Eine magische Nacht

Lara ist die Erste, die sich zu mir in den Gemeinschaftsraum traut. Sie kommt mit leicht gesenktem Blick herein und murmelt verlegen „guten Morgen“. Wir vermeiden beide, uns in die Augen zu schauen. Dabei hatten wir gestern Nacht innigsten Blickkontakt, als es ihr gekommen ist.

Sie gießt heißes Wasser in ihren Teebecher und setzt sich an den Tisch, der am weitesten von meinem entfernt ist. Der Holländer ist schon ganz früh im Morgengrauen verschwunden. Ihn hätte ich gerne noch mal gesehen, er war einfach sensationell. Die geschicktesten Hände, die mir je untergekommen sind. Meine Freundin Jessi ist wohl immer noch bei der Morgentoilette und die beiden Schweizer liegen vermutlich noch in den Betten. Ich hatte den Eindruck, dass sie sich schlafend stellten, als ich das Matratzenlager verlassen habe.

Ich tue sehr beschäftigt, ein widerspenstiges Ei aus seiner hartnäckig am geronnenen Eiweiß haftenden Schale zu pellen, als Hannes hereinkommt. Auch er verhält sich eher kühl, nickt mir nur kurz zu, und geht dann rüber zu Lara. Dort setzt er sich mit dem Rücken zu mir und versperrt so den Blick auf seine Freundin. Beide reden kaum miteinander, und wenn, dann flüstern sie leise. Es herrscht eine betretene Atmosphäre im Gemeinschaftsraum. Kein Vergleich zur ausgelassenen Stimmung gestern Abend, als wir alle miteinander gelacht und gefeiert hatten. Die beiden Schweizer, sie hießen Beat und Beate (kein Witz), waren besonders aufgedreht und hatten sich mit Hannes einen echten Joke-Battle geliefert. Die drei benahmen sich, als wären sie Profi-Comedians und hätten einen Auftritt bei Last One Lauhging.

Endlich kommt auch Jessi. Sie ignoriert das Pärchen am Nebentisch und setzt sich schnell zu mir.
„Moin Anna.“
„Moin Jessi.“
Betretenes Schweigen.
„Gut geschlafen?“, frage ich leise.
„Zu kurz“, antwortet sie, fast flüsternd. Dann schaut sie mich verlegen an.
„Sag, ist das wirklich alles passiert? Gestern Nacht?“
Ich nicke.
„Ich … ich bin … das ist alles so ...“
„Peinlich?“, ergänze ich den Satz.