Auf der Suche
Er streifte durch die verlassenen, nächtlichen Straßen der kleinen Stadt auf der Suche nach seinem Glück. Erst müsst er sein kleines finden, das durchaus im Bereich des Möglichen lag, dann sein großes, sein ganz großes, das er schon fast abgeschrieben hatte, aber die Hoffnung und der Wille trieben ihn an und ließen ihn weiter durch die einsamen Straßen schlendern, in einem Ort, den er freiwillig sicher nie aufgesucht hätte. . Er hatte kein Eile, aber ein klares Ziel. Er wusste, was er suchte, aber nicht, wo er suchen sollte, wo er fündig werden könnte. Es war nicht das erste Mal, dass er nachts durch die einsamen Straßen einer Stadt schlich, auf der Suche nach Leben, nach Gesellschaft, nach Abwechslung, nach dem Glück der schnellen, unkomplizierten Liebe. Ob er hier dieses Glück wirklich finden würde, war höchst fraglich. Höchstes sein kleines Glück, das sehr bescheiden war, das wäre mit weniger Problemen verbunden. Dieses kleine Glück wäre nichts anderes als ein kühles Bier mit einer herrlichen, weißen Schaumkrone, das nicht nur seinen Durst löschen sollte, sondern ihm auch ein wenig Trost bescheren könnte. Denn die nächste Stufe des Glücks wäre es, dieses herrliche Bier in angenehmer Gesellschaft zu trinken, mit jemandem reden zu können oder auch nur zuzuhören, was dieser Jemand zu sagen hatte, viel mehr müsste es gar nicht sein, nach dem er verlangte, nur nach dieser zweiten Stufe seines Glücks, sich einfach zu jemandem setzen, belangloses Zeug quatschen, das Bier in Ruhe genießen. Dann müsste er diese Nacht nicht schon wieder allein verbringen, ohne den Trost, den menschliche Gesellschaft spenden konnte. Doch selbst dieser einfache Wunsch war hier schwer zu erfüllen, weil es in dieser bescheuerten Stadt und um diese Zeit nur wenig Menschen gab, die man treffen konnte und noch weniger Möglichkeiten, wo man sie hätte treffen können. Es gab in dem Kaff nur wenig Lokale und die meisten waren schon geschlossen. Hier her verirrten sich keine Touristen, und wenn die Anwohner ausgehen wollten, fuhren sie in die Innenstadt der nahen Kapitale. Es war nicht einmal sehr weit bis dorthin, aber er hätte ein Taxi nehmen müssen, das wäre erstens teuer geworden und zweitens hätte er hier sicher keins auftreiben können. Busse fuhren jetzt nicht mehr. Per Anhalter? Auch das war schwierig, da kaum noch Autos auf den Straßen verkehrten und wie hätte er wieder zurückkommen sollen, in sein schäbiges Hotel? Nein, heute Nacht ging es nicht mehr, vielleicht morgen. Ja, morgen früh würde er mit dem Bus in die Innenstadt fahren, dort gab es Kneipen, Boutiquen, Tanzbars und Menschen, einsame, kontaktfreudige, zurückgezogene, aufdringliche, schüchterne, alles in Hülle und Fülle, es war schließlich die Hauptstadt, die Kapitale. Aber hier, in diesem mickrigen Vorort, diesem elenden Kaff, das sich Stadt nannte, gab es so gut wie gar nichts.
Und trotzdem wollte er genau hier sein Glück finden, das ganz große Glück. Fast hatte er die Hoffnung schon aufgegeben, doch dann hatte er sich doch noch einmal aufgerafft, einen letzten Versuch gewagt, um eine Frau zu treffen, mit der er die restliche Nacht verbringen konnte. Eine, die er noch nicht kannte, die er aber schon lange suchte, eine, die er unbedingt noch in dieser Nacht finden musste. Das redete er sich jedenfalls immer wieder ein, weil die Zeit, die ihm dafür zur Verfügung stand, unerbittlich verrann. Noch vor Kurzem hätte man ihn als reich bezeichnen können, wenn man nur die zur Verfügung stehende Zeit betrachtet hätte. Zeit hatte in diesem Urlaub reichlich gehabt, aber wirklich nur Zeit, alles andere war fast von Anfang an Mangelware gewesen. Menschen, mit denen er hätte reden können, Frauen, die er hätte lieben können und sein Geld, das ihm dabei hätte sehr nützlich sein können, war durch diese blöden Umstände auch zu einer Mangelware geworden. Und genau diesen Mangel suchte er zu beheben, genau das war seine Glückssuche. Nicht das Geld, das konnte er hier nicht finden, er musste vielmehr aufpassen, dass er das bisschen, das er noch hatte, nicht verlieren würde. Auch die Suche nach Zeit war illusorisch. Zeit kann man weder finden, noch kaufen, noch eintauschen oder leihen. Man hat seinen Vorrat von Geburt an und der zerrinnt unaufhaltsam, manchmal gefühlt langsamer, manchmal schneller. Als er ankam, hatte er einen reichlichen Vorrat und verplemperte ihn weitgehend, und jetzt fehlte sie ihm, war eine Mangelware geworden, denn in zwei Tagen war der Urlaub zu Ende, die mitgebrachte Zeit endgültig verloren, am späten Abend des übernächsten Tages fand der Rückflug statt, zurück in die kalte Heimat und in die Einsamkeit. Es blieben ihm nur noch Stunden, um sein großes Glück zu finden und das war verdammt wenig, das wusste er, daher seine Unruhe, obwohl er eigentlich gar nichts verpasste, weil es nichts zu verpassen gab.
Gegen Abend hatte er in einem kleinen Restaurant das Übliche gegessen, Huhn, Reis, Bohnen. Es hatte ihm ohne Gesellschaft nicht geschmeckt. Was kann man erwarten, wenn man vor einem trostlosen Essen sitzt, dumpf vor sich hin stiert, mit der Gabel herum stochert, einen Happen in den Mund schiebt, lange, sehr lange kaut, langsam schluckt und dann mit einem Schluck ekeliger, süßer und dazu noch warmer Limonade nachspült. Dann der nächste Bissen, dieselbe Prozedur. Langsam essen, um dieses Übermaß an Zeit, das er nicht hatte und doch hatte, zu bekämpfen? Aber irgendwann war der Teller leer, die Flasche leer, es gab nichts mehr zu kauen, nichts zu schlucken, keine Tätigkeit mehr, mit der er die Einsamkeit und die Langeweile an diesem Ort hätte vertreiben können und so hatte er schließlich gezahlt, war aufgestanden und hinaus in die Nacht gegangen. Nun streifte er also durch die leeren Straßen, die genauso wenig Ablenkung boten, wie das langweilige Restaurant oder sein bescheuertes Hotel. Kaum war er draußen, hängte der Kellner auch schon das Schild „geschlossen“ in die Glastür. Er wanderte weiter und immer weiter und durch seinen Kopf ging immer wieder das Wort „Scheiße“. Dieses Wort, der dringende Wunsch nach einem Bier, der weniger dringende Wunsch nach Gesellschaft und der alles übertönende, höchst präsente Wunsch nach der körperlichen Nähe einer Frau, waren die einzigen Dinge, an die er dachte, alles andere war verdrängt und in die tiefen Regionen seines Gehirns verschoben worden.
Seine Wünsche peinigten ihn und er hätte, um sie zu befriedigen, sogar sein ganzes restliches Geld für einen kurzen Spaß geopfert. In dem Restaurant mit dem mäßigen Essen hatte es nicht einmal Bier gegeben, nur pappige, klebrige, süße Limonade, eine Zumutung für seinen Gaumen. Bier sei leider, leider heute gerade ausgegangen, hatte der Kellner mit großem Bedauern festgestellt, der Heuchler, als ob es sonst welches gäbe, und es gäbe keine Möglichkeit, wirklich keine, fügte er Achsel zuckend hinzu, Nachschub zu besorgen, das sei die Wahrheit, so leid es ihm tue, wirklich unmöglich. Für ihn war es aber Mangelwirtschaft, Vetternwirtschaft oder reine Vergesslichkeit dieses Scheinheiligen, was auch immer. Er hatte geflucht, aber ändern konnte er die Lage nicht. Sein Hotel hätte die Rettung sein können, dieser Hafen der Gestrandeten, dieser Hort der Enttäuschten, Leute, die noch etwas Geld hatten, wohnten hier nicht. In diesem Schuppen gab es sogar eine Bar, dort gab es Bier und Schnaps und auch Menschen, die vielleicht froh waren, wenn man mit ihnen redete, auf jeden Fall aber, wenn man ihnen einen ausgab. Aber darauf hatte er keine Lust. Er wollte nicht ständig von Typen angeschnorrt werden, die ihm nicht zusagten. Er hatte keinen Bock auf die Gesellschaft von Schiffsbrüchigen, Absahnern, Abzockern und auch nicht auf das enge, dunkle Zimmer, das ihn traurig stimmte und zugleich aggressiv machte,, wenn er es betrat, um eine weitere einsame Nacht zu verbringen. Dort logierten die armen Schlucker, die nicht genug Geld hatten, sich ein anständiges Hotel in guter Lage, in der Innenstadt zum Beispiel, zu leisten und es ärgerte ihn, dass er nun auch zu denen gehörte, zumindest zeitweise, zumindest so lange, wie er noch auf seinen Rückflug warten musste. Mit denen wollte er seine letzten Tage nicht verbringen, mit denen nicht, mit dieses heimatlosen Gesellen, diesen no-have-people, die ihrerseits wieder allerlei andere Aasgeier magisch anzogen, solche, die versuchten, sogar noch in dieser Umgebung und mit diesem heruntergekommenen Publikum auf ihre Kosten zu kommen, die versuchten, die letzten Münzen der armen Schweine abstaubten und ihnen die letzten Scheine aus dem Portemonnaie zu ziehen. Dann lieber kein Bier, dann lieber allein durch die tote Stadt pilgern, auf der vergeblichen Suche nach Ablenkung, nach Gesellschaft, nach der Erfüllung, auf die er immer noch hoffte, auf das, was man auch Liebe nannte, Aber wenigstens sein kleines Glück, das schäumende, kühle Bier musste er finden.
La Discoteca San Firmin
Die Straßen waren schlecht beleuchtet. Eine glich der anderen. Schmale Straßen mit Schlaglöchern, Bürgersteige mit hohen Kanten, niedrige, einstöckige Häuser, vereinzelt Wohnblocks und Brachflächen. Alles war austauschbar, langweilig, nichtssagend und die Straßen menschenleer. Unzufrieden und frustriert wollte er dann doch lieber zurück in das ärmliche Hotel, zu der fragwürdigen Gesellschaft, in die Bar, in der es immerhin Bier gab. Er war inzwischen in ein Viertel gekommen, in dem er bisher noch nicht gewesen war, ziemlich entfernt von seinem Hotel. Hier war es auch nicht einladender, als dort, wo er schon gewesen war, doch kurz bevor er wieder zurückgehen wollte, sah er etwas, das ihm Hoffnung machte. Es war der Widerschein von zuckendem, farbigen Licht auf ein paar Hauswänden am Ende einer Querstraße. Er ging darauf zu, und als er schließlich abbog, weil die Straße endete, sah er nicht nur die Lichtquelle, hörte auch deutlich das tiefe Wummern von Bässen. Es war tatsächlich eine Diskothek, ein Ort der Begegnung, ein Ort mit Menschen, das an einem kleinen Platz stand. Es war ein ganz normales Haus, weder aufregend noch einladend, fast eine längliche Baracke, aber mit einem breiten Eingang, der durch ein flackerndes Neonlicht hell erleuchtet wurde. Über der Tür stand „Discoteca San Firmin“, ein komischer Name für eine Diskothek, dachte er, aber dann sah er das Straßenschild, sah dass der kleine Platz, der am Ende in einen kleinen Park mit ein paar Bäumen und Büschen und einer kärglichen Grünfläche überging, „Plaza San Firmin“ hieß. Ein Heiliger versprach ihm, bei seiner Suche nach dem Glück zu helfen, denn er war sofort überzeugt, dass dies der einzige Ort weit und breit war, wo er das finden konnte, was er suchte. Er betrat das Lokal und der infernalische Lärm, der ihm entgegen schlug, hätte ihn fast sofort wieder hinaus getrieben, aber der Wunsch endlich sein Glück zu finden, die Gier auf das, was er die ganze Zeit schon suchte war stärker und so zwang er sich, zu bleiben. Denn das Eine, das er brauchte, gab es hier mit Sicherheit. Er stellte sich an die Theke und bestellte endlich das heiß ersehnte Bier. Es war kalt und köstlich, auch wenn die Schaumkrone nicht zu sehen war, denn er trank mit gierigen, großen Schlucken direkt aus der Dose, und ließ dem Ersten gleich ein Zweites folgen. Erst dann sah er sich etwas gründlicher in dem dunklen, langgestreckten Saal um. Er war der Einzige, der sich an der Theke aufhielt, überhaupt war der Laden nur schwach besucht. An einigen Tischen saßen ein paar Personen, die er im Halbdunkel nicht richtig erkennen konnte, aber sehr jung einschätzte, Ältere würden es hier vermutlich nicht sehr lange aushalten. Auf der Tanzfläche, die auf einer Bühne an der Stirnseite war, herrschte etwas mehr Betrieb. Ein paar junge Chicas in knappen, kurzen Kleidern, drehten sich und wackelten mit ihren Hintern, sie waren umgeben von Knaben, die ihnen nur zusahen und ab und zu durch ein gewisses Imponiergehabe auffielen, indem sie ihre Becken und auch die Hintern obszön bewegten. Junges Gemüse, unreife Teenies, die auf der rot beleuchteten Bühne, regelmäßig von den Strahlen eines kreisenden Suchscheinwerfers für kurze Augenblicke hell angeleuchtet wurden, Sie kreischten und wurden von einem Animateur angefeuert, der unverständliche Laute in sein Mikrofon bellte und die überlaute Popscheiße sogar noch übertönte. Er beobachtete die Tanzenden eine Weile, die tatsächlich nichts anderes taten, als mit ihren Hintern zu wackeln und die Blicke der jungen Männer auf ihre heißen Körper zu lenken und sie mit möglichst eindeutigen, vielversprechenden Gesten und Bewegungen zu fesseln. An die dort oben könnte er sich bestimmt nicht heranmachen, die waren selbst für ihn zu jung, der junges Gemüse ja durchaus mochte, zu jung, zu hibbelig und nur mit sich selbst beschäftigt. Noch ein Bier, entschied er, aber danach wäre die Schmerzgrenze erreicht, dann würde er es hier nicht länger aushalten, dann würden seine Ohren den Lärm nicht mehr ertragen und länger beobachten wollt er das, was die da auf der Bühne für Tanz hielten, auch nicht. Ein Bier, dann würde er gehen, sich dieser Tortur, diesem Angriff auf seine Ohren nicht länger aussetzen. Im Saal war niemand, mit dem er hätte reden können, die Menschen an den Tischen waren alles Pärchen, die ebenfalls ausschließlich mit sich selbst beschäftigt waren, wie er bei genauerem Hinsehen herausgefunden hatte. Es war wohl auch sinnlos noch länger zu warten und zu hoffen, dass noch mehr Publikum und vielleicht auch noch seine Traumfrau kommen würde. Es war nicht nur sinnlos, es wäre bei diesem Krach schier unmöglich gewesen. Also wieder eine Enttäuschung, aber was sollte er machen.
