Freitag, 14:00 Uhr, endlich Feierabend. Wie immer bei gutem Wetter, lege ich auch heute, an diesem warmen Julitag, meinen Arbeitsweg mit dem Fahrrad zurück. Die Bewegung tut mir gut, und ich bin dabei sogar schneller, als wenn ich das Auto benutzen würde. Meine Wohnung liegt in der Altstadt, und das Büro, in dem ich arbeite, befindet sich im Randbereich der Kleinstadt, in der ich lebe. Der Weg ist nicht weit, führt über gut ausgebaute Fahrradwege und durch den großen Park, der direkt an die Innenstadt angrenzt. Ein wunderbarer Abschnitt meines Weges, aber auch mit einer Gefahr verbunden, denn findige Standplaner haben ausgerechnet an der Stelle, wo der breite Weg am Ende des Parks eine recht unübersichtliche S-Kurve beschreibt, einen der Personenausgänge der innerstädtischen Tiefgarage platziert. Immer wieder kommt es dort zu Unfällen, oder Beinaheunfällen, wenn unaufmerksame Fußgänger auf die oft zügig fahrenden Fahrradfahrer treffen.
Inzwischen angebrachte Schilder am Fahrradweg und eine Absperrstange vor dem Ausgang sollen schlimmeres verhindern, doch das wirkt nur bedingt. Aber ich kenne die Stelle und fahre entsprechend vorsichtig, jedenfalls sonst, aber eben nicht heute, wo mich die strahlende Sonne schon von einem ruhigen Wochenende ohne Verpflichtungen träumen lässt. Es sind für die Uhrzeit erstaunlich wenig Leute unterwegs. Vermutlich sind sie noch bei der Arbeit, oder da Ferien sind, verreist bzw. im Schwimmbad. So bin ich nicht nur recht flott unterwegs, sondern dazu auch noch unaufmerksamer als sonst. Erst im letzten Moment sehe ich die Frau, die, ohne sich umzusehen aus der Tiefgarage auf den Radweg tritt. Mit einer Vollbremsung komme ich gerade noch vor ihr zum Stehen, ohne dass ich stürze. Erst meine quietschenden Bremsen lassen sie auf mich aufmerksam werden. Noch während sie ihren Kopf in meine Richtung dreht, schreit sie auf, lässt ihre Einkaufstasche fallen und macht einen Satz zurück. Mit vor Schreck geweiteten Augen starrt sie mich an.
‚Du blöde Kuh, kannst du nicht aufpassen.‘ denke ich. Doch gerade, als ich zu einer Schimpfkanonade ansetzen will, bemerke ich, was für eine attraktive Frau mir da gegenübersteht. Sie dürfte etwa um die Dreißig sein, also mein Alter haben, ist groß gewachsen, schlank, aber nicht dürr, sondern mit genau den richtigen Proportionen. Ihr längeres, braunes Haar hat sie zu einem hoch angesetzten Pferdeschwanz gebunden. Und auch wenn sie mich immer noch mit großen Augen und halb offenem Mund anstarrt, ist ihr Gesicht ausgesprochen schön, mit den leicht vortretenden Wangenknochen und tiefbraunen Augen. Ein richtig süßes Kätzchen. Auch wenn es mir wie eine kleine Ewigkeit vorkommt, sind nur Sekunden vergangen. Wie in einem Reflex schalte ich um. „Ist ihnen etwas passiert? … Entschuldigen sie, ich war unaufmerksam. … Ist alles in Ordnung?“ höre ich mich entschuldigend stammeln, statt loszuschimpfen. Erst jetzt reagiert sie. „Ja, … jjjja, … es ist alles in Ordnung, … ich hab mich nur fürchterlich erschreckt.“ antwortet sie zögernd mit leicht zitternder Stimme. Die ein oder zwei Fahrradfahrer, die vorbeikommen, halten natürlich nicht an, und andere Fußgänger sind nicht zu sehen.
