Dort angekommen, sagte ihm der Wirt, er könne gleich zu Abend speisen. Er drückte sich sehr gewählt aus, was jedoch in dieser Situation völlig unpassend war. Es gäbe Hühnchen mit Reis, gebratene Patatas und Obstsalat. Nur, leider, Bier habe er keines. Der Mann, der es sonst immer liefert, sei heute nicht gekommen. Doch bevor der enttäuschte Gast seinen Unmut äußern konnte, bot der Wirt an, seinen Jungen in ein nah gelegenes Geschäft zu schicken, er, der Gast, müsse ihm allerdings das passende Geld mitgeben. Durch sein Erlebnis auf dem Berg immer noch leicht euphorisch und durch das Angebot des Wirts besänftigt, hielt sich sein Ärger über diese erneute Verzögerung seinen Durst zu stillen in Grenzen. Er griff in seine Hosentasche und erstarrte. Kein Portemonnaie! Er durchsuchte alle Taschen seiner Rangerhose. Nichts! Dafür fand er etwas anderes, etwas, was er ganz und gar nicht erwartet hatte, das er herauszog und verblüfft betrachtete. Es war der Slip seiner rätselhaften Geliebten. Unwillkürlich hob er ihn an die Nase und roch immer noch diesen verwirrenden Duft nach junger Frau und Limetten. Dieses seltsame Abschiedsgeschenk oder besser gesagt dies Tauschgeschenk konnte ihn jedoch nicht über den Verlust seines Geldbeutels hinweg trösten, in dem immerhin ein großer Teil seines Bargelds, eine Kreditkarte und andere wichtige Dokumente steckten. Fast noch mehr als den Verlust ärgerte ihn jedoch, wie naiv, wie ahnungslos er gewesen war und wie einfach er es der Frau gemacht hatte, ihn zu beklauen. Er, ein naiver, ahnungsloser, vertrauensseliger Idiot und Einfaltspinsel! Doch morgen würde er noch einmal auf den Berg gehen und sein Eigentum zurückfordern. Er lachte grimmig und steckte den Slip wieder in seine Hosentasche.
Der Wirt merkte, dass etwas nicht stimmte und fragte, was los sei und ob er ihm helfen könne. Froh, seinen Frust abladen zu können, erzählte er von seiner Wanderung, von dem phantastischen Blick auf den Park, von dem hinreißenden Abendlicht und dem einsamen Haus und dass er sein Portemonnaie irgendwo dort oben verloren habe. Je länger er redete, um so skeptischer und ungläubiger schaute ihn der Wirt an und als er fertig war, fragte er, ob er nach Osten - die Sonne im Rücken - oder nach Westen - die Sonne im Gesicht - gegangen sei. Nach Osten? Sei er sich da ganz sicher? Dort sei zwar ein Berg und ein Weg führe hinauf, ganz so, wie er es beschrieben habe und es gebe auch eine Lichtung auf dem Gipfel, aber kein Haus, dort wohne niemand. Und, so fügte er besorgt hinzu, was er überhaupt nicht verstehen könne, von dort oben habe man bestimmt keinen Blick auf den Park, der sei von dort gar nicht zu sehen, er läge in westlicher Richtung. Ungläubig und geschockt nahm er die Worte des Wirts zur Kenntnis. Aß dann ohne Appetit, trank wieder süße Limonade und verbrachte eine schlaflose, quälend lange Nacht.
Früh am nächsten Morgen machte er sich trotzdem noch einmal auf den bekannten Weg, unruhig, gespannt, voller Zweifel, ohne einen Blick für die Blumen, ohne die ihn umschwirrenden Insekten zu beachten. Er ging zügig bis zum Fuß des Berges, betrat den lichten Wald, stieg dann, wieder mit einiger Anstrengung, den steilen Teil des Weges hoch und kam, wie erwartet, zu der Lichtung. Es war zweifelsohne dieselbe Lichtung, die, die er schon am Vorabend betreten hatte, aber sie war dennoch völlig anders. Vor ihm lag keine Terrasse, kein Steilabfall bot ihm einen weiten Blick auf eine Märchenlandschaft. Es war nur eine baumlose Stelle in einem Wald, eine ganz gewöhnliche Lichtung, die mit hohem, trockenen Gras bewachsen und rundum von Bäumen umgeben war. An der selben etwas abgelegenen, schwer einsehbaren Stelle erkannte er die charakteristische Baumgruppe wieder, deren Äste einen Schirm bildeten und darunter auch die hohe Hecke. Von einem Dach jedoch keine Spur. Er ging zu der Hecke und stellte fest, dass es eine ausgedehnte Ansammlung von Büschen war. Sie umgaben keinen freien Platz, keinen Hof, in dem ein Haus hätte stehen können. Es gab kein Tor, keine Lücke durch die er auf den Hof hätte gelangen können und er sah natürlich auch nichts, absolut nichts, was auf ein Haus hingedeutet hätte. Er setzte sich auf einen umgestürzten Baumstamm und holte den Slip aus seiner Hosentasche. Er hielt ihn an die Nase und roch daran. Er roch nichts. Der Duft, den er noch am Vorabend deutlich wahr genommen hatte und der ein Beweis für das hätte sein können, was er erlebt hatte, war verflogen. Ratlos steckte er ihn wieder ein.
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