Doch kein Glück auf dieser Welt ist vollkommen und oft sind es triviale Dinge, die es empfindlich stören. Als er schier benommen im Gras saß, die phantastische Aussicht genoss, das einmalige Licht bewunderte, die fast überirdische Stimmung auf sich einwirken ließ und mit sich und der Welt fast völlig zufrieden war, merkte er, erst allmählich, doch dann immer stärker, welch großen Durst er hatte. Sein Mund war genauso trocken wie bei der Ankunft mit dem Bus und sein Verlangen nach einem kühlen Bier schier übermächtig. Es war reichlich dumm von ihm gewesen, nicht einmal Wasser mitzunehmen, aber, er entschuldigte sich sogleich vor sich selbst, er hatte ja nur die Ortschaft erkunden, nur einen kleinen Gang durch die Straßen machen wollen. Er würde sich wohl durstig auf den Rückweg machen müssen und hoffen, dass im Hotel Libertad inzwischen Bier eingetroffen und kalt gestellt worden war. Doch ein zweites Mal hatte er Glück an diesem Nachmittag, denn zu seiner großen Freude entdeckte er, nachdem er aufgestanden war und sich anschickte zurück zu gehen, etwas, was ihm bisher entgangen war. Am Rande der Lichtung, etwas abgelegen, so dass er sie bei seiner Ankunft gar nicht sehen konnte, befand sich eine Ansammlung großer Bäume, deren Äste eine Art Schirm bildeten. Unter diesem Schirm schimmerte deutlich das rötliche Dach eines Hauses aus dem Grün-Braun des Waldes hervor, ein Haus, dessen Mauern hinter einer dichten, hohen Hecke verborgen war. Wo ein Haus war, wohnten Menschen und wo Menschen wohnten, gab es bestimmt etwas zu trinken und sei es auch nur ein Glas Wasser.
Die Hecke, die das Haus abschirmte und von außen fast unsichtbar machte, wurde auf ein paar Meter von einem niedrigen Holzzaun mit einem breiten Tor unterbrochen. Das Tor war verriegelt, doch daneben befand sich eine Lücke, breit genug, um einen kleinen Hof betreten zu können. Er sah niemand, trotzdem machte das Anwesen keinen verlassenen Eindruck, eher einen unaufgeräumten. Einige Gebrauchsgegenstände lagen vor dem Haus, Werkzeuge, Schuhe, Dinge, des täglichen Lebens, die man ständig braucht, aber auch solche, die vermutlich keiner mehr vermisste. Neben der Eingangstür stand eine Bank, links und rechts davon ein Blechkübel, bepflanzt mit bunten Blumen. Er fragte sich, als er über den Hof ging, wer hier in dieser Abgeschiedenheit, in dieser Waldeinsamkeit wohl wohnte. Es wäre ein guter Platz für ein Ausflugslokal, vielleicht sogar für ein Hotel. Ein Hotel für Leute wie ihn, die in Ruhe den herrlichen Blick und den Frieden der Natur genießen wollten, ohne Rummel, ohne Hektik, ohne den Zwang, immer etwas Neues erleben zu müssen. Aber kamen solche Leute überhaupt hierher? Wenn jemand käme, dann doch nur Touristen und die verirrten sich nicht in eine so einsame Gegend. Als er die Haustür erreichte, sah er, dass er gar nicht so falsch gedacht hatte. Es war zwar kein Hotel, aber neben der Haustür hing ein handgemaltes Schild: „habitacion libre y comida“. Es war wohl eine Mischung aus Pension, Herberge und Gasthaus, genau das, was er brauchte, frohlockte er. Das heiß ersehnte, eiskalte Bier war zum Greifen nahe. Er würde es in Ruhe austrinken und sich dann gleich auf den Heimweg machen, denn die Sonne war schon ganz nah am Horizont und er wollte wenigsten wieder auf der Ebene und aus dem Wald heraus sein, bevor die rasch einsetzende Nacht den Weg beschwerlich machen würde.
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