Ein ungleiches Duell

3 13-21 Minuten 0 Kommentare
Ein ungleiches Duell

Ein ungleiches Duell

Michael Schweßinger

Es gab eine Zeit, da liebte ich es, all eine auszugehen. Ich liebte es, in das imaginäre Zwielicht der zahlreichen Gothic-Clubs dieser Stadt zu verschwinden. Ich liebte es, stundenlang auf ausgesessenen Barhockern zu verweilen und mich dem meditativen Anblick der Tanzfläche mit ihren vielfachen Bewegungen und mannigfaltigen Farbwechseln hinzugeben. Ich genoss es, die Mischung aus billigem Whisky und noch billigerer Cola über meine Zunge laufen zu lassen und ich verspürte die Lust auf den Geschmack nach selbstgedrehten Zigaretten. Ebenso liebte ich die süße Melancholie, die aus der selbstgesuchten Einsamkeit erwächst, die am stärksten in mir aufstieg, wenn mein Blick auf ein frischverliebtes Paar fiel, dass sich mit zärtlichen Küssen und lieblichen Blicken ein eigenes Königreich erschuf und einen damit unweigerlich in die eigene Erinnerung führte, wo einst ebenso prächtige Königreiche dem langsamen Vergessen anheim fielen.

Manchmal tanzte ich auch zwischen den anderen Menschen, die zu verschiedenartigster Musik die Tanzfläche in ein wuselndes Gewirr aus Stoff, Haut und Schmuck verwandelten. Doch meistens nutzte ich die Abende, um auf meinem Barhocker wie auf einer einsamen Insel zu thronen und war nicht unglücklich über die Wellen und Ausprägungen der Musik und der Menschen, die mich manchmal berührten; meistens jedoch vor meiner Insel zurückwichen. Selten sprach ich ein Wort mit den Menschen, denn tief in mir wurzelte der Glaube, dass es nicht möglich war, mit Worten zu kommunizieren. Manchmal hielt ich Zwiesprache mit schillernden Augen, die vor meiner Insel aus dem flutenden Meer auftauchten und Sekunden später wieder verschwanden. Smaragde und Bernsteine riefen mich in eine andere Welt. Ich fühlte, wie eine ungeahnt kräftige Welle weit über meine Zehenspitzen hinauf schwappte und mich manchmal sogar fast mitten in dieses andere Meer hineinzog, das den Worten für immer unbekannt blieb. Doch weigerte sich ein Teil von mir, die kontemplative Betrachtung beiseite zu legen und dieser weitaus stärkere Teil widerstand der Freude am Schwimmen, die ich einst so sehr liebte, nun aber nur noch als eine Erinnerung wahrnehmen wollte, da die Angst des Ertrinkens mich drückte wie ein namenloser Alp in dämmrigen Morgenstunden.

An einem Abend jedoch ergriff mich diese Lust auf Verschwendung. Ich zerstörte meine Insel und stürzte mich in die flutende Musik. Der Geruch von Haut betäubte mich wie der Geschmack von schwerem Wein nach Wochen der Abstinenz. Mit jedem Ton, mit jedem Lied, verlor die Bar mit ihren Gesichtern, die Tanzenden und selbst der Abend an Gestalt und Form, wurden selbst wieder flüssig wie die Sehnsucht nach dem Meer in mir, die ich nie aufgehört hatte zu lieben. Zeit und Raum schwammen an meinen Emotionen vorbei wie morsches Treibholz. Unwichtig erschienen mir auf einmal Anfang und Ende. Aufgelöst in den Klängen verfloss ich in meinen Bewegungen, fern ab davon, diese noch einordnen oder kategorisieren zu können. Ich tanzte mit offenen Augen, die dennoch irgendwie geschlossen waren und nur noch Musik sehen konnten, für alles andere aber blind waren.

Es war mir zur Gewohnheit geworden, dabei zu rauchen. Anfangs tat ich dies, weil mir die Zigarette immer etwas Halt auf offener Tanzfläche versprach und mich die schmerzenden Blicke der Beobachter irritierten, wodurch mir diese eigene Unbeschwertheit verwehrt blieb, die ich doch so sehr liebte.