Mit einer mechanischen Bewegung stelle ich mein Fahrrad auf den Ständer. Überall zwischen uns auf dem Boden verteilt, liegen die Dinge, die beim Loslassen aus ihrer Einkaufstasche gefallen sind. Es sind hauptsächlich Lebensmittel, aber auch einige Dosen Katzenfutter, wie ich feststelle. Wortlos knie ich nieder und beginne die einzelnen Teile aufzusammeln. Auch meine Gegenüber erwacht endlich aus ihrer Starre, hilft beim Aufsammeln mit. „Ich hab sie einfach nicht gesehen.“ zuckt sie mit leiser Stimme die Schultern, „Es war plötzlich so hell, als ich aus dem dunklen Treppenhaus getreten bin.“ Eigentlich könnte ich ihr ja sagen, dass sie trotzdem aufpassen muss, aber ein Blick in ihre wunderbaren Augen lässt es mich herunterschlucken. Ein Teil nach dem anderen wandert wieder in ihre Tasche. „Na, Hauptsache, es ist nichts passiert. … Ist es doch nicht, oder?“ frage ich sicherheitshalber noch einmal nach. „Nein, es ist wirklich alles okay.“ bestätigt sie, während wir beide uns wieder erheben. Sie macht einen schüchternen Eindruck, aber vielleicht ist es ja auch nur der Schreck. Auf jeden Fall es süßes Kätzchen, denke ich wieder.
„Darf ich sie als kleine Entschuldigung für den Schreck, den ich ihnen bereitet habe, zu einem Kaffee einladen? Gleich da drüben ist ein kleines Café, wo man wunderbar draußen sitzen kann.“ zeige ich in die angegebene Richtung. „Das müssen sie nicht, … schließlich ist nichts passiert.“ wehrt sie mit leiser Stimme ab. „Ich weiß, dass ich es nicht muss, aber ich würde mich gerne bei ihnen entschuldigen, … außerdem würde es mein Gewissen erleichtern, wenn ich ihnen auf den Schreck etwas Gutes tun könnte. … Vielleicht haben sie ja ein halbes Stündchen Zeit dafür.“ versuche ich es mit einem Lächeln, gefolgt von einem „Bitte“ und einem treuherzigen Blick. Sie schaut auf ihre Armbanduhr und wieder zu mir. „Also gut, wenn sie darauf bestehen.“ stimmt meine Gegenüber schließlich zögernd zu. „Danke.“ antworte ich wieder mit einem Lächeln. So setzen wir uns nebeneinanderhergehend, ich mein Fahrrad schiebend, in Bewegung. Wir finden einen schönen Schattenplatz und bei der Tasse Kaffee erfahre ich, dass sie Silvia Paulsen heißt, und vor einem halben Jahr aus beruflichen Gründen hergezogen ist. Nur langsam taut sie auf, so dass unsere Unterhaltung in Gang kommt.
Als ich sie schließlich nach dem Katzenfutter frage, haben wir unser Thema gefunden, denn Silvia erzählt mir, dass sie ihre Wohnung mit einer älteren Katzendame namens Kleopatra teilt. Auch wenn ich kein Haustier habe, liebe ich Katzen, zumal meine Eltern, die auf dem Land leben, schon immer einen Stubentiger gehabt haben. Es gibt unzählige Katzenabenteuer zu erzählen, was Silvia zu ersten Mal auch ein herzliches, ansteckendes Lachen entlockt. Wir sind so in unsere Unterhaltung vertieft, dass sie nichts dagegen hat, als ich eine zweite Tasse Kaffee bestelle. „Den bezahle aber ich. … Schließlich war ich auch unaufmerksam, und es würde mein Gewissen sehr beruhigen, wenn ich mich so bei ihnen entschuldigen darf.“ zitiert sie lachend meine Einladung von vorhin. Als die neue Runde Kaffee kommt, wird auch gleich abkassiert. „Schichtwechsel.“ erklärt die Kellnerin nur. „Wie wär’s, wenn wir uns als Katzenliebhaber duzen?“ schlage ich vor, als die Bedienung wieder abgezogen ist. „Gerne.“ antwortet Silvia und so stoßen wir mit unseren Tassen an. Auf einen Verbrüderungskuss verzichten wir, auch wenn ihr gerne ein bisschen nähergekommen wäre. Aus der geplanten halben Stunde werden schließlich über anderthalb Stunden.
