahezu ewig erscheinenden Vereinigung trieben sie schließlich glücklich erschöpft an die Oberfläche...

Egidius fand sich nach einem unendlich tiefen Schlaf im Uferschilf wieder. Der Landvermesser wusste kaum, wie ihm geschehen war. Jalladine war verschwunden. Er fror und wünschte sich nichts sehnlicher als seinen wärmenden Umhang.
'Wo blieb denn nur die Feenkönigin, die ihn heim geleiten sollte?‘ Sofort manifestierte sich vor seinem geistigen Auge ihre zierlich verführerische Silhouette. Keine Frage: Ihr heißer Körper erschien ihm natürlich noch tausendmal verführerischer, sich daran zu erwärmen, als klammer Umhangstoff. ‚Wie konnte es nur sein, dass er schon wieder so geil war?‘...

...Darauf folgte das wahrhafte Erwachen. Eintöniges, gedämpftes Poltern umgab den Landvermesser. Verschwunden waren der See, das Uferschilf und auch das wohlige Gefühl.
Egidius fand sich im Polstersitz eines zugigen Eisenbahnabteils wieder. Irgend jemand hatte das Fenster heruntergelassen. Ihm gegenüber saß eine überirdische, gertenschlanke Blondine. Ihre schwarzen Netzstrümpfe waren etwas in Unordnung. Einer davon zeigte sogar eine seitliche Laufmasche. Auch ihre Bluse war falsch geknöpft. Das Haar war wild durchwühlt, wie nach einer stürmisch heißen Liebesnacht. Ein spöttisches, ja lüsternes Grinsen lag auf ihrem fein geschnittenen Gesicht.

„Du hast das nicht nur geträumt, Egidius Steinhart,“ ...hauchte sie ihm warm ins verwirrte Gesicht.
„Ich bin Violett Eichengrün, die Königin der Feenwelt. Ich habe dich in mein Reich entführt. Ich hoffe, du vergisst nicht, was du gesehen und gefühlt hast. Gleich sind wir in Grünwalden angekommen. Dort werden sich unsere Wege trennen. Aber vergiss nicht...!“

Zu diesen ermahnenden Worten quietschten auch schon die Bremsen des Zuges. Die Fee umarmte den verblüfften Landvermesser in herzlichem Abschied. Ein wohliges Beben elektrisierte seinen Leib, als er all ihre Feinheiten noch einmal spürte.
„Vergiss nicht, dass du jetzt Einer von uns bist,“ ...hauchte sie ihm mit einem flüchtigen Kuss ins Ohr. Dazu drückte sie ihm wie beiläufig etwas in die Hand. Und von diesem Etwas ging eine gewaltige, irgendwie unterschwellig spürbare Kraft aus. Als er die Hand öffnete, erblickte er nichts weiter als eine kleine, grüne Eichel auf seiner Handfläche. Doch er begriff es sofort. Das war nicht nur irgendein Samen. Das war eindeutig das magische Symbol der Feenkönigin.
Während er noch begriff, war die geheimnisvolle Blondine auch schon aus dem Zug. Wahrlich verzaubert, blickte der Landvermesser ihr nach.
Die bezaubernde Erscheinung lief geradewegs über die Gleise und hielt dann auf den Wald zu. Einen Augenblick später, hatte sie das tiefe Grün auch schon verschlungen.
Wie gebannt, stand Steinhart noch eine ganze Weile am Bahnsteig. Der Zug fuhr bereits wieder an, da stieg plötzlich ein wunderlicher Vogel über dem Geäst auf.
‚Doch war es wirklich ein Vogel?‘ ...ging es Steinhart durch den rauschenden Kopf.
Er beschattete die Augen mit der Hand und schaute genauer hin. Das war eindeutig kein Vogel, auch wenn es flinke Flügel hatte. Steinhart war sich jetzt sicher. Es handelte sich um eine kleine, schlanke, splitterfasernackte Fee ...mit goldenem Haar. Und sie winkte ihm sogar noch einmal kurz zu, bevor sie endgültig über dem Wald verschwand.