Inzwischen erscheinen mir die Urteile der Menschen, oder vielleicht war es auch nur meme Vorstellung, dass sie mich beurteilen würden, belanglos und nichtig. Das Rauchen habe ich aber als eine Art von eigenem Atavismus beibehalten.

In jener Nacht, in der mir die Welt am entschwinden war und ich selbst ganz Ton geworden, geschah es plötzlich, dass ich spürte, wie meine Hand, die sich unkontrolliert nach den Tönen streckte, mit meiner Zigarette auf Widerstand stieß. Sofort kehrte ich aus den traumgetränkten Sphären der Musik zurück in meinen Körper und meine Augen blickten in ein erschrockenes junges Gesicht, das nicht auf den glimmenden Schmerz gefasst war. Meine Zigarette hatte sich nämlich in meiner Abwesenheit in die Haut der neben mir Tanzenden gegraben. Ihre lieblichen Gesichtszüge hatten sich in diesem einen Moment durch die Mithilfe von Erschrecken und Schmerz zu einem entzückenden Anblick modelliert, der mir schon in jenem Augenblick so zauberhaft erschien, dass ich versucht hätte, wäre ich ein Bildhauer oder Künstler, ihn in Stein und Farbe zu verewiglichen. Auch wenn der Schrecken des Unerwarteten in ihrem Antlitz eindeutig überwog und der Schmerz sich dezent im Hintergrund hielt, denn ich hatte sie ja nur kurz berührt: ja, fast nur gestreift. Ich entschuldigte mich hastig und sie nahm meine Entschuldigung mit einer abwinkenden Handbewegung zur Kenntnis und so tanzten wir zurück in unsere eigenen Welten.

So kostete ich an diesem Abend zum ersten Mal von diesem flüchtigen Bildnis, das die leuchtenden Farben von Schmerz und Entsetzen durch meine unbedachte Aktion in die lieblichen Gesichtszüge des Mädchens eingezeichnet hatten. Ich darf sagen, dass ich mich in diesen Anblick verliebte und versuchte, mir diese Sekunde in den folgenden Tagen und Nächten wieder und wieder vor Augen zu führen. Allein, es gelang mir nicht und es erging mir wie allen Liebenden, die verzweifelt versuchen die Augenblicke des Entzückens in ihren Erinnerungen wiederzubeleben. Das Abbild jenes Augenblicks blieb schal und unbelebt. Auch meinen Worten wohnten nicht die Bewegung und Energie inne, um diesem Bild eine würdige Beschreibung bei zugesellen. Dennoch verblasste dieses Erlebnis nicht, sondern trat mir von Tag zu Tag stärker vor Augen. Doch schien es mir, als wären es nicht dieselben Augen, mit denen ich durch mein tagtägliches Leben schritt, sondern andere, die ich niemals zuvor wahrgenommen hatte. Augen des Moments. Augen der Dichte, die sich weigerten, jenseits des Augenblicks zu schauen. Ein Papierkorb voller dilettantischer Ergüsse überzeugte mich schließlich, dass es sich nicht ziemte, die Verdichtung mancher Wirklichkeit durch den dranghaften Versuch einer Beschreibung zu entwerten. So legte ich den Stift beiseite und begann, mit meiner Glut auf Haut zu schreiben.

