Eine Montagsliebe

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Eine Montagsliebe

Eine Montagsliebe

Patricia Lester

Montags ging Kirsten stets in den Schnellimbiss gegenüber von ihrem Büro. Das Kantinenessen war am ersten Tag der Woche ungenießbar. Widerwillig stellte sie sich mit ihrem Plastiktablett in die Schlange und wählte einen Kaffee, einen Salat mit Shrimps und zwei Scheiben Brot aus. Sie schnupperte und nahm einen Duft wahr, der mehr war als ein Parfum, ein herber und doch erregender Hauch, sie hatte so etwas noch nie gerochen. Sie drehte sich um und blickte in ein Männergesicht. Kirsten stolperte, ein Shrimp machte sich selbstständig und landete neben dem Teller auf der Serviette. Wenn Kirsten nicht schnell einen Tisch erreichte, würde sie den Kaffee auch noch verschütten. Sie setzte sich und atmete tief durch. Dieser Mann sah unverschämt gut aus. Er war sehr groß, Kirsten mochte große Männer. Harald, ihr Mann, maß fast zwei Meter. Und er war ebenso schlank; das Gesicht tief gebräunt, mitten im Winter, entweder hatte er einen Urlaub in der Karibik hinter sich oder ging regelmäßig in ein Sonnenstudio. Welche Farbe hatten seine Augen? Kirsten blinzelte und verfluchte sich, weil sie die Brille im Büro hatte liegen lassen. Aber sie stand ihr ohnehin nicht. Dunkle, leicht gelockte, kurz geschnittene Haare, eine vorwitzige Tolle fielen in die Stirn, die ein paar Altersspuren zeigte, eine gerade Nase, ein breiter Mund mit Lippen, deren Schwung verriet, dass dieser Mann gerne lachte. Kirsten fiel wiederum ein Shrimp von der Gabel, er hatte eine merkwürdige Form, er ähnelte nicht einem Shrimp, sondern einem Schwa ...
"Zügele deine Phantasie", flüsterte ihr Alter Ego. "Du sitzt hier in einer Plastikabfütterungsbude und verknallst dich in einen Unbekannten."
"Ich bin nicht verknallt, aber mein Hund soll mich verhaften, wenn das nicht der bestaussehendste Typ ist, der mir seit langem begegnet ist", widersprach sie ihrer inneren Stimme und stellte mit Bestürzung fest, dass ihre Mittagspause beinahe zu Ende war. Sie nahm noch einen letzten Schluck Kaffee, stand zögernd auf. Ihr Blick kreuzte sich mit dem des Mannes, er hatte tatsächlich rehbraune Augen, die sie ansahen, so direkt, dass Kirsten meinte, ein geschickter Kicker habe einen Treffer in ihrem Bauch gelandet. Beim Hinausgehen warf sie einen Schirmständer um, weil ihre Beine Wackelpudding spielten.
"Mein Engel, du bist ja heute so zärtlich." Harald bewegte sich rhythmisch über Kirsten, die sich ihm ebenso gleichmäßig entgegenbäumte, seufzte und stöhnte. Rehbraune Augen tanzten vor ihren halb geschlossenen Lidern, und sie war in eine seltsam herbe und zugleich sinnliche Wolke eines unbekannten Geruchs gehüllt. Sie erlebte ihren Höhepunkt, den sie in den letzten Monaten vermisst hatte, und wollte mehr. Harald strengte sich an, überrascht, dass seine Frau, die ihn häufig mit ihrer Periode oder Migräne abgelehnt hatte, plötzlich wieder derart leidenschaftlich war.