Egidius hatte so ein seltsames Gefühl in den Gliedern, als er den Bahnhof hinter sich ließ. Der Landvermesser wollte kein Taxi nehmen. Die Dinger lärmten und stanken doch so fürchterlich. ‚Gab es denn hier keine Fuhrwerke?‘

Natürlich gab es auch in Grünwalden längst keine Droschken mehr. Darum entschied er sich für einen Fußmarsch. Schließlich waren es nur kaum zwei Kilometer bis zur Pension.
Dort angelangt, gönnte er sich nach dem Einchecken noch ein gutes Abendessen und legte sich gleich im Anschluss ins Bett. Die Reise hatte Egidius dermaßen erschöpft, dass er sofort einschlief. Er träumte darauf so intensiv, wie schon lange nicht mehr...

Als er morgens die Augen aufschlug, stieg ihm der Duft von frischen Brötchen und Kaffee in die Nase. Die Tür schwang auf ...und die junge Wirtstochter beugte sich mit waffenscheinpflichtigem Ausschnitt über sein Bett, um das Tablett abzustellen. Diesen Service hätte er hier auf dem Lande gar nicht erwartet. Auch mit einem solch hübschen Mädchen, hätte er hier in der Provinz nicht im Traum gerechnet. Dazu war sie augenscheinlich alles andere als prüde. Er konnte ihr bis zu den Knospen blicken. Ihr kurzes Kleid zeigte verdammt hübsche Knackbeine, die hervorragend zum prallen Hinterteil passten. Während er ihr noch sinnend nachblickte, fielen ihm sogleich die Sommerdrillinge ein. Gewiss: Statt der Glatzen, trug die Hübsche einen frechen Igel. Aber ansonsten hätte sie durchaus die Vierte im Bunde sein können...
...Egidius frühstückte mit großem Appetit. Dann ging er sogleich hinaus an die Arbeit. Dafür wurde er schließlich bezahlt...
Alles im Wald, kam ihm plötzlich so merkwürdig vertraut vor. Dabei war er doch noch nie im Leben hier gewesen. Aber mit erstaunlicher Sicherheit fand er jeden Weg und Pfad...
Da war jene riesige Eiche. Es war ihm, als hätte er schon einmal von ihrer mächtigen Krone herabgeblickt.
Dann stieß er auf eine wohl vertraute Lichtung. Als er die Augen schloss, hörte er die ausgelassenen Stimmen eines feiernden Völkchens. Unwillkürlich begannen seine Füße zu tanzen. Weitere Erinnerungen überfielen ihn wie im Rausch.
Irgendwo gurgelte ein Wildbach. Er folgte seinem Klang und traf tatsächlich auf einen kleinen See, in dem sich hunderte von Forellen tummelten. Auch war es ihm plötzlich, als würde im rauschenden Wind ein weiser König zu ihm sprechen...
‚Konnte das sein?‘ Dort am Wasserfall, stieg ein riesiger Fisch mit grünem Algenhaar aus den Fluten ...und winkte ihm plötzlich in Gestalt einer barbusigen Schönheit zu...
Egidius glaubte zu halluzinieren. Doch als er zu Notizheft und Bleistift greifen wollte, fand er plötzlich jene magische Eichel in seiner Jackentasche. Und der ihr innewohnende Zauber, entfaltete erneut seine urgewaltige Kraft...

Unfähig, sich länger noch auf seine Arbeit zu konzentrieren, wanderte der Landvermesser stattdessen nur noch durch den Wald ...und erfreute sich an seiner Schönheit.
Als er schließlich abends in die Pension heimkehrte, entzündete er den Kamin ...und warf alle Karten und Messstangen kurzerhand ins prasselnde Feuer. Eine schwarze Rauchsäule verkündete der Umwelt seinen spontanen Entschluss...

„Schau nur, mein Gemahl, welch gutes Zeichen dort am Himmel steht,“ ...frohlockte die Feenkönigin. Sie war gerade im rechten Augenblick vor den Höhleneingang getreten, um sich vor dem Winterschlaf noch einmal die Zähne zu putzen.

„Habe ich dir nicht gesagt, dass man sich auf unseren Steinhart verlassen kann? Komm lieber wieder ins Bett. Mein Tannenzapfen wird auch schon wieder hart, wenn er dich da so knapp bekleidet im Eingang stehen sieht“...

*

...Ein großer Koffer flog in hohem Bogen aus einem voll beschleunigten Zug. Es handelte sich um die Spätverbindung nach Comerzin. Egidius schmunzelte zufrieden, als er den teuren Mess-Laiser auf den Gleisschwellen zerschellen sah...

*

...Der Mann lief aus dem Ruder. Schon hatte er Kontakt zu einer großen Zeitung geknüpft.

*

...Natürlich reagierte der Vorstand der „Stink-Gum-Chem GmbH u. Co. AG“ prompt.
Als dieser Spinner von „Waldfrevel“ und „Verbrechen an der Natur“ zu faseln begann, wurde er kurzerhand aus dem Verkehr gezogen. Man lieferte ihn (natürlich nur zur Beobachtung) in die neurologische Abteilung des werkseigenen Hospitals ein. Natürlich sorgte ein großes Unternehmen für seine Mitarbeiter...
Eine lästige Verzögerung des Bauvorhabens. Aber kein wirkliches Problem.
Ein neuer Landvermesser wurde beauftragt und nach Tiefwalden entsandt. Doch auch dieser kehrte mit ähnlich gefährlichen Symptomen zurück.
Auf diese Weise bekam Steinhart mit der Zeit drei unterhaltsame Zellengenossen. Ihre Erlebnisse unterschieden sich nur geringfügig, so dass man schon an gefährliche Strahlung glaubte. Oder gar an ein gefährliches Virus...
Aber alle diese durchgeknallten Landvermesser, trugen diese unscheinbaren Wundereicheln bei sich. Und die hüteten sie sorgsam.
...Was immer man auch unternahm. Bald fand sich kein einziger Vermessungsingenieur mehr, der sich bereitfand, dass „Verfluchte Gebiet von Tiefwalden“ auch nur zu betreten. Es grenzte schon an Sabotage...

...Endlich sah sich ein fünfköpfiges Spitzenteam aus Management und Vorstand gezwungen, sich vor Ort umzusehen.
Doch die Männer kehrten nie zurück. Man fand nur Wochen später ihre ausgeweidete Luxuskarosse; verlassen in einem engen Feldweg, nahe der Ortschaft Tiefwalden. Ein schwerer Wurzeltrieb hatte sich durch den Fahrzeugboden gebohrt. Das Auto war derart aufgebockt, dass es kaum noch zu entdecken war. Denn es schwebte bereits drei Meter über dem Boden und war von kräftigem Grün umfangen.
Die Polizei fand keine Spuren eines Kampfes. Aber der Wagen war von Moosen und Farnen durchdrungen. Gerade so, als wolle die Natur ihn wieder in seine Ur-Bestandteile zurück zerlegen.

Man vertuschte all diese geheimnisvollen Vorgänge. Schließlich legte man das Vorhaben einstweilen auf Eis. Nicht, ohne sich insgeheim nach neuem Baugrund umzusehen...

...Steinhart und seine unfreiwilligen Mitbewohner, währen wahrscheinlich still und leise in ihrer Verwahranstalt verschimmelt. Aber die Feenkönigin hatte sie alle mit ihrer stärksten Waffe ausgerüstet. Noch immer hatte ein jeder von ihnen eine kleine, grüne Eichel in der Hosentasche.
Zu unscheinbar waren diese Samenkapseln, als dass man sie den "Irren" abgenommen hätte.
Konnte man schließlich ahnen, dass es sich um Waffen von enormer Sprengkraft handelte?
Denn da die Zeit im Feenreich bekanntlich anders lief, war das Wachstum dieser Triebe geradezu erschreckend explosiv.
Am Tage X, pflanzten unsere Helden diese kleinen Bomben in die Mauerritzen ihrer Zelle ein. Tägliches Gießen mit dem Wasserglas genügte, um diese besonderen Bomben zu zünden...

Eines Nachts erschütterte ein gewaltiges Beben die Stadt. Als die Bürger dann morgens verschlafen aus ihren Fenstern blickten, glaubten sie ihren Augen nicht zu trauen. Die große, stinkende Chemiefabrik war verschwunden. In ihren Trümmern aber, standen vier riesige Eichen. Ihre gewaltigen Wurzeln brachten noch immer kleinere Außengebäude zum Einsturz.
Und was die Menschen noch mehr beeindruckte, ...ja bald schon erschreckte. Diese Bäume blühten sehr schnell. Und sie trugen bereits frische Eicheln...
...Wenn das so weiter ging, würde der Wald bald die ganze Stadt verschlungen haben. Die Straßendecken zeigten schon bedrohliche Risse...

ENDE

Klicke auf das Herz, wenn
Dir die Geschichte gefällt
Zugriffe gesamt: 3232

Weitere Geschichten aus dem Zyklus:

Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.

Gedichte auf den Leib geschrieben