Da ich jedoch mit dem Gespann nicht fahren kann, erwarte ich von dir, dass du uns alle nach Hause fährst“, erklärte Marie bestimmt und trommelte ungeduldig mit den Fingern auf die Tischplatte.
„Ich …“, wollte ich ansetzen und mich rechtfertigen. Schließlich wusste ich von all dem nichts. Wieso macht Frau Timm mir jetzt hier Vorwürfe?
„Du möchtest noch etwas sagen, bevor wir gehen?“, fragte Frau Timm spitz und schaute mich aus funkelnden Augen an.
Ich hatte diesen Blick schon einmal erlebt, als Conrad meinte, dass nur der Meister ihm etwas aufzutragen hat. Das hatte er bitter bereut. Nach der Standpauke traute er sich tagelang nicht unter die Augen von Frau Timm. So schön und lieblich sie sein konnte, wenn es darauf ankam, war sie unerbittlich. Dieser Tag kam mir sofort in den Sinn, als Marie mich so ansah.
„Wo steht der Wagen? Ich werde sofort anspannen und die Damen hier abholen!“, schlug ich eilfertig vor und schaute Frau Timm erwartungsvoll an.
Frau Timm huschte kurz ein Lächeln über ihre wohlgeformten Lippen und knapp erklärte sie mir, wo der Wagen stand.
Es dauerte nicht lange und wir waren unterwegs nach Hause.
In der Schmiede angekommen, stiegen Anne und Frau Timm im Hof ab. Als ich weiter zum Stall fahren wollte, drehte sich Marie Timm noch einmal zu mir.
„Jonas, ich habe mit dir über den heutigen Tag zu sprechen!“, sagte Frau Timm kurz, „Komm vor dem Schlafengehen noch kurz in meine Stube.“
„In eure Stube?“, fragte ich neugierig, „Ist das schicklich?“
„Schicklich? Mein Mann ist heute nach dem Essen im Zunfthaus. In meiner Stube kann ich ungestört mit dir reden, ohne dass ständig andere stören! Was andere hier denken, interessiert mich nicht!“, erwiderte sie und drehte sich Richtung Haupthaus.
Ich fuhr den Wagen zu Conrads Kate, wo ihm seine Frau mit einem Kübel kaltem Wasser zeigte, was sie von seinem Zustand hielt. Ich half Conrad noch hinein und kümmerte mich dann um Pferd und Wagen, bevor ich mich für das Abendessen wusch.
Das Abendessen lief eigentlich wie immer. Der Meister schäkerte mit Anna und Anna kicherte in hellsten Tönen über das Gesagte. Conrad sah sehr blass aus und aß wenig. Seine Frau sprach kein Wort mit ihm und kümmerte sich um die Kinder. Die anderen Lehrlinge unterhielten sich leise miteinander. Frau Timm nippte an ihrem Rotwein und schaute mich, jedes Mal, wenn ich hinübersah, mit einem nachdenklichen Blick an.
„Marie?“, polterte Meister Timm plötzlich, „Wenn du Jonas weiter so anstarrst, fällt der bestimmt noch tot von der Bank.“
Meister Timm lachte laut auf, weil er glaubte, einen vortrefflichen Scherz gemacht zu haben … und Anna fiel mit ihrer schrillen Lache sofort ein.
Marie nippte weiter an ihrem Wein … aber ihre Augen versprühten tödliche Pfeile gegen ihren Mann. Aber entweder merkte er dies nicht - oder es war ihm egal.
„Anna wollte noch zu ihrer Freundin in den Ort. Da ich ja gleich noch ins Zunfthaus fahre, werde ich sie mitnehmen. Es wird wahrscheinlich spät werden. Warte also nicht auf mich“, erklärte Meister Timm so nebenbei und gab Conrad die Anweisung, den kleinen Wagen anzuspannen.
Eine Göttin Namens Marie
Der Lehrling - Teil 3
52 18-29 Minuten 0 Kommentare
Zugriffe gesamt: 4915
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.