Langweilig war uns dabei keine Sekunde, doch als die Turmuhr läutet, schaut Silvia erschreckt hoch. „Oh je, ich hab ganz die Zeit vergessen und muss dringend los. … Es ist Zeit für die Raubtierfütterung.“ Ich muss lachen: „Das verstehe ich.“ So ist der Abschied da und ich weiß nicht, was ich machen soll. Doch plötzlich, als wir uns bereits erhoben haben, kommt mir eine wunderbare Idee. „Sag mal, … ich würde deine Kleopatra gerne einmal kennenlerne, … also, wenn du nichts dagegen hättest.“ „Natürlich gerne.“ antwortet sie, scheint aber irgendwie auch erstaunt über mein Anliegen zu sein. „Wann würde es dir denn passen? … Ich bin schon wirklich gespannt auf deine Fellnase.“ Silvia überlegt. „Wie wär’s morgen um drei zum Kaffee?“ meint sie plötzlich. „Ja, gerne.“ antworte ich, obwohl ich über den spontanen Vorschlag, der von mir sonst als schüchtern eingeschätzten jungen Frau, schon erstaunt bin. Und scheinbar wird auch ihr jetzt erst bewusst, dass sie mich zu sich nach Hause eingeladen hat, das zumindest verrät, mir ihr Gesichtsausdruck. „Keine Angst, ich werde dich nicht lange belästigen, ich möchte wirklich nur Kleopatra kennenlernen.“ versuche ich zu beschwichtigen, was auch zu wirken scheint. Trotzdem ist ihr Lächeln etwas unsicher.
So tauschen wir unsere Telefonnummern aus und sie nennt mir ihre Adresse, die nur einige Straßen von da entfernt liegt, wo ich wohne. „Also, bis morgen.“ verabschiede ich mich, „Ich freu mich wirklich.“ „Bis dann.“ lächelt Silvia zurück, bevor sie sich zum Gehen wendet. Ich stelle fest, dass sie auch von hinten eine tolle Figur macht. Die Marlene-Hose umschmeichelt bei jedem Schritt ihre langen Beine, während ihr knackiger Hintern vom Stoff fest umschlossen ist. Ich kann nicht anders, muss meinen Blick auf ihr ruhen lassen, bis sie um die nächste Ecke entschwunden ist. Erst einmal setzen und bei der neuen Kellnerin ein Bier bestellen. Gerne bleibe ich noch eine Weile sitzen, betrachte die vorbeiziehenden Menschen, lasse aber vor allem die unerwartete Begegnung mit der zauberhaften Frau auf mich wirken. Auf dem Heimweg gehe ich noch schnell in die kleine, örtliche Pralinenmanufaktur, um eine Schachtel mit sechs ausgesuchten Köstlichkeiten zu kaufen. Die ganze Zeit geht mir Silvia nicht mehr aus dem Kopf, auch in der Nacht nicht, und als ich Samstagmorgen aufwache, habe ich eine derart stramme Morgenlatte, dass ich mir noch vor dem Aufstehen mit ein wenig Handentspannung Erleichterung verschaffen muss.
Am Vormittag erledige ich meine Einkäufe, schaue aber zwischendurch immer wieder zum Telefon, denn ich habe die Befürchtung, meine Katzenlady könnte anrufen und aus einem fadenscheinigen Vorwand absagen, da sie der Mut verlassen hat. Mir wird bewusst, dass ich schon viel zu lange nicht mehr mit einer Frau zusammen war. Doch sie ruft nicht an. So stehe ich frisch geduscht und rasiert, in weißem Leinenhemd und heller Sommerhose, pünktlich vor ihrer Tür. Mit einem freundlichen „Hallo, komm rein“, gefolgt von einer ausholenden Armbewegung öffnet sie mir. Silvia ist noch schöner als gestern. Ihr langes Haar ist offen, umrahmt ihr Gesicht, dazu trägt sie ein einfarbig helles T-Shirt, eng, aber nicht zu eng geschnitten. Trotzdem ist ihr Spitzen-BH darunter zu erahnen. Kombiniert hat sie das Oberteil mit einem luftig weiten, knöchellangen Sommerrock mit Blumenmuster. Während sie die Tür schließt, krame ich schon in meinem Stoffbeutel. „Bitte sehr, für die Dame des Hauses.“ grinse ich und drücke Silvia eine Tüte mit Leckerli für Kleopatra in die Hand. „Danke.“ grinst sie zurück, „Du weißt, was sich gehört.“
Ein unglückliches Zusammentreffen
Die Katzenlady - Teil 1
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Glückwunsch
schreibt Petra