Doch als er das Bier getrunken hatte und sich schon zum Gehen aufraffen wollte, fiel ihm eine kleine Gruppe im dunkelsten Teil der Disko auf, an der anderen Stirnseite des Saales, durch dekoratives Grünzeug vom restlichen Teil abgetrennt. Dieser Bereich war von seinem Platz an der Bar aus nur schwer einsehbar und er hätte gar nicht vermutet, dass dort auch noch Leute saßen. Er war aufmerksam geworden, weil sie angefangen hatten, laut miteinander zu reden, sehr laut, es war mehr als nur reden, es war schimpfen und schreien. Es interessierte ihn natürlich, was dort los war und so blieb er noch an der Bar sitzen und zwang sich, den Lärm noch eine Weile zu ertragen. Er erkannte zwei Mädchen und ein Mann, die dort an einem Tisch saßen, weil sie immer wieder für wenige Sekunden von dem umherschweifenden Strahl des Suchscheinwerfers deutlich beleuchtet wurden. Die beiden Mädchen sahen jung aus, die eine mit schwarzen, schulterlangen, lockigen Haaren, die andere mit kurzer, strohblonder Mähne. Gefärbt dachte er, hier waren alle Blondinen gefärbt. Aber die Schwarzhaarige sah ganz passabel aus, sogar mehr als passabel, nachdem er sie eingehender betrachtet hatte, sie gefiel ihm. Der Mann war nicht so gut zu erkennen, er war aber deutlich älter als die beiden, ein gedrungener Machotyp mit Tätowierungen auf den muskulösen Oberarmen. Seine Haare waren steil in die Höhe gekämmt und wurden von viel Gel stabil gehalten. Er stellte rasch fest, dass die beiden Mädchen heftig miteinander stritten und sich immer wieder laut anschrien, dass sie kurzzeitig sogar die Musik übertönten. Er wartete darauf, dass der Macho den Streit schlichten würde, doch der tat es nicht. Stattdessen packte er nach einiger Zeit die Blonde, durchquerte mit ihr den Saal und zerrte sie auf die Bühne, verfolgt von den wütenden Rufen der zurückgebliebenen Schwarzhaarigen. Auf der Bühne, abseits von dem Stehkreis der Hinternwackler, die den Streit gar nicht zur Kenntnis nahmen, sich absolut für nichts zu interessieren schienen, was außerhalb ihrer Sphäre war, begannen die beiden im permanenten Rotlicht und dem flackernden, grellen Spotlicht der kreisenden Scheinwerfer demonstrativ langsam und eng umschlungen zu tanzen. Sie waren geradezu ineinander verkeilt, nur noch ein Wesen, statt zwei. Die Arme des Mannes lagen auf dem schmalen Rücken seiner Partnerin und seine Hände begrapschten unaufhörlich ihre kleinen Pobacken. Nach einer Weile fuhr er mit einer Hand sogar in den Bund ihrer Jeans und setzte seine Knetarbeit vermutlich auf der nackten Haut fort. Das schien dem Mädchen zu gefallen, denn es lächelte selig und drückte sich noch enger an ihn und stellte eines ihrer Beine in seinem Schritt, um seinen private parts ganz nahe zu sein. Ihre Arme umschlangen den Oberkörper des Mannes, dann standen sie fast ganz still, drehten sich nur noch sehr langsam um die eigene Achse und küssten sich lang und intensiv. Ihre offenen Münder klebten aufeinander, als hätten sie sich festgesaugt wie zwei Blutegel. Drehen, küssen, saugen, grapschen, knutschen, die perfekte Show für Voyeure, jedenfalls beste Unterhaltung für den einsamen Voyeur an der Bar, der sie gebannt anstarrte. Fehlte nur, dachte er, dass sie noch anfingen, auf offener Bühne zu bumsen. Dann löste er aber doch den Blick von diesem seltsamen Liebespaar und schaute auf die zurückgelassene Schwarzhaarige. Sie sah dem Treiben der beiden ebenfalls zu, aber nicht neugierig oder gar sinnlich erregt, sondern entsetzt, wütend, ärgerlich, vermutlich voller Eifersucht. Ihr Gesicht, und vor allem ihre Augen sprachen Bände. Er fragte sich, ob die beiden auf der Bühne ihre Show nur abzogen, um dieses Mädchen zu ärgern, denn sie warfen immer wieder Blicke in ihre Richtung und grinsten dabei hämisch. Was für ein grandioses Eifersuchtsdrama, das sich da abspielte, was für ein hoch erotisches Geknutsche auf der Bühne und welch perfide Demütigung musste dieses junge Mädchen erleiden. Sie tat ihm wirklich leid. Dann hatte sich der Macho offensichtlich abreagiert oder genug aufgegeilt oder was auch immer, jedenfalls stieß er seine Partnerin abrupt von sich, löste sich aus der Verstrickung, der Verknäulung, der Umschlingung, packte sie wieder am Handgelenk und zerrte sie zurück zu ihrem Platz hinter dem Grünzeug. Dort empfing die eifersüchtige Schwarzhaarige ihre Rivalin samt Partner mit neuen, lautstarken Tiraden, redete heftig auf die beiden ein und im Nu waren nun alle drei wieder in einen heftigen Disput verwickelt, heftiger noch als zuvor, vor der Bühnenshow. Aber diesmal war rasch Schluss, denn ganz plötzlich stand die Dunkelhaarige auf und lief quer durch den Saal auf den Ausgang zu. Der Macho lachte, packte wieder die Blonde, zerrte sie erneut auf die Bühne, aber diesmal tanzten sie ganz normal, es war ja niemand mehr da, den sie ärgern mussten. Für den Voyeur jedoch hatte der rasche Abgang des Mädchens tiefgreifende Folgen. Er hatte bisher nur ihr Gesicht gesehen, es war hübsch, ein schwarzhaariger Engel, aber in den wenigen Augenblicken, als sie durch den Saal eilte, ganz dicht an ihm vorbei lief, ihn fast berührt, sah er sie in ihrer ganzen Schönheit, sah er ihr helles Kleid, das auf der Mitte der Oberschenkel endete, sah ihre schlanken Beine, sah ihre grazile Figur. Sie kam ihm vor wie ein Wesen aus einem Märchen, wie eine Elfe, dachte er, aber vor allem sah er, dass dieses junge Mädchen, einen höchst attraktiven, ziemlich großen Busen hatte, der in ihrem ausgeschnittenen Kleid sehr gut zu Geltung kam. Sie war genau sein Typ. Es war das Mädchen, das er schon die ganze Zeit, seit er in diesem Land war, vergeblich gesucht hatte. Er musste ihr folgen, keine Frage.
Rasch bestellte er noch eine Dose Bier, öffnete sie aber nicht, sondern nahm es mit ins Freie, in die milde, kühle Abendluft, in die stressfreie Zone des Platzes „San Firmin.“ Zunächst war er nur froh dem Lärm entronnen zu sein, doch sofort suchte er den Platz nach dem Mädchen ab. Er hoffte, dass sie sich noch in der Nähe aufhielt und nicht gleich voller Frust nach Hause gelaufen war. Er sah sie aber nicht und war enttäuscht, als ob er einen Anspruch auf sie hätte, als ob sie sich mit ihm verabredet hätte. Vielleicht müsste er aber nur ein Weilchen warten, bis sie wieder auftauchte, abwarten und Bier trinken. Er sah sich nach einem geeigneten Platz um, nach einer Bank, einer Mauer, wo er sich hinsetzten und den Platz und die Disko in aller Ruhe beobachten konnte. Das war nicht schwierig, weil der Eingang der Disko hell beleuchtet war, die Straßen aber nur durch ein paar vereinzelte Straßenlampen notdürftig erhellt wurde und der kleine Park mit den paar Bäumen und Büschen ganz im Dunkeln lag. Er fand nichts Geeignetes und ging in Richtung des Parks, weil er vermutete, dort ein paar Bänke zu finden. Und da sah er sie, erst als heller Fleck fast am Ende des Parks auf einer Bank. Er erkannte sie sofort wieder an dem hellen, kurzen Kleid und an den lockigen Haaren. Er ging langsam auf sie zu, und als er die Bank erreicht hatte, fragte er, ob er sich neben sie setzen dürfe. Sie sah ihn ohne Überraschung an, so als habe sie ihn erwartet, und nickte. „Hallo! Was machst du hier so spät?“, fragte sie müde. „Ich bin aus der Disko geflohen, der Lärm war unerträglich, jetzt suche ich etwas Ruhe und überlege, was ich mit dem Rest der Nacht anfangen soll“. Sie antwortete nicht und so fuhr er fort. „Ich bin aber nicht nur vor dem Lärm geflohen, ich habe gesehen, wie du wütend die Disko verlassen hast und weil ich dich schon lange gesucht habe, bin ich dir nachgegangen und jetzt habe ich dich endlich getroffen. Schön, dass du auf mich gewartet hast.“ Das Mädchen lachte nun leise. „Du kennst mich doch gar nicht. Du kannst doch gar nicht wissen, dass ich hier auf dich warte.“ “Doch”, sagte er, “ich wusste, dass ich dich heute Nacht treffen werde. Du bist mein Schicksal. Glaube mir, ich suche dich schon seit Langem, seit ich in diesem Land bin, und heute habe ich dich endlich gefunden. Du glaubst gar nicht, wie ich mich freue..“ Das Mädchen schaute ihn ungläubig an und lachte nun ziemlich verlegen. „Du redest Unsinn. Ich bin nur hier, weil mich mein Freund in der Disko betrogen hat. Du hast ja selbst gesehen, dass er mit meiner besten Freundin getanzt hat, mit dieser Kuh, die einmal meine beste Freundin war. Nicht ein einziges Mal hat er mit mir getanzt. Und dann hast du sicher auch gesehen, wie sie mit meinem Freund getanzt hat, als wollte sie ihn auf der Bühne vögeln. Das hat sie nur gemacht, um mich zu ärgern und mich eifersüchtig zu machen. Und das hat sie auch geschafft, diese Hure. Und als sie dann wieder kamen, hat sie mich gefragt, wie es mir gefallen habe und dass ich jetzt meinen Freund abschreiben könne. Und er, dieses Arschloch hat gelacht und genickt und gesagt, er brauche mich nicht mehr und ich solle verschwinden. Das konnte ich nicht länger ertragen, musste mich beruhigen, deswegen bin ich hier. Ich wollte nicht noch einmal zuschauen, wie sie sich auf der Bühne befummeln und fast schon vögeln. Ich bin nicht hier, weil ich dich treffen wollte, das kannst du mir glauben. Ich kenne dich ja gar nicht und ich habe keine Ahnung, was du von mir willst.“
Er hatte sich neben das Mädchen gesetzt, die Dose geöffnet und ihr einen Schluck angeboten, den sie gerne nahm. Sie trank und signalisierte damit weitere Kontaktbereitschaft. Er betrachtete sie, seine Augen hatten sich an das Halbdunkel gewöhnt. Sie sieht aus wie ein Engel, dachte er, ihr Gesicht mit den schwarzen Locken, so jung, so unschuldig und die Figur so schlank, wie eine Elfe, ein Engel und eine Elfe. Nur ihr Busen passte nicht zu einem Engel und auch nicht zu einer Elfe. Dieser Busen, den er nun aus der Nähe betrachten konnte, dessen schöne Halbkugeln deutlich in dem Ausschnitt des Kleides sichtbar waren. Ein faszinierender Anblick, von dem er sich kaum lösen konnte. „Ja, ich rede Unsinn,“ gab er zu, „aber ich habe dich in der Disko beobachtet, du hast mir gleich sehr gefallen, weil du so hübsch bist. Und jetzt gefällst du mir noch mehr, weil du dir nicht alles gefallen lässt. Ich kann nicht verstehen, dass dich dein Freund verlassen hat. Das ist doch dieser Typ mit den Tätowierungen? Ich hätte an seiner Stelle den ganzen Abend nur mit dir getanzt, mein ganzes Leben lang, nur mit dir.“ Das Mädchen lachte wieder, es fühlte sich offensichtlich geschmeichelt und senkte bescheiden ihren Kopf. Es war aber immer noch ein trauriges Lachen, und als sie den Kopf wieder hob und ihn ansah, bemerkte er Tränen in ihren Augen. Solche emotionalen Ausbrüche lösten in ihm immer einen Beschützerinstinkt aus. Er hätte dieses traurige Mädchen am liebsten in seine Arme genommen und sie getröstet und geküsst. Sie war so hilflos und zugleich so verführerisch. Ihr Gesicht, ihr Mund, alles war so verführerisch, vor allem dieser Busen. Er hätte sich sofort auf sie stürzen wollen und dachte, dass es gar nicht verwunderlich sei, wenn Männer beim Anblick mancher Frauen durchdrehen und die Kontrolle verlieren. Das war bei ihm aber nicht der Fall, er konnte sich beherrschen, obwohl er ausgehungert war, was Frauen betraf, unbefriedigt. Er war längst nicht auf seine Kosten gekommen, seine Träume und die Erwartungen an diese Reise hatten sich längst nicht erfüllt. Aber er fasste sie natürlich nicht an, versuchte sie nicht zu küssen, stattdessen gab er ihr ein Papiertaschentuch, damit sie ihre Tränen trocknen konnte und überlegte krampfhaft, wie er seinem Ziel dennoch näher kommen könnte, denn mit dieser jungen Frau ins Bett, das wäre schon das ganz große Glück. Sie nahm das Taschentuch dankbar an, trocknete ihre Tränen, schluchzte noch ein paar Mal, dann stand sie auf und sagte, „ich muss jetzt wieder gehen, in die Disco, zu meinem Freund und zu meiner Freundin.
Er verstand die Welt nicht mehr. Was für ein Mädchen, dachte er, geht die doch tatsächlich zu den beiden zurück, obwohl die sie so schäbig behandelt hatten. Kaum zu glauben, hatte sie soviel Großmut oder ist sie nur fürchterlich dumm, ganz einfach strohdumm, saudumm? Oder war sie von diesem Mann abhängig, sexuell abhängig, finanziell abhängig, emotional abhängig, dass sie alles durchgehen ließ, alles akzeptierte, alles, was er tat, verzeihen musste, selbst wenn sie sehr litt, nur damit er bei ihr blieb oder sie bei ihm bleiben durfte, was wohl eher der Fall war. Sie hatte einen total beschissenen Freund und konnte ihn trotzdem nicht verlassen. Da war doch für ihn, den einsamen Fremden mit den eindeutigen Absichten, kein Platz mehr. Schade. Sie war aufgestanden, hatte sich für das Taschentuch bedankt und ging nun langsam in Richtung Disko. Er war nun doch sehr enttäuscht, denn das Mädchen hatte ihm wirklich gut gefallen, sie war sein Traum, obwohl sie viel zu jung war und voll mit eigenen Problemen, aber trotzdem. Er sah ihr nach, versuchte sie nicht aufzuhalten. Sah, wie sie mit leicht wiegenden Schritten, aufreizend, mit wippendem Saum ihres kurzen Kleides durch die Nacht zum Licht hin ging. Ein schönes Mädchen, dachte er, mit schönen Bewegungen, ein Engel, der davon schwebte. Noch während er ihr resigniert nachschaute, geschah ein kleines Wunder. Das Mädchen blieb stehen, dreht sich zu ihm um, kam sogar noch ein paar Schritte zurück und rief: „Du gefällst mir und ich möchte dich gerne wiedersehen. Jetzt geht es aber nicht, wenn mich mein Freund mit dir erwischt, schlägt er mich tot. Morgen früh, um zehn, hier, auf diesem Platz. Wirst du kommen?“ Er war überrascht, damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. „Natürlich werde ich kommen. Ich freue mich riesig. Bis morgen.“ Dann drehte sie sich um und war kurz darauf wieder in der Disko verschwunden. Voller freudiger Erregung und mit neuer Hoffnung ging er langsam zu seinem Hotel zurück.
Yoani
Dort angekommen suchte er sogleich die Bar auf. Er brauchte etwas zu trinken, zur Beruhigung, so aufgeregt war er. Das Mädchen mit den traurigen Augen und dem großen Busen ging ihm nicht aus dem Sinn. Er ärgerte sich, dass er sie nicht einmal nach ihrem Namen gefragt hatte. Er war so aufgeregt, dass er kein Bier, bestellte, sein Standardgetränk für alle Lebenslagen, sondern ein großes Glas Rum. Der Barkeeper, ein kleiner, glatt gekämmter Typ mit großer Nase und einem großen Leberfleck an der Schläfe, schaute ihn erstaunt an, schob ihm aber das Glas zu, ohne nachzufragen. Während er trank, überlegte er, wie er den nächsten Tag gestalten sollte, was er mit seiner neuen Freundin alles machen könnte. Aber war sie nicht viel zu jung für ihn? Anders herum gefragt, war er nicht viel zu alt für dieses junge, unerfahrene, liebe Ding? Was könnte er ihr bieten, um sich für sie attraktiv zu machen? Ein Einkaufsbummel im Zentrum? Gut essen gehen in einem schicken Lokal? Nein, das waren alles nur Träume, dafür würde sein Geld nicht mehr ausreichen, das bisschen, das ihm für diese letzten Tage noch geblieben war. Blieb nur ein Spaziergang auf einer der prächtigen Avenuen oder ein gemeinsamer Bummel durch die Gassen der Altstadt. Aber das konnte ihr nicht genügen, das konnte ein junges Mädchen nicht begeistern und für einen alten Mann einnehmen, da war er sich sicher. Das was sie erwartete, warum sie sich überhaupt mit ihm verabredet hatte, war doch sonnenklar. Sie wollte Geschenke, sie wollte eingeladen werden, zumindest versprach sie sich Geld. Keine Liebe ohne Geld, das war eine Art Naturgesetz. Also würde er ihr das nicht bieten können, was sie erwartete, dann wär sie enttäuscht, wäre beleidigt, würde vielleicht heulen, das alles wäre sehr unangenehm, dann wäre nicht nur der Tag verdorben, sondern auch die Nacht, von der er ja auch noch einiges erwartete, viel erwartete, warum sollte er sich mit dieser Chica sonst einlassen. Wäre es nicht besser, sie nicht zu treffen, sie einfach zu versetzen, gar nicht zur Plaza San Firmin zu gehen? Reichte es nicht, von ihr zu träumen, sich vorzustellen, was alles möglich wäre? Könnte er nicht schon allein mit der Möglichkeit zufrieden sein, was er ihr alles hätte bieten könnten und was sie im Gegenzug aus reiner Dankbarkeit, nein nicht aus Dankbarkeit, aus reiner ehrlicher Liebe zurückgeben würde? Wäre die Illusion nicht viel schöner als die Realität? Nein, er schüttelte vehement seinen Kopf, das war Blödsinn, das reichte nicht, das Leben war keine Illusion..
Ein weiteres Glas Rum musste helfen, seine Gedanken zu ordnen und seine Entschlussfreudigkeit wieder herzustellen. Doch plötzlich bekam er Angst, dass das Mädchen nicht kommen würde, das sie das Versprechen nicht ernst gemeint haben könnte. Wenn sie wirklich nicht kommen würde, was dann? Wenn sie ihn verarscht hatte und gar nicht daran dachte, sich mit ihm zu treffen, gar kein Geld wollte, keinen Bedarf nach Geschenken hatte und noch weniger nach einem Mann, weil sie mit dem, den sie hatte, schon nicht klar kam, was dann? Vielleicht wollte sie ihn aber auch nur necken oder heißmachen und ihn dann versetzen? Was wollte er machen, wenn sie, diese junge Katze, nur ihr Spielchen trieb mit dem alten, geilen Ausländer? Er wollte auf einmal gar nicht mehr glauben, dass sie tatsächlich zugesagt hatte, sich mit ihm am nächsten Morgen wieder zu treffen. Es war sinnlos zu glauben, dass sie beide den Tag für sich haben könnten, nur sie beide, ohne diesen widerlichen Freund. Aber wenn sie mit dem nicht zufrieden war, würde sie doch eher einen anderen jungen Mann suchen und nicht einen dieser alten, geilen Säcke, die nur vorhatten, junge Weiber zu vernaschen und sie dann fallen zu lassen. Aber diese alten Säcke hatten viel Geld, die attraktiven muchachos wollten dagegen von den muchachas Geld. Das war der große Unterschied. Diese Zuhälter wollten doch nur, dass die Chicas gefälligst das Geld von den Ausländern besorgten und es ihnen gaben und das ständig, immer wieder. Die Ausländer waren nur ein paar Tage hier, dann hatten die Chicas wieder Ruhe. Solch ein Zuhältertyp war dieser Freund bestimmt auch, so wie der aussah, so wie der ihre Freundin vernaschte. Die alten Säcke ausnehmen, so lief das hier und nur deswegen hatte sie sich mit ihm verabredet. Wie konnte er das nur vergessen haben, aber wenn man verliebt ist, ist man blind und er hatte sich in dieses Mädchen verliebte, obwohl er sie ja kaum gesehen, kaum mir ihr gesprochen hatte. Manchmal ging es schnell mit der Liebe, auch noch in seinem Alter oder gerade, weil man dann jede gute Gelegenheit, die sich einem bot, gleich am Schopf ergreifen musste.