Eine Woche lang ging Kirsten in das Fast-Food-Lokal, aß keine Shrimps mehr, sondern unverfänglich aussehende Doppeldecker-Toasts, aber ihr "Adonis", wie sie ihn getauft hatte, tauchte nicht wieder auf. Sie sah ihn überall, selbst zwischen den Zeilen auf ihrem Bildschirm glaubte sie, seine Lippen, seine Nase, die zarten Falten auf seiner Stirn zu erkennen. Sie würde ihn finden. Und dann würde sie ihn ansehen, und ihr Blick würde alles verraten. Einen flüchtigen Augenblick, kurz wie ein Lidschlag, stünde ein winziges Fragezeichen in seinem Gesicht, dann würde Adonis verstehen. O ja, dachte Kirsten. Er wird. Er steht auf, nimmt mein Tablett, unsere Hände berühren sich, und dann lächelt er, und dieses Lächeln spannt sich wie ein Zauber um uns. Wir schweigen, aber die Stille ist Musik, und unsere Blicke sind zärtliche, behutsame Fesseln und doch so eng verknotet, dass für nichts anderes mehr Raum bleibt, nur noch für Sehnsucht und ...
"Wo haben Sie das Angebot eingeholt, um das ich Sie gestern gebeten haben, Frau Konrad?"
"Bei Adonis." Kirsten fuhr aus ihren Gedanken und starrte verlegen ihren Chef an, der fragend den Kopf schüttelte.
"Die Firma kenne ich nicht."
"Entschuldigung, ich meine natürlich, Adelmann, aber das Angebot ist nicht sexy, eh, nicht sehr sensationell ..." Kirsten verhaspelte sich noch mehr und schwieg lieber, um wieder Ordnung in ihre Gedanken zu bringen.
"Na, versuchen Sie es weiter." Der Boss verließ ihr Büro, und Kirsten hörte etwas, das wie "schusselige Weiber, die freitags nur noch das Wochenende im Kopf haben" klang.
Samstag hatte Kirsten Migräne und am Sonntag Bauchweh, was zu einem ausgiebigen Streit mit Harald führte.
"Wenn du auf deiner früheren Sensibelchen-Tour reiten willst, dann hole ich mir anderswo das, was mir mein Eheweib verweigert." Harald nahm seinen Mantel und knallte die Tür vernehmlich zu. Kirsten wusste, das war eine leere Drohung, Harald würde zu Gustl gehen, dem Wirt seiner Stammkneipe, dem bierträchtigen Tröster aller unverstandenen Ehemänner, sich dort ausweinen und später, durch ein paar Gläser Wein beschwingt, zurückkehren und Zärtlichkeiten von ihr verlangen, die Kirsten nicht wollte. Sie wollte, ja, sie wollte reiten, aber nicht so, wie Harald das gemeint hatte. Sie ging an den Schrank und holte hinter der Reihe Lexika eine Kassette hervor, die Harald dort versteckt hatte.
Der Mann, der sich einbildet, vor seiner Ehefrau etwas verheimlichen zu können, muss erst noch geboren werden. Kirsten grinste und stellte den Video-Recorder an. Der Sekt verstärkte das Kribbeln in ihrem Bauch. Sie kam sich verrucht vor, konnte aber den Blick nicht abwenden. Dort liebten sich zwei Menschen, und sie taten Sachen, die Kirsten ein Stöhnen entlockten, während sie sich ertappte, dass ihre Finger sich selbstständig gemacht hatten und immer fordernder, fast gewaltsam, sie streichelten, in sie eindrangen, flüchteten, um dann wiederzukommen und mehr wollten, mehr, mehr ... Kirsten weinte, stellte den Fernseher ab, legte die Kassette zurück und ging mit einem brennenden Gefühl der Sehnsucht, aber auch Einsamkeit ins Bett. Sie stellte sich schlafend, als Harald trunken zu ihr unter die Bettdecke kroch.
