Ich freue mich über Lillys Anruf. Sie weiß natürlich, wie es um unsere Ehe steht, doch auch sie kommt nicht an ihre Schulfreundin ran, ist verwirrt und hilflos, wegen des Verhaltens, das Hanna in letzter Zeit an den Tag legt. So unterhalten wir uns über alles Mögliche, natürlich auch über meine Frau. „Eigentlich rufe ich ja an, weil ich einen kleinen Anschlag auf dich vorhabe.“ meint sie schließlich, „Weißt du, ich fahre am Samstag zu meiner Schwester, da sie ihren Geburtstag feiert, und ich werde dort auch bis Sonntag bleiben, … na ja, und da habe ich gedacht, vielleicht kann ich ja schon am Freitag mal in meiner alten Heimat vorbeischauen, um mal wieder in meinen Lieblingsbiergarten zu gehen … und vielleicht kann ich ja auch bei euch die Nacht verbringen. … Oder hast du schon etwas vor?“ Ich bin überrascht, aber erfreut über ihre Ankündigung. „Nein, ich habe nichts vor, und über deinen Besuch würde ich mich sehr freuen, aber du weißt schon, dass Hanna abwesend ist, oder?“, antworte ich ehrlich. „Na, notfalls nehme ich auch mit dir alleine vorlieb.“ lacht sie in ihrer unnachahmlichen Art, bevor wir das Gespräch beenden.
Ich freue mich auf die Abwechslung, denn die Zeit mit ihr war bisher immer ausgesprochen kurzweilig und lustig. Freitag mache ich bereits mittags Feierabend, blase das Reisebett auf und beziehe es frisch. Außerdem erledige ich noch schnell ein paar Einkäufe, schon steht Lilly pünktlich um drei vor der Tür. „Schön, dass du Zeit hast.“ sind ihre ersten Worte, als sie mich zur Begrüßung innig umarmt, zum ersten Mal seit Langem nicht argwöhnisch von meiner Frau beobachtet. „Schön, dass du mich besuchst“, flüstere ich nur als Antwort. Bevor wir losgehen, gibt es erst einmal Kaffee auf dem Balkon, obendrein möchte Lilly noch duschen. Als das schließlich erledigt ist, machen wir uns zu Fuß auf den Weg, denn der Biergarten ist nicht weit entfernt. Lilly sieht wie immer gut aus, in ihrer hellen Bluse, dem knielangen, luftigen Sommerrock, und den zu einem unordentlichen Knoten hochgesteckten Haaren. Der Biergarten ist um die Zeit schon gut besucht, trotzdem finden wir noch einen Platz weiter hinten an einem kleinen Tisch. Von dort aus hat man einen guten Blick, kann sich aber ungestört unterhalten.
Bei der aufmerksamen Bedienung bestellen wir zwei Bier, ebenso wie eine Kleinigkeit zu essen. Unsere Getränke kommen wie immer ausgesprochen flott. Als wir angestoßen haben, wird Lilly übergangslos ernst. „Ich muss dir etwas erzählen.“, druckst sie herum, „Also, Hanna wollte mich als Treuetesterin engagieren.“ „Was wollte sie? ... Du spinnst ... du willst mich auf den Arm nehmen.“ platzt es ohne Nachdenken aus mir heraus. Lilly lacht bitter: „Nein, es ist mein Ernst, … aber so habe ich auch reagiert. … Ich habe sie doch vor ihrer Reha noch angerufen. Und da war sie wieder mal fürchterlich schlecht gelaunt. Sie hat wieder nur gemeckert und gemotzt, und sich auch über dich beklagt. Ich bin gar nicht an sie herangekommen. … Na ja, und um vom Thema abzulenken, habe ich ihr dann erzählt, dass ich dieses Wochenende zu meiner Schwester fahren werde. … Und da hat sie erzählt, dass ihr einen Bericht über Treuetesterinnen gesehen habt, und meinte, ich könne ja mal bei dir vorbeifahren. Ich bräuchte mich vermutlich noch nicht einmal anzustrengen, du würdest mich sicher schon anbaggern, sobald die Wohnungstür zu ist. … Ich war echt schockiert.“ Das bin ich allerdings auch, dazu gleichzeitig wütend, enttäuscht, verletzt und frustriert.
Eine unerwartete Versuchung
Ein Treuetest - Teil 1
51 9-15 Minuten 0 Kommentare

Eine unerwartete Versuchung
Zugriffe gesamt: 6049
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.