Etwas Unfassbares strömte von diesem Mädchen aus . An jenem verhangenen Montag im November sollte sie sich morgens vorstellen. Seit Tagen tröpfelte es vom Himmel, die Bäume waren leer und die Feuchtigkeit schien durch die Außenmauern zu sickern. Ich hielt gerade die schwarzweißen Umrisse eines Kiefers ins Licht, als es summte. Ohne meinen Blick von der Aufnahme abzuwenden, tastete ich nach dem Türöffnerknopf. Nach einer Weile steckte ich die Aufnahme wieder in den braunen Umschlag und ging ins Wartezimmer.
Ein junges Mädchen mit langem, rötlich schimmerndem Haar saß auf dem Sofa, die langen Beine übereinander verschränkt und blickte verträumt aus dem Fenster in die nässende Nebelwand. Das Zimmer roch nach Sandelholz.
„Frau Anders?“
Das Mädchen sah mich an und in seinen Augen flackerte so ein bizarres, mystisches Licht. Ganz seltsam. Strange. Es nickte.
„Kommen Sie bitte“, sagte ich, um einen sachlichen Ton bemüht, denn ich spürte eine überreizte Unruhe plötzlich in mir, wie vor einer Prüfung oder so. Mein Mund war auf einmal ganz trocken, meine Hände feuchtkalt. Stress.
Das Mädchen erhob sich langsam. Es trug eine enge, ausgewaschene Jeans und einen schwarzen Pulli, der einen wunderschönen Busen verriet. Die Bewegungen des Mädchens waren lautlos geschmeidig, wie die eines Panthers. Als es mir ins Gesicht blickte, spürte ich eine fremdartig vertraute Energie, die von seinen unbegreiflichen, undurchschaubaren Augen auszugehen schien, unaufhaltsam in mich eindrang und sich wellenförmig in meinem Körper ausbreitete. Ich konnte seinem Blick nicht standhalten und wandte mich unwillkürlich ab, so als ob ein heller Lichtstrahl meine Iris getroffen hätte.
Während wir uns an meinem Schreibtisch gegenübersaßen und ich versuchte, seinen Lebenslauf und seine Zeugnisse zu lesen, betrachtete das Mädchen mit weit geöffneten, interessierten Augen die bunten Papageienbilder an den Wänden. Wie eine kleine Seejungfrau, die zum ersten Mal an Land geht, nahm es die Bilder mit Erstaunen in sich auf. Verstohlen tasteten meine Augen über die Umrisse seines erotischen Körpers und dann blickte ich wieder auf die Papierseiten in den durchsichtigen Hüllen vor mir und versuchte, ein Wort nach dem anderen zu erfassen. Meine Gedanken verloren allmählich ihren Zusammenhang, so als ob ein Sender plötzlich in meine Gehirnströme funken und sie in Fetzen reißen würde. Mein Blut pochte laut in meinem Schoß und am liebsten hätte ich sofort den Raum verlassen. Etwas Unfassbares strömte von diesem Mädchen aus und ich spürte, dass der Raum immer enger wurde, so als ob die Wände immer näher und näher kämen und das Mädchen mit ihnen, wie eine riesige Welle, die über meinem Kopf zusammenschlug und mich fast ertränkte. War ich dem Mädchen schon einmal begegnet? Ich konnte mich nicht erinnern, aber das unheimliche Gefühl des Sich-bereits-Kennens war in mir. Eine eigenartige Vertrautheit und eine völlig neuartige Erregnung. Noch nie hatte mich vorher eine Frau angezogen. Was sollte das jetzt hier? Worum handelte es sich? Ich war ziemlich verwirrt.
„Daniela, woran denkst du? Du sonderst dich ab in letzter Zeit“, sagte Martin beim Abendessen. Es klang nicht vorwurfsvoll, sondern besorgt.
Gleichgültig rührte ich in meinem Salat herum, nahm eine Zwiebel und legte sie sorgfältig an meinen Tellerrand, so als ob in dieser Zwiebel der Grund meiner Zerstreuung liegen würde.
„Ich bin müde, “ sagte ich ohne ihn dabei anzuschauen.
Meine Stimme klang wie ein fremdes, fernes Echo, während ich die Gabel aus der Hand legte und Martin über den Kopf strich. Ich schämte mich und ich wusste eigentlich nicht genau weshalb. Vielleicht schämte ich mich für meine Gefühle. Als ob man sich seine Gefühle aussuchen könnte.
An einem milden Abend im Frühling, als der Blütenschnee von den Kirschbäumen leuchtete, trug Fabienne ein kurzes Kleid, das ihren Körper sanft umhüllte und ihre Schultern freigab. Während sie eine Mokkatasse in meiner winzigen Praxisküche einschäumte, betrachtete sie die Bäume im Garten. Ohne etwas zu denken, näherte ich mich ihr lautlos, schob ihre Haare behutsam wie einen zarten Schleier beiseite und berührte federartig ihren Hals mit den Lippen. Fabienne ließ die Tasse fallen mit einem kleinen Schrei und drehte sich um. Sie blickte mich nicht erschrocken an und nicht fordernd. Aber ich spürte in ihrem Blick etwas, das verführen und verführt werden wollte. Seifenschaum tropfte auf die Scherben, während Fabienne sich mit beiden Händen auf der Spüle abstützte und den Kopf nach hinten neigte.