Am Montag wollte Kirsten zuerst in die Kantine gehen, es hatte keinen Zweck mehr, nach ihrem Adonis zu suchen. Aber es gab Rühreier oder falscher Hase. Dann doch lieber Fast-Food. Kirsten kämpfte mit überlangen Nudeln, die sich einfach nicht um ihre Gabel wickeln wollten. Sie steckte sich ein halbes Wollknäuel, von dem die Tomatensoße tropfte, in den Mund und verschluckte sich abscheulich. Adonis saß ihr gegenüber, seine Lippen zuckten, und dann erschien das Lächeln, auf das sie in ihren Träumen gewartet hatte, und das Lächeln wurde immer breiter, immer ... Kirsten fiel die Gabel aus der Hand, auf ihrer Serviette tummelte sich eine Spaghetti-Schlangenherde, und in ihrem Bauch ein Schwarm Maikäfer. Sie würde jetzt aufstehen, hinübergehen und sich an seinen Tisch setzen. "Ich heiße Kirsten", würde sie sagen und sich ihm ausliefern, mit Haut und Haar, mit ihrem Körper, mit all ihren Sinnen, mit ...
"Gehen wir zu dir oder zu mir?" Das hatte einmal die Dietrich gesagt, aber die große Dame des Films würde ihr posthum dieses Plagiat verzeihen.
"Zu mir, Kleines." Adonis drückte seine Zigarette aus und packte Kirsten am Arm. In seiner heiseren Stimme lag das Knurren eines hungrigen Wolfs, der nur darauf wartet, seine Beute zu verschlingen. Und Kirsten war bereit, verspeist zu werden. Sein Griff an ihrem Ellbogen schmerzte, aber es war ein durch und durch angenehmer Schmerz, der die Wonnen verriet, die sie erwarten würde. Ihre Brustwarzen rieben gegen den Stoff ihrer Bluse, und bei jedem Schritt spürte sie Wärme und Feuchtigkeit. Der Taxifahrer warf missbilligende Blicke in den Rückspiegel. Das Pärchen trieb es wirklich zu weit, auch wenn er schon einiges gesehen hatte. Aber das Trinkgeld versöhnte ihn. Zumindest waren die Sitze sauber geblieben. Kirsten knüpfte ihren Mantel zu, damit niemand den Zustand ihrer Kleidung sah. Adonis hatte sich den Gürtel seiner Hose wie einen Schal um den Hals gehängt und zog Kirsten an der Hand, die ihm stolpernd in den zweiten Stock eines dieser unpersönlichen Appartement-Häuser folgte. Seine Wohnung bestand aus nur einem Zimmer, das durch das riesengroße, schwarze Bett, auf dem ein paar dunkellila Kissen lagen, aus allen Nähten zu platzen schien. Kirsten ließ ihren Mantel fallen und schritt, wie an unsichtbaren Marionettenschnüren gezogen, auf das Bett zu. Plötzlich ertönte Musik, Phil Collins sang von Liebe, und Kirsten wähnte sich in einem Meer der Romantik, als Adonis mit einem zarten Pflupf eine Flasche Champagner öffnete und zwei Gläser einschenkte. Nach dem ersten Schluck nahm er ihr das Glas aus der Hand und fing an, sie zu entkleiden. Er tat es mit behutsamen, fast keuschen Bewegungen, und Kirsten fühlte sich, als sie nackt auf dem schwarzen Bett lag, so wohl, als räkele sie sich kuschelig in einem warmen Bad. Adonis tauchte seinen Finger in das Sektglas und strich mit diesem Tropfen Flüssigkeit über ihre Brust, ihren Bauch, die Innenseite der Schenkel. Kirsten glaubte, vergehen zu müssen, und wimmerte. Niemals in ihrem Leben hatte sie eine derartige Lust verspürt. Adonis drehte sie auf den Bauch. Sie schrie auf, als kalte Flüssigkeit in die Beuge ihres Rückens lief und zwischen die Spalte ihres Pos rann. Dann küsste Adonis sie, er leckte mit seinen Küssen jeden Tropfen auf, folgte den Spuren des Sekts bis an jede Stelle. Kirsten krallte sich in den lila Kissen fest und bäumte sich ihm entgegen. Sie bestand nur noch aus Sinnlichkeit. Das waren keine Schauer der Erregung, das war ein Vulkanausbruch, der sie überwältigte, als Adonis´ nackte Haut sich an ihrem Körper rieb, seine Wärme sie trieb, zu flehen, zu schluchzen.
