„Wir waren damals im Oberaargau zu einer LGBT-Party eingeladen, welche von Bekannten von Zoë organisiert wurde. Auf dem Heimweg gerieten wir und auch noch andere Partygäste in die Finger einer Schlägertruppe der ‚Nationalen Heimatfront‘, eine Gruppierung, welche nationalsozialistisches und arisches Gedankengut wieder aufleben lassen wollte. Und dann geschah es! Irgendwie haben diese Idioten bemerkt, dass Zoë keine ‚richtige‘ Frau war, und diese Tatsache hat natürlich ihrem reinen und edlen Weltbild widersprochen. Eine beschissene Tunte wäre sie und dann wurde sie mit Fäusten und Schlägern auf übelste Weise zusammengeschlagen. Auch ich und die anderen haben etliche, zum Teil schwere Verletzungen davongetragen. Als die Polizei endlich einschritt und die Sanitäter sich um Zoë kümmern konnten, musste sie bereits reanimiert werden. Sie wurde dann mit der REGA schnellstens nach Bern ins Inselspital geflogen und auf der Intensivstation versorgt, aber alles umsonst.“ Angie holte nochmals tief Luft und sprach weiter: „Elf Tage später starb Zoë an den Folgen ihrer schweren Verletzungen, ohne nochmals das Bewusstsein zu erlangen … und ich konnte nicht bei ihr sein …!“ Die letzten Worte von Angie waren nur noch ein Flüstern. „Ich lag mit einer schweren Stichverletzung im Unterbauch und mehreren Knochenbrüchen in einem anderen Spital …“
Stumm sassen die beiden Frauen sich gegenüber am Tisch, ihre Hände ineinander verschränkt und beide machten sich ihre Gedanken. Olivia, die tief betroffen von dem Schicksal von Angies Freundin war und Angie selber, die immer noch mit dem Schicksal haderte.
„Seit diesem Tag kann ich keine Kinder mehr bekommen und ich bin keine Beziehung mehr mit einem Mann eingegangen.“ Mit diesen Worten riss sie Olivia aus ihren Gedanken. „Nur noch mit Frauen, aber leider nichts Festes. Aber was soll’s. Ich habe gute Kolleginnen und Kollegen, einen Job, der mir Spaß macht und in der Freizeit helfe ich im SIM-Center aus.“
Die Lebensgeschichte von Angie drückte ein wenig auf die Stimmung und so beschlossen die beiden Pilotinnen, bald einmal aufzubrechen. Eine halbe Stunde später verabschiedeten sie sich vor dem Hotel voneinander. Angie ließ es sich nicht nehmen und umarmte Olivia ganz innig. Wieder waren es die angenehmen Gefühle, welche ein erregendes Kribbeln durch Olivias Körper jagten.
Und dann passierte es, als ihr Angie noch ins Ohr flüsterte: „Dich kriege ich auch noch. Ich spüre es schon den ganzen Tag … und du?“
Diese geflüsterten Worte schlugen bei Olivia wie der sprichwörtliche Blitz ein und sie spürte es bis in ihre Körpermitte.
Angie löste sich aus der Umarmung, hielt Olivia auf Armlänge von sich und meinte grinsend: „Aber nicht heute Nacht. Zuerst wird noch geflogen, aber morgen Abend …!“ Sie sprach den Satz nicht zu Ende und gab Olivia völlig überraschend einen sanften Kuss auf den Mund, bevor Angie fortfuhr: „Also morgen um Null-siebenhundertdreissig (07.30 Uhr) hole ich dich in der Lobby ab, frisch ausgeruht und in Paradeuniform. Hast du verstanden?“
Dann drehte sich Angie um und verschwand in Richtung Terminal 1 …
*****
Olivia lag im Hotelbett und dachte über den Abend nach. Die Erzählung von Angie über den Verlust ihrer Freundin beschäftigte sie. Aber auch ihre Gefühle für die andere Frau machten Olivia nachdenklich. Immer noch spürte sie den gehauchten Kuss auf ihren Lippen, fast wie ein Andenken. Oder ein Versprechen für mehr …?
Alle diese Gedanken und Gefühle ließen sie nicht schlafen. Olivia tastete nach ihrem Handy, um auf dem Display die Uhrzeit ablesen zu können. Kurz nach 23 Uhr … Vielleicht schläft Martin noch nicht, überlegte Olivia.
‚Bist du noch wach?‘, schrieb sie ihrem Mann. Nicht einmal eine Minute später klingelte ihr Telefon. Olivia war glücklich, die Stimme ihres Mannes zu hören.