Meine Unschuld verlor ich einige Wochen später an einer Grabschönheit mit nachtschwarzem Haar. Dies war nämlich die Frau, an welche ich zum ersten Mal in bewusster Absicht mit meinem Verlangen nach der Wiederbelebung dieses Augenblicks herantrat. Freilich unter dem Deckmantel der versehentlichen Berührung versuchte ich, mit Hilfe meiner Glut diesen bezaubernden Ausdruck auf ihr Antlitz zu zeichnen und damit das zu erschaffen, was meinen Zeilen verwehrt blieb. Lange beobachtete ich sie. In mir fochten Moral und Sehnsucht ein ungleiches Duell. Doch was mag die Moral gegen eine Begierde ausrichten, die tief im Herzen Feuer gefangen hat! Mit einem großen Schluck Whisky-Cola spülte ich den Kadaver meiner besiegten Bedenken hinunter und erkor wenig später ihre rechte Hinterbacke zum Ziel meiner Glut. Die Haut war an dieser Stelle nur durch eine dünne Netzstrumpfhose bedeckt und bot somit eine ausgezeichnete Möglichkeit, durch den zärtlichen Kuss meiner Zigarette, die gewünschten Züge in ihrem Gesicht aufblitzen zu lassen. Ich gesellte mich auf die Tanzfläche, vermied es aber, vorher in ihr Blickfeld zu geraten, um nicht durch eine unbewusste Verlegenheit, die vielleicht meinen Zügen innewohnte, oder irgendeine verräterische Bewegung alles zunichte zu machen. Als das Parkett gut gefüllt war, näherte ich mich ihrem Körper und brachte mich und meine Zigarette in Position. Ich täuschte Lockerheit vor und schloss die Augen soweit, dass ich durch zwei kleine Schlitze mein Umfeld wahrnehmen konnte; ein Außenstehender, der mich eventuell bei meinen geheimen Vorbereitungen beobachtete, musste aber denken, dass meine Augen ganz geschlossen wären und ich gerade in der Musik versunken sei. Dann schien mir der rechte Moment gekommen. Als sie sich in der Rückwärtsbewegung befand und allein ihre Arschbacke schon einen Anblick bot, für den ich getrost einige Jahre der Ewigkeit verscherbelt hätte, preschte meine Linke vor und die Glut tat das, was meinen Lippen verwehrt blieb. Sie küsste ihren schönen Arsch.

Ein kurzes Zucken. Eine schnelle Handbewegung und dann dieser Blick, den ich so sehr ersehnte. Der Moment, der sich dem Abbilde entzog. Der Moment, der sich in der Erinnerung der Zeilen verhüllte. Der Moment, der scheu war bis zum Extrem. Derjenige, der sich mit jedem geschriebenen Wort weiter zurückzog; mit jedem Versuch der Beschreibung mehr und mehr entzaubert wurde. Nachdem ich diesen kurzen Augenblick bis zu Neige ausgekostet hatte, dachte ich zunächst, die infame Absicht stände mir ins Gesicht geschrieben und die Nachtschwarze würde unweigerlich erkennen, dass ich ihr die Zigarette mit Absicht auf ihren schönen Arsch gedrückte hätte. Meine Worte des Bedauerns, die fast mechanisch folgten, klangen in meinen Ohren hölzern und ich erwartete bereits ihre Flüche und Zurechtweisungen. Doch nichts der Gleichen. Sie wendete ihren Kopf und blickte mich nur kurz an. Dann verschwand ihr Antlitz wieder unter den vielen, die mich umgaben. So bestand ich also meine erste bewusste Feuertaufe in diesem seltsamen Spiel, das mir von meiner Sehnsucht aufgezwungen ward.

Fortan genoss ich es, diese Melange wieder und wieder in die Gesichter der Schönen zu zeichnen. Wann immer ich dazu Lust verspürte, malte ich mit meiner Glut opulente Fresken aus Schmerz und Erschrecken. Immer waren sie anders und doch strahlten sie alle auf ihre Weise eine eigentümliche Schönheit aus, die ich nicht mehr wage, näher zu beschreiben - aus Angst, ich könnte sie zerstören. Trotz meiner steigenden Begierde, die in kürzeren Abständen nach immer neuen Bildern schrie, beschränkte ich mich auf einen einzigen Augenblick pro Abend. Lange saß ich da auf meinem Barhocker und wählte unter den Vielen die Passende aus. Keine konnte sich mir verweigern. Keine konnte mir einen Korb geben. Was war es für ein Gefühl der Macht, dass mich in diesen Momenten durchfuhr! Ich, der Einsame, stieß ohne je ein Wort an sie gerichtet zu haben, in die intimen Bereiche ihres Wesens vor. Für einen Moment war ich hinter ihren Maskeraden und Verkleidungen; war ganz nah an ihnen selbst. Kein Wort und keine Berührung hätten mich in intimere Bereiche geführt, als die des maskenlosen Selbst.
Die leicht Bekleideten schienen mir zunächst am verlockendsten, da sich mir bei ihnen eine Vielzahl von Angriffsflächen darbot und ich außerdem kein Interesse verspürte ihre Kleider und Kostüme zu zerstören. Es ging mir einzig um diesen winzigen Augenblick, in dem es möglich war, einen verwaisten Rahmen in meinem Geist zu bebildern. Das leere Innere dieser Einsäumung wartete begierig darauf, mit immer neuen Bildern dieses ständige Verschwinden zu überdecken. Es war die Sehnsucht, der Zusammenballung und Verdichtung von Gegensätzlichem beizuwohnen, bei dem Zeit und Raum nur eine Statistenrolle zukam. Es war das Gefühl, dass hinter der Welt der Bilder, die einen tagtäglich überschwemmte, noch andere, gleichsam sakrale Bilder verborgen waren, die sich der profanen Beschreibung und Kategorisierung entzogen und nur in den Momenten von äußerster Intensität kurz ihren Schleier lüfteten und sich in diesem Rahmen präsentierten.