"Komm, komm schon." Es war die Stimme einer unbekannten Frau, die diese Worte flüsterte.
"Noch nicht, warte noch ein wenig, wir wollen es gemeinsam genießen, lass mir noch ein bisschen Zeit."
Kirsten lag wieder auf dem Rücken, und Adonis liebkoste ihren Bauch mit sanften, feuchten Sektküssen. Seine Finger durchforschten sie wie eine unbekannte Landschaft. Ihr Körper zuckte orgiastisch, Stromstöße der Wollust durchfuhren sie. Sie schwebte durch einen fremden Himmel, schleuderte durch eine köstliche Hölle und landete, einem außer Rand und Band geratenen Wagen in einer Achterbahn gleich, in einem Paradies. Ihr Herz klopfte, und Tränen des Glücks wie auch der Erschöpfung zeichneten zarte, dunkle Flecken auf dem lila Kissen, auf dem ihr Kopf lag und in das sich ihre Zähne verbissen hatten.
Kirsten gehorchte willig, als Adonis ihr ein Glas Sekt an die Lippen hielt. Sie leerte es in hastigen Schlucken, bis sie wieder auf den Bauch gelegt wurde und Adonis sein teuflisches Spiel von Neuem begann. Dann packten seine Hände sie an den Beckenknochen, hob sie hoch und presste sie an sein Glied, das sich an ihr wie ein Baumstamm rieb.
"Komm zu mir", keuchte Kirsten, und endlich tat er es. Er tat es langsam, vorsichtig, so wie er es mit seinen Fingern getan hatte, und es war nur noch Lust, schmerzhaft, als er in sie eindrang, aber es wurde immer angenehmer und steigerte sich zu einem furiosen Finale, als seine Stöße sie ganz ausfüllten, sie sich in deren Gleichklang bewegte und er stärker wurde, anschwoll und sich dann in ihr ergoss. Sie empfing diesen Guss wie einen warmen Frühlingsregen, der mitleidig die ersten Krokusse netzt, um sie zu schützen. Es war so schön, so himmlisch, unschuldig wie ... Wie sollte sie es nur bezeichnen?
Kirsten öffnete zögernd die Augen und starrte auf die Nudeln, die immer noch - einer Schlangenherde gleich - auf ihrer Serviette ein gelbrotes Muster bildeten. Sie hob ihren Blick, Adonis kaute an einem Stück Brot und nahm sie nicht wahr. Ihre Beine fühlten sich wie Zementsäcke an. Konnte sie das alles in der kurzen Zeit geträumt haben? Sie tupfte sich mit der Serviette den Mundwinkel ab, in dem ein Tropfen Ketschup hing, und stand auf. Dann würde sie eben jetzt ihren Traum verwirklichen.
"Frau Konrad, gut, dass ich Sie hier finde." Herr Glas, ihr Boss, keuchte. "Adelmann hat zugesagt, wir müssen die Verträge fertig machen." Er zerrte Kirsten aus dem Schnellimbiss. Ihr Traum-Lover musterte sie gleichgültig und stand auf.
Das war es. Ihr Boss nervte sie mit Verträgen und verdarb ihr die Chance auf Adonis. Später fragte Harald sie noch vorwurfsvoll, wo sie so lange gewesen sei. Ihre neue Frisur, mit der sie sich getröstet hatte, war wohl nicht auffällig genug. Dann wollte er Kirsten nach dem Essen verführen. Sie ließ es geschehen, als sei sie siebzehn. Sie genoss es, was sie überraschte. Mittags hatte sie den Mann ihres Lebens verloren, nachmittags entdeckt, dass Glas auch rehbraune Augen hatte, und jetzt abends erlebte sie bei Harald wieder Wonnen, von denen sie vor wenigen Stunden geträumt hatte. Kirsten überlegte. Ihren Ehemann, nun, den konnte sie jeden Tag haben, wenn sie wollte. Also hatte sie alles, oder? Nein. Am Montag ginge sie trotzdem wieder in den Schnellimbiss.

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