Das einsame Haus

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Das einsame Haus

Das einsame Haus

Yupag Chinasky

Dann saßen sie an dem wackeligen Tisch und tranken Bier, auch die junge Frau. Mit der Zeit kamen auch noch andere Mitglieder der Familie hinzu, wurden vorgestellt oder auch nicht, bekamen einen Schluck angeboten, verschwanden wieder in einem der anderen Räume oder verließen die Wohnung. Es war ein ständiges Kommen und Gehen, ein dauerndes Reden und Lachen und Lärmen. Auch ein großer, schwarzer Hund gehörte zur Familie, der seltsamerweise Bianca hieß. In diesem Familiengeflecht konnte er beim besten Willen keine Struktur erkennen. Sicher war nur, wie er später erfuhr, dass weder sein Helfer eine Ehefrau, noch seine schöne Schwester einen Mann hatte, dafür aber einen halbwüchsigen Sohn. Er musste an diesem Nachmittag in dem Gewusel auch aufgetaucht sein, aber er war nicht als solcher vorgestellt worden. Später, als sie sich etwas besser kannten, erzählte sie ihm, dass sie jung geheiratet hatte, sehr jung. Sie sei damals noch ziemlich kindlich gewesen und ganz schmal, aber sehr hübsch. Einmal, ein einziges Mal, habe sie für einen Bekannten, einen Fotografen, als Model gedient. Doch als ihr Mann die Bilder gesehen habe, sei er ausgerastet, habe sie geschlagen und alle Bilder verbrannt. Überhaupt sei mit der Liebe schnell Schluss gewesen. Schon kurze Zeit nachdem ihr Sohn geboren worden war, Kaiserschnitt, weil bei ihr alles viel zu eng gewesen sei, hätte ihr Mann sie verlassen, von jetzt auf nachher sei er verschwunden, in die Hauptstadt zu einer anderen, obwohl sie doch selbst noch ganz jung gewesen sei. Er habe nie mehr von sich hören lassen. Auf seine Frage, ob er ihr denn wenigstens Geld schicke, für den Jungen, lachte sie nur bitte. So etwas würden die Männer in diesem Land nie machen. Seitdem lebe sie solo, sola, um es korrekt zu sagen und sie habe keine Lust, sich mit einem einheimischen Mann einzulassen, die seien alle schlecht, wollten nur Sex, ein möglichst bequemes Leben und würden ständig nach anderen chicas schielen. Nein, was Männer anging, hiesige Männer, sei sie bedient, aber das beträfe ihn nicht, mi amor, wie sie ihm versicherte. Aber all das wusste er an diesem heißen Nachmittag noch nicht, als sie zusammensaßen und ein weiteres kühles Bier tranken, Nachschub, den ihr Bruder inzwischen besorgt hatte.
An sich hatte er nur kurz bleiben wollen, vielleicht eine halbe Stunde, um dann das zu tun, weswegen er gekommen war, sich die Stadt anzuschauen. Doch die Zeit verging, während sie die Dosen leerten und sich unterhielten. Die Unterhaltung war holprig, kompliziert und nicht sehr ergiebig, aber um so amüsanter für alle Beteiligten. Es wurde viel gelacht und gerätselt, was der Fremde wohl mit diesem oder jenem Wort gemeint habe. Er war voller Frust, dass ihm sein Schulfranzösisch nur selten weiter half und meistens zu verständnislosem Kopfschütteln führte. Zum Glück hatte er ein kleines Wörterbuch, das er eifrig benutzte. Nach einiger Zeit wurde ein Neffe, ein fröhlich drein blickender Schüler mit gewaltig abstehenden Segelohren, mit dem Fahrrad losgeschickt, um zu dem Bier auch noch Pizzas zu besorgen. Mit jedem Schluck, dann mit jedem Bissen, wurde der Aufbruch zur Stadtbesichtigung immer weiter verschob und dann in Gedanken auf den nächsten Tag verlegt. Er konnte einfach nicht weg. Es war unmöglich. Er konnte einfach nicht die Augen von der jungen Frau lassen. Sie gefiel ihm, sie gefiel ihm ausnehmend gut und ihr entging vermutlich auch nicht, wie er sie anstarrte, wie er sie mit seinen Blicken verschlang und dass er sich nur noch ihr zugewendet hatte, kaum noch etwas anderes wahrnahm. Aber sie ließ sich scheinbar nichts anmerken, lächelte ihn nur beständig an mit diesen Märchenaugen. Während sie die klebrige, pappig schmeckende Pizza aßen, kam ihm der Gedanke, die Geschwister zu einem anständigen Abendessen einzuladen, vorgeblich als Dank für die Hilfe, in Wahrheit aber, um die Gegenwart der attraktiven Frau länger auskosten zu können. Die beiden waren von seinem Vorschlag überrascht, zögerten aber keinen Moment ihn anzunehmen. Wie er später erfuhr, war ein Essen in einem Restaurant außerhalb ihrer normalen Möglichkeiten und fand nur alle Jubeljahre einmal statt. Sie machte sich fein. Es waren bestimmt ihre besten Kleider, die sie anzogen. Die junge Frau sah richtig chic aus. Sie trug nun weiße, bestickte Jeans, die bis knapp über die Knie reichten und eine mit Strass aufgepeppte Bluse mit tiefem Ausschnitt und, wie sie ihm stolz zeigte, zapatos de domingo, Sonntagsschuhe, hochhackige, weiße Halbschuhe mit goldfarbenen Schleifen. Ihr Bruder sah nicht viel anders aus als vorher, nur dass seine Hose und sein T-Shirt jetzt sauber waren.

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