06:00 Uhr morgens. Olivias Mobiltelefon läutete. Sie ging ran und nach wenigen Sätzen der anderen Seite beugte sich Liv zu ihrem Mann hinüber und meinte: „Die möchten, dass ich heute mit einer A350 nach Madeira fliege! Da müsste ich gleich weg.“
„Kein Problem,“ entgegnete Martin. „Dann bringe ich die Zwei!“ Olivia wollte schon ansetzten etwas zu sagen als Martin ergänzte: „Und natürlich hole ich sie auch ab!“
Nachdem Liv aufgelegt hatte, schüttelte sie den Kopf. „Da hat sich jemand überlegt, vor einer Woche wohlgemerkt, zwei Flüge zusammenzufassen und mit der großen A350 zu fliegen. Und heute Nacht sind sie draufgekommen, dass sie nicht einen Piloten für die 350 haben, der in Funchal auch landen darf! Außer mir!“
„Und wenn Du nicht könntest, was machen die dann?“ Martin fand das schon etwas belustigend.
„Dann würden sie einen Jumbo nehmen. Der ist aber wesentlich teurer…!“ Olivia lachte, denn gefragt sein ist doch schön.
Liv drückte Martin ein Küsschen auf den Mund und wollte aufstehen, was dieser nicht zuließ und fragte: „Hast Du noch zehn Minuten?“
Olivia schüttelte den Kopf und antwortete: „Zwanzig!“ Dabei schaute sie ihren Mann mit großen Augen an.
„Das kriegen wir hin!“ flüsterte Martin begeistert, während seine Hand bereits Olivias „Einflugschneise“ in Besitz nahm. Wann wäre der Begriff treffender als heute? Auf Martins: „Ich liebe es, in Dir zu landen…!“, fragte Olivia feixend aber mit erwartungsvoller Beinhaltung: „Hast Du auch eine Lizenz?“
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Olivia musste sich sputen, denn die zwanzig Minuten waren natürlich nicht ausreichend gewesen. Beide verzichteten, um keinen neugierigen Besuch zu bekommen, auf eine wilde und dementsprechend laute Nummer. Sie liebten sich sehr leidenschaftlich und weder Liv noch Martin versuchten, den Akt zu verzögern. „Aber das dauert halt…“ erzählte Olivia ihrer Purserin, Cornelia Sonnleithner, schmunzelnd hinter vorgehaltener Hand, nachdem sie erst inmitten der Passagiere an Bord kam. Das Briefing der Crew erledigte der zweite Pilot. Man wusste ja, dass sich Frau Andersson bei dem kurzen Vorlauf unter Umständen ein wenig verspäten könnte.
„Wetter?“ fragte Liv ihren Co.
„Tiefdruck über dem Atlantik. Stürmisch und etwas Regen auf Madeira.“
„Schei..!“ fluchte Olivia kurz. Sie hatte zwar schon x-mal Funchal bei Schlechtwetter angeflogen, aber mit der A321 oder einer 320. „Die Winde können tückisch sein…“ berichtete sie ihrem Kollegen.
„…und ab!“ Auch heute ließ es sich Olivia nicht nehmen, selbst die Passagiere zu begrüßen und einen Überblick über den Flugverlauf zu geben. Ehrlich wie sie war, informierte sie auch über die Wetterlage auf der Urlaubsinsel. „Der Anflug könnte ein bisschen wackelig werden…
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Jeder der Passagiere konnte später das aufgepeitschte Meer sehen. Wie schon von Olivia prognostiziert, war das Austarieren des Fliegers nicht so ganz einfach. „Haben Sie keine Angst, es wird eine harte Landung. Vertrauen Sie mir: Die Maschine kann das!“ Mit diesen Worten, wenige Minuten vor der Landung, versuchte Olivia ihre Passagiere vorzubereiten und vielleicht ein wenig zu beruhigen.
Erster Landeanflug. „Zwei- allerhöchstens dreihundert Meter nach Beginn der Landebahn, dann müssen wir aufgesetzt haben oder Durchstarten.“ Olivias Ansage an ihren Co war unmissverständlich. Ihr Kollege, ein durchaus erfahrener Pilot so Ende dreißig, blieb ruhig. „Okay!“, bestätigte er die Anweisung seiner Kollegin. Auch ihm war klar, dass der Bremsweg mit der schweren Maschine auf der nass-glitschigen Bahn deutlich länger als üblich sein wird.
„Leider kein ILS.“ Ein automatisches Landen war also ausgeschlossen. Olivia musste die Maschine manuell steuern. Der Flughafen bzw. der Anflug dorthin hat seine Tücken. Nicht umsonst braucht man eine Zusatzausbildung, um Funchal anfliegen zu dürfen.