Schon bald gab ich mich nicht mehr damit zufrieden, nur die Gesichtszüge der Leichtbekleideten in den leeren und dekadenten Rahmen meines ausgehöhlten Geistes zu projizieren. Ich suchte neben den Straps bekleideten auch Ladies und Prinzessinnen in edlem Samt und hochgeschnürten Korsagen. An manchen Tagen, wenn mich der Übermut packte, machte sich meine neugierige Glut auf, um Bekanntschaft mit manch hervorstechendem Dekolletee zu schließen. Immer gelang es mir dabei, den weltabgewandten Träumer vorzutäuschen, der in der Abwesenheit der Musik nicht mehr Herr seiner Bewegungen war.

An einem Abend jedoch, als ich schon bei der x-ten Whisky-Cola angekommen war und ich überlegte, ob ich einfach nach Hause gehen sollte, da keine der Ladies meinen Vorstellungen entsprach und selbst dieses Vergnügen sich nun anschickte, sich zu den gewöhnlichen Ereignissen zu gesellen, sah ich SIE die Treppen des Eingangs herunter schreiten. Ich war mir vollkommen sicher, dass sie die Königin des Abends sein würde und ebenso sicher war ich mir, dass dies n
cht an den reichlichen Mengen Whisky lag, sondern, dass diese Frau zu jeder beliebigen Zeit alles in den Schatten stellen würde. Die aufkommende Langeweile, die ich an diesem Abend zum ersten Mal nach langer Zeit wieder verspürte, war bei ihrem Anblick wie weggeblasen. Meine ganzen Aktionen schienen nur ein Vorspiel für dieses wunderbare Geschöpf zu sein. Ihr lederner Mantel schlug sich leicht um ihre Taille und ihr divenhafter Gang beeindruckte nicht nur mich, wie mir die sabbernden Augen anderer Männer verrieten. Bei den Couchen angekommen, warf sie ihren Mantel achtlos über eine der Sitzgelegenheiten, stolzierte dann quer über die Tanzfläche und positionierte sich nur einige Schritte von meinem Hocker entfernt an der Bar. Mein Blick fiel auf ihre schwarzen Hotpants, kroch weiter über ihre von zerrissenen Netzstrümpfen gezierten Beinen und verfingen sich dann an der Oberfläche ihrer glänzenden Stiefeln. Ihr violettes Samttop schob sich nach oben, als sie sich über den Tresen beugte und ihre Bestellung abgab und machte den Blick frei, für eine nach meinem Geschmack ziemlich hässliche Tribal- Tätowierung. Aber schon schob sich ihr Oberteil wieder über ihre freie Rückenpartie und der einzige Makel, den man ihrem Körper anlasten konnte, entzog sich meinen Blicken. Dann machte sich die Schönheit auf den Rückweg über die Tanzfläche. Wieder dieser Gang, ja mehr ein Triumphzug als ein normales Voranschreiten. Ein Stolzieren, das bis in den letzten Winkel des Clubs ihre Wahrheit verkündete.

„Ich weiß, dass ich schön bin. Ich weiß, dass ich wunderschön bin.“

Ich verliebte mich sofort in ihre Selbstgefälligkeit und ihre offen zur Schau gestellte Arroganz. Ich konnte es kaum erwarten, wie ihr Gesicht mit der kunstvollen Hochsteckfrisur sich für einen Augenblick in Schmerz und Erschrecken verwandeln würde. Wie würde sich diese hochkonzentrierte arrogante Schönheit vermischen? Müsste nicht sogar der Schmerz vor dieser Schönheit seinen Hut ziehen und huldvoll zurückweichen?

