Das einsame Haus

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Das einsame Haus

Das einsame Haus

Yupag Chinasky

Mindestens zwei Nächte wollte er bleiben, vielleicht auch mehr, je nach dem, wie seine Erwartungen erfüllt würden. Aber diese zwei Nächte müssen erst einmal überstanden werden, dachte er schaudernd als er sich das Hotel besah. Denn von außen machte es alles andere als einen guten Eindruck, dieses hässliche, zweistöckige Gebäude mit dem abblätterndem Putz auf der Fassade, dem verrosteten Gitter als Haustür und den offensichtlich maroden Fenstern, die mit Sicherheit weder die nächtliche Moskitos noch den ewigen Staub zurückhalten würden. Er hörte schon das bösartige Gesumme der Plagegeister und bei dem Gedanken an das Knirschen des Sands zwischen den Zähne musste er mit trockener Zunge über seine noch trockeneren Lippen lecken, der Speichel war versiegt.

Innen war das Hotel um keinen Deut besser als von außen. Der negative Eindruck setzte sich fort, als er den hässlichen Mehrzweckraum betrat, der augenscheinlich Foyer, Rezeption, Bar, Restaurant, alles in einem war. Es war ein öder, kahler Raum mit blanken Neonröhren an der Decke ohne einen Hauch von Stil oder gar Ambiente. Ein Mann saß dicht vor einem uralten, laut lärmenden Fernseher, der in einer dunklen Ecke auf einem Stuhl stand. Es war vermutlich der Wirt oder der Koch, denn er trug eine typische Kochjacke, die sicher einmal weiß gewesen war, aber nun deutliche Spuren der Speisekarte der letzten Wochen aufwies. Er schaute fasziniert auf die schwarz-weiß flimmernde Mattscheibe und ließ sich durch den eingetretenen Gast in keiner Weise stören. Dieser war zunächst abwartend am Tresen stehen geblieben und hatte zwangsläufig das Programm eine Weile mitverfolgt: eine Seifenopern, eine telenovela, die wohl in dieser Abgeschiedenheit den Gipfel an Unterhaltung und Vergnügen bildete. Schließlich hatte er genug gesehen und machte mit einem Klopfen auf die Theke und einem Ruf auf sich aufmerksam. Erst jetzt, als er ihn endlich bemerkte oder zumindest nicht mehr ignorieren konnte, drehte der Koch oder Wirt den Kopf zu ihm hin und nickte ihm einen angedeuteten Gruß zu. Dann stand er langsam und zögernd auf, wobei er ständig auf den Fernseher schaute. Er trennte sich ganz offensichtlich nur sehr unwillig von der Geschichte um Liebe und Leid in der Flimmerkiste. Doch dann stand er, ein großer dünner Mann mit Halbglatze und Schnurrbart, vor dem Gast und musterte ihn mit dunklen Augen, die hin und her wieselten und ihn mit einer gewissen Skepsis taxierte, was durchaus kein Wunder war, so müde, so staubig, verdreckt und zerknittert, wie der aussah.

Ja, ein Zimmer sei noch frei, sagte er endlich. Nein, Dusche und Toilette seien nicht auf den Zimmern, aber auf dem Flur, doch momentan seien einige Wasserleitungen im Haus defekt und müssten repariert werden. Wasser gäbe es nur in dem Brunnen auf dem Hof und dort sei momentan auch die einzige Toilette, leider kein WC, nur ein einfaches bano in einem Holzverschlag. Diese Unannehmlichkeiten täten ihm leid - lo siento - ,aber wenn er das Zimmer trotzdem sehen wolle, bitte, er gehe voran. Es war klein und fensterlos, ein Bett, ein Schrank, ein Stuhl, weiß getünchte Wände, ein gefliester Fußboden, auf dem ein Ventilator stand. Das fehlende Fenster war kein Problem, damit konnte man leben. Der Innenraum hatte sogar Vorteile, er war vermutlich kühler und die Angst vor dem nächtlichen Staub und den Moskitos vielleicht unbegründet. Dennoch wäre er am liebsten wieder gegangen, so einladend fand er den Raum, so charmant den Wirt, so beschissen das ganze Hotel. Aber wohin? Wenn das schon die beste Unterkunft war, wie waren dann wohl die anderen? Seine Unlust hier zu bleiben, wurde nur von der Unlust übertroffen, die Nacht in einem genauso schäbigen Privatquartier bei neugierigen Leuten verbringen zu müssen. Zudem müsste er wieder hinaus in die Hitze, auf die staubigen Straßen. Er hätte womöglich lange suchen und fragen und wer weiß wie weit gehen müssen. Nein, das wollte er auf keinen Fall, dann schon lieber hier bleiben. Zwei Nächte, sagte er sich, nur zwei Nächte, die werde ich wohl überstehen. Er erwog in diesem Moment schon gar nicht mehr, länger zu bleiben. Als sie wieder in die Gaststube zurückkehrten, um das Anmeldeformular auszufüllen, fragte er den Wirt, ob es etwas zu essen gäbe, er habe seit dem Frühstück nichts mehr in den Magen bekommen. Dieser reagiert unwirsch, jetzt um diese Zeit gehe es schlecht, er habe nichts da. Als der ausgehungerte Gast aber nachdrücklich insistierte, erklärte er sich schließlich bereit, übriggebliebene Reste des Mittagessens aufzuwärmen, Reis mit Bohnen und dazu könne er noch Spiegeleier bekommen.

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