Das einsame Haus

4 38-58 Minuten 0 Kommentare
Das einsame Haus

Das einsame Haus

Yupag Chinasky

Mittlerweile war es dunkel geworden und die Frau sagte, dass es erst jetzt möglich sei, in seinem Auto mitzufahren. Tagsüber gehe das nicht, denn wenn eine junge Frau im Auto eines Ausländers von der Polizei erwischt werde, bekäme sie große Schwierigkeiten, sie könne sogar ins Gefängnis kommen, wegen des Verdachts der Prostitution, den könne man mit Worten nicht widerlegen, nur mit Bestechung, mit viel Bestechung und das sei für den Ausländer teuer, wenn er seine Freundin schützen wolle. Nachts, wenn man die Insassen nicht mehr genau erkennen könne, sei das Risiko geringer. Sie fuhren wieder in die Stadt und suchten einen paladar auf, den die beiden vom Hörensagen kannten, ein privates Restaurant, besser gesagt, ein Wohnzimmer, das als Restaurant genutzt wurde. Es gab eine Gemüsesuppe, dann gegrillten Fisch und Hühnchen in Tomatensoße, dazu gebratene Bananen, Reis und schwarze Bohnen, zum Abschluss Früchte und als Getränk das unvermeidliche Bier, Bucanero in den roten Aludosen. Er konnte seinen Gästen ansehen, dass sie glücklich und zufrieden waren und er bemerkte, wie ungewohnt es für sie war, mehrere Gänge serviert zu bekommen, dass nicht schon nach der Suppe Schluss war, dass es Fisch und Fleisch auf einmal gab und dann auch noch Nachtisch. Einen bleibenden Eindruck, eine Erfahrung für das Leben, machte der Bruder an diesem Abend auch noch, als er von der unbekannten roten Soße, die wie Ketchup aussah, einen kräftigen Löffel auf seinen Reis gab. Ihm kamen die Tränen, als die Chilipaste wirkte und er kam kaum nach, genügend Wasser zu trinken, um das Brennen zu verringern. Er hatte Tränen in den Augen, die beiden anderen auch, aber Lachtränen. Der Abend endete in einer kahlen Bowlinghalle, die aber den Vorteil hatte, nicht von der Straße einsehbar zu sein und so Schutz vor Kontrollen bot. Weder sie noch ihr Bruder hatten jemals eine Bowlingkugel in der Hand gehabt und alle drei mussten über die Ungeschicklichkeiten lachen, mit denen sie die Kugeln auf die Bahn schickten. Dann fuhr er sie nach Hause zurück und versprach, am nächsten Tag noch einmal vorbei zu kommen.

Er hatte eigentlich vorgehabt, die Stadt schon am nächsten Morgen zu verlassen und deswegen das Zimmer in seiner casa particular nur für eine Nacht gebucht. Doch die Ereignisse des Tages veranlassten ihn, eine weitere Nacht dazuzugeben. Er hatte ja noch keine Gelegenheit gehabt, auch nur die wichtigsten Sehenswürdigkeiten kennenzulernen. Nach dem Frühstück schlenderte er durch das Stadtzentrum, besuchte die Uferpromenade und fuhr zu einem außerhalb gelegenen Friedhof, der im Reiseführer als besonders sehenswert eingestuft und auch sehr schön war. Mächtige Mausoleen und herrliche Engelskulpturen kündeten von der prachtvollen Vergangenheit der Stadt. Es waren Zeichen der Vergänglichkeit des Lebens und diese Botschaft nahm er auch mit, die Botschaft, dass man alles, was dieses Leben einem bot, ausprobieren und auskosten sollte.

Gegen Mittag kaufte er in einem Supermarkt etwas zum Essen und zum Trinken und fuhr wieder in den Vorort. Es war heiß und schwül, am Horizont zogen die ersten dunklen Wolken auf. Er klopfte an die Haustür. Die junge Frau schien ihn erwartet zu haben, sie öffnete sofort, umarmte ihn und gab ihm einen Kuss auf jede Wange. Sie war ganz offensichtlich sehr erfreut über sein Kommen und sagte ihm später, dass sie nicht geglaubt habe, dass er den Weg zu ihr finden würde. Der schwarze Hund Bianca beschnüffelte ihn und schlug mit freudig, wedelndem Schwanz an seine Beine. Der Bruder war nicht da, er war auf Arbeit. Sie selbst, erklärte sie, sei Lehrerin, profesora, an einer Grundschule, aber es waren gerade Ferien und deshalb habe sie frei. Doch das alles hörte er erst viel später, jetzt sagte sie nur, er solle in ihr Zimmer kommen, en mi casa, wie sie den Teil der Wohnung bezeichnete, der ihre Privatsphäre in dieser dicht bevölkerten Kommune darstellte. Es waren wenige Quadratmeter, die zum größten Teil von einem großen Bett mit schmiedeeisernem Gestell belegt waren, dazu eine schwere, dunkle Kommode, ein kleines Sofa und ein uralter Ventilator auf einem mächtigen, gusseisernen Fuß. Über dem Bett hing ein Wandteppich, der eine nordische Landschaft mit schneebedeckten Bergen, einem blauen See und grünen Fichten zeigte. Der Blick durch die klappbare Holzjalousie des einzigen Fensters führte auf einen kleinen, vollgestopften Innenhof, der durch eine mannshohe Mauer vom Nachbargrundstück getrennt war.

Klicke auf das Herz, wenn
Dir die Geschichte gefällt
Zugriffe gesamt: 7439

Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.

Gedichte auf den Leib geschrieben