Fragen ohne Antwort schossen durch mein Hirn.

Sie war mein Meisterstück - gewiss. Bei ihr musste meine Glut tiefer dringen, um ihre kühle Eisschicht, die sie umgab, zu zersprengen, um nicht an ihr zu erlöschen. Sie war eine der Frauen, die man nicht wagte anzusprechen. Eine, bei deren Anblick einem sofort die eigene Nichtigkeit in den Kopf steigt. Zuviel Schönheit sprach aus ihrer porzellanweißen Haut. Zuviel Distanziertheit aus ihrer kunstvollen Kühle. Ich bestellte mir einen Malt, um dem Anlass würdig zu huldigen, denn diese Frau hatte mehr verdient, als eine billige Whisky-Cola.

Als sie das erste Mal die Tanzfläche betrat, um sich die huldvollen Blicke von vielen Betrachtern einzusammeln, war ich bereits dabei, die schönste aller Zigaretten zu drehen, die je durch meine Finger vollendet wurde. Ich küsste dieses Meisterwerk an Geradlinigkeit und schlichter Eleganz. Dann begab auch ich mich auf die Tanzfläche, um ihr meine ganz persönliche Huldigung entgegen zu bringen oder besser wohl entgegen zu brennen. Ich ging nach dem mir bereits vertrauten Muster vor und ließ einige Lieder verstreichen, um mich mit ihrem Tanzstil vertraut zu machen. Ich wollte sie an ihrer rechten Seite treffen, dort wo zwischen Hotpants und Top ein Streifen empfindlicher Haut hervor schimmerte. Die Stelle sagte mir auf Anhieb zu, da die rechte Arschbacke, welche sich bei vielen anderen als die köstlichste Stelle erwiesen hatte, durch ihre Short unerreichbar war. Ich ahnte, dass es bei ihr nur einen Versuch geben würde, ja nur einen Versuch geben durfte. Denn es stand mir nicht zu, dieses Ebenbild an Eleganz und Arroganz durch eine verunglückte Aktion zu beleidigen. Als die Tanzfläche bei Marian gänzlich im Nebel verschwunden war, sah ich meine Chance gekommen und tanzte mich langsam an ihre Seite, zog noch einmal an meiner Zigarette, um ihr die bestmöglichste Glut darzureichen und streifte dann mit einer schnellen Bewegung meines linken Armes quer über ihre freiliegende Hautpartie. Durch eine unvorhergesehene Bewegung ihrerseits, schob sich jedoch ihr Körper der Glut entgegen und so drückte sich meine Zigarette tiefer in ihre Haut, als ich eigentlich beabsichtigte. Ein jähes Zucken und dann, ich konnte es kaum erwarten ... ihr Blick. Ihre Wangen verzogen sich. Legten ihre Zähne frei. Ihre Augen streiften die Meinen, dann fielen sie auf meine Zigarette herab ... und ... weiter und weiter zogen sich ihre Wangen nach außen. Bildeten feine Grübchen. Ihre Augen verzogen sich zu Schlitzen. Und plötzlich schrie mir aus diesem verformten Gesicht ein Lächeln entgegen, legte sich über meine Hoffnungen wie ein schmutziges Leichentuch. Ich war irritiert. Ein Lächeln? Meine ganze Hoffnung auf die Perfektion dieser Melange aus Schönheit, Erschrecken und Schmerz war verschwunden. Wie konnte sie mir nur einfach entgegen grinsen? Wie konnte sie, die ich zur edelsten Leinwand meiner verflutenden Bilder auserkoren hatte, die Vollendung dieses Abends durch ein Lächeln zerstören? Oder hatte ich etwa durch den Alkohol benebelt, den entscheidenden Augenblick verpasst? War ihr ekelhaftes Lächeln vielleicht nur die Folge des von mir ersehnten Ausdrucks und er war mir entgangen, verflogen, unwiederbringlich verloren? War dieser ersehnte Augenblick schon da gewesen, ganz dicht neben mir? Verwirrt tanzte ich weiter, ohne, dass ich noch auf den Rhythmus oder die Musik oder sonst irgendetwas geachtet hätte. Wut stieg in mir auf. Ich bewegte mich, weil ich nicht wusste, was ich sonst hätte tun sollen. Ich konnte mich nicht einfach wieder hinsetzen und so tun als wäre nichts gewesen. Dazu war ich zu enttäuscht über dieses nicht gewährte Bildnis. Der DJ vollzog nun auch noch zu allem Übel einen harten Kurswechsel und schwenkte von Bauhaus auf Dead can Dance um. Rüschenhemden und Samt strömten auf die Tanzfläche. Mir war nicht nach Romantik zumute. Ich wand mich um, blickte zu meinem nun besetzten Barhocker und überlegte, einfach zu gehen. Einfach die Stufen hinaufzueilen und in der Nacht zu verschwinden.

