(für Anika Neufeld)
"Das Leben ist kurz; die Kunst ist lang. Der rechte Augenblick geht rasch vorüber. Alle Erfahrung ist zweideutig. Und wie schwierig ist die Entscheidung in jedem Falle!"
Hippokrates
Hätte mir jemand vor einem Monat erzählt, dass ich das, was ich gleich schildere, wirklich erleben würde, ich hätte ihn ausgelacht, geseufzt, mit den Schultern gezuckt und mich wieder irgend einer alltäglichen Beschäftigung hingegeben.
Ein zufälliger Mail-Verkehr, zwei bis drei Antworten von Anika, und ich stand in Flammen. Ich wusste kaum etwas über sie, lediglich, dass sie gerne schwimmt und ganz vernarrt ist in die Hündin Dana, die ihren Eltern gehört. Dana, so schrieb sie, ist ein wunderschöner Golden Retriever, der bis in die letzte Haarspitze Lebensfreude ausstrahlt. Gar zu selten hält Anika sich im Ruhrgebiet auf, wo ihre Eltern wohnen, und daher hat sie ihre Hündin gemalt, um sie auch in Berlin stets um sich zu haben.
Das Leben ist kurz, so sagt Hippokrates. Und ich setzte mich, kurz vor dem Abflug in meine Heimat Zakynthos, an den Computer und wollte mit diesem einen Mail alles ändern. Ich hatte sie satt, diese anonymen Chats, bei denen Du nie weißt, ob jemand sein Geschlecht vertuscht, ich konnte die langweiligen Gesichter in den Cafeterias an meiner Strasse nicht mehr sehen. Ich sehnte mich nach der natürlichen Wärme, die mich aus Anikas Zeilen anstrahlte. Ich musste diese zierliche Berlinerin kennen lernen, und zwar bald. Im Bewusstsein, dass sie möglicherweise nie mehr zurück schreiben würde (anonyme Mailbekanntschaften sind bekanntlich sehr fragil), fragte ich sie, ob sie Lust hätte, sich in Berlin Tegel spontan in ein Flugzeug der Air Berlin zu setzen und mich in Kos zu treffen? Ich würde in einem weissen Kopftuch und einem grünen Top am kleinen Flughafen auf sie warten. Anika würde sich rasch entscheiden müssen, da ich bloss eine knappe Woche Zeit hatte, bevor ich mich zu einer Hochzeit in Zakynthos einfinden musste.
Einfach ein paar Tage an der Sonne mit einer Unbekannten, fabulierte ich, einfach… diese Anika kennen lernen, egal, ob sie in Persona nun kratzbürstig, quengelig, knausrig, prüde oder sonst was war. Und sie sagte zu! Von ihrem anstrengenden Job als Korrektorin irgendwo im kalten und nebligen Berlin sagte sie sich gerne für eine Weile los, für das Blind Date mit einer Griechin, die sie wohl nicht mal vom Hörensagen kannte. Ich bilde mir nichts ein: Auch nach 115 Stories, bei erozuna veröffentlicht, bin ich in Deutschland noch immer eine Unbekannte. Ich machte mich also zurecht, schmiss wahllos ein paar Klamotten in meine Sporttasche. Das ist ja das Schöne an Griechenland: Es würde schon etwas warm sein in Kos, und erst recht in meinem geliebten Zakynthos. Wieso also lange überlegen, ob Shorts, Jeans, Shirts und bunte Unterwäsche? Ich hatte ja bei meinen Eltern noch zwei volle Kleiderschränke zur Verfügung, die ich in nächster Zeit sicher nicht würde räumen müssen.