„Und, wie geht es dir, mein Schatz?“, fragte Martin seine Frau.
So begann Olivia zu erzählen, was sie den ganzen Tag so erlebt hatte. Auch Martin hatte einiges zu berichten, besonders von den Kindern. Sie hatten auf den Bildern gesehen, dass ihre Mama eine ganz andere Uniform trug. „Mit ganz farbigen Aufnähern“, hatte Clara gesagt. „Und einem gefährlichen Tiger auf dem Helm“, war dann noch der Kommentar von Leon.
„Auf den Bildern sah es aus, dass du in dem Jet richtig Spaß hattest“, meinte Martin. „Würde dich die militärische Fliegerei eventuell mehr interessieren?“
„Das nicht, aber es war wirklich sehr eindrücklich. Auch wenn es nur ein kleiner, statischer Simulator gewesen ist, war die Erfahrung sehr interessant. Und Angie, also die Pilotin, die mich heute den ganzen Tag begleitet hat …“
„Ist das die andere Frau auf den Fotos?“ unterbrach Martin seine Frau, „und gefällt sie dir?“
Olivia hatte noch die Worte von Angie im Ohr: „Dich krieg ich auch noch.“ Sie musste sich eingestehen, dass ihr Angie nicht unsympathisch war, aber sie war sich über ihre Gefühle nicht im Klaren … oder noch nicht?
Martin spürte am Telefon, dass Olivia über etwas nachdachte. „Wenn sie dir gefällt und du es auch willst, dann hast du meinen Segen. Aber ich will anschließend alles wissen“, gab Martin seine Zustimmung.
Eine ganze Weile ging das Gespräch noch weiter und die Stimmung schaukelte sich richtig hoch. Was zuerst nur sanft und unterschwellig begann, nahm an sexueller Intensität immer stärker zu. Angestachelt durch Worte, bildliche Vorstellungskraft und mithilfe von Finger und Händen gelang es ihnen, dass es zuletzt zur beidseitigen Befriedigung reichte.
So befriedigt gelang es Olivia danach problemlos einzuschlafen …
*****
Kurz vor 07.30 Uhr betrat Olivia in ihrer Uniform die Lobby des Hotels, wo Angie bereits auf sie wartete. Auch sie trug wieder ihre Uniform und wie bereits am Abend zuvor nahm sie Olivia kurz in die Arme und schaute ihr dabei direkt in die Augen.
„Bist du bereit für den heutigen Tag?“, fragte sie.
„Wozu bereit? Ich habe doch keine Ahnung, was heute noch alles geschieht“, gab Olivia fast ein wenig genervt zur Antwort. „Alle wissen etwas. Nur ich habe keinen blassen Schimmer. Sogar mein Mann, mit dem ich gestern noch telefoniert habe, weiß irgendetwas. Er hat mir viel Spaß bei ‚der Überraschung‘ gewünscht.“
Diese Aussage brachte Angie zum Lachen und sie meinte daraufhin nur: „Sieh es doch nicht so ernst. Du hast heute einen speziellen Flug vor dir, aber das hörst du dann alles beim Briefing in dreißig Minuten. Also nimm deine Tasche und komm mit.“
Mit diesen Worten hakte sich Angie bei Olivia unter, zog sie aus der Hotellobby und führte sie vom Hotel direkt zum Operation Center 1. Unmittelbar nach der Eingangstüre und dem Passieren des Drehkreuzes gelangten sie in den „Innenhof“ des OPC 1. Angie steuerte auf die Cafeteria zu, welche sich mitten im Innenhof befand.
„Zuerst trinken wir noch einen Kaffee und dann geht es zu unseren heiligen Hallen.“ Mit der Hand deutete Angie nach links, wo sich die Flugbereitschaft und ihre Vorbereitungsräume befanden.
Nur wenige Minuten nachdem Angie meinte: „Es Kaffee und as Gipfeli muas si“, standen sie mit einer Tasse Kaffee und für Olivia gab es natürlich einen großen Latte Macchiato, sowie einem Croissant an einem kleinen Stehtisch. Schweigend gönnten sie sich die kurze Pause, bevor es anschließend zum Briefing für den heutigen Flug ging. Aus all den Andeutungen, welche Angie bisher gemacht hatte, wusste Olivia nur, dass es um einen ganz speziellen Flug ging …
Eine traurige Geschichte im „Runway 34“
Eine nicht alltägliche Familie - Teil 65
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