Plötzlich ein brennender Schmerz zu meiner Linken. Erschrocken fuhr ich herum und sah sie noch mit einem eleganten Linksschwung im Nebel verschwinden. Ich strich über meine schmerzende Seite, fuhr mit meinen Fingern über die rötlich glänzende Stelle, blickte dann auf mein durchlöchertes Netzteil, das der Hitze nichts entgegensetzten konnte. Meine verbrannte Haut schmerzte. Die Glut hatte sich mit voller Wucht in meine Flanke gegraben. Dies konnte unmöglich Zufall sein, es war ihre persönliche Rache, dessen war ich mir sicher. Ich ließ mir nichts anmerken und tanzte weiter. Meine Gedanken zu verschwinden, verflüchtigten sich. Auch wenn der DJ nun auf "For her light" von den Fields umschwenkte, was für meine Begriffe nicht unbedingt der Tanzflächenkracher ist, verließ ich den Ort nicht. Nun zu gehen hieß, sich eine Blöße geben und das wollte ich keineswegs. Ich schloss die Augen und bewegte mich, als wäre nichts geschehen. Ich tanzte und nach einigen Minuten hatte ich fast das Gefühl, es gäbe doch einen Rhythmus der es einem erlaubte, die endlosen Hymnen der Fields in Bewegung aufzulösen. Es war fast wie damals an jenem ersten Abend, als ich in träumerischer Unschuld auf jenes Geheimnis stieß.

Dann belehrte mich ein brennender Schmerz auf meinem linken Arm eines Besseren und katapultierte mich wieder in meinen Körper zurück. Aufs Neue hatte sich ihre Zigarette in meine Haut gebrannt. Nicht so tief wie beim ersten Mal, aber es genügte, um mir zu vergewissern, dass sich die Lady anscheinend nicht mit Auge um Auge zufrieden gab. Zwei zu Eins war der Kurs der getauscht wurde.