Hach! Herrlich! In Vorfreude lehnte ich mich zurück, freute mich über meinen Fensterplatz im Flugzeug und stülpte mir Tori Amos’ “Little Earthquakes” in die Ohren. Wie wohl Anikas Stimme klingen würde? Auch so erotisch-geheimnisvoll wie die von Tori? Oder eher dunkel und mystisch? Der Flug verflog in einem Zug und ich stand am kleinen Landeplatz in Kos. Warm war es nicht gerade, und mich fror in meinem Top. Egal. Anika würde mich ja nur so erkennen, und in einer Viertelstunde würde sie bereits da sein. Um mir die Zeit zu vertreiben, schnappte ich mir von einem gut aussehenden Jungen einen Flyer mit einer Partyeinladung. “70ies surprise party”, las ich. Das Festchen würde heute Abend steigen, ganz in der Nähe unseres kleinen Hotels, das ich bestens kannte. Dann stand sie vor mir. Anika. Ihr nackenlanges rotes Haar war ein Signal, das mir durch und durch ging; ich fühlte tief in mir Wärme und Vertrautheit. Als stünde eine lange vermisste Freundin vor mir, umarmte ich sie innig. Im selben Moment war mir das so was von peinlich! Ich hatte zudem den Eindruck, dass Anikas Körper sich etwas versteifte. Möglicherweise war sie nicht so spontan wie ich? Dann erwiderte sie meine Umarmung. Ich konnte ihren Atem an meinem Hals spüren, und die Wärme ihrer Brüste an den meinen. Rund um uns schien die Welt zu versinken, und wir verloren kein einziges belangloses Wort darüber, ob der Flug angenehm gewesen sei oder nicht. Wir stiegen ins nächste Taxi, und ich fühlte stolz Anikas Seitenblick, als ich dem Fahrer auf Griechisch den Weg wies. “Hey, hätte nie gedacht, wie viel Natur es hier gibt”, äusserte Anika begeistert. „Ich hatte geglaubt, Kos sei eine öde Touristeninsel?” “Wieso bist Du dann hergekommen?” ging es mir durch den Kopf, aber ich unterdrückte die Frage. “Und meine arme Hündin Dana vegetiert jetzt im Ruhrgebiet vor sich hin”, seufzte meine neue Freundin und rückte ein wenig näher zu mir. Wie alt sie wohl sein mochte? Bestimmt etwas jünger als ich, so an die fünfundzwanzig, schätzte ich. Diskret betrachtete ich ihr Profil. Der lila Rock stand ihr ausgezeichnet. Er betonte ihre Figur, doch nicht allzu sehr. Da war noch viel Raum für Fantasie. Was war bloss in mich gefahren? Klar mochte ich auch Frauen, da bestand kein Zweifel. Anika aber, und das kannte ich gegenüber Geschlechtsgenossinnen bis dahin nicht, stürzte mich in tiefe Verlegenheit. Durfte ich das überhaupt, ihr Haar betrachten? Ihre langen bunten Ohrringe? Ihren herrlichen weissen Hals? Die Kontur ihrer Brüste? Ihre Ellbogen? Ihre Knie, über denen sich der Rock spannte? „Wir sind da!“ sagte ich, um der Situation die Spannung zu nehmen. Der dienstfertige Taxifahrer brachte unser Gepäck direkt zum kleinen Bungalow. Er kannte sich hier prima aus. Ich war glücklich durch und durch, und wir betraten gemeinsam das kleine Haus. “Hey, das Bett ist ja riesig, das reicht für drei”, alberte Anika. “Nö, ich brauch viel Bewegungsspielraum in der Nacht“, erwiderte ich trocken und suchte die Formalitäten für unseren Aufenthalt. Endlich fand ich den Voucher, und wir gingen gemeinsam zum kleinen Büro. “Oh, Anita... schau, da gibt’s ne 70es Party heute Abend”, strahlte Anika und zeigte auf ein Plakat. Es war der vergrösserte Flyer, den ich am Flugplatz mitgenommen hatte. Ich wusste genau, wie diese Parties sich abspielten. Kos hinkte der Welt in vielem mindestens fünfzig Jahre hinterher, da war also eher ein 20er-Jahr-Ding zu erwarten, mit Verkleidung und so, aber mit Musik von The Sweet, Gary Glitter, Leo Sayer, David Bowie und Elton John. „Ich mag geschminkte Männer, weißt Du”, lachte Anika und knuffte mich in die Seite. Ich zuckte zusammen. Ob mein kleiner Fettring sie störte, der sich oberhalb meiner Jeans abzeichnete?