Ich küsste ihre weichen, vollen Kirschlippen, während meine Hände die runde Wölbung ihrer Brüste erfühlte. Sie trug keinen BH. Fest und groß, zu groß für meine Hände. Ihre Brustwarze richtete sich unter meiner Berührung auf, stieß hart gegen meine Zeigefinger. Meine Hände lösten sich von dort und tasteten sich vorsichtig zu ihrer Scham. Meine Finger suchten behutsam ihren Weg in die feuchte, weiche Wärme und Fabienne löste sich auf schon nach wenigen Sekunden, wie eine überreife Frucht, als hätte sie nur auf diesen Moment gewartet, ging in die Hocke und warf den Kopf zurück, die Augen geschlossen, auf ihren Lippen ein leises Lächeln.
„ Mein Mann wartet...“, sagte ich. Meine Stimme fühlte sich unglücklich an.
„Ich weiß“, antwortete Fabienne und in ihren Augen schimmerte eine Mischung aus Tapferkeit und Schutzbedürfnis.
An jenem Tag im Juli lag bereits vormittags eine lähmende Schwere in der Luft. Der Himmel hing tief über der Stadt wie eine bleierne Kuppel. Fabienne kam zur Tür herein und ihre langen Haare glänzten und rochen nach Salzwasser und Seetang. Als sie mir die Geräte reichte, atmete ich ihren vertrauten Duft ein und achtete weder auf die zerbröckelnden Kronen und faulenden Backenzähne, noch auf die gebrochenen Brücken und gelösten Plomben, sondern tauchte in Gedanken mein Gesicht in ihr weiches, duftiges, seidenes Haar. Es war, als würde ich nur auf diesen Moment zuleben, als wäre alles andere farblos, wie ein von der Sonne gebleichtes, gerissenes Stück Stoff und nur diese Augenblicke mit Fabienne farbig, lebendig und süß.
Während ich unter Herzklopfen den Schlüssel zweimal im Schloss umdrehte, kündigte verhaltener, dumpfer Donner ein Gewitter an. Noch bevor sich der Fahrstuhl geschlossen hatte, zog ich Fabienne an mich und vergrub süchtig mein Gesicht in ihrer Halsbeuge. Ich glaube, es war so etwas wie Sucht, das meinen Körper besetzte, meine Bewegungen steuerte. Ich fühlte mich ausgeliefert, aber hatte trotzdem kein Verlangen, diesen Zustand zu ändern. Ich bedeckte ihr Gesicht mit Küssen, biss in ihr Ohrläppchen, sie stöhnte fast bei jeder Berührung, krallte ihre Hände in meinen Rücken. Ich nahm ihre Brustwarze in den Mund, berührte sie mit der Zunge, Fabienne schrie auf. Wie Perlen einer Kette, reihten sich ihre Höhepunkte aneinander, wieder und wieder. Sie sank auf den Boden des Fahrstuhls, ihr Kleid rutschte hoch und ich kniete mich vor sie hin, spreizte ihre Oberschenkel sanft mit meinen Händen, vergrub mein Gesicht in ihrem Schoß, drang mit meiner Zunge in sie ein und trank ihre überschäumende Feuchtigkeit, während sie sich selbstvergessen in mein Gesicht drückte.
Die halbe Sonne leuchtete korallenrot über einem Wolkenmeer aus Granit ihrem Ende entgegen und eine seltsame Spannung lag in der Luft. Meine Gedanken brandeten ungeordnet, unvollendet in meinem Kopf, überschlugen sich unaufhaltsam. Ich darf Martin nicht verlassen... wir haben viel miteinander erlebt.. wie er sich damals um mich gekümmert hat... Tag und Nacht war er an meinem Krankenbett... ich werde ihn nicht im Stich lassen…
Mit einem befremdenden Vorgefühl schloss ich die Haustür auf. Beklemmende Angst breitete sich in meinem Körper aus, kroch hoch, blieb in meiner Kehle hängen, wie eine pelzige, schwarze Spinne. Das Wohnzimmer war dunkel und still.
„Martin? Martin, wo bist du? Warum hast du kein Licht angemacht?“
Ich drückte auf den Lichtschalter und mein Blick fiel auf ein Blatt Papier mit seinen wirren Buchstaben auf dem Esstisch.
"Liebe Daniela! Ich fahre für ein paar Tage weg. Kuss, Martin."
Bleiern stand ich da, das Blatt in der Hand. Die einsame Stille, zerrissen von Blitzstrahlen und Donnergrollen wühlte mich auf und ich schleppte mich zum Telefon, wählte Nummern, legte auf.
Plötzlich fühlte ich mich eigenartig ausgehöhlt. Ohne Martin war das Haus kalt und tot. Wie von etwas getrieben flüchtete ich zu meinem Auto. Es war fast dunkel, das Gewitter bald über mir. Die Bilder von Martin und Fabienne entglitten, wurden unkenntlich, verschmolzen dann wieder zu einem einzigen Bild. Dicke Wasserkugeln schlugen hart auf die Scheibe, ich sah fast nichts mehr, nur Wassermassen.
Dann bemerkte ich ein schattenhaftes, unkenntliches Etwas wie ein riesiges, pfeilartiges Geschoss auf mich zukommen. Im nächsten Augenblick spürte ich einen Aufprall und einen harten Schmerz im Kopf.
Ein Tagesende im Juli
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