Es fiel ihm schwer, sich von all diesen Gedanken zu befreien, die nur um dieses Mädchen kreisten, die in ihm einen diffusen Glückszustand auslösten, obwohl er noch gar keinen richtigen Grund hatte, denn noch war nichts sicher. Es war nichts anderes als eine Erwartungseuphorie, die ihn plötzlich gepackt hatte, neue Hoffnung nach all dem Warten und nach all den Enttäuschungen, die ihn bisher heimgesucht hatten. Er musste sich zwingen, an etwas anderes zu denken. Ein weiteres Bier würde seine Gedanken wieder ordnen und neu beflügeln. Während er es genüsslich trank, wurden sie wieder positiv und versetzten ihn in eine wohlige, flauschige Stimmung. Alles war wieder im Lot, alles machbar. Sie würde kommen, weil sie kommen musste, weil sie viel mehr von ihm erwartete, als er von ihr. Sie würde kommen und es würde ein schöner Tag werden, dem eine noch schönere Nacht folgen würde. Aber jetzt brauchte er Ruhe und Schlaf. Es war an der Zeit in sein kahles Zimmer gehen, zu schlafen, zu träumen, um am nächsten Tag für sein neues Glück bereit zu sein, für diese junge Frau, die ihm den Kopf verdreht hatte und ihn noch vollends verrückt machen würde. Ein Glück zum Anfassen und zum Anschmiegen, nicht nur zum Träumen. Als er das Geld aus seiner Börse nestelte, um endlich zu bezahlen und zu gehen, stellte er mit Schrecken fest, wie wenig es tatsächlich noch war, aber das war ja keine neue Erkenntnis, nur störte sie seine Pläne mächtig. Er legte das Geld auf den Tresen, ohne ein Trinkgeld zu geben, stand auf, murmelte etwas in Richtung Barkeeper und wollte sich auf den Weg in sein Zimmer zu machen, aber es gelang ihm nicht. Es gelang ihm deswegen nicht, weil genau in dem Moment, als er leicht schwankend den sicheren Halt an der Theke aufgeben wollte, eine Frau den Raum betrat und direkt auf ihn zukam. Er sah sie und war augenblicklich fasziniert. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn, die Hände wurden feucht. Er blieb wie angewurzelt stehen und starrte sie an. Vielleicht merkte sie, wie er sie anstarrte, aber sie kam unbekümmert näher und setzte sich auf den Hocker, auf dem er bisher gesessen hatte. Die Frau war nicht mehr ganz jung, längst aus dem Alter der Diskoschönen heraus, sah aber dennoch ganz gut aus und war auch durchaus attraktiv. Aber vermutlich wäre ihm, in dem Zustand, in dem er sich befand, jede Frau, die sich neben ihn gesetzt hätte, schön und attraktiv vorgekommen, auch wenn sie ganz anders war, als das junge Mädchen, mit dem sich seine Gedanken die ganze Zeit beschäftigt hatten. Eine etwas geheimnisvolle Schönheit, deren Duft er nun roch, deren Atem er hörte, die ihn anschaute, ihn anlächelte, geradezu verführerisch anlächelte, obwohl jedes Lächeln ihm verführerisch vorgekommen wäre. Er lächelte zurück, wollte möglichst auch verführerisch auf sie wirken und wollte nun gar nicht mehr die Bar verlassen und auch die junge Elfe mit dem Engelsgesicht war mit einem Schlag aus seinen Gehirnwindungen verschwunden. Sein Wohlgefühl bekam eine neue, konkrete Richtung, es waren nicht nur Träume, die in ihm waberten, sondern eine reale Hoffnung. Er setzte sich wieder auf einen der anderen Hocker und fragte die Frau, etwas nuschelnd und undeutlich, sichtlich behindert von all dem Alkohol, ob sie etwas trinken möge. Sie wollte einen Cocktail, er bestellte sich ein weiteres Bier. Dann redeten sie und lachten und schäckerten und er konnte sein Glück kaum fassen, dass ihn so spät in der Nacht und nun schon zum zweiten Mal erreicht hatte. Ein Glück, das neben ihm saß, eifrig mit ihm plauderte, sogar die Hand auf sein Knie legte, den Kopf nach hinten warf und schon bei geringfügigen Anlässen laut lachte. Ein Glück aus Fleisch und Blut, aus Haut und Knochen und anscheinend durchaus bereit, ihm das zu geben, was er wollte, was er schon die ganze Zeit suchte, sein großes Glück.
Denn auch Yoani, so hatte sich seine neue Bekannte vorgestellt, schien ihn sympathisch zu finden, aber sie musste vermutlich viele Männer sympathisch finden, jedenfalls schlug sie vor, den nächsten Tag gemeinsam zu verbringen. Sie machte ihm nicht gleich das Angebot, mit auf sein Zimmer gehen, sie hielt sich zunächst zurück, testete, wie er reagieren würde, wollte vielleicht doch noch etwas mehr über ihn erfahren, vermutete er und überlegte sich auch, ob sie vielleicht tatschlich keine war, die sofort mit jedem ins Bett stieg, sich jedem voll hingab. Vielleich war sie nur eine halbe Nutte, eine Amateurnutte, die nur ihr spärliches Einkommen aufbessern wollte. Wahrscheinlich hätte er sofort zugesagt, wenn sie ihm ein solches Angebot gemacht hätte, ihm, dem ratlosen, rastlosen Frauensucher, der bisher seine Tage und Nächte in langweiliger Einsamkeit verbracht hatte und deshalb einen ganzen Berg an Gefühlen und Wünschen und Sehnsüchten mit sich herum schleppte, einen Berg, den er dringend abbauen musste, um nicht noch mehr zu verzweifeln und mit dem Ende seiner Reise noch halbwegs zufrieden sein könnte. Aber Yoani hatte ihn nur, nachdem die Phase des belanglosen Geplänkels, des gegenseitigen virtuellen Abtastens, des vorsichtigen Erkundens des Anderen vorüber war, sehr interessiert gefragt, was er denn am nächsten Tag vorhabe. Ob er Zeit für sie habe, sie habe schon gleich am Vormittag Zeit und wenn sie sich schon früh treffen würden, nicht erst am Abend oder gar in der Nacht, nein, gleich in der Frühe, dann hätten sie noch den ganzen Tag vor sich und auch die Nacht. Sie wolle sich gerne mit ihm treffen, er sei ihr sympathisch und bestimmt ein interessanter Mann. Sie würde interessane Männer schätzen, ja wirklich, das solle er ruhig glauben. Er glaubte es, sie war eine Frau, die Männer liebte. Er wollte schon sagen, ja klar, ich freue mich auch, du gefällst mir auch, ich will dich ebenfalls gerne wiedersehen, gleich morgen früh, das ist mir sehr Recht. Doch da fiel ihm das Mädchen aus der Disko ein, das Madchen ohne Namen, das unschuldige Ding mit denTränen in den Augen, die er völlig verdrängt hatte und die ihm doch so gut gefiel und die ihn auch treffen wollte, auch am nächsten Morgen. Er zögerte.
Yoani merkte, dass er zögerte, vermutete, dass er wohl schon andere Pläne hatte, und änderte sofort ihre Taktik. „Warum sollen wir bis Morgen warten? Wenn du morgen keine Zeit hast, können wir doch gleich zusammenbleiben,“ sagte sie. „Ich muss nur noch kurz weg, ich muss noch dringend etwas erledigen, aber in einer halben Stunde komme ich wieder, dann komme ich direkt zu dir in dein Zimmer, sag mir die Nummer, und wir verbringen eine schöne Nacht zusammen. Du wirst es nicht bereuen. Wenn du zufrieden warst, und das wirst du sein, gibst du mir ein Geschenk und ich gehe wieder oder ich bleibe die Nacht über bei dir, wie du willst, ich bin frei. Und wenn du willst, können wir uns trotzdem am nächsten Tag wieder treffen, ich nehme mir extra für dich frei, das ist kein Problem für mich. Morgen, übermorgen, solange du willst, ich bin immer für dich da.“ Er war über ihren deutlichen Vorstoß nun doch ein wenig überrascht. Man könnte es ja mal mit dieser Yoani probieren und dann würde man ja sehen, jedenfalls wäre das eine Möglichkeit, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Wenn da nicht dieses Geschenk wäre, dieses verdammte Geschenk, das sie offensichtlich unbedingt erwartete, nur ein anderes Wort für ihren Lohn, umsonst macht hier wohl keine was, dachte er. “Du willst also ein Geschenk, dafür, dass du mit mir ins Bett gehst. Ich verstehe. Und wenn wir morgen den ganzen Tag zusammen sind, willst du auch wieder ein Geschenk? Und für die Nacht nochmal eins?“ Sie nickte. „Du hast es verstanden. Ich muss ja auch leben, auch für mich ist Zeit Geld.“ „Also ein Geschenk für heute Nacht, ein weiteres für den Tag morgen und noch eins für die nächste Nacht. Du machst mich arm, soviel Geschenke kann ich dir gar nicht geben, so viel Geld habe ich gar nicht mehr.“ „Mach, dir keine Sorgen, ich will nicht mehr.“ Nun war es ganz klar, Yoani wollte Geld, nur Geld, nichts als Geld. Von wegen Liebe. Yoani war eine prostituta, eine Hure, eine Nutte, keine Nebenerwerbshure, eine Hauptberufliche. Und sie wollte das Geld, das er gar nicht mehr hatte. Er sah sie an. Sie lächelte, sah richtig nett und verführerisch aus, gar nicht wie eine Professionelle. Nein, so nett, wie die aussieht, so freundlich, wie die ihn anlächelte, nein, das war eine anständige Frau, die nur Geld brauchte, wie alle hier. Aber was heißt schon anständig, dachte er und weil die Gelegenheit da war, weil die Frau mit ihm zusammen sein wollte und weil alles im Leben seinen Preis hatte, aber vor allem, weil er ein Mann war und Hunger auf Liebe hatte, fragte er. „Was verstehst du denn unter einem Geschenk?“ Yoani lächelte immer noch, das süßeste Lächeln, das sie zustande brachte. „Geschenke sind Geschenke und nicht der Preis für eine Ware. Hast du das nicht verstanden, du dummer Junge?“ Dabei schmiegte sie sich an ihn und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Einer schönen Frau gibt man auch ein schönes Geschenk, damit sie zufrieden ist und sich geschmeichelt fühlt. Wenn du mir zu wenig gibst, bin ich sehr traurig, und wenn es viel zu wenig ist, bin ich wütend und das ist nicht gut, für uns beide nicht. Überlege dir, was ich dir wert bin. Aber jetzt schenke ich erst einmal dir etwas. Ich lade dich zu einem Drink ein, damit du merkst, dass ich ein netter Mensch bin und dich nicht ausnehmen will. Einen speziellen Drink für uns beide, der wird uns munter machen und munter müssen wir sein, du und ich.“ Sie rief dem Barmann zu, er solle zwei „Salto mortale“ mixen. Dann stießen sie mit ihren Gläsern an. Das braune Zeug schmeckte irgendwie eklig, sowohl nach süßen Bonbons als auch nach bitteren Mandeln, anziehend und abweisend zugleich. „Auf unsere Nacht, auf morgen, auf die Zukunft.“ Yoani lachte und sagte, ohne ihn zu fragen, ob er einverstanden sei, „Also, ich komme dann, in einer halben Stunde auf dein Zimmer.“ Er zögerte, aber nur einen kurzen Moment, dann nickte er. Yoani gab ihm einen Kuss auf den Mund und verließ die Bar.
Er blieb verwirrt zurück und bestellte ein weiteres Bier, um die Verwirrung zu beruhigen und den Geschmack des scheußlichen Cocktails zu neutralisieren. Doch dann war es aber wirklich und endgültig Zeit zu gehen. Die halbe Stunde war schon fast vorbei. Wieder fiel es ihm schwer, seinen Platz an der Theke zu verlassen und noch schwerer die Treppe in den nächsten Stock hochzusteigen. Er war ziemlich unsicher auf den Beinen, viel unsicherer als er es je gewesen war, und zudem hatte ihn eine heftige Müdigkeit überfallen, gleich, nachdem Yoani gegangen war. „Ich hätte weniger saufen sollen.“, dachte er, „ich werde ja gar nichts mehr zustande bringen.“ Er ging nun mit schweren Schritten, sich an der Wand des Flurs festhaltend, bis zu seinem Zimmer und schloss es umständlich auf. Yoani kam pünktlich. Sie klopfte leise an die Tür, kaum hörbar. Er lag auf dem Bett, war schon fast am Einschlafen und rief lauter als notwendig: „Komm rein, ich warte.“ Sie schien ein wenig verlegen zu sein, so als ob sie zum ersten Mal zu einem fremden Mann käme, und sah sich im Zimmer um. „Es ist schön hier und sauber. Gefällt dir das Hotel?“ Er hatte keine Lust ein Gespräch über das Hotel zu beginnen, das weder schön noch sauber war und ihm alles andere als gefiel. Er hatte plötzlich auf nichts mehr Lust, nicht einmal mehr auf diese Frau. Alle Lust, alles Verlangen war fortgeweht, alles, nach dem er sich gesehnt hatte, und das nun zum Greifen nah war und erwartungsvoll vor ihm stand, vor seinem Bett und ihn amüsiert anschaute. Er blinzelte zurück mit krampfhaft offen gehaltenen Augen. Er hatte unendliche Mühe, wach zu bleiben und wollte nur noch schnell an sein Ziel kommen, wobei er gar nicht wusste, welches sein Ziel war und ob er es je erreichen würde. Irgendetwas wollte diese Frau, deshalb war sie doch da. Und auch er wollte etwas, das wusste er noch, er wollte mit ihr schlafen und vorher musste man sich küssen und abtasten und aufgeilen. Er wollte schlafen, das war sicher, aber allein, nicht mit ihr, allein, lang und ungestört. Alles war so seltsam, so unwirklich, so verschwommen, sein Blick so verschleiert, alles wie in Watte, alles wie im Nebel. Die Frau, die immer noch vor ihm stand, war auf einmal ganz weit weg, kaum noch zu erkennen. Er sah sie nur noch ganz undeutlich und hörte ihre Stimme aus großer Entfernung. Dann war auch sie weg und auch er weg und damit der Rest seiner Gier, die vielleicht noch irgendwo in ihm schlummerte, sein Verlangen war abgetötet und dann war er von allen und allem verlassen, scheintot, ganz tot?
Im Regen
Als er sehr spät am nächsten Morgen aufwachte, war er allein, der Kopf tat ihm weh und eine große Erinnerungslücke klaffte in seinem Gehirn. Die paar Bier, dachte er, haben mich so umgehauen, das kann doch nicht sein. Dann fiel ihm ein, dass er Rum getrunken hatte, aber doch gar nicht viel. Er stand mühsam auf, benetzte sein Gesicht am Waschbecken, zog sich an und ging zum Frühstück in ein Café um die Ecke. Das Frühstück, im Hotel, war einfach zu schlecht, aber hier bekam man richtig guten Kaffee und konnte auch einige Kleinigkeiten essen, aber er hatte keinen Hunger. Als er bezahlen wollte, merkte er, dass aus seinem Geldbeutel fast alle Scheine verschwunden waren, es waren nur noch wenige übrig. Verdammt noch mal, dachte er als Erstes, schon wieder beklaut. Wie war das möglich? Er hatte doch gestern kaum etwas ausgegeben. Dann blitzten ein paar weitere Gedankensplitter auf und ihm fiel ein, dass er einen Cocktail getrunken hatte und dann war auch endlich diese Frau wieder präsent, diese, wie hieß sie doch gleich, die ihm diesen scheußlichen Cocktail aufgezwängt hatte. Ja, es muss dieser verdammte Cocktail gewesen sein, den er gar nicht wollte, dieses Teufelszeug, das sein Hirn bis jetzt eingenebelt hatte. Aber so langsam kamen ein paar Einzelheiten in sein Gedächtnis zurück und der Name der Frau fiel ihm wieder ein, Yoani. Ja, richtig, sie war auf sein Zimmer gekommen, als er schon fast eingeschlafen war, das glaubte er wieder zu wissen und dass sie vorher, als sie an der Bar saßen, ständig über ein Geschenk geredet hatte, das sie von ihm erwarte. Aber was in dem Zimmer geschah, blieb in dem Gedächtnisloch und wollte partout nicht ans Licht. Wofür wollte sie nur das verdammte Geschenk, es war doch gar nichts geschehen oder vielleicht doch. Aber die Einzelheiten wollten ihm beim besten Willen nicht mehr einfallen. Hatte er etwas mit ihr gehabt, mit ihr geschlafen oder nicht? So etwas vergisst man doch nicht so einfach? Er zermarterte sein Gehirn, aber die Lücke war zu groß. Was mit Yoani geschehen war, blieb einfach ausgeblendet. Eine Tatsache stand jedoch fest, das Geld aus seiner Börse war weg und wer sonst, außer diese Schlampe könnte es geklaut haben. Für einen Moment kam ihm die Idee, gleich zur Polizei zu gehen und diese Yoani anzuzeigen, aber er verwarf sie rasch wieder. Er hatte keine Beweise, keine Ahnung, wer die Frau war und er hätte sicher nur Ärger bekommen und unangenehme Fragen beantworten müssen und sein verlorenes Geld hätten ihm die Bullen garantiert nicht wieder beschafft. Er kehrt wieder zu Yoani zurück. Hatte sie sich das Geld genommen, weil sie doch gevögelt hatten und er nicht mehr in der Lage gewesen war, ihr das verdammte Geschenk zu geben? Soviel hätte er ihr aber niemals gegeben, niemals. Seine Zeche an der Bar hatte er noch bezahlt, das war sicher, daran erinnerte er sich. Bis zu diesem vermaledeiten Cocktail funktionierte seine Erinnerung, danach begannen die Lücken. Resigniert stellte er schließlich fest, dass er immer noch halb tot war, dass sein Geld zum größten Teil weg war und dass er mit dieser Yoani zwar zusammen war, auf jeden Fall an der Bar, vielleicht auch auf seinem Zimmer, dass er sich aber an all das, was mit ihr geschehen war, absolut nicht mehr erinnern konnte. Auf jeden Fall war es ein großer Fehler gewesen, sich mit dieser Yoani überhaupt einzulassen, mit diesem verdammten Weib. Es wäre nicht nötig gewesen, weil es ja noch die andere gab, das traurige Mädchen mit den schönen Augen, nein das schöne Mädchen mit den traurigen Augen, das ihm Hoffnungen gemacht hatte. Die sagte doch, dass sie sich mit ihm treffen wollte, heute, am Vormittag und er fragte sich, ob er bei der wohl mehr Glück hätte.
Er hatte kein Glück, denn es kam anderes, als er es sich vorgestellt hatte und es sollte kein guter Tag werden. Noch während er in dem Café saß, an den verrückten Abend dachte und sich dann überlegte, wie er gestern überhaupt zu der „Plaza San Firmin“ gelangt war, er würde wohl fragen müssen, begann das Gewitter. Es regnete erst nur mäßig, dann kam ein Sturm auf, Blitze zuckten, Donnerschläge hallten und schon bald regnete es nicht mehr, es schüttete, der Himmel entließ alles Wasser, das sich angesammelt hatte und die Straße vor dem Café hatten sich in kurzer Zeit in einen Bach verwandelt. Es war schaurig schön dem Inferno aus dem sicheren Café zuzuschauen, aber nicht daran zu denken, ins Freie zu gehen oder gar bis zu diesem Platz zu kommen. Er musste warten, erst als sich das Gewitter beruhigt hatte, machte er sich auf den Weg. Auf den hohen Bürgersteigen war kein Wasser, aber wenn er auf die andere Straßenseite gelangen wollte, blieb ihm nichts anderes übrig, als die Schuhe auszuziehen, die Hosenbeine hochzukrempeln und durch die braune Flut zu waten. Als er schließlich mit großer Verspätung vor der Disko stand, war diese natürlich geschlossen, er hatte nasse Hosen und weit und breit war kein Engel zu sehen, der auf ihn gewartet hätte. Die ganze Straße war menschenleer, der Platz und auch der kleine angrenzende Park waren verlassen, kein Mensch nirgendwo, niemand, der aus irgend einem Hauseingang gekommen wäre, wo er sich vor dem Regen geschützt hätte. „Kein Wunder“, dachte er, „wer geht schon bei diesem Sauwetter auf die Straße. Nur solch ein Idiot wie ich, solch ein geiler Bock auf der Suche nach einer weiteren Enttäuschung.“ Durch den Regen war die Luft voller Wasserdampf, und als nun die Sonne wieder vom Himmel brannte, war es sehr schwül. Er schwitzte, hatte Durst und seine Kopfschmerzen waren wieder stärker geworden, nachdem der Kaffee sie für eine Zeit vertrieben hatte. Um sich vor der Sonne zu schützen, stellte er sich in den Schatten der Parkbäume und beobachtete die Umgebung. Er nahm sich vor, eine halbe Stunde zu warten, länger nicht, der vereinbarte Termin war ohnehin schon lange überzogen und die Chica würde wohl nicht mehr kommen. Außerdem spürte er, wie der Hunger in ihm nagte, es wäre besser gewesen, beim Frühstück etwas zu essen. Missmutig und enttäuscht machte er sich auf den Rückweg und ging in das Restaurant, in dem er auch am Tag zuvor schon gegessen hatte. Dor spülte er seinen Ärger mit lauwarmen Bier hinunter. Zum Glück war wenigstens Bier angeliefert worden, aber es war nicht lange genug im Kühlschrank gelegen. „Heute habe ich nur Pech“, dachte er, „zum Essen warmes Bier, in der Nacht ausgeraubt, am Tag fortgeschwemmt. Die eine Frau ist eine Nutte, die mich beklaut hat, ohne mich zu bedienen und die andere ist aus Zucker und hat Angst vor Regen oder sie hat mich von Anfang an verarscht. Keine von beiden ist es Wert, dass ich mich um sie bemühe. Wäre ich lieber gleich mit dem Bus in die Stadt gefahren, davon hätte ich mehr gehabt.“ Aber noch war der Tag ja nicht um, noch fuhren die Busse und allein bleiben wollte er nicht. Er würde den Nachmittag in der Stadt verbringen und am frühen Abend noch einmal in die Disko gehen. Vielleicht würde sie kommen, die Namenlose, vielleicht hatten sie sich sogar für den Abend verabredet und nicht für den Vormittag. Oder sollte er lieber gleich in der Bar auf diese Yoani warten, auf dieses Miststück und sie zur Rede zu stellen und sein Geld zurück fordern? Aber die wäre bestimmt vorsichtig, die würde bestimmt heute nicht in der Bar auftauchen. Würde sie es überhaupt wagen, ihm in die Augen zu blicken, diese Hure, Diebin, Schlampe? Er dachte angestrengt nach, unfähig eine Entscheidung zu treffen.
Der Regen machte ihm einen Strich durch die Rechnung und halft ihm, zumindest eine Entscheidung zu treffen. Die Sonne war so rasch verschwunden, wie sie gekommen war und dunkle Wolken hingen am Himmel und der Regen hatte wieder eingesetzt. Zwar nicht ganz so heftig, wie um die Mittagszeit und auch der Sturm war sanfter, aber es war absolut keine Wetter, um auf die Straße zu gehen. Zudem hörte er, wie der Wirt zu einem Gast etwas von einer Warnung erzählte, die im Fernsehen gekommen war. Es war anscheinend nicht nur ein normales Gewitter, sondern ein richtiger Hurrikan war im Anzug, der die Stadt zum Glück nur streifen würde. Wenn der Sturm nicht nachließ, könnte vielleicht sogar sein Flug ausfallen. Wo sollte er dann die Nacht verbringen? Er ging zurück in sein Hotel, und als er dort ankam, war er völlig durchnässt. In seinem Zimmer war es schwül und feucht und seine Kleider würden bestimmt nicht mehr trocknen. Er würde sie hier lassen, einfach im Zimmer liegen lassen. Er zog sich aus und duschte, dann legte er sich nackt auf das Bett und versuchte zu schlafen. Missmutig verbrachte er ein paar Stunden, dösend, schlafend, träumend, hoffend. Auf was sollte er eigentlich hoffen? Die Hoffnung, dass an diesem Tag noch etwas Positives geschehen würde, hatte er schon fast aufgegeben. Dann war er wach, blieb aber auf dem nun ebenfalls feuchten Bett liegen und sein Kopf kam nicht zur Ruhe. Immer wieder dachte er an die beiden Frauen. An Yoani, sexy und durchtrieben, eine Frau, die sich professionell an Männer heranmachte, um sie dann auszunehmen. Sie setzte ihren Charme und ihren Körper ein, um an Geld zu kommen. Das war nicht verwerflich, das war in Ordnung. Aber dass er das Opfer war, das ärgerte ihn. Vielleicht, so sinnierte er weiter, steckte sie mit diesem Barmann unter einer Decke, bestimmt hatte der das Schlafmittel in den Cocktail getan. Er müsste ihn unbedingt fragen, am besten sollte er gleich zur Polizei gehen. Dann fragte er sich, warum diese Hure eigentlich nicht alles Geld genommen hatte? War das vielleicht Mitleid? Wenn er sie noch einmal sehen würde, diese Schlampe, würde er sie trotzdem wieder mit auf sein Zimmer nehmen. Sie ist eine Diebin und eine Hure, aber eine tolle Frau, eine Frau, die Männer verwirrt und verrückt macht. Dagegen war das kleine namenlose Mädchen doch gar nichts. Eine dürre Pflanze und dazu noch völlig unzuverlässig und dann war da auch noch dieses Arschloch von Freund, mit dem er vielleicht Ärger bekommen würde, wenn er sich an sie ranmachte. Aber sie hatte auch ihre Reize, ihr Jugend, ihre Unschuld, nicht dass er glaubte, sie sei noch Jungfrau, die waren ab 15 Jahren selten in diesem Land, nein ihr unschuldiges Aussehen, ihr Engelsgesicht mit den schwarzen Locken und ihr Elfenkörper mit dem wunderschönen Busen, diese Kombination, die hatte etwas für sich. Sollte er sie heute Abend noch einmal in der Disko aufsuchen oder sollte er den Barmann lieber nach Yoani fragen, diesem Vollblutweib, das ihn genauso verrückt machte?
Es war nun später Nachmittag und er hielt es in seinem Zimmer nicht länger aus. Die Decke fiel ihm auf den Kopf, er war schweißnass und fror. Es schien fast, als habe er trotz der Hitze eine Grippe bekommen oder war es nur die Qual der Wahl, die ihn so verunsichere, so fertigmachte? Während er noch einmal duschte, hatte er eine Entscheidung gefällt. Yoani war doch nur noch ein Luder, das ihn beklaut hatte, eine Nutte, die ihn wieder beklauen würde. Was hatte er von ihrem schönen Aussehen, von ihren feinen Haaren, von ihren großen Brüsten und dem süßen Hintern? Er würde sich nur ärgern. Nein, Yoani kam nicht infrage, dann doch lieber die unschuldige Kleine, die war sicher sehr anschmiegsam und er würde dafür sorgen, dass sie ihn anbeteten würde. Er würde ihr Geschenke machen, sie zum Essen einladen, ihr das Blaue vom Himmel versprechen. Nur, mit welchem Geld? Egal, sie würde das, was er wollte, auch ohne Geld machen, aus Liebe, weil er so ein toller Typ war, ein Mann, nach dem sich Frauen sehnten. Er musste sie unbedingt noch einmal treffen. Er sah auf seine Uhr. Noch war es längst nicht Diskozeit, die fingen hier immer spät an, noch lag eine endlos lange Zeit vor ihm, bevor er sich aufmachen sollte, um seine Seligkeit zu finden. Er blickte aus dem Fenster. Es hatte aufgehört zu regnen, war aber immer noch trüb. Er zog sich an und beschloss, die Bar aufzusuchen, ein Bier zu trinken und ein Wörtchen mit dem Barmann zu reden.
Wer ist eigentlich dieser Mann?
Es wäre, bei diesem Stand der Dinge in der Geschichte, nicht verkehrt, etwas mehr über die Personen zu erfahren, die miteinander verstrickt sind, über den Mann und seine Vergangenheit und über die beiden Frauen, die in sein Leben getreten sind. Es ist nicht notwendig, die ganze Vergangenheit auszubreiten, das, was für diese Geschichte wichtig ist, reicht vollkommen. Der Mann steht im Mittelpunkt, aus seiner Sicht wird erzählt. Aber die Frauen sind genauso wichtig, ohne sie gäbe es keine Handlung, ohne sie wäre die Erzählung saft- und kraftlos. Was hätte man über einen Mann berichten können, der ohne sexuelle Gelüste dahin vegetiert, welch lahme Handlung ohne die Beziehungskonflikte, ohne die Komplikationen, die dem Leben die Würze verleihen?
Ein Mann in den besten Jahren, so Mitte vierzig, verbringt seinen Urlaub in einem fernen, Land, dessen Sprache er hinreichend beherrscht. Das Land hat sicher ein Vorbild in der realen Welt, aber es reicht, wenn man weiß, dass es in Lateinamerika ist und man Spanisch spricht. Der Protagonist hat bewusst keinen Namen und er soll auch namenlos bleiben. Ein Name belastet, er legt einen Typ fest, jemanden, den man vielleicht kennt. Namen klingen oft gewollt und bemüht und sind für eine solche Geschichte selten nötig. . Bei den Frauen ist es anders, die brauchen Namen, weil man sie unterscheiden muss. Sie soll man sich besser vorstellen und einordnen können, wenn eine Angela heißt, denkt man eher an einen Engel als bei einer Ludmilla. Aber zurück zu dem Mann. Er ist in vielem ziemlich normal, ledig, ganz gut aussehend, er kann sogar charmant sein, wenn er will. Er ist nicht groß, nicht klein, nicht dick, nicht dünn. Man könnte sagen, ein Mann ohne Eigenschaften, wenn diese Bezeichnung nicht schon längst belegt wäre. Er hat eine gute Ausbildung, arbeitet in einem Büro, ein Job, der ihn ausreichend ernährt und nicht allzu sehr fordert. Zu einer festen Beziehung hat es bisher nicht gereicht, vielleicht weil er sich nie sicher ist, ob er überhaupt eine will. Es gibt Zeiten, da strebt er eine an, hat auch schon ein paar Versuche unternommen, die aber alle fehlgeschlagen sind. Vielleicht war der Grund auch seine ausgesprochene Neigung zu jungen Frauen, je jünger und schlanker, desto attraktiver, sie sollten aber trotzdem einen großen, wohlgeformten Busen haben. Frauen mit Hühnerbrüstchen gefallen ihm absolut nicht. Man könnte fast sagen, er ist ein Busenfetischist, aber nur in Kombination mit jungen, schlanken, mädchenhaften Typen. Von dieser Marotte abgesehen, ist er aber durchaus normal veranlagt, keineswegs pädophil und er lässt sich auch mit älteren Frauen ein.
Wenn er mit einer Frau zusammen ist, hat er keine abartigen Neigungen, sucht keine seltsamen Sexualpraktiken, stellt keine übertriebenen oder außergewöhnlichen Ansprüche, obwohl er gerne Pornos anschaut, in denen es nichts gibt, was es gibt, aber das tun viele Männer, geben es nur ungern zu. Genauso wie sich die meisten Männer vermutlich auch nach sehr jungen Frauen sehnen, das aber auch nicht unbedingt zugeben. Vielleicht ist die Kombination alter Mann und junge Frau sogar ein biologisches Grundprinzip, weil es der Erhaltung der Art dient. Aber in unserem alltäglichen Leben sind solche Beziehungen fast unmöglich, es sei denn im Puff und das ist natürlich eine ganz andere Kategorie. Er hat sich mittlerweile an das Leben als Single gewöhnt, macht gelegentlich Bekanntschaften, die aber nie lange andauern, geht hin und wieder in ein Bordell, hinzu kommen kleine Abenteuer, die er vor allem im Urlaub bewusst sucht. Er ist, was sein privates Leben betrifft, nicht gerade glücklich, aber auch nicht todunglücklich, denn er hat noch etwas, was ihm hilft, unbeschadet durch sein langweiliges Leben zu kommen, um das Alleinsein und den täglichen Frust bei der Arbeit zu überstehen. Er hat etwas gefunden, das seine Hoffnung nährt, dass eines Tages alles besser sein wird, das ihm hilft, zeitweise aus der tristen, langweiligen Realität zu fliehen und sich eine angenehme Scheinwelt aufzubauen, und sei es auch nur für Stunden. Erst war es der Alkohol, dann aber auch ein paar andere Sachen, nicht die ganz Schlimmen, aber auch nicht die ganz Harmlosen. Er flüchtet sich mit einem ausreichenden Vorrat an manchen einsamen Abenden oder an endlosen, langweiligen Wochenenden in diese künstliche erzeugte Traumwelt. Er wandelt dann auf einer Borderline, einem Grenzweg zwischen funktionalem Normalsein und angenehmen, müßigen Illusionen. Er bleibt dann allein in seiner kleine Eigentumswohnung in einem anonymen Hochhaus und verbringt die Zeit mit saufen, kiffen, koksen, fernsehen und den Freuden, die man im Internet finden kann. Seine kleinen Helfer, Mamas little helpers, will er nicht mehr missen, weil sie ihm Glück und Seligkeit vorgaukelten, behauptet aber, was er mal von jemandem angesprochen wird, was selten der Fall ist, alles andere als süchtig zu sein. Glauben wir es ihm und belassen ihn bei seinem Glauben. Besonders im Urlaub, wenn die ordnende und normative Kraft des Alltags weit weg ist und sowieso alles freier und legerer ist, sucht er deren Hilfe.
Ein Freund, eher ein weitläufiger Bekannter aus der Szene ähnlich Gesinnter, hatte ihm den Tipp gegeben, in dieses besagte Land, also hierher zu kommen. Er hatte ihm vorgeschwärmt, welch schönen Urlaub er selbst hier verbracht habe. Niedrige Preise, billige Unterkünfte, genug zu essen, reichlich zu trinken und viel Abwechslung. Tagsüber im Meer baden und am Strand dösen, nachts High-life, Diskos, geile Weiber, die alle den Fremden umschwärmen und belagern und ihm das Leben versüßen. „Und wenn du ein bisschen Glück hast“, so besagter Freund, „ findest du auch eine, die du mitbringen und heiraten kannst, abgeneigt auf ein Leben im Wohlstand sind jedenfalls die wenigsten. Und es gibt preiswerten Zugang zu einigen Stoffen, die du für deine Träume brauchst. Was willst du mehr? Fahr hin und du wirst es bestimmt nicht bereuen. Geh allerdings nicht in einen Club, in dem viele Familien mit Kindern sind, da läuft nichts, da wird man zu sehr überwacht. Aber etwas abseits, an Stränden, die nicht so gefragt sind, wo die Polizei noch bestechlich ist, da ist alles möglich.“ Er gab ihm noch ein paar weitere Tipps, sagte ihm, wo er nun schon zwei Mal war und nannte ihm sogar die Namen von ein paar echt feinen Typen, die ihm all das, was er bräuchte, problemlos beschaffen könnten. „Das ist das richtige Land, für dich da musst du hin“, war sein abschließendes Fazit..
Er folgt seinem Rat und bucht für eine Woche eine Rundreise mit dem Bus und eine Woche in besagtem Ressort an einem Strand der B-Klasse. Zum Schluss hat er sich vorgenommen, noch eine halbe Woche auf eigene Faust in der weltberühmten Hauptstadt zu verbringen, dort muss er, wegen der Flüge ohnehin sein. Die Rundreise ist ganz nett, viel Natur und Architektur, aber ohne Höhepunkte und langweilt ihn. Der Club in der Provinz, weit weg von der Hauptstadt, ist leider längst nicht so aufregend, wie er gehofft hatte und wie der Freund es prophezeit hatte. Er findet tatsächlich die besagten feinen Typen, aber wie sich noch herausstellen wird, sind sie doch nicht so fein. Sie beschaffen ihm zwar die Stoffe, die er für seine Träume braucht, aber die Preise sind hoch, viel höher als er erwartet hatte, alles andere als günstig. Und als er sie nach Chicas fragt, besonders nach jungen Mädchen mit großen Brüsten, erklären sie ihm, dass dies zurzeit sehr schwierig sei. Erst vor kurzem sei ein neuer Polizeichef in die Provinz gekommen und das erste, was der gemacht habe, dieser Idiot, sei eine groß angelegte Razzia gewesen, bei der viele junge Mädchen festgenommen und wegen Prostitution angeklagt und sogar ins Gefängnis gesteckt wurden, wo manche ihre paar Wochen Haftstrafe immer noch absitzen müssten und die anderen, die ungeschoren davon gekommen waren, hätten jetzt mächtig Angst und würden erst einmal abwarten, wie sich die Lage weiter entwickelt. Das sei sehr bedauerlich, aber man könne da im Moment nichts machen, nur abwarten und hoffen, dass sich alles bald wieder normalisiere. Das ist natürlich für jemanden, der gerade mal eine Woche hier ist, ein schwacher Trost, denn wenn alles wieder normal ist, ist er schon längst wieder weg. Er habe aber trotzdem Glück, so der feine Typ, weil dieser Arsch von Polizeichef sich als Nächstes die Drogenszene vornehmen werde, sie trocken legen wolle, ausräuchern, was auch immer. Verschärfte Kontrollen in den einschlägigen Bars würden jetzt schon durchgeführt und die Nachschubwege hätte die Polizei schon nach und nach aufgedeckt und stillgelegt. Ganz besonders schlimm sei aber, dass die guten Freunde, die er natürlich bei den Bullen habe, auf einmal alle Angst, hätten, wegen Bestechlichkeit und Korruption Ärger zu bekommen. „Wenn ein Bulle kein Geld mehr annimmt, ist das ein ganz schlechtes Zeichen“, erklärt ihm der feine Typ und der muss es ja wissen. Es sei jedenfalls schwierig mit Nachschub und sie müssten das, was sie noch hätten, teurer verkaufen, um die Nachfrage zu decken, das sei leider so. Das sind alles keine guten Nachrichten und die Tage in dem Club sind auch ziemlich öde. Es laufen keine einsamen Mädchen herum, der Stoff, den er nun mal haben will, ist teuer und was es sonst an Vergnügungen gibt, außer schwimmen, tauchen und schnorcheln, ist nur noch die abendliche, langweilige, abgeschmackte Animation in der kaum frequentierten Disko. Er ist doch nicht gekommen, um Sport zu betreiben, auch nicht es Essens wegen. Da es im Preis inbegriffen ist, kann es schon deswegen kein High-light sein. Es ist nicht gerade schlecht, das bestimmt nicht, aber das Büffet bietet keine Abwechslung, es wird immer dasselbe aufgetragen und schon nach zwei Tagen kommt es ihm vor wie eine mittelmäßige Kantinenkost. Bier gibt es zwar reichlich und es ist, im Vergleich zu unseren Preisen, sogar billig, aber das ist schon fast der einzige Trost. Er wäre am liebsten wieder abgereist, aber er hatte ja schon im Voraus bezahlt und es gab keinen triftigen Grund, die Reise abzubrechen, das Geld wäre ohnehin futsch gewesen.
Mit dem Stoff für seine Träume muss er haushalten, weil er merkt, dass exzessiver Konsum, den er eigentlich vorgehabt hatte, ins Geld gehen würde.. Aber er braucht die Ablenkung, sollte nicht die ganze Reise zum Flopp werden. Er hat sich angewöhnt, jeden Abend nach dem ausgiebigen Nachtmahl, er aß auch das Kantinenessen mit gutem Appetit und in großen Mengen, in die Bar zu gehen. Es ist ein Spaziergang von vielleicht einer halben Stunde. Die Bar ist nur mäßig besucht. Seine feinen Freunde warten schon auf ihn. Er spendierte ihnen Bier und Rum, dann verhandeln sie über den Stoff, und wenn sie sich einig sind, gibt er ihnen das Geld, viel zu viel Geld. Dann sucht er einen Platz abseits, in einer dunklen Ecke. Er will allein sein, Gras rauchen, Koks schnupfen und eine ganze Menge kaltes Bier aus Dosen trinken, während die Freunde herumproleten und ihn nur stören, wenn sie Nachschub brauchen. Das Zeug wirkt und versetzt ihn regelmäßig in eine schöne Traumwelt. Er ist auch im Traum am Meer, an einem Strand, der dem realen verblüffend gleicht, nur ist alles viel leichter, viel schöner, viel intensiver. Die Temperatur ist angenehm, nicht so drückend heiß, wie in der Wirklichkeit, das Wasser erfrischend, nicht so pisswarm, sein Körper ist ganz leicht, er schweb beim Gehen, genauso wie im Wasser. Er träumt von wunderbaren bunten Farben, sieht nicht nur die gleißenden Bilder in der flimmernden, heißen Sonne. Er hört phantastische Musik, seine Lieblingsmusik, nicht die überlaute Popscheiße aus den Gettoblastern am Strand. Er spürt, wie sanfte Hände seinen Körper streichen und exotische Düfte seine Nase verwöhnen und seinen Verstand umnebeln. Vor seinen Augen sind grellrote, halb geöffnete Lippen, die sich seinem Mund nähen und aus denen leise Laute der Wollust strömen, Lippen, die nur darauf warten, geküsst zu werden. Seltsamerweise enden aber bei diesem Bild seine sexuellen Träume, keine nackten Weiber, keine dicken Brüste, keine geöffneten Schenkel, selbst im Traum keine Befriedigung.
Wenn er aufwacht, die Welt der Träume und Illusionen verlässt, die ihm den fast perfekten Urlaub vorgaukeln und in die Wirklichkeit zurückkehrt, wird ihm immer hier als Erstes deutlich, dass er nach wie vor völlig unbefriedigt ist. Die Wirklichkeit sieht leider ganz anders aus. Um Mitternacht ist er ziemlich high und wankt zurück zu dem Club und in sein Zimmer, um dann bis in den späten Morgen zu schlafen. Frühstück und Mittagessen gehen ineinander über, am Nachmittag döst er am Strand oder legt sich, wenn es zu heiß ist, in seinem Zimmer bei voll aufgedrehter Klimaanlage auf das Bett. Natürlich geht er auch schwimmen und bucht sogar ein paar Stunden auf dem kleinen Boot, das zu den Korallenriffen fährt, um zu schnorcheln. Tauchen, das ebenfalls recht günstig angeboten wird, ist ihm zu gefährlich. Am Strand ist es langweilig, bleiche Touristen, die jeden Tag röter werden, bevölkern ihn mit ihren Frauen, nur wenige Einheimische mit Familien. Überall plärrt laute Popmusik, wenn man Durst hat oder eine Kleinigkeit essen will, geht man an die Hotelbar, der bunte Bändel am Arm ermöglicht freien Eintritt. Einsame Mädchen, die auf Männerfang aus sind und nur auf ihn warten, gibt es in der Tat keine. Er hätte sich vielleicht an eine einsame Touristin heranmachen können, aber der Club ist nur mäßig belegt und ihm begegnet niemand, der ihn wirklich interessiert hätte, sein Interesse gilt den nicht vorhandenen, rasanten Chicas und nicht den ausgebleichten Nordlichtern. Das Abendessen, auch jetzt immer dasselbe, mittlerweile langweilige Büfett, regte ihn eher auf als an, er isst lustlos, aber doch so viel, bis er satt ist, und spülte alles mit viel Bier hinunter. Dann nahte auch schon der Höhepunkt des Tages.
Traumerlebnisse hatte er sich zwar gewünscht, aber von der Realität hatte er sich mehr versprochen. Nun gut, man kann nicht alles haben, denkt er und wäre vielleicht sogar ganz zufrieden gewesen und am Ende dieses Strandurlaubs in die Hauptstadt aufgebrochen, um das zu finden, was er so dringend suchte, um dort alles nachzuholen, was er bisher verpasste, besonders die dringend gewünschte weibliche Bekanntschaft. Dort in der Hauptstadt würde ihm die Traumfrau noch über den Weg laufen, die er weder am Strand, noch bei der Rundreise getroffen hatte, da ist er sich sicher. Doch dann kommt der Tag, der ihm die große Enttäuschung bringt, eine richtige Katastrophe. Er ist, wie üblich zu seiner Strandbar gegangen, hat wie üblich viel zu viel für das bezahlt, was er bekommt, hat wie üblich, die guten Freunde frei gehalten und sich, immer noch wie üblich, in seine Traumwelt geflüchtet. Doch diesmal ist es anders, noch intensiver als sonst, die Realität ist noch weiter weg, er ist noch tiefer in die Scheinwelt eingetaucht, er ist völlig weg, richtig high. Er erwacht, weil jemand an seinen Schultern rüttelt. Mühsam versucht er, sich zu erinnern. Es ist der Besitzer der Spelunke, der ihm klar macht, dass er in sein Hotel gehen müsse, weil er den Laden nun dichtmache. Er sieh auf seine Uhr, es ist kurz nach zwei, so lange ist er noch nie hier geblieben. Dann fragt er, wo seine Freunde sind. Verwundert muss er hören, dass er sich doch selbst von ihnen mit vielen Umarmungen verabschiedet habe. Sie seine schon vor einiger Zeit gegangen und würden auch nicht wieder kommen, weil sie in der Hauptstadt zu tun hätten und erst wieder in einer Woche oder in zwei zurück kämen, so genau wüsste er , der Wirt, das auch nicht. Diese Nachricht erstaunt ihn, denn davon war nie die Rede gewesen. Deutlich mehr verkatert als sonst machte er sich auf den Heimweg und die eigentliche Überraschung bemerkt er erst, als er sich auszieht, um noch einmal zu duschen und sich ins Bett zu legen. Sein Brustbeutel ist so seltsam dünn, er öffnet ihn, schaut hinein, er ist leer, der größte Teil seiner Barschaft ist verschwunden, nur noch der Teil in seinem Geldbeutel ist vorhanden. Er wird bleich und hätte sich in den Hintern beißen können, dass er sein ganzes Geld immer mit sich herumgetragen hatte. Einen Zimmersafe gab es nicht, im Koffer wollte er das Geld nicht lassen und an der Rezeption abzugeben, war ihm zu mühsam gewesen. Aber der Geldverlust ist noch nicht alles. In dem Brustbeutel waren auch seine Kreditkarte und sein Reisepass. Auch die sind weg und das ist doppelt ärgerlich, das ist eine Katastrophe.
Am nächsten Tag geht er schon vormittags voller Wut und Verzweiflung zu der Bar. Sie ist zwar geschlossen, er klopft aber so lange, bis der Besitzer die Tür öffnete. Er erzählt ihm die Geschichte, der Mann ist durchaus betroffen, sogar ehrlich geschockt. Das hätte er von diesen Leuten wirklich nicht erwartet, aber er kenne nur ihre Namen, habe keine Anschrift, keine Telefonnummer. Aus völlig egoistischen Gründen rät er ihm ab, zur Polizei zu gehen, das würde nichts bringen, nur Ärger, für ihn, den Barbesitzer, aber auch für den Bestohlenen, denn auch der habe gegen das Gesetzt verstoßen und ein Prozess in diesem Land sei alles andere als wünschenswert. Er rät ihm, in die Hauptstadt zu fahren, zur Botschaft zu gehen und dort zu sagen, er habe den Pass verloren. Der Barbesitzer, der auf jeden Fall eine Mitschuld an dem Diebstahl trägt, vielleicht steckte er mit den Ganoven sogar unter einer Decke, gibt ihm ein Adresse in einer kleinen Ortschaft ganz in der Nähe der Hauptstadt, sogar nicht weit vom Flughafen entfernt. Er bietet sogar an, dort anzurufen. Der Verwalter des Hotels ist ein Cousin von ihm und er könne nicht nur ein Zimmer reservieren, sondern auch noch einen Vorzugspreis aushandeln. Mit dem Bus in die Kapitale zu kommen, sei kein Problem, am späten Nachmittag würde einer fahren.
Nun ist er also in dieser besseren Absteige gelandet und zunächst damit beschäftigt, den entstandenen Schaden zu beheben. Er sucht als Erstes die Botschaft in der Hauptstadt auf und es gelingt ihm mit einiger Mühe und Überredungskunst, auch ohne eine Anzeige bei der Polizei, einen Ersatzpass zu beantragen, den er für die Ausreise unbedingt brauchte. Ohne Pass keine Ausreise und kein Flug, so einfach ist das. Mit dem Flugticket, das er zusammengefaltet im Pass aufbewahrt hatte, gibt es zum Glück keine Probleme, da alle Daten im Computer der Airline gespeichert sind. Er wird das Ersatzticket sofort bekommen, wenn er seinen Pass vorlegt. Die Kreditkarte hatte er schon gleich nach dem Gespräch mit dem Barbesitzer telefonisch sperren lassen, denn sein Handy hatten die Ganoven zum Glück nicht mitgehen lassen. Er musste aber erfahren, dass eine Ersatzkarte in sein Urlaubsland nicht geliefert werden könne. Da er auch niemanden zu Hause hat, den er um eine telegrafische Geldüberweisung oder etwas Ähnliches bitten könnte und auch sonst keine Maßnahmen für einen solchen Notfall vorgesehen hatte, bleibt ihm nichts anderes übrig, als mit dem verbleibenden Geld sparsam umzugehen, sehr sparsam sogar. Doch dann kommt er auf die Idee, sein Handy zu verkaufen, er würde es nicht mehr brauchen und da es noch ziemlich neu war, leider aber kein attraktives Modell, hofft er genug zu bekommen, um die wenigen restlichen Tage zu überstehen. Zur Not hätte er noch seine Armbanduhr zum Verscherbeln, aber die besitzt er schon sehr lange, sie ist ihm sehr vertraut und er hätte für das alte Ding bestimmt nicht viel bekommen, genauso wenig wie für seine Kleidung, die er auch noch verscherbeln könnte..
Statt noch ein paar angenehme Tage in einem netten Hotel in der Hauptstadt zu genießen, muss er seine Zeit damit verbringen, seine prekäre Lage in den Griff zu bekommen und die Dinge zu regeln, die notwendig sind. Er schafft es tatsächlich in zwei Tagen den Ersatzpass und das neue Flugticket zu bekommen und auch das Handy zu verkaufen, allerdings ohne den Preis zu erzielen, das es seiner Meinung nach noch Wert war. Erst als alles wieder einigermaßen im Lot war, erst zwei Tage vor seinem Rückflug, zwei Tage in einem langweiligen Kaff und in einem billigen Hotel, konnte er daran denken, doch noch seinen Traum zu realisieren und seine Traumfrau zu finden. Er konnte sich nicht mehr in eine Scheinwelt flüchten, denn er hatte weder das Geld noch die Möglichkeit an den erforderlichen Stoff zu kommen, und so blieb ihm nichts anderes übrig, als die letzten beiden Tage in der rauen Wirklichkeit zu verbringen. Auch das gelingt ihm, denn richtig süchtig ist er trotz des vielen Konsums in den letzten Tagen in dieser vermaledeiten Strandbar zum Glück nicht und das will er auch nicht werden. Eigentlich ist er ganz froh, dass er eine Grenze erreicht hat, und schwor sich, keine Joints, keine Pillen, kein Koks, keine sonstigen gefährlichen Stoffe mehr zu nehmen. Er will jetzt völlig clean werden und das auch in Zukunft bleiben, nur auf Bier kann er nicht verzichten, das brauchte er, schon um sich zu beruhigen, aber Bier ist ja flüssiges Brot und somit ein Nahrungsmittel und keine Droge.
Nun also hat er endlich Zeit, eine Frau zu suchen, seine Traumfrau, das schlanke Mädchen mit den großen Brüsten. Eine, die ihm zum Schluss dieser verzwickten Reise doch noch etwas reales Glück bieten könnte. Ein versöhnlicher Abschluss, damit er nicht nur voller negativer Erinnerungen nach Hause zurückkehren müsste. Die Möglichkeit, die ihm anfangs noch im Kopf herumgespukt hatte, in diesem Land einer lieben, schönen, jungen, attraktiven Frau zu begegnen, einer Frau für sein Leben, einer Partnerin, die er mit in seine Heimat nehmen könnte, diesen Traum hat er schon längst begraben. Wir können nun in der Geschichte fortfahren. Der Protagonist hat tatsächlich zwei Frauen kennengelernt und muss sich zwischen einem unschuldigen Mädchen und einer professionellen Nutte entscheiden. Die eine hat er nur kurz gesehen, nur ein paar Worte gewechselt, die andere hatte er schon im Bett, aber sie hat ihn beklaut, zum zweiten Mal in diesem Urlaub, fast alles Geld weg. Eigentlich sollte klar sein, welche er will, aber man muss sagen, dass ihm das fast schon egal ist, welche Frau ihm das ersehnte Glück bringt, Hauptsache er findet überhaupt noch eine. Frauen seien in dem Land leicht aufzureißen, hatte sein Bekannter gesagt, das ist lachhaft, nichts ist schwieriger, als hier eine aufzutreiben.
Wer sind Yoani und Angela?
Bevor die Geschichte wieder Fahrt aufnimmt, doch noch ein paar Worte zu diesen beiden Frauen. Ein wenig kennen wir sie ja schon. Von der einen kennen wir sogar den Namen, Yoani, und wir wissen, dass sie nicht ehrlich ist. Der anderen sollten wir jetzt einen Namen geben, sie hat zweifelsohne einen, schon seit sie auf der Welt ist, obwohl der Protagonist ihn noch nicht kennt. Nennen wir die junge Frau mit den traurigen Augen Angela, weil sie ein bisschen wie ein Engel aussieht, aber beileibe keiner ist. Beide Frauen sind Kämpferinnen. Yoani ist 36 Jahr alt, Angela gerade 20, obwohl sie viel jünger aussieht, so wie 16, das kommt von ihrem Engelsgesicht und ihrer Elfenfigur, deswegen passt auch der Name Angela ganz gut. Sie wird nicht nur regelmäßig zu jung, sondern oft auch als noch unschuldig eingeschätzt, obwohl in diesem Land kaum noch eine Jungfrau zu finden sein dürfte, wenn sie das 15. Lebensjahr überschritten haben. Beide sind keine schlechten Menschen, aber sie müssen für ihr Überleben selbst sorgen und daher erfinderisch sein und vor allem immer kämpfen, um alles kämpfen. Beide haben ein Kind, die Tochter von Yoani ist achtzehn, also in einem Alter, in dem sie aufmüpfig ist und viel Geld kostet, das ihre Mutter aufbringen muss, wer auch sonst. Der Sohn von Angela ist drei und deswegen noch etwas pflegeleichter. . Ihre Männer, besser gesagt die Väter ihrer Kinder, helfen ihnen nicht oder nur unregelmäßig und die Eltern sind alt und arm und können ihre Töchter nicht unterstützen.
Soweit die Gemeinsamkeiten, in allem anderen unterscheiden sich die beiden jedoch gehörig. Yoani war drei Jahre lang verheiratet, aber ihr Mann ist eines Tages einfach abgehauen, ohne ersichtlichen Grund hat er Mutter und Kind sitzen lassen, hat sich aus dem Staub gemacht, sich aus der Verantwortung gestohlen und natürlich keinen Peso jemals für die beiden bezahlt. Nur zur Scheidung ist er zwangsläufig kurz aufgetaucht und hat in dieser halben Stunde weder seine Frau noch sein Kind richtig wahrgenommen, wahrscheinlich der einzige Moment, wo er ein schlechtes Gewissen hatte. Mit seinen Gedanken war er bestimmt schon wieder bei seiner neuen Frau, sehr jung, sehr sexy und schwanger. Yoani ist sehr konsequent und intelligent. Sie nutzt die Marktlage aus und verkauft das einzige, was sie verkaufen an, ihren Körper. Sie ist wählerisch, ein Landsmann kommt nicht infrage, nur reiche Touristen, vornehmlich ältere Männer, weil die pflegeleichter sind, weniger Stress machen als junge und in der Regel mehr Geld haben und auch großzügiger sind. Junge Männer sehen in einer Urlaubsbekanntschaft manchmal schon ihr ganzes Glück und sind enttäuscht, wenn es mit der großen Liebe nicht klappen will. Solche Trennungsgeschichten hat Yoani schon erlebt und sie will sie vermeiden, zu stressig. Ältere Männer, vor allem verheiratete, wollen ein paar schöne Stunden mit jungen Frauen genießen, weit genug weg vom heimischen Herd und von der schimpfenden, eifersüchtigen Ehefrau. Sie suchen so etwas wie Liebe ohne Risiko und ohne Verpflichtungen, dafür sind sie bereit, ohne Murren gut zu zahlen, auch ohne zu handeln. Wobei handeln durchaus in zwei Bedeutungen gemeint ist, weder den Preis herunterhandeln, noch sich durch eigenes Handeln all zu sehr anstrengen zu müssen. Sie lassen sich bedienen und manchen reichen ein paar Streicheleinheiten, ein paar schöne Worte, obwohl sie kaum verstanden werden, etwas Gefummel und Geküsse, und wenn es gut läuft, ein Handjob, das reicht manchmal schon.
Yoani ist attraktiv und aktiv, sie gibt ihren Kunden reichlich, was diese erwarten. Deswegen verdient sie ganz gut mit dem Verkauf von Illusionen, sie muss aber einen guten Teil ihrer Einnahmen an die Polizei abgeben, damit die nicht ihre Kreise stört und auch der Hotelmanager will Geld, damit sie auf die Zimmer der Gäste darf und schließlich ist da noch der Barkeeper Antonio, der will auch seinen Anteil. Letzterer ist ihr wichtigster Geschäftspartner. Er beschafft ihr fast alle Kunden und sie ist für ihn das beste Pferd im Stall. Er ist zwar kein klassischer Zuhälter, er beutet sie nicht aus, dazu ist Yoani viel zu selbstständig, aber es ist ganz normal, dass er seinen Anteil für seine Vermittlungen will und auch bekommt. Er muss ja schließlich auch leben und mindestens zwei Frauen und ein paar Kinder versorgen. Die beiden haben ein Abkommen, ein Geschäftsmodell, mit dem sie zufrieden sind. Es funktioniert, solange zahlungskräftige Kunden da sind. Yoani kann darauf vertrauen, dass ihr Antonio nur solche Männer vermittelt, die solvent sind und einen anständigen Eindruck machen, die anstandslos bezahlen und auch sonst keinen Ärger machen. Antonio hat in seinem Beruf viel Menschenkenntnis erworben und kann die Männer, es sind ja fast nur Männer, die er an der Bar bedient, gut einschätzen. Yoani kann sich also darauf verlassen, dass sie keinen Ärger bekommt und dass auch die Geschenke, die sie mit den Kunden vereinbart, bezahlt werden. Einen Preis darf sie nicht verlangen, denn Prostitution ist laut Gesetzt in diesem Land verboten und wenn die Polizei eine Frau bei dieser Arbeit erwischt, hat sie nichts zu lachen, muss Strafe zahlen, kommt vielleicht ins Gefängnis, daher ist es sehr wichtig, die Polizei auch gut zu versorgen. Sie hat konkrete Vorstellungen, was sie als Geschenk erwartet, es richtet sich meistens nach der Zeit, mit der sie mit dem Kunden zusammen ist, denn ihre Leistung ist immer von guter Qualität. Sie bemüht sich immer, sie zufriedenzustellen, gibt ihnen, was sie erwarten, weil sie sich ihren guten Ruf erhalten will und weil sie meist mit Recht darauf spekuliert, dass die Kunden ihr zusätzlich noch ein gutes Trinkgeld geben, das sie natürlich nicht mit Antonio teilt. Manchmal ist sie in ihrem Job sogar fast glücklich, weil auch sie Lust empfindet und wenn sei weiß, dass es eine gute Nacht werden kann, ist sie fröhlich und ihre Fröhlichkeit steckt die Kunden an und macht sie auch glücklich und spendabel. Wenn sie mit ihrem Lohn heimkommt, weiß sie, dass es dann ihr und ihrer Tochter wieder eine Weile gut geht und der ewige Kampf sich lohnt. Yoani hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, eines Tages sogar einen ihrer Kunden zu heiraten, einen den sie richtig sympathisch findet, einen, der das notwendige Kleingeld hat und auch bereit ist, die Rolle des Stiefvaters zu übernehmen. Einen, mit dem sie ein neues Leben anfangen kann, am besten zu dritt in einem fernen Land oder auch nur zu zweit, denn ihre Tochter wird bald flügge sein und wird sie dann verlassen. Doch meistens kommt bei den Kandidaten rasch die Ernüchterung, denn wer will schon eine Frau heiraten, die sich an jeden verkauft, die schon die Blüte ihres Lebens fast überschritten hat und zudem eine teure Tochter hat, die mitversorgt werden müsste. Das sind alles Faktoren, die für eine dauerhafte Beziehung zu einem Ausländer, geschweige denn zu einem Landsmann, nicht förderlich sind und so schwindet die Hoffnung, doch noch jemanden zu ergattern jedes Jahr mehr und mehr, ist aber immer noch nicht ganz aufgegeben. Yoani wird nicht jünger und nicht schöner und sie muss immer mehr um ihre Kundschaft kämpfen, jeden Tag, jede Nacht, jede Stunde. Die Konkurrenz ist große, sie schläft nicht, nur mit den Kunden, es sind junge, attraktive Mädchen, die sich auf den Markt drängen und das zu Dumpingpreisen. Yoani ist kein schlechter Mensch, ganz bestimmt nicht, auch wenn sie Dinge machen muss, die das Missfallen der sogenannten Anständigen erregt. Yoani verdient mit ehrlicher Arbeit ihr Geld, sie ist auch ehrlich und sie würde nie auf die Idee kommen, einen Kunden zu beklauen, selbst wenn die Geldbörse offen herumliegen würde, außer wenn es doch notwendig ist.
Nun zu Angela, dem zarten Elfenmädchen mit den traurigen Augen. Die rühren daher, dass ihr brutaler Freund sie nach Strich und Faden betrügt. Sie ist viel jünger als Yoani, könnte somit eine dieser gefährlichen Konkurrentinnen sein, die Yoani fürchtet. Sie ist nicht nur jünger, sondern auch deutlich hübscher. Ein richtig süßer Käfer, ein Mädchen zum Verlieben, keine alternde Nutte. Doch Angela sieht zwar aus wie ein Engel, ist aber keiner. Sie will ebenfalls auf einen grünen Zweig kommen, sie träumt davon, möglichst auch einen Ausländer mit viel Geld zu heiraten oder sich zumindest von einem Geliebten dauerhaft unterstützen zu lassen. Wie Yoani, würde auch sie ihm dafür all das reichlich zukommen lassen, was sie zur Verfügung hat: Jugend, Schönheit, scheinbare Unschuld, scheinbare Hilflosigkeit, scheinbare Naivität, einen perfekten, zerbrechlichen, kindlich wirkenden Körper, ihren schönen großen Busen und ihre wunderbaren Qualitäten im Bett. Ihr fehlen zwar die Erfahrungen einer Yoani, man darf hier ruhig sagen, dass sie noch niemals versucht hat, sich einen solchen Mann zu angeln, dafür hat sie zusätzlich den Schmelz ihrer Jugend, also mehr Kapital, als Yoani, und weil ihr Söhnchen erst drei Jahre alt war, auch einen kleineren Klotz am Bein, einen, den man einfacher in eine Ehe mitnehmen konnte. In dieser Hinsicht, was sie den Männern geben, gleichen sie sich wieder. Beide sind bereit, alles zu geben, was sie können, wenn es sich lohnt, wenn die Männer zahlten, aber auch nur dann. Angelas Reize sind unserem Protagonisten gleich aufgefallen, schon als er sie in der Disko und dann in dem Park sah. Weil sie sein Typ ist, weil sie so hübsch ist, das Engelsgesicht, die Elfenfigur mit dem großen Busen, deswegen hat er sich in sie verliebt. Seine Verliebtheit hat noch zugenommen, als sie vor der Disko saßen, auf der Bank, in der warmen Nacht und sie wegen ihres Freunds geweint hatte. Dieser Freund ist nämlich ihr großes Problem. Er ist für ihr Schicksal verantwortlich und das ist leider nicht sehr schön. Schon sehr früh hatte sie ihn kennengelernt. Er war ein Junge aus der Nachbarschaft, viel älter als sie und scharf auf sie. Er hatte sich in sie verliebt, kaum dass sie 15 war und damit, nach hiesigen Verhältnissen, reif für die Liebe. Er hatte mit ihr angebandelt, sich um sie gekümmert, ihr Eis und Schokolade spendiert und sie schließlich verführt, als sie noch nicht einmal so richtig begriff, zu was er sie verführte. Die kleine Angela war absolut unerfahren. Sie hatte alles geglaubt, was der Junge ihr erzählt hatte, alle Schwüre ernst genommen. Sie hatte sich ihm hingegeben, obwohl sie selbst noch fast ein Kind war, vielleicht auch, weil die Leidenschaft schon damals in ihr getobt hatte, eine Leidenschaft, die sie nie mehr losgelassen hat. Und schon die ersten gemeinsamen Zusammenkünfte, in verlassenen Schuppen, in einem Park, hatte Folgen, denn die Kondome, die er mitbrachte, waren überlagert und einmal riss einer im entscheidenden Moment. Angela war schwanger und damit begannen die Probleme. Denn, anstatt sich um seine Freundin zu kümmern, anstatt sich auf das Baby zu freuen, sie gar zu heiraten und das Kind anzuerkennen, floh er vor der Verantwortung, dachte gar nicht daran, sein Leben zu ändern, suchte stattdessen Trost bei anderen Frauen. Seltsamerweise trennte er sich aber nicht ganz von Angela und irgendwie war er auch stolz auf das Kind, ja man kann sagen, er liebte es. Er besuchte beide regelmäßig, natürlich auch, um mit Angela zu schlafen, sie war ja eine sehr attraktive Frau, und er gab ihr sogar Geld, wenn er welches bei seinen krummen Geschäften verdient hatte, und Angela war auf dieses Geld angewiesen. Denn sie selbst hatte keine Ausbildung, keinen Beruf, keine Arbeit, nur das Kind und das kostete Geld. Sie musste ihren Ex-Freund gut behandeln und machen, was er wollte, obwohl er sie betrog, sie verlassen hatte und ihr auch keine Hoffnung auf ein gemeinsames Leben machte. Denn von Heirat wollte er nichts wissen und das Wort Treue kannte er nicht. Er brauchte immer wieder frische junge Mädchen, um sie auf den Strich zu schicken und sich so sein Einkommen zu sichern. Von Angela hatte er das aber nie verlangt, er achtete sie in dieser Hinsicht seltsamerweise und sie wusste das und konnte ihn daher auch nicht völlig abschreiben, trotz all seiner Eskapaden. Er behandelte Angela bestimmt nicht immer gut, aber er gab ihr wenigstens manchmal das Gefühl, dass sie eine Familie habe und eine geachtete Ehefrau sei und sie wusste, dass er ihre gemeinsame Tochter sehr mochte, allein deswegen hing sie an ihm und hätte ihn nicht aufgegeben.
Auch an diesem Abend hatte er sie geärgert, weil er ganz offen ihre beste Freundin umwarb und sicher mit ihr ins Bett gehen würde. Angela wusste nicht, was sie dagegen tun konnte. Einerseits hatte sie genug von diesem Typ, der so schlecht zu ihr war. Andererseits war sie von ihm abhängig und wollte außerdem, dass ihr kleiner Sohn wenigstens zeitweise einen Vater hatte. Sie war noch nie auf die Idee gekommen, sich Geld durch offene Prostitution zu beschaffen, wie Yoani es tat, das lag ihr absolut nicht, das wollte sie auf keinen Fall.. Als der fremde Mann vor der Disko plötzlich neben ihr stand und sich dann zu ihr setzte und sich freundlich erkundigte, warum sie weinte, war sie erschrocken und geschmeichelt zugleich. Aber der Mann war viel zu alt für sie, als dass er sie interessiert hätte und sie wollte wegen ihm, ihre Prinzipien nicht aufgeben, wollte nicht eine Nacht mit ihm verbringen und sich dafür bezahlen lassen, kurz gesagt, sie war sich viel zu schade, eine Hure sein zu wollen. Aber selbst, wenn sie das aus Liebe täte und auch sein Alter ignorierte, wäre es nur eine kurze, einmalige Affäre. Er würde wieder aus ihrem Leben verschwinden, sie würde nie mehr etwas von ihm hören. Er war einer dieser Ausländer, die nach einem schönen Urlaub wieder zu ihren Frauen und Kindern zurückkehren und die kleine Geliebte bald vergessen würden. Doch als sie sah, wie traurig der Mann war, als sie zurück in die Disko ging, tat er ihr leid und sie versprach, am nächsten Tag zu kommen. Außerdem dachte sie, man sollte keine Chance vergeben, die zu einer Verbesserung des Lebens führte, und einmal muss man mit dem anfangen, was man sich schon lange vorgenommen hatte. Sie hatte das Versprechen nur halbherzig gegeben, sie hatte ehrlich gesagt, etwas Schiss vor der eigenen Courage und so war sie ganz froh, als es am nächsten Tag heftig regnete und sie einen guten Grund hatte, erst gar nicht aus dem Haus zu gehen.
Die erste Entscheidung
Die Bar war schon geöffnet und hinter der Theke stand Antonio, derselbe Mann, wie am Abend zuvor, klein, angeklatschte Haare, große Nase, Leberfleck an der Schläfe. Er hatte noch nicht viel zu tun und stellte gleich eine Dose Bier vor ihn hin, ohne dass er sie bestellen musste. Nach einem großen Schluck fing er das Gespräch an. „Sag mal, hast du mir gestern Gift in diesen verdammten Cocktail getan? Ich war danach unglaublich müde. Du weißt doch noch, dass dieses Mädchen, ihr Name war, Yoani, wenn ich mich recht erinnere, den Drink bestellt hat. Es war die, die erst spät gekommen ist, lange nach Mitternacht. Sie ist dann auf mein Zimmer gekommen, aber statt zu vögeln, hat sie mir mein Geld gestohlen, weil ich wegen diesem Drink, den du bestellt hast, eingeschlafen bin. Steckst du mit der unter der Decke? Bist du der Drahtzieher?“ Der Barmann sah ihn fragend an, schüttelte den Kopf und sagte, er wisse von nichts, er kenne keine Yoani und an ein Mädchen, das gestern nach Mitternacht gekommen sein soll und sich neben ihn gesetzt habe, könne er sich nicht erinnern. Nach Mitternacht sei niemand mehr gekommen. Und eine Yoani kenne er überhaupt nicht. Dass der verdammte Barkeeper jegliche Beteiligung oder gar Schuld an dem manipulierten Cocktail leugnen würde, war keine Überraschung, aber dass er die Existenz, zumindest die Anwesenheit dieser Yoani bestritt, war doch überraschend. Seine Konfusion war vollkommen und er zweifelte, ob er in der letzten Nacht überhaupt hier gewesen war oder ob er alles nur geträumt hatte. „War es möglich, dass nur seine Seele an der Bar saß, während er in seinem Bett lag und träumte? So etwas gibt es doch“, dachte er, „Seelenwanderung, das gibt es, aber ich bin doch hier an dieser Bar gesessen und habe ein paar Bier getrunken und genau dieser Typ war hinter der Bar und dann kam diese Yoani und hat sich neben mich gesetzt und wir haben geredet und dann hat sie diesen Cocktail bestellt und danach wurde alles diffus. Aber ich weiß noch genau, dass sie weggegangen ist, aber später auf mein Zimmer gekommen. Warum ist sie nicht gleich mitgekommen? Was dann im Zimmer passiert ist, das weiß ich nicht mehr, außer, dass sie bestimmt gekommen ist, aber danach Blackout. Das war doch so gewesen, warum will dieser Mensch das nicht bestätigen? Warum lügt er mich an? Warum kennt er die Yoani angeblich nicht, obwohl er sie ganz bestimmt kennt? Bin ich das Opfer einer Verschwörung?“ Er bekam langsam Angst, nicht wegen dieses Manns hinter der Theke und auch nicht wegen dieser Frau, die ihn reingelegt hatte, sondern weil er an seinem Verstand zweifelte, an sich selbst. Alles war so seltsam, so diffus, so weit weg, war das nur das Resultat dieses verdammten Cocktails oder war das der Beginn von Alzheimer? Aber eine Tatsache war unbestritten, das meiste von seinem Geld war weg, das war real, das konnte er jederzeit durch einen Blick in seine dünne Geldbörse nachprüfen. Alles war also nicht nur Illusion gewesen und es war nun an ihm, die Wahrheit herausfinden, um nicht länger an sich selbst zu zweifeln.
Er saß immer noch an der Bar und starrte den Mann hinter der Theke an. Warum nur leugnete er die Begegnung mit dieser Yoani in der letzten Nacht? Was hatte er davon? Angst, weil er fürchtete, Probleme mit der Polizei zu bekommen, wenn er ihn anzeigen würde? Er wurde aus der ganzen Sache einfach nicht schlau, und als er noch einmal nach dieser Yoani fragte, leugnete er wieder. Nein, das sei wohl ein Missverständnis, eine Yoani kenne er nicht und gestern Abend sei so spät niemand mehr und schon gar kein Mädchen in die Bar gekommen. Aus diesem Typ würde er keine weiteren Informationen herausbekommen, nicht einmal die Adresse von dieser Yoani, um sie zur Rede zu stellen und um das Geld wiederzubekommen. Wütend trank er sein Bier aus und ging hinaus ins Freie, in den Regen, der wieder eingesetzt hatte. Auf diese Yoani konnte er nicht warten, weil es sie angeblich gar nicht gab, weil sie, wenn es sie doch gab, sicher nicht kommen würde, um ihm nicht über den Weg zu laufen und seinen Fragen ausgesetzt zu sein. Blieb ihm nur das Mädchen, dessen traurige Augen und dessen großer Busen sich in sein Gedächtnis eingeprägt hatten. Gab es die denn wenigstens oder hatte er sich ihre Begegnung auch nur eingebildet? Nicht eingebildet hatte er sich aber die überlaute Diskothek an der Plaza San Firmin. Dort war er am gestrigen Abend gewesen und heute um die Mittagszeit, im strömenden Regen, als sie geschlossen und alles ruhig war bis auf das unaufhörliche Rauschen des Regens. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, nicht noch einmal hinzugehen, nicht weiter seine Zeit mit diesen unberechenbaren Weibern zu vertrödeln, aber der Entschluss hatte nicht lange vorgehalten, und so war er jetzt auf dem Weg zu der Disko, getragen von einer unbestimmten Hoffnung und einem sehr bestimmten Verlangen.
Aber es war noch zu früh. Um diese Zeit war sie geschlossen, aber er war fest entschlossen, etwas über das Mädchen zu erfahren. Er klopfte an die Tür, hämmerte dann mit seiner Faust dagegen und nach einer Weile machte eine ältere Frau sie tatsächlich auf. Was er wolle, er sehe doch, dass hier noch nichts los sei, erst am Abend sei Betrieb. Ohne Umschweife brachte er sein Anliegen vor, beschrieb das junge Mädchen so gut er konnte und fragte, ob die Frau sie vielleicht zufällig kennen würde. Und wie es der Zufall wollte, es gibt im Leben tatsächlich manchmal unwahrscheinliche Zufälle, kannte die Frau das Mädchen. „Ja, ich kenne sie, und auch ihren Freund. Er ist ein Bekannter meines Sohns, ein übler Kerl, ich mag ihn nicht und will nicht, dass mein Sohn Umgang mit ihm hat, aber versuchen Sie mal auf einen Heranwachsenden Einfluss zu nehmen, selbst als Mutter ist das kaum noch möglich.“ Was er denn von Angela wolle? Nun hörte er zum ersten Mal ihren Namen. Die Frau erklärte ihm, ohne dass er sie gefragt hätte, dass sie hier, in der Diskothek für fast alles zuständig sei, für das Putzen am Tag und auch nachts müsse sie manchmal aushelfen, deswegen würde sie viele Gäste kennen, es seien ja fast immer dieselben, Fremde kämen hier kaum her, höchstens am Wochenende, und sie würde sich wundern, warum er, der Fremde, er sei doch einer, überhaupt hier gewesen war, gestern in der Nacht. Er hatte keine Lust auf lange Erklärungen und fragte, ob sie wisse, wo er diese Angela finden könnte, er müsse mit ihr etwas besprechen, noch heute. Die Frau zögerte, dachte vermutlich von wegen etwas besprechen. Er holte aus seinem Geldbeutel einen Schein und gab ihn ihr als Erinnerungshilfe. Die Frau strahlte und nannte ihm eine Straße und eine Hausnummer und wünschte ihm noch dazu alles Gute und er solle aufpassen dieser Freund von der Angela, sei böse und eifersüchtig und unberechenbar.
Pass auf dich auf, waren die letzten Worte, die die Frau ihm nachrief, als er wieder auf die Straße trat. Er musste mehrmals fragen, ehe er die Straße fand und das Haus, vor dem er schließlich stand, sah alles andere als einladend aus. Es war eine schäbige Hütte, fast eine Ruine. Ein Teil des Dachs war beschädigt und einige Fenster waren mit Holzplatten statt mit Scheiben versehen. Er wunderte sich, dass ein so baufälliges, verkommenes Haus anscheinend doch noch bewohnt sein sollte. Er beschloss, es erst einmal eine Weile zu beobachten. Vielleicht war dieser Freund gerade da und ihn zu treffen, wollte er vermeiden, nachdem, was die Frau gesagt hatte und das seinen Eindruck nur bestärkt hatte. Er suchte sich einen Platz auf der anderen Straßenseite, von dem aus er schauen konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Auch um diese Zeit waren die Straßen nicht belebt, auch wegen des schlechten Wetters. Der unregelmäßig einsetzende Regen und die heftigen Windböen hielten die meisten davon ab, ihr Haus zu verlassen. Niemand ging an ihm vorbei, niemand betrat das Haus, niemand verließ es. Dann raffte er sich endlich auf, überquerte die Straße, ging auf das Haus zu, ging die paar Meter durch einen kleinen, ungepflegten Vorgarten bis zu der Haustür und klopfte. Die Tür hing windschief in den Angeln, man hätte sie ziemlich einfach aufbrechen können. Es rührte sich nichts. Er klopfte nochmals, lauter, fester, ungestümer. Es war wohl doch niemand im Haus, und er wollte ziemlich enttäuscht schon wieder gehen, als die Tür vorsichtig geöffnet wurde, sie quietschte leise in den Angeln und dann stand tatsächlich das Mädchen in der offenen Tür. Sie erkannte ihn sofort und schien gar nicht überrascht zu sein, ihn zu sehen, fragte nur ein wenig erstaunt, wie er sie gefunden habe. Als sie dann in einer Art Wohnküche saßen, karg eingerichtet, nur das Nötigste und das war alt und schäbig, entschuldigte sich Angela wegen der Enge, der Unordnung, der Armseligkeit. „Das war der Hurrikan vor ein paar Jahren“, sagte sie, „wir haben kein Geld, um das Haus herzurichten oder um neue Möbel zu kaufen, wir haben für nichts Geld.“ Sie fragte, ob er einen Kaffee wolle. „Und wenn wir Geld hätten, gäbe es kein Material, keine Handwerker, die Geschäfte sind leer, es gibt einfach nichts“, erklärt sie schulterzuckend, während sie das Wasser aufsetzte und die Kaffeebohnen in einer alten Kaffeemühle mahlte. Er wollte wissen, wer denn wir sei, wer noch hier lebe. „Allein mit meinem Sohn und meiner jüngeren Schwester, die noch in die Schule geht“, antwortete sie. Die beiden seien aber gerade nicht da, sondern bei ihren Eltern, die in einer anderen Gegend wohnten. Er war höchst erstaunt zu hören, dass sie allein, ohne ihr Eltern hier wohne und noch mehr, dass sie ein Kind habe. So jung, so verdammt jung und schon ein Kind, sagte er und sie lachte, ja sie sehe sehr jung aus, aber sie sei schon 20. Dann wollte er wissen, ob der Freund, der aus der Disko, der sie so gedemütigt hatte, der Vater sei, und nahm einen Schluck des heißen, bitteren Kaffees. „Mein Freund, ja das ist eine schlimme Geschichte. Er hat mich sitzen lassen, kaum dass der Kleine geboren war. Er hatte keine Lust auf Familie, keine Lust, seine Zeit für ein Baby zu opfern und auch ich war nicht mehr so wichtig, auch mit mir wollte er seine Zeit nicht verbringen. Er ist immer unersättlich, sucht immer neue Abenteuer, will seine Freiheit nicht aufgeben und braucht immer neue Frauen, die er dann bald wieder verlässt, so wie mich. Er nimmt, was er bekommen kann, sogar meine Freundin, das kränkt mich. Trotzdem kommt er immer wieder zu mir und ich komme auch nicht von ihm los. Er gibt mir manchmal Geld, sonst hätte ich gar nichts und er liebt den Kleinen, obwohl er ihn verlassen hat. Ich muss mit ihm auskommen, schließlich ist er der Vater meines Sohns. Ob ich ihn immer noch liebe, willst du wissen. Ich weiß es nicht, ich glaube nicht. Er will nur manchmal mit mir schlafen, sonst nichts. Das Geld gibt er mir auch nur widerwillig, ich muss ihn richtig anflehen, oder es so machen, wie eine Nutte und ihn nur ins Bett lassen, wenn er mir vorher einen Schein gibt. Das versteht er. Ich selbst verdiene ja kaum etwas, manchmal gehe ich putzen. Meine Eltern sind auch arm, das Einzige was sie für mich tun, ist auf meinen Sohn aufzupassen, wenn ich arbeiten muss oder wenn ich abends ausgehen will. Man muss ja etwas vom Leben haben. Mein Traum wäre ein Kosmetikstudio, ein Haarsalon oder ein Nagelstudio, ich könnte alle Arbeiten machen, die man da können muss, ich bin sehr geschickt, aber mir fehlen die Geräte und die Materialien. Viel verdienen würde ich aber auch nicht, denn die Frauen, die zu mir kämen, haben selbst kaum Geld, aber vielleicht könnte man Tauschgeschäfte machen. Das Leben ist hart, ich kann nicht regelmäßig arbeiten gehen, mein Kind soll nicht immer bei den Großeltern sein. Aber nächstes Jahr kann ich es in die Kinderkrippe geben und mir eine Arbeit suchen. Ich bin jung und optimistisch und vielleicht finde ich jemanden, der mir hilft.“
Er war gerührt, hörte sich ihre Geschichte an, zeigte Mitleid, sagte, dass er sie so schön und attraktiv gefunden habe, gestern in dem Park und dass er sie deswegen unbedingt wiedersehen wollte und dass sie jetzt noch schöner und begehrenswerter sei, weil sie es so schwer habe. Sie schien nicht erstaunt zu sein, weil sie sich ihrer Wirkung auf Männer vermutlich bewusst zu sein. Warum sie am Vormittag nicht wie versprochen zur Disko gekommen sei, wollte er dann wissen, wegen des Regens?. Sie schaute ihn amüsiert, fast mitleidig an. Nein, nicht wegen des Regens, Regen würde ihr nicht viel ausmachen, aber sie lasse sich nicht auf jeden ein, schon gar nicht auf einen Fremden, den sie noch nicht einmal richtig kennen würde. Er solle sich nichts einbilden. Sie habe ihm ein Treffen nur vorgeschlagen, weil er ihr leidgetan habe, weil er so einsam war und so traurig geschaut habe. Er gestand ihr darauf, dass sie ihm wegen ihrer traurigen Augen gefallen habe und er sie auch deswegen wiedersehen wollte, um zu sehen, wie sie aussieht, wenn sie fröhlich ist. Darauf meinte sie, dass sie sich gut vorstellen könne, mit ihm einmal auszugehen, sie hätte nichts gegen ältere Männer, die seien ihr lieber als die jungen, lieber als solche Machotypen wie ihr Freund. Aber sie bräuchte immer etwas Zeit, deswegen hätte sie den nächsten Tag vorgeschlagen. Sie sei keine Prostituierte, sondern eine anständige Frau und eine liebende Mutter. Ihre Erklärung erschien ihm nicht plausibel, aber er wollte nicht nachbohren, was ihr wirklicher Grund gewesen war.
Dann hatte er den Kaffee getrunken und grübelte nach, mit welcher Taktik er doch noch sein Ziel erreichen könnte, mit welchen Mitteln und Versprechungen er das Mädchen anlocken und schließlich verführen konnte, denn das war sein Ziel, mit ihr ins Bett gehen, noch in dieser Nacht. Geld konnte er jedenfalls nicht bieten, er hatte ja kaum noch welches. Mit seinem Charme? Den hatte er zweifellos, aber würde das reichen, um ein so junges Mädchen zu überzeugen? Er versuchte es dennoch und redete auf sie ein, raspelte Süßholz in rauen Mengen, versprach ihr das Blaue vom Himmel, behauptete, sie sei die einzige Frau, die er lieben könnte und wenn sie ihn erhören würde und sei es auch nur in dieser einen Nacht, dann würde er nie mehr eine andere Frau anschauen, sie sei die Schönste, die Beste, sie sei das, was er schon immer gesucht habe und so weiter und so weiter. Er war noch mitten drin, sie zu überzeugen, dass er der Mann für ihr Leben sei und vielleicht hätte sie sich sogar auf ihn eingelassen, nur damit er Ruhe gab, aber die letzte Entscheidung wurde ihnen abgenommen. Das Mädchen wurde auf einmal blass und schaute erst ihn an, dann an ihm vorbei in Richtung Haustür, die sich in seinem Rücken befand. Erst als er ein quietschendes Geräusch hörte und sich umdrehte, sah er einen Mann in der Tür stehen, dann erkannte er ihn und sah, dass er ihn sehr böse anschaute. Dieser verdammte Freund hielt sich nicht mit langen Reden auf, er zischte nur ein paar Worte in Richtung seiner Freundin, diese antwortete mit einem verzweifelten Aufschrei und dem Versuch einer Erklärung, aber er hörte nicht hin, kam vielmehr direkt auf den Eindringling zu, ohne ein Wort zu sagen, ohne sich zu vergewissern, wer er sei und was er hier tue, allein seine Anwesenheit in dieser Wohnung genügte ihm. Statt zu reden, schlug er ihm mit der Faust ins Gesicht. Es war ein heftiger Schlag, der ihn auf seinen Stuhl zurückwarf. Dann kam noch eine Kaskade von Schimpfworten aus dem geifernden Mund dieses Bastards, der genau so gefährlich war, wie die Frau in der Disko es vorausgesagt hatte. Schließlich packte er den Eindringling am Arm, zerrte ihn zur Haustür und warf ihn mit einem solchen Schwung auf die regennasse Straße, dass er zu Boden stürzte. Die Haustür wurde zugeknallt und während der Geschlagene sich mühsam erhob und den Matsch notdürftig aus seinen Kleidern entfernte, hörte er, wie der Schläger sich nun seine „Freundin“ vornahm und sie beschimpfte, vielleicht sogar schlug, denn ihre Stimme klang genauso laut und verzweifelt, wie am Abend zuvor in der Disko.
Die zweite Entscheidung
Einen kurzen Moment überlegte er, zurück in das Haus zu gehen und das Mädchen zu retten oder zu beschützen oder zu trösten, aber er ließ es bleiben, weil er Angst hatte. Einen weiteren Schlag wollte er nicht riskieren, denn gegen diesen Schläger hätte er sowieso nichts ausrichten können. Er war schneller und stärker und wahrscheinlich Schlägereien gewohnt, im Gegensatz zu ihm, der noch nie in seinem Leben, von der frühen Schulzeit vielleicht einmal abgesehen, in eine Schlägerei verwickelt war. Er hätte sich bestimmt ganz dämlich angestellt, gar nicht gewusst, wie man angreifen muss und auch nicht, wie man sich effizient wehren könnte. Deshalb machte er sich fluchend und auf Rache sinnend auf den Weg zurück ins Hotel. Er war restlos bedient. Auf diese Art von Abenteuer hätte er liebend gern verzichtet. In seinem Zimmer angekommen, schaute er als Erstes in den Spiegel über dem Waschbecken. Sein linkes Jochbein war geschwollen, ein kleiner Bluterguss hatte sich ausgebreitet, das Auge selbst war leicht geschwollen, ein typisches Veilchen, nichts Schlimmes, aber deutlich sichtbar. Jeder, der ihn sah, wusste, dass so etwas nur von einer Schlägerei herrührte. Guter Schlag, dachte er grimmig, dann zog er sich aus, duschte und suchte, immer noch wütend in seinem Koffer nach neuen Kleidern. Diesen Abschluss einer Urlaubsreise hätte er nicht einmal seinem ärgsten Feind gewünscht. Selbstmitleid packte ihn, er brauchte Trost, der Hunger war ihm zwar vergangen, aber er hatte Durst. Das, was er jetzt dringend brauchte, war ein Bier oder zwei, später könnte er vielleicht noch etwas essen, wenn sich sein Magen wieder beruhigt hatte. Die Bar war zwar geöffnet, aber um diese Zeit noch leer, es war noch zu früh für die ewigen Stammgäste. Der Barkeeper Antonio sah ihn fragend an, traute sich aber nicht, sich nach dem Grund seiner Blessur zu erkundigen. Ohne eine Bestellung abzuwarten, stellte er eine Dose Bier vor ihn auf den Tresen. Welche Wohltat! Sein Mund war schon ganz trocken gewesen, vor Wut, vor Enttäuschung, vor Scham. Er trank schweigend, darauf eingestellt, das ihn niemand anquatschen würde, dass er niemandem von seinen Erlebnissen und seinem Kummer erzählen könnte. Doch dann geschah etwas, das er nicht erwartet hätte. Antonio kam, über den Tresen hinweg, ganz dicht zu ihm, steckte seinen Kopf ganz nahe an den seinen und flüsterte, obwohl niemand sonst da war, der ihn hätte hören können, ob er ihm helfen könne, ob er ihm eine Frau als Trost besorgen solle, vielleicht die vom Vorabend, diese Yoani. Er war perplex. Er kannte sie also doch. Es war keine Einbildung gewesen. Er nickte, bevor er über den Grund dieses Sinneswandels nachdachte und Antonio tippte eine Nummer in sein Handy. Keine Viertelstunde später betrat Yoani die Bar und kam ohne Umschweife auf ihn zu, umarmte ihn, gab ihm einen Kuss auf den Mund und fragte erst dann, was mit seinem Gesicht los sei.
Sie lagen schon kurz darauf im Bett, nackt nebeneinander und erholten sich von dem heftigen Liebesakt, den sie mit aller Leidenschaft und aller noch verbliebenen Kraft, vollzogen hatten, zwei Menschen, die kurz vor dem Ertrinken waren und das rettende Boot gerade noch zu fassen bekommen. In diesem Akt hatten sie wenig Zärtlichkeit ausgetauscht, es dominierten die Sehnsucht, die Gier, bei ihm auch so etwas wie eine Torschlusspanik, dann noch die tiefe Befriedigung. Sie hatte sich förmlich die Kleider vom Leib gerissen, hatten sich gegenseitig voller Ungeduld stimuliert. Er wollte rechtzeitig kommen, sie drängte ihn, rasch einzudringen. Sie stöhnten, bewegten ihre Körper im Takt und schon nach kurzer Zeit erreichten beide einen wunderbaren Orgasmus. Auf seine Bemerkung noch in der Bar, bevor sie auf dem Zimmer waren, er habe kaum noch genug Geld, um ihr ein angemessenes Geschenk zu machen, sagte sie nur, darüber könne man später reden. Auch über alles andere könne man später reden, stellte Yoani kategorisch fest und drängte ihn, sein Bier auszutrinken und mit ihr auf sein Zimmer zu gehen. Er war über ihre Ungeduld ganz froh, denn auch er wollte erst handeln und dann reden. Worte spielten dann auch keine Rolle mehr und nur noch der Instinkt und die Lust und die Trauer und der Schmerz beherrschten sie. Trauer, weil der Meinung waren, sie hätten sich schon viel früher treffen sollen, Schmerz, weil nur noch kurze Zeit für sie blieb. Als sie schließlich wieder entspannt nebeneinanderlagen, erzählte er von den schlechten Tagen in diesem Land, von seinen Enttäuschungen und Hoffnungen und von seiner Sehnsucht nach einer Frau, die bisher noch auf keine Weise befriedigt worden war. Die Geschichte, wie er sich das blaue Auge eingehandelt hatte, seine schon fast abartige Lust auf dieses junge Mädchen, die Rolle ihres brutalen Freunds und die finale Schlägerei erwähne er aber nur sehr allgemein. Yoani erzählte ihm von ihrem Leben, von ihrem Kind, von dem täglichen Kampf um das Überleben, die ständige Suche nach Geld, aber auch, dass er ihr gleich gefallen habe, gleich als sie die Bar betreten hatte,. Ob er es glaube oder nicht, aber sie habe sich in ihn verliebt, das sei wirklich wahr. Er war gerührt, glaubte ihr kein Wort und wollte vor allem noch eine Sache wissen. „Wenn ich dir so gefallen habe, warum hast du mir dann das Schlafmittel in diesen verdammten Cocktail geschüttet und mir auch noch fast mein ganzes restliches Geld geklaut? Und noch eine Frage, haben wir zusammen gevögelt oder nicht, ich kann mich wirklich nicht mehr erinnern?“ Sie schaute ihn entsetzt an. „Ich habe so etwas nicht getan. Niemals hätte ich solch eine Gemeinheit getan? Du musst dich täuschen, ich war es jedenfalls nicht.“ Dann fiel ihr etwas ein. „Dieser Antonio, dieses Schwein, der war es. Ich weiß, dass er mit solchen Tricks arbeitet. Er wollte mich auch schon dazu bringen mitzumachen, aber ich bin ein ehrlicher, anständiger Mensch. Ich würde niemals jemanden, den ich mag, so hereinlegen. Ja, ich versuche an mein Geld zu bekommen, ich versuche durch Verhandeln mein Geschenk zu verbessern, aber nur durch Worte und Schmeicheleien, nie durch Gewalt oder gar mit Diebstahl. Ich fand es sehr traurig, dass du eingeschlafen bist, bevor wir zur Sache kamen, aber ich dachte du bist erschöpft von einem langen Tag. Ich bin dann einfach gegangen, ohne etwas mitzunehmen. Ich werde mit Antonio reden, er soll dir das Geld zurückgeben und dann kannst du mir immer noch ein Geschenk machen, wenn du willst, aber ich überlasse es dir, weil ich dich liebe und es mir mit dir gefällt. Du musst wissen, dass es mit dir nicht wie sonst ist, es ist, ob du es glaubst oder nicht, als ob ich verliebt wäre. Als ob ich ein junges Mädchen wäre, das sich in einen reifen Mann verliebt hat. Und wenn man verliebt ist, nimmt man doch kein Geld von seinem Liebsten.“ Er fand ihre Idee mit Antonio gut, hatte aber Zweifel, dass er wieder etwas von dem herausrücken würde, was er einmal an sich genommen hatte. Er würde alles abstreiten, zwar nicht mehr leugnen, dass Yoani da gewesen war, aber niemals zugeben, dass er eine so fiese Sache gemacht habe, er sei doch ein Ehrenmann, wenn ihm tatsächlich etwas zugestoßen sei, dann sei es allein Yoanis Schuld. Beide mussten lachen, als er Antonio pantomimisch perfekt nachmachte.
Yoani redete lange und eindringlich und sehr leise auf Antonio ein. Dem war das Gespräch äußerst unangenehm, er wandte sich, rechtfertigte sich, schüttelte den Kopf, man konnte deutlich sehen, über was die beiden redeten, selbst wenn man kein Wort verstand. Schließlich verließ Antonio kurz die Bar und ging in einen Nebenraum. Als er zurückkam, drückte er Yoani ein paar Geldscheine in die Hand. Sie nahm sie, ohne nachzuzählen, kam sofort zu dem gespannten Beobachter dieser Szene, gab ihm das Geld und fragte, ob es alles sei. Er zählte nach, überlegte und meinte schließlich, im Wesentlichen ja, ein bisschen würde fehlen, aber deswegen sollte sie jetzt keinen Aufstand machen. Viel wichtiger sei, dass er nun für die letzten Tage wieder genug Geld habe, dass er sie gerne zum Essen einladen würde und dass es auch noch für dieses besagte Geschenk reichen würde. Dann wollte er wissen, wie sie Antonio bewegen konnte, das Geld herauszurücken. Es sei nicht einfach gewesen, das habe er ja selbst gemerkt, meinte sie. Zuerst habe sie an sein Gewissen und an seinen Anstand appelliert, aber das habe nichts genützt. Da sie ihn aber schon lange kenne und beide aufeinander angewiesen seien, er vermittele ihr die Kunden, sie sei da, wenn er eine gute, zuverlässige Frau brauche, habe sie an ihre gute Zusammenarbeit appelliert. Er wisse doch, dass sie noch nie Anlass für Beschwerden gegeben habe, wie es bei manchen anderen oft der Fall sei. Die Drohung, die Zusammenarbeit aufzukündigen, habe ihn bewogen, das Geld zu holen. Das sei sicher viel wirkungsvoller gewesen, als zu drohen, ihn bei der Polizei anzuzeigen oder beim Hotelmanager anzuschwärzen. Das war die Version, die Yoani ihm über das Gespräch auftischte. Sie verschwieg ihm natürlich, dass sie doch mit Antonio unter einer Decke steckte und sie ihn nur überzeugen musste, dass sie ihm das Geld wieder geben würde, nachdem sie ihr Geschenk bekommen habe und das würde sie ganz sicher bekommen. Sie sagte natürlich auch nicht, dass sie mit dem Barkeeper nur wegen einer Sache gestritten hatte, um ihren Anteil an dem Deal, der war ihr zu niedrig, sie wollte mehr und das wollte er nicht, aber dann einigten sie sich doch. Das alles erfuhr er nicht und es hätte ihn auch nur unnötig beunruhigt und gegen sie eingenommen. Er war mit dem Ergebnis sehr zufrieden und gab ihr als Dank einen langen Kuss, den sie höchst willig und gefühlvoll erwiderte. Dann wiederholte er seinen Vorschlag, gemeinsam Essen zu gehen, warnte sie aber vor diesem elenden Restaurant in der Nähe, in dem er die letzten Mahlzeiten mehr schlecht als recht hinuntergewürgt hatte. Sie kannte es natürlich und stimmte ihm, was dessen Qualität betraf, voll zu. Sie kenne ein sehr nettes Lokal, aber man müsse mit einem Taxi hinfahren, zu Fuß sei es zu weit. Dort würde sie immer hingehen, wenn ein Kunde mit ihr zu speisen wünschte, was leider nur selten der Fall war, denn die meisten wollten nur mit ihr ins Bett und anschließend höchstens noch etwas zusammen trinken. Er stimmte sofort zu und Antonio bestellte mit seinem Handy ein Taxi und reservierte zwei Plätze in dem immer gut besuchten Lokal, das sich „ El Arca de Noé“ nannte.
Show-down
Die Atmosphäre in der Arca de Noé war ausgesprochen gemütlich. Man saß in einem Patio, von viel Grünzeug umgeben, an den Wänden eine Reihe von Tieren, entweder ausgestopft, aus Holz oder aus Plastik, von der Decke hingen hübsche, hölzerne Vögel. In der Mitte des Hofs plätscherte ein Springbrunnen, in dessen Becken lebende Goldfische ihre Runden schwammen. Die Auswahl des Menüs war zwar nicht groß, aber das, was sie aßen, war sehr gut. Beide hatten Shrimps in Tomatensoße bestellt und dazu ein kühles Bier, es schmeckte wirklich ausgezeichnet. Er gestand, dass ihm während seines Urlaubs, hier in diesem Land, noch nie ein Essen und ein Bier so gut geschmeckt hatten, aber das läge vor allem an ihrer bezaubernden Gesellschaft. Sie lachte daraufhin kokett. Als sie mit den Shrimps fertig waren und auch das Eis zum Nachtisch vor dem Schmelzen bewahrt hatten, schlug er vor, noch etwas zu unternehmen, den Abend angenehm ausklingen zu lassen. Ob sie Lust habe, in die Disko an der Plaza Firmin zu gehen, das sei ja wohl die einzige Möglichkeit weit und breit um sich zu amüsieren und außerdem schnell zu erreichen. Von dort aus, er grinste schelmisch, hätten sie es auch nicht weit zurück zum Hotel und dort würden sie dann Rest der Nacht verbringen und sie solle raten, was dann alles geschehen würde. Sie gab keine Antwort, lachte nur wieder sehr kokett und er schlug dann auch noch vor, den nächsten Tag bis in den frühen Abend zusammen in der Kapitale zu verbringen, bis er zum Flughafen müsse. Wenn sie etwas sparsam wären, würde er ihr sein ganzes restliches Geld geben und das sei bestimmt immer noch ein schönes Geschenk. Diesmal schaute sie ihn skeptisch an, sie war wohl nicht ganz mit seiner Rechnung einverstanden, stimmte aber schließlich zu, was hätte sie auch sonst machen sollen, legte ihre Hand sanft auf seinen Unterarm und sah ihn voller Wärme mit verliebten Augen an.
Sie ließen wieder ein Taxi kommen und fuhren zur Plaza San Firmin, aber der schöne, gemeinsame Abend hatte noch gar nicht so recht angefangen, da bedauerte er schon, dass er den Vorschlag mit der Disko gemacht hatte und sie nicht überredet hatte, gleich in das Hotelzimmer zu gehen, wo sie bestimmt einen netten, gemütlichen Abend und eine erfolgreiche Liebesnacht verbracht hätten. „Ich Arschloch“, sagte er zu sich am nächsten Morgen, als er allein in seinem Bett aufwachte,“ ich Arschloch habe alles versaut. Wie konnte ich nur so dämlich sein, noch einmal in diese Scheißdisko zu gehen“. Folgendes war passiert. In der Disko war diesmal Hochbetrieb. Es war Freitagabend und am Wochenende kamen sogar Leute aus der Kapitale. Die Preise hier draußen waren viel niedriger und die Stimmung immer ausgezeichnet. Nur mit Mühe wurden sie eingelassen, aber ein Scheinchen ist immer die beste Möglichkeit, eine Tür zu öffnen. Nur mit Mühe fanden sie einen Platz zum sitzen, hier half die Überredungskunst von Yoani und die zwei anderen Pärchen an dem Tisch rückten zusammen. Sie tanzten eng umschlungen, und liebesblöd wie ein Auerhahn, störte ihn nicht einmal die laute Musik. Sie tanzten zum zweiten Mal eng umschlungen und er flüsterte ihr ins Ohr, wie schön sie sei und wie froh er sei, sie getroffen zu haben und schwärmte von dem, was sie in ihrem Hotelzimmer später in der Nacht alles machen würden. Sie lächelte nur und schmiegte sich noch enger an ihn. Noch einen Tanz, beschloss er, dann würden sie in das Hotel gehen, dort wäre es gemütlicher und viel ruhiger und vor allem könnten sie noch einmal so richtig nach Herzenslust vögeln und er würde auf diese Weise wenigstens noch ein bisschen auf seine Kosten kommen, der Urlaub wäre doch nicht ganz versaut. Es war nun nicht so, dass ihm Yoani von all den Frauen, die anwesend waren und die er aufmerksam betrachtete, die hübscheste gewesen wäre, nicht einmal die attraktivste, nein das nicht, er hätte sich durchaus vorstellen können, mit der einen oder anderen jungen Chica zu flirten, sie anzumachen, vielleicht sogar zu verführen, irgendwie stand er ja auf ganz junge Mädchen und Yoani war nun Mal nicht mehr ganz jung. Aber Yoani war da, saß neben ihm oder tanzte in seinen Armen, sie war lieb und anschmiegsam und sie hatte ihm wieder zu dem Geld verholfen, dass sie vorher von ihm geklaut hatte. Ach, ja, noch etwas, Yoani war auch im Bett ganz ausgezeichnet, die professionelle Erfahrung vieler Jahre. Was wollte er mehr? Es war eine win-win Situation für beide. Ein Sprichwort fiel ihm ein, dass der Spatz in der Hand besser sei, als die Taube auf dem Dach. Aber was tut man, wenn die Taube plötzlich vor einem steht und in die Hand genommen werden will? Öffnet man die Hand und lässt den Spatz frei oder rennt man lieber schnell weg, um wenigstens den Spatz zu retten? Es wäre besser, diese Entscheidung erst gar nicht treffen zu müssen und weiter zu glauben, der Spatz sei besser, was er aber nun einmal nicht ist. Er rannte nicht weg, öffnete aber auch nicht gleich die Hand, sondern war einfach sprachlos und unfähig, das Richtige zu machen, als seine Taube flügelschlagend vor ihm stand.
Denn als sie von der Tanzfläche zurück zu ihrem Tisch kamen, wartete dort Angela und ruderte vor lauter Aufregung heftig mit ihren Armen. Dieselbe Angela, der er ein blaues Auge verdankte, dieselbe Angela, der er an diesem Ort zum ersten Mal begegnet war und die sich seitdem in seine Seele eingebrannt hatte und zur Inkarnation seiner sehnlichsten Wünsche geworden war. Dieselbe Angela, der er auch jetzt wieder voll verfiel. Sie ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen, ignorierte völlig, dass er in Begleitung war, stürzte sich auf ihn, umarmte ihn, küsste ihn auf den Mund und versicherte mit Tränen erstickter Stimme, wie leid er ihr getan habe, als dieses Arschloch von Freund ihn zusammengeschlagen hatte. Dann wollte sie wissen, wie es ihm gehe und ob er ihr verzeihen würde. Ohne eine Antwort abzuwarten, versicherte sie ihm, jetzt brauche er keine Angst mehr zu haben, dieses Rindvieh sei nicht da und würde auch nicht kommen. Er sei mit ihrer besten Freundin, der mit den blonden Haaren, ans Meer gefahren und sie würden erst wieder am Montag zurückkehren. Das alles sprudelte aus ihr heraus, das alles musste sie ihm sagen, auch dass sie so froh sei, er wisse nicht, wie froh sie sei, dass sie ihn noch einmal getroffen habe, sie habe es selbst nicht mehr geglaubt, aber jetzt würde sie ihn nicht mehr loslassen und ihm alles geben, was er sich nur wünschte, was er sich nur vorstellen könne und dass es ihr so leid täte, dass sie ihm das nicht schon viel früher, schon gleich gestern Abend, gesagt hätte. Bei diesem Ausbruch und vor allem bei diesem Angebot wurde ihm ganz schwindelig, er wollte nicht glauben, was sich da vor seinen Augen abspielte und was er da gerade hörte. Doch vor allem konnte er kaum glauben, was nun mit ihm selbst geschah, was er nun tat und wie er reagierte. Schon beim Anblick seiner bezaubernden Angela, die ja immer noch in seinem Kopf herumspukte, war er schwach geworden, trotz der nicht weniger attraktiven Yoani, die fassungslos danebenstand und zunächst die Ereignisse kommentarlos beobachtete. Sein Widerstand schmolz vollends dahin, als er ihre Worte hörte, ihre Umarmungen spürte und ihr heißen Küssen schmeckte. Es war ein eindeutiges, unmissverständliches Angebot und war nur noch total schwach und saudumm. Seine ganzen Gefühle, die noch vor ein paar Minuten Yoani gegolten hatten, