Ein Rotmilan spielt Schicksal

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Ein Rotmilan spielt Schicksal

Ein Rotmilan spielt Schicksal

Sven Solge

Er hatte etwas flehendes in seinem Blick, was Fenja rührte. Sie streichelte ihn erneut über die Wange, da flüsterte er etwas, was Fenja allerdings nicht verstand, es hörte sich an wie: „Verzeih mir!“ Oder so ähnlich. Aber was sollte sie ihm verzeihen?

-*-

Johann traf die Erkenntnis wie ein Schlag ins Gesicht, sie war gekommen, um ihn zu bestrafen! Diese Augen hatte er schon mal durch sein Fernglas gesehen und nun wollte sie Rache dafür, dass er sie beobachtet hatte. Er brachte nur ein krächzendes `Verzeih mir!´ hervor.

Er folgte ihr mit seinem Blick, wie sie die steile Böschung hochkraxelte und dann aus seinem Blickfeld verschwand.

‚Sie lässt dich jetzt hier sterben!‘, schoss es ihm durch den Kopf! ‚du hast es nicht besser verdient!‘ Mit einem tiefen Seufzer schloss er die Augen und ergab sich in sein Schicksal.  

-*-

Als Fenja den Forstweg erreichte, musste sie erst mal verschnaufen, zu sehr hatte sie die Böschung gefordert. Immer wieder hatte der vom tagelangen Regen aufgeweichte Boden nachgegeben.

Sie stand eine Weile vorgebeugt auf dem Weg und schnappte nach Luft. Doch dann riss sie sich zusammen und hob ihr Handy, welch ein Glück sie hatte Empfang! Sie wählte die 112 und kurze Zeit später meldete sich die Zentrale.

Sie schilderte dem Beamten was passiert war und dass der Verunglückte schwer verletzt in einer Mulde, etwa 5 – 6 Meter unterhalb des Waldweges liegen würde. Auf die Frage, wo sie sich denn befinden würde, musste sie passen.

„Beschreiben sie mir mal die Umgebung?“, fragte der Beamte. Etwas genervt sagte sie: „Lauter Tannen um mich herum.“

Doch dann fiel ihr das GPS-Gerät ein: „Wenn ich ihnen die Koordinaten durchgebe, können sie damit was anfangen?“

„Junge Frau das ist perfekt, genau das brauchen wir jetzt!“

Wenig später hatte sie die Daten durchgegeben und machte sich wieder auf den Weg zum Verunglückten. Um ihren Standort kenntlich zu machen, hatte sie zusätzlich noch ihre gelbe Regenjacke an einen Baum gehängt.  

Sie hatte den bedauernswerten Mann noch nicht erreicht, da hörte sie schon die Sirene des Krankenwagens, zwar noch weit entfernt, aber doch beruhigend.

-*-

Die warme Hand an seiner Wange, holte ihn zurück aus seiner beginnenden Ohnmacht. Es fiel ihm schwer seine Augen zu öffnen, doch als er in dieses zauberhafte Gesicht sah, wurde ihm bewusst, noch lebte er!

„Wie heißt du?“ Es dauerte etwas, bis er den Sinn dieser Frage verstanden hatte.

„Johann!“, versuchte er zu sagen, doch sein Mund war so trocken, dass nur ein keuchen zu hören war.

Plötzlich spürte er etwas Feuchtes an seinen Lippen, gierig leckte er mit seiner Zunge ein paar Tropfen auf.

„Ganz langsam, ich weiß nicht ob du überhaupt etwas trinken darfst, vielleicht hast du innere Verletzungen! Der Krankenwagen ist gleich da!“

Trotzdem bekam er noch ein paar Tropfen, sodass er wenigstens „danke“ sagen konnte.

„Sagst du mir noch mal deinen Namen?“

„Johann!“, kam es jetzt deutlicher über seine spröden Lippen.

Wieder streichelte dieser Engel über seine Wange und sagte: „Johann, es wird alles wieder gut. Gleich kommt der Arzt und gibt dir was gegen die Schmerzen.“

-*-

Fenja beobachte Johann aufmerksam, er hatte dunkle, fast schwarze Augen und ebenso schwarze Haare, sein Gesicht war sehr vertrauenserweckend. Sie hatte etwas Angst davor, dass er kollabieren könnte, sie war sich nicht sicher, ob ihre Kenntnisse der ersten Hilfe dann ausreichen würden. Doch dann hörte sie die knirschenden Reifen oben auf dem Weg, der Arzt war da.

Erleichtert machte sie den Helfern Platz, die sich professionell um den verletzten kümmerten. Trotzdem dauerte es fast eine Stunde, bis Johann endlich im Krankenwagen lag und ins Krankenhaus gefahren werden konnte.

Der Ast, der seinen Oberschenkel durchbohrt hatte, musste abgesägt werden, weil der nur im Krankenhaus operativ entfernt werden konnte. Auch der Transport die Böschung hoch, war problematisch. Erst ein Leiterwagen der Feuerwehr schaffte es schließlich ihn mit einer Trage hochzuziehen.

Polizisten, die mittlerweile auch eingetroffen waren, nahmen noch ihre Personalien auf und boten ihr an sie zur Pension zu fahren, doch das lehnte sie ab. Den Spaziergang brauchte sie, um ihre Aufregung runterzufahren. Erst jetzt nachdem alle abgefahren waren, spürte sie die Anspannung.

Sie stopfte ihre Regenjacke, die immer noch am Baum hing, in ihren kleinen Rucksack und gerade als sie ihn auf den Rücken schwang, hörte sie wieder diesen hohen Pfeifton eines Vogels, den sie schon einmal gehört hatte. Überrascht schaute Fenja zum Himmel, wo das Geräusch herkommen musste, da sah sie ihn in großer Höhe. Er flatterte auf der Stelle und hielt wohl nach Beute Ausschau. Immer wieder ließ er diesen klagenden Pfeifton hören und plötzlich schoss er nach unten und verschwand hinter den Wipfeln der Tannen.

Sie wandte sich zum Gehen, als sie das Fernglas im Gras sah. Daran hatte sie gar nicht mehr gedacht. Sie hob es auf und betrachtete es etwas genauer! Auf dem Steg zwischen den beiden Okularen war ein kleines Messingschild angebracht, darauf Stand: Johann Penter und eine Telefonnummer.

Irgendwie versetzte der Name sie in Aufregung, konnte aber nicht sagen warum?

So hatte Fenja wenigsten Gelegenheit ihm sein Fernglas zurückzugeben.

Als sie später Frau Lether, ihrer Pensionswirtin von dem Unglück erzählte, war diese ganz erschüttert. „Ach der Johann, der hat in letzter Zeit so viel Pech, vor einem Jahr ist ihm erst seine Frau weggelaufen und nun das!“ Frau Lether schüttelte unentwegt den Kopf. „Und dabei ist er so ein lieber Kerl!“

„Wissen sie in welches Krankenhaus er hier kommen würde?“, fragte Fenja, ich würde ihn gerne besuchen und ihm sein Fernglas wieder bringen, das hat er oben am Weg verloren?“

„Wir haben hier nur das St. Jacobus in der Kreisstadt, ungefähr eine halbe Stunde mit dem Auto von hier! Das sollten sie machen, da wird sich Johann sicher freuen.“

-*-

Am nächsten Tag machte sie sich auf den Weg zum Krankenhaus.

Vormittags hatte sie noch mit ihrer Mutter telefoniert und ihr von dem Unglück erzählt, die natürlich in heller Aufregung war.

Ihre Freundin Janna, war da etwas pragmatischer: „Und wie sah er aus? Wäre das nichts für dich? So einsame Naturburschen sind oft die besten Liebhaber!“

„Ach Janna, an was du gleich wieder denkst! So nötig habe ich es nun auch wieder nicht!“

„Was heißt hier nötig? Du bist schon seit drei Jahren ohne Kerl und solltest dich mal wieder richtig durchvögeln lassen! Ich merke doch wie du dich immer mehr veränderst, wenn du so weiter machst, endest du noch als alte Jungfer!“

Fenja lachte über die drastische Ausdrucksweise ihrer Freundin, Janna war schon immer sehr direkt und sie wusste auch, dass sie recht hatte. Aber nach dem Fiasko mit Jörn, war ihr Verlangen nach Männern erst mal vergangen.

„Ich kann keine alte Jungfer mehr werden, bin schon defloriert worden!“

Jetzt musste auch ihre Freundin lachen: „Du hast recht, aber wenn du ins Krankenhaus fährst, schau dir Johann mal mit den Augen einer ausgehungerten Frau an, vielleicht macht es ja klick!“

Bis zur Kreisstadt brauchte Fenja mehr als eine halbe Stunde, aber schließlich hatte sie ihren Wagen parken können und stand nun am Empfang.

„Sind sie eine Verwandte von Herrn Penter!“, fragte die Dame hinter dem Tresen.

„Nein, ich bin diejenige die ihn gestern gefunden und seine Rettung in die Wege geleitet hat! Ich möchte ihm gerne sein Fernglas zurückbringen, das er bei dem Sturz verloren hat, außerdem würde ich mich gerne nach seinem Befinden erkundigen?“

„Moment, ich frage auf der Station nach, ob Herr Penter Besuch empfangen darf!“

Wenig später fuhr Fenja mit dem Fahrstuhl zur Station 3c, auf der Johann liegen sollte. Die Stationsschwester erwartete sie schon: „Hallo!“, begrüßte sie Fenja. „Da haben sie aber Eindruck bei Jemanden hinterlassen, Johann hat schon mehrfach nach ihnen gefragt! Bleiben sie aber nicht so lange, er hat eine schwere Gehirnerschütterung und braucht dringend Ruhe!“

„Was macht seine Verletzung am Bein?“, fragte Fenja nach.

„Da hat er sehr viel Glück gehabt, es wurden keine großen Venen getroffen und auch die Muskulatur wurde fast nicht geschädigt. Der Ast hat alles zur Seite geschoben und ist nur durch das umliegende Gewebe gedrungen. Er wird wohl nur eine große Narbe nachbehalten!“ Die Schwester geleitete sie bis zu Johanns Zimmer, öffnete die Tür und rief in den Raum: „Johann, Besuch für dich!“

Fenja bewegte sich zaghaft ins Zimmer, während die Schwester die Tür schloss.

Johann schaute sie mit seinen dunklen Augen erwartungsvoll an und plötzlich wusste er wer ihn da besuchen kam. „Duuu!“, sagte er gedehnt, schloss kurz die Augen und als er sie wieder öffnete, glitzerten sie verdächtig. Es schien ihm sehr nahe zu gehen.

Er streckte ihr eine Hand hin, die Fenja ergriff und vorsichtig drückte, wollte sie aber sofort wieder loslassen, doch Johann hielt sie fest.

„Bitte setz dich aufs Bett zu mir!“, bat er sie.

Fenja setzte sich, auch wenn sie wusste, dass es eigentlich verboten war. Sie holte das Fernglas hervor und reichte es ihm. Doch zu ihrer Überraschung lehnte er es ab.

„Ich schenke es dir! Es hat mich zum größten Fehler meines Lebens verleitet und dafür möchte ich dich um Verzeihung bitten!“

Jetzt war es an Fenja verständnislos zu schauen: „Was soll ich verzeihen?“, fragte sie irritiert.

„Ich habe dich damit beobachtet!“ Er deutete auf das Fernglas. „Bitte verzeih mir!“

Fenja fiel es wie Schuppen von den Augen: „Du warst das? Jetzt wird mir einiges klar! Du hast in der Mulde schon von `verzeihen´ gesprochen und ich glaubte mich verhört zu haben?“

Sie wollte seine Hand jetzt impulsiv loslassen, spürte aber, dass er sie noch fester hielt. Irgendwie fühlte es sich so vertraut an, dass sie es aufgab.

„Was hast du denn da am Hang gemacht? Nur um nackte Frauen zu beobachten, ist es dort sehr steil?“, fragte sie energischer als sie eigentlich wollte.

„Ich habe einen roten Milan beobachtet! Mein Lieblingsvogel! Und der zog immer engere Kreise, deshalb bin ich den Hang runter, weil ich dachte er hätte dort sein Nest. Dabei bin ich auf dem nassen Untergrund ins Schliddern geraten und erst an der Buche konnte ich mich festhalten. Als ich dann aufblickte, sah ich dich an der Balkontür und war fasziniert von deinen Bewegungen. Es ist nicht meine Art, so etwas mache ich sonst nicht. Als du mich dann entdeckt hast, war ich wie von Sinnen und habe mit mir geschimpft. Ich bin dann den Hang hinauf bis zum Forstweg und als dann der Rotmilan über mir kreiste, fühlte ich mich von ihm verspottete. Mit dem Fernglas vor den Augen habe ich mir dann den Fehltritt erlaubt. Den Rest kennst du!“

„Aber dann hast du ja mehr als vier Stunden in der Senke gelegen, denn ich habe ja noch geduscht und gefrühstückt und bin dann erst losgelaufen.

„Das kann schon sein, ich bin ja auch mit dem Kopf auf den Baumstamm aufgeschlagen und hatte wohl die Besinnung verloren.“

Sie schwiegen eine Weile, bis Fenja plötzlich etwas einfiel: „Ich habe den Milan auch gesehen, hat der so einen geteilten Schwanz und gibt einen hohen Pfeifton von sich?“

„Ja, genau das ist er! Er hat einen gegabelten Schwanz! Ein schöner Vogel, ich beobachte den schon seit meiner Kindheit!“

Jetzt musste Fenja lachen.

„Warum lachst du? Habe ich was falsches gesagt?“

„Du hast gesagt, dass du den Vogel schon seit deiner Kindheit beobachtest, ich glaube so alt werden Vögel nicht!“

Jetzt grinste auch Johann: „Natürlich nicht der Vogel, die Art meinte ich!“

„Ich glaube ich sollte jetzt gehen, die Schwester hat gesagt, du brauchst wegen der Gehirnerschütterung viel Ruhe!“

„Bitte bleib noch etwas!“, bettelte Johann und hielt ihre Hand noch fester.

„Es geht nicht, du musst schnell wieder gesund werden! Wenn du möchtest, komme ich morgen wieder?“

„Oh ja, bitte! Jeden Tag, umso eher bin ich wieder gesund.“

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