Ich blickte sie an, wie sie keine fünf Meter von mir entfernt, genüsslich an ihrer Filterzigarette zog. Wieder dieses überlegene Lächeln in ihrem weiß-gepuderten Gesicht. Wieder diese Wut in mir. Dieses Verlangen, diesen Gesichtszug umzuwandeln. Ganz gleich, ob Melange oder nicht. Einfacher Schmerz würde mir genügen. Alles, nur nicht dieses obszöne Lächeln. Doch auch sie schien noch nicht zufriedengestellt. Wieder sah ich sie mit glühender Zigarette auf mich zu schweben. Ich wich ihr aus und entkam ihrer Glut mit einem uneleganten Rechtsschwung. Meine Selbstgedrehte war abgebrannt und die Tanzfläche beinahe leer. Ich kramte nach Tabak und Papers und drehte eilig an meiner Verteidigung. Was sollte das werden? Ein Wettkampf? Ein Turnier? Meine Waffen waren den ihren unterlegen. Es schien mir wie der Kampf von Vorderlader gegen Schnellfeuergewehr, noch dazu wo ihre Filterzigaretten mit Brennverstärkern bestückt waren und ich nun feststellen musste, dass Tabak ohne Zusatzstoffe in manchen Situationen erhebliche gesundheitliche Nachteile mit sich bringen konnte. Bei Isolation setzte ich zum Angriff an, streifte sie aber nur an ihrem Top. Die nächste Runde ging eindeutig an sie und ihre Glut brannte sich durch mein Netzhemd auf die rechte Brust. Der Club und die übrigen Besucher wurden nun zu bedeutungslosen Statisten. Dieses Duell ging nur uns beide an. Wieder und wieder trafen wir aufeinander wie zwei Ritter in einem Turnier; doch auch wenn noch die eine oder andere Glut ihre Seiten streifte, so war das Ergebnis in seiner Eindeutigkeit unabänderlich. Ich war ihrer Schnelligkeit und Eleganz, sowie ihren Waffen hoffnungslos unterlegen und musste neidlos anerkennen, dass ich meine Meisterin gefunden hatte. Der Club war nun fast ganz leer und nur noch einige Besucher saßen gelangweilt an der Bar und an den Tischen, ohne unser sonderbares Duell zur Kenntnis zu nehmen. Fieberhaft überlegte ich, ob es diesen seltsamen Rahmen auch in ihrem Geist gab. War sie auch auf der Suche nach der Dichte des Augenblicks, der so unendlich schnell verfloss? Spürte sie auch die Langeweile des Daseins, die zu immer bizarreren Verdichtungen rief? War es auch ihr so, dass die Flut der Bilder, die austauschbaren Gesichter und die Perfektion nur noch Leere und Überdruss erzeugten und die einzige Verlockung darin bestand, andere Regungen aus den Poren der austauschbaren Gesichter herauszuquälen? Der Moment war nicht dazu angetan, weiter über ihre Beweggründe zu spekulieren. Wie ein geschlagener Ritter mit zersplitterter Lanze stand ich ihr gegenüber und während sie sich genüsslich eine neue Zigarette ansteckte und bereit war, dieses Spiel weiter zu spielen, ließ ich meine verkrüppelte und in aller Hast gedrehte Waffe vor ihre Stiefel fallen. Ihre Mundwinkel quittierten diese Kapitulation mit einem kurzen überlegenen Zucken. Dann blickte sie mir in die Augen, zog noch einmal an ihrer Zigarette und kam langsam auf mich zu. Ohne zu wissen warum - und ich muss gestehen, ich weiß es heute noch nicht streckte ich ihr meine Handflächen entgegen und formte mit ihnen den Pokal für die letzte Glut dieses Duells. Vielleicht war es die Ahnung, dass sie dasselbe suchte wie ich. Und wenn schon mein Rahmen an diesem Abend leer blieb, so sollte wenigstens der ihrige für einen Augenblick meinen Schmerz umrahmen. Sie ließ sich Zeit und kostete diesen Moment bis zur Neige. Noch einmal zog sie von ihrer Zigarette, aschte mit gekonnter Arroganz zu Boden und drückte dann ihre Glut ganz langsam in die Mitte meiner Handfläche, dort wo die Haut am empfindlichsten ist. Ich wollte schreien, meine Handflächen entfernen. Doch obwohl der Schmerz alle anderen Berührungen dieses Abends übertraf, weigerte ich mich, nach meiner Niederlage in diesem Duell, ihr auch noch diese Genugtuung zu verschaffen. Meine Lippen bibberten; bebten; aber blieben versiegelt. Kein Wort entwich ihnen. Nur meine Augen trafen nun ungeschützt die ihren und schrieen in entsetzlicher Lautstärke. Es war ein Leichtes für sie, in ihnen das zu lesen, was meine Lippen ihr verweigerten. Vielleicht zeichnete ihre Glut in meine Augen ebensolche Bilder von Schmerz und Schönheit, wie ich sie so oft genossen hatte. Vielleicht entzogen sich auch meine schreienden Augen dem Abbild einer späteren Erinnerung und waren deshalb so kostbar wie das tägliche Brot.
Ich hoffte, noch ein "Danke" aus ihrem Mund zu vernehmen, nachdem die Zigarette in meiner Hand erloschen war. Irgendein Wort, das diese Stille entschärft und uns vielleicht ermöglicht hätte, unsere Kommunikation fortzusetzen. Doch sie blickte mich nur an, zog ihre Augenbrauen nach oben und schwieg. Dann wandte sie sich um, griff nach ihrem Mantel und schritt die Stufen zum Ausgang hinauf, ohne sich noch einmal umzuwenden.

Klicke auf das Herz, wenn
Dir die Geschichte gefällt
Zugriffe gesamt: 2678

Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.

Gedichte auf den Leib geschrieben