Viele Korrekturen waren nötig. Landeklappen schon vor der Rechtskurve raus. Der Regen erschwerte die Sicht enorm. Landeklappen weiter raus. Der First Officer neben Olivia hatte seine Hand bereits auf dem Triebwerkshebel. Fahrwerk raus. Ein kurzes Durchsacken und wegdriften. Die A350 kam ein wenig schräg auf die Landebahn zugeflogen. Noch eine Böe. Dann ging es blitzschnell. Liv korrigierte kurz und sofort darauf setzte der Vogel auf. Hart, sehr hart. Aber dieses Aufsetzen verhinderte, dass die Maschine versetzte. Das Bremsen übernahm der Flieger selbsttätig. Dazu die Schubumkehr. „Kein Durchstarten!“ ermahnte Olivia ihren Kollegen.
Letztendlich verblieben von den 2700 Metern insgesamte Bahnlänge noch etwa 150 Meter, als Liv die manuelle Steuerung übernahm, den Vogel drehte und mit Hilfe des Funkkontaktes zum Tower ihre A350 zur Parkposition steuerte.
„Liebe Passagiere, willkommen auf Madeira! Vielleicht interessiert es sie, dass wir heute bei diesem Scheißwetter die Ersten sind, die es auch geschafft haben, hier zu landen. Ich wollte Ihnen die Schiffsüberfahrt bei dem Wellengang ersparen und wünsche Ihnen schöne Tage auf der Insel!“
Olivia wiederholte ihre Durchsage auf Englisch und betonte dabei das „fucking shit weather“.
Wie so oft verabschiedete Olivia einen Teil der Passagiere persönlich. Eine Frau mit einem Kind an der Hand sprach Olivia an: „Wie war das gemeint, wir wären die Ersten heute, die es geschafft haben, hier zu landen?“
Olivia lächelte die Frau an und antwortete: „Im Wasser gelandet ist keiner! Wir wurden aber vom Tower gewarnt, dass die fünf Maschinen vor uns trotz mehrerer Anflüge eine Landung nicht hinbekommen hatten.“ Das Kind, ein Junge von vielleicht vier Jahren, strahlte Olivia an. Sie ging vor dem Kind in die Hocke und fragte: „Hat Dir das Fliegen gefallen?“
Liv bekam zwar keine Antwort, aber der Junge flirtete mit ihr. „Magst Du einen Flieger von mir?“
Frau Sonnleithner verstand auch ohne Worte und reichte Olivia ein Spielzeugmodell der A350, was es auch im Bordshop zu kaufen gibt. Wieder strahlte der Junge als er von der Pilotin dieses Geschenk in die Hand bekam.
Ein wenig überraschend bekam Olivia ein eindeutiges Angebot ihres Cockpitkollegen zugeflüstert: „Wie wäre es? Wollen wir die grandiose Landung nicht feiern? In einem Hotelzimmer? Nur wir beide?“
Liv grinste in sich hinein und stellte sich die Frage, ob er mit dieser Masche schon einmal Erfolg hatte und bei einer Kollegin damit landen konnte. Olivia drehte sich kurz ihrem Kollegen zu: „Glauben Sie, Ihrer Frau würde das Gefallen?“ Sie spürte seinen Handrücken an ihrem Hintern, die er nach dieser Abfuhr sofort zurückzog.
Trotz dieses Korbes gab ihr Erster Offizier nicht so schnell auf und antwortete: „Sie muss es ja nicht erfahren?“
„Hmmm,“ überlegte Olivia laut, „Ich könnte ja meinen Mann bei ihrer Frau vorbeischicken. Vielleicht hat sie auch Lust auf fremde Haut…? Wäre das für Sie in Ordnung?“
Mit solch einer Schlagfertigkeit hatte Olivias Kollege nicht gerechnet. Und Olivia setzte noch einen drauf, indem sie meinte: „Im Übrigen bin ich heute schon gut gevögelt worden…!“
Diese Bemerkung war dann doch zu viel für den Möchtegern-Aufreißer und er entschuldigte sich in aller Form für sein Verhalten.
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Martin und die Kinder. Es war ein Kampf. Erst die Diskussion, ob heute Leon oder Clara der oder die Erste im Bad ist. Das Waschen. Wenigstens bei Leon musste mit Hand angelegt werden. Frühstücken und Pausenbrot zubereiten. Martin war Clara dabei sehr dankbar für ihre Tipps. Natürlich trödelten die Beiden, wo sie nur konnten. Als sie dann endlich im Auto saßen fiel Leon ein, dass er die falschen Schuhe trug. „Freunde, wir üben das!“ drohte er beiden an, sie von nun an öfter auf den Weg zu bringen.
„Livia ist viel cooler als Du!“ Kommentarlos steckte Martin Leons Bemerkung weg. Erst setzte er Clara ab und fuhr dann Leons Kita an.
„Ah, Sie sind Leons Papa!“ Eine Frau, Martin schätzte sie vom ersten Eindruck auf Mitte Dreißig, hatte ihn angesprochen, als er Leon an der Garderobe die Jacke abnahm und die Schuhe wechselte.
„Ja, Martin Andersson.“ Er nickte der Frau einfach zu. „Andrea Benz;“ antwortete die Fremde und deutete auf ein Mädchen. „Meine Tochter Naima.“
Das Mädchen hatte einen dunklen Teint, was Martin darauf schließen ließ, dass der Vater eher Südländer ist. Leon war fertig und düste ab in den Gruppenraum. Die Leiterin nahm ihn im Empfang und bestätigte dies durch ein Nicken. Martin konnte also gehen.
Die Frau versuchte Martin in ein Gespräch zu verwickeln. Er wollte nicht unhöflich sein und ließ sich darauf ein. Martin lud Frau Benz, „Sagen Sie doch Andrea“, er lud also Andrea in das Café um die Ecke ein.
Die fremde Frau schüttete ihm ihr Herz aus. Martin hatte es nicht eilig, Pat würde das Tagesgeschäft locker allein bewältigen, und so hörte er der scheinbar ein wenig verzweifelten Frau zu. Ihr Mann, Marokkaner, hätte sich in seine Heimat abgesetzt, und sie müsste nun zusehen, irgendwie damit zurechtzukommen. Von Scheidung wollte sie nichts wissen, was Martin schon seltsam vorkam. Nichtsdestotrotz sah Andrea gut aus. Er konnte sich sogar einen Fick mit ihr gut vorstellen. Im Grunde genommen reichten ihm aber seine zwei Frauen völlig. Die Gedanken sind frei und ein wenig träumen muss doch erlaubt sein, oder? Vor allem, da Andrea ihm gerade ein eindeutiges Angebot machte. Sie könnte sich gut vorstellen…wäre etwas untervögelt…und der Papa von so einem gewieften Kind wie Leon muss doch ein toller Liebhaber sein…! Ja, und was ihr nicht noch alles eingefallen war!?
Eigentlich ist es ähnlich wie damals mit Olivia; kam Martin in den Sinn. Kennenlernen und nicht mal eine Stunde später zusammen in der Kiste. Sein Lächeln deutete Martins Gegenüber jedoch falsch. Andrea malte sich aus, wie er mit in ihre Wohnung kam und sie erst stürmisch und dann sehr leidenschaftlich küssen würde. Sie sah sich schon mit dem von ihr begehrten Mann im Bett liegen, als Martin mit der Frage, wo er sie denn hinbringen dürfe, aus ihren Träumen riss.
Martin hielt den Wagen vor Andreas Haustüre an. „Komm mit rein;“ hauchte die durchaus attraktive Mama Martin zu und neigte ihren Kopf kurz zur Seite.
Sie versuchte Martin zu küssen. Dieser legte jedoch der Frau seinen Zeigefinger auf ihre Lippen. „Sollten wir nicht tun!“, meinte Martin bestimmend. „Außerdem habe ich heute früh schon mit meiner Frau gevögelt…!“
Mit: „Na gut, vielleicht…“, entstieg Andrea seinem Auto.
*****
Kurz nach Martins Ankunft in der Firma schlug Patricia in seinem Büro auf. Sie hatte ein paar Fragen zu gewissen Vorgängen und setzte sich dazu vor ihrem Chef auf den Schreibtisch.
Pat trug einen Pulli und Jeans. Knallenge Jeans. Gleich schon hatte Martin ein Kompliment fallen lassen, vonwegen schicke Kleidung und sehr geile Figur.
Als das geschäftliche geklärt war, erzählte Martin von der Frau, die ihn vorhin am liebsten ins Bett gezerrt hätte.
„Da bin aber schon ich zuerst dran!“ rief Pat scherzhaft, nachdem sie mit offenem Mund diese Nachricht vernommen hatte.
„Das habe ich mir auch gedacht!“ Bei Martin brannten just in diesem Moment alle Sicherungen durch. Er sprang förmlich aus seinem Sessel hoch, fasste mit einer Hand an Patricias Taille, mit der anderen an ihren Oberarm und war im Begriff, seine Mitarbeiterin zu küssen.
Pat drehte ihren Kopf weg und nahm Martin fest in den Arm. „Ich will Dich auch! Aber wir sollten das nicht tun!“ Martin wusste, dass sie recht hatte. Lange Momente hielten sie sich eng umschlungen, bevor Martin bestätigte: „Ja, wir sollten das nicht tun!“
Vorsichtig lösten sie sich voneinander. „Entschuldige bitte!“ meinte Martin bestürzt.
„Wir vergessen das einfach, okay?“ Patricia wollte ihre neue Stelle, diese Riesenchance die Martin ihr bot, keinesfalls gefährden. Frauen haben sich da wohl mehr im Griff als Männer. Bei denen übernimmt manchmal ein anderes Körperteil das Denken. Und das kann verheerend ausgehen…
„Kommt nicht wieder vor!“ Martin suchte nach Wörtern, die das eben Geschehene ungeschehen machen. „Ich mag Dich, Pat! Als Mensch, als Freundin, als Kollegin!“
Als Patricia gegangen war überlegte Martin hin und her. Sollte er Olivia das alles erzählen oder wie von Pat vorgeschlagen, alles vergessen?
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