Das einsame Haus

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Das einsame Haus

Das einsame Haus

Yupag Chinasky

Der Staub, der ihn während der langen Busfahrt ständig begleitet hatte, der sich auf seinen Kleidern, seinen Haaren, zwischen den Zähnen abgelagert und ihn geradezu eingepudert hatte, verließ ihn auch nicht auf dem Weg zum Hotel. Als er den großen Platz überquerte, auf dem der Bus gehalten hatte, wirbelten seine Schuhe kleine Wolken auf. Die Staubpartikel tanzten für kurze Zeit im Licht der gleißenden Nachmittagssonne, deren drückende Hitze offensichtlich alles Leben aus den Straßen verscheucht hatte. In dem alten, klapprigen Bus hatte er wenigstens im Schatten gesessen, doch hier, auf der Straße, war er der Sonne nahezu schutzlos ausgesetzt. War es wirklich die Mühe wert, hierher zu kommen, in dieses Gott verlassene Pisskaff am Ende der Welt? Hatte sich die lange Fahrt in dem schlecht gefederten Bus auf dieser Aneinanderreihung von Schlaglöchern, die sie hier Straßen nannten, gelohnt? Warum nur hatte er sich dieser Tortur ausgesetzt, hatte sich alle Körperzellen stundenlang durchrütteln lassen und dazu noch den permanenten Schlafentzug hingenommen? Er war müde und verschwitzt, die Knochen taten ihm weh, der Mund war trocken und die Kehle ausgedörrt. Fünf Dinge, nur fünf Dinge wünschte er sich, um wieder ein halbwegs intakter Mensch zu werden: ein sauberes Zimmer, eine kalte Dusche, ein kühles Bier, etwas zwischen die Zähne und danach ein paar Stunden Schlaf. Das sind verdammt viele Wünsche auf einmal, dachte er skeptisch, als er mit seinem schweren Rucksack in die enge Gasse einbog, an deren Ende er das Schild „Hotel Libertad“ sah. Ob sie wohl alle in diesem Hotel erfüllt würden? Doch um die Frage nach dem Lohn der Qual beantworten zu können, reichte es nicht, wieder ein halbwegs intakter Mensch zu werden, erst musste er das Ziel seiner Reise erreichen und erkunden, den berühmten Nationalpark „Torres de los vientos“. Erkunden war natürlich maßlos übertrieben. In den zwei, drei Tagen seines Aufenthalts würde er allenfalls einen groben Eindruck gewinnen können. Doch er war optimistisch, denn sein bewährter Reiseführer wusste jedenfalls, dass sich ein Besuch lohne, sogar sehr lohne. Er pries den Park in höchsten Tönen, hob die Schönheit der Landschaft hervor, beschrieb die beeindruckende Flora und Fauna und empfahl ausdrücklich den abgelegenen, schwer zugänglichen Teil als besonders interessant. Deshalb war er nun hier, deshalb hatte er all diese Mühen auf sich genommen und war an den Arsch der Welt gereist. Der Ort sei im übrigen eine Oase der Ruhe, ohne Trubel, ohne Hektik und nur wenige Touristen würden sich hier her verirren. In diesem Punkt hatte der Reiseführer auf jeden Fall recht. Es schien sich, außer ihm, kein Mensch hierher verirrt zu haben. Er war der einzige, der aus dem Bus gestiegen war, der einzige, der den weiten Platz überquert hatte, durch die enge Gasse gestapft war und nun vor dem Hotel Libertad stand, laut seinem allwissenden Reiseführer, der einzigen akzeptablen Unterkunft.

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