Den Rest des Tages verbrachten wir in einem kleinen Café, und ich erklärte Anika, dass man hier vor noch nicht allzu langer Zeit bedenkenlos Café Turku, türkischen Kaffee, bestellen konnte. Nach dem Zypernkrieg aber war das ein Sakrileg. Man erhielt zwar noch genau dieselbe Brühe wie damals, musste sie aber “Café Grecu” nennen. Anikas goldene Haarspange leuchtete. Anika war sehr geschickt frisiert, hatte eigentlich eine Ponyfrisur, band sie aber mit ihrer Haarspange zurück. Ich ertappte mich beim Gedanken an ihre Lippen. Wie es wohl wäre, sie zu küssen? Mitten in der Nacht zum Beispiel? „Anita, ich mag Dich schon lange“, sagte sie und ergriff meine Hand. „Nein, es sind nicht Deine erozuna-Stories“, lächelte sie versonnen. “Mit einem Teil davon habe ich so meine liebe Mühe. Es ist eher die Art, wie Du schreibst, die Zärtlichkeit, die hie und da zwischen Deinen Worten aufscheint.” Ich hüstelte verlegen und suchte Anikas Blick auszuweichen. Der aber war fest und sicher. Ihr lila Kleid hatte einen gewagten Ausschnitt, und ich konnte den Ansatz ihres Busens erkennen. “Eigentlich bedaure ich noch immer, dass man nirgends mehr mit Drachmen bezahlen kann”, sagte ich. „Euro sind einfach nicht dasselbe, die Dinger vermitteln kein Ferienfeeling… denk doch an die schmierigen, abenteuerbeladenen Lira zurück, die ihren Weg gefunden haben von erschöpften Nutten in die Nobelquartiere von Berlusconis Politikern und dann zurück an den Fischmarkt!” „Euro können das auch”, erwiderte Anika kühl und blickte durch mich hindurch. Wir schwatzten noch eine Weile und bestellten uns einen griechischen Salat. Mit Genugtuung stellte ich fest, dass die Männer, die an uns vorbei gingen, sich nach Anika umdrehten. Ueber uns wölbte sich der griechische Himmel, und wir tranken gemeinsam einen Becher Ouzo. Anika zwinkerte mir zu. „Und jetzt ab an die Party, später bin ich zu müde dazu”, lachte sie. Welch schönes Lachen! Anika! Unwillkürlich liess ich mir ihren Namen auf der Zunge zergehen und ging neben ihr her zurück zu unserem Bungalow. Ohne Umschweife zog sie ihren Rock über den Kopf und stand in Unterwäsche vor mir. Mein ganzer Körper kribbelte. “Oh Gott, nur nichts anmerken lassen, oh Gott!” sagte ich zu mir und konnte meinen Blick nur mit Mühe von Anikas viel zu knappem BH lösen. “Ich trage solche Dinger nur beim Fliegen”, sagte sie lächelnd, “sie jucken doch ständig!” Darauf fiel mir nichts ein, und Anika griff an ihren Rücken und öffnete den BH-Verschluss. Diese wohlgeformten Brüste! Anikas kleines Bäuchlein über dem Sloggy-Slip. „Ich oder Du?“ fragte sie mich neckisch. „Du zuerst.“ Anika verschwand unter der Dusche; ich legte mich aufs Bett und stellte mir vor, wie sie sich einseifte. Ob sie sich unter den Armen rasierte? Ob ihr rotes Haar echt war? Anika war für mich Geheimnis, Verlangen, Leidenschaft, und ich freute mich darauf, sie an der “70es Party” besser kennen zu lernen.
Perfekt gestylt verliessen wir eine Stunde später unseren Bungalow. Im Lokal war noch nicht viel los; Jan, der schwule Jan, sortierte aber bereits seine Vinylscheiben. Er war dezent geschminkt; der Lidschatten war bloss zu erahnen. Seine Lippen glänzten verführerisch. Stilgerecht würde er nur Vinyl auflegen, also kein Polycarbonat, kene CDs. Er lächelte uns zu, und seine weissen Zähne blitzten. “Donnerwetter”, entfuhr es Anika. „Er ist schwul“, erwiderte ich, nicht ganz unglücklich. Allmählich füllte der hübsch dekorierte Tanzraum sich mit Leuten jeglichen Alters. Frauen mit Pagenschnitt und langen Kleidern, griechischen Göttinnen ähnlich, und Männer in enger Lederhose und mit blütenweissen offenen Hemden. So wie Jan waren viele von ihnen geschminkt, aber keineswegs nur die „Queers“. Es waren Menschen, die zu sich und ihren Gefühlen standen, die sich hier amüsieren wollten und es genossen, sich unter ihresgleichen zu bewegen. Jan legte Bouzoukiklänge auf. Dann Vicky Leandros. Lena Valaitis. Nana Mouskouri. Demis Roussos. Oh, wie Anika tanzte! Sie bewegte sich anmutig in ihrem dunkelgrünen Samtrock, den sie eben erst in Berlin erworben hatte, und ging zwischendurch zum grosszügig angerichteten Buffet, um sich bei Eis, Früchten und Süssigkeiten zu bedienen. Die Bowle sagte uns beiden zu, und ich vergass, wie immer, den hohen Alkoholgehalt. Die Musik, die Jan auflegte, wurde härter. Slade. Alice Cooper. Suzi Quatro. Irgendwie alles angenehme 3-Minuten-Hits, Gute-Laune-Sound mit Texten wie “Can the can”, „Wig Wam Bam“ und „Poppa Joe“. „Er will poppen, der Joe“, flachste ein älterer Deutscher neben mir. „Popp Dich doch selber, Mensch!“ Ich konnte im Augenblick keine derartigen Sprüche ertragen. Allmählich leerte sich das Buffet, und es versetzte mir einen Stich ins Herz, zuschauen zu müssen, wie die jungen Griechen sich mit “meiner” Anika amüsierten. Ob sie geschminkte Männer mochte? Es gab hier ja wirklich ein paar gross gewachsene Prachtsexemplare, die keinen Hehl daraus machten, dass Anika ihnen gefiel. Freudig wirbelten sie sie herum zu Gary Glitters „Rock’n Roll Part II“ und zu „Sheer Heart Attack“ von Queen. Der kleine Tanzsaal dampfte; einige der Dekorationen lösten sich von den Wänden und von der Decke. Anika genoss es sichtlich, im Mittelpunkt zu stehen, und ihr grünes Kleid war schweissdurchtränkt. Es hing jetzt formlos an ihrem Körper, und jede andere Frau hätte spätestens jetzt wie ein Mehlsack ausgesehen. Anika aber war pralle Lust. Wie eine wild gewordene griechische Göttin tanzte sie, und ich erinnerte mich daran, dass sie mir einst gemailt hatte, sie möge keinen Sport? Je ausgelassener Anika tanzte, desto schneller wurde die Musik. Jaja, der Jan! Er hatte die Szene als DJ genauestens unter Kontrolle. Beobachtete er ein Paar, das sich unter der Rebenlaube innig küsste, legte er Donna Summer auf. „Love to love you baby.” Barclay James Harvest. “Poor Man’s Moody Blues.” Und das Liebespaar versank in sich selbst. Ortete er eine Wildkatze wie Anika, ging es zu Suzi Quatro. „The Wild One.“ The Cats. „Let’s Dance.“ Und natürlich zu “Y.M.C.A.”
Nun wurde der lange Tisch, auf dem das Buffet mittlerweile abgeräumt war, frisch bezogen. Drei Wolldecken, darüber ein riesiges lila Tischtuch. Das Licht wurde gedimmt, ein paar Kerzen angezündet. Einer der Tänzer komplimentierte Anika in eine Ecke und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Erst schüttelte sie den Kopf, dann warf sie ihn nach hinten und lachte. “Hey, Anita, ich soll mich da drauf legen”, rief sie mir zu. „Hilfst Du mir aus meinem Kleid?” Wäre Anika darunter nackt gewesen, hätte ich sie gewarnt. So aber liess ich mich nicht zwei Mal bitten. Sie trug einen wunderschönen smaragdgrünen BH und einen ebensolchen Slip. Schwungvoll legte sie sich auf den Tisch; einer der Männer brachte ihr ein grosses rotes Kissen und schob es ihr unter den Kopf. “Anita, you will lick her”, flüsterte eine grosse schlanke Frau mit schwerem goldenem Halsschmuck an meiner Seite. Woher sie wohl meinen Namen kannte? Drei Tänzer standen rund um die liegende Anika und pressten aus einem Gebläse Sahne auf ihren Hals, auf ihren Bauch und auf ihre Füsse. Ob sie kitzlig war? Oh, ich würde dafür sorgen, dass meine Freundin dieses kleine Zeremoniell liebte! Aus den Boxen erscholl „The Dark Side Of The Moon.“ Pink Floyd. Welch wundersam kreatives Jahrzehnt das war! Und ich begann die Sahne an Anikas Füssen zu lecken. Sie wand sich, beherrschte sich aber erstaunlich gut. Drei Partygirls an meiner Seite kicherten. Ich lutschte an Anikas Zehen, langsam und genüsslich, und arbeitete mich dann ihren Schenkeln entlang vor. Ihr Slip weckte heisse Fantasien in mir, aber ich beherrschte mich und kümmerte mich um Anikas Bauch. Dieser warme, weiche Bauch, verdammt! Anikas Hals! Ich wusste doch, dass derartige Spiele unter Frauen in ganz Griechenland verpönt sind, und doch konnte ich es nicht lassen, Anika zu verwöhnen, ihren Hals abzuküssen, wieder und wieder, und ihr wundervolles rotes Haar zu streicheln. Die Zuschauer murmelten andächtig, so als handelte es sich um ein Zeremoniell. Den Rest der Sahne wischten wir mit einem Tuch ab, dann zog Anika sich wieder an, und es wurde weiter getanzt bis um 2:00 Uhr morgens. Dann schwankten wir zurück zu unserem Bungalow und atmeten die frische Nachtluft. Der Mond stand rot am Himmel. Dann, endlich, nach einer ausgiebigen gemeinsamen Dusche, lagen wir gemütlich aneinander gekuschelt in unserem Bett. “Es ist wunderschön mit Dir”, murmelte Anika. Unsere Münder fanden sich, und ich fühlte ihre suchende Hand zwischen meinen Schenkeln. Zärtlich streichelte ich Anikas Brüste. Weitere Details seien hier mit dem Mantel der Liebe und der Diskretion zugedeckt.
Am nächsten Tag gingen wir an den Strand, schweigend, einander verbunden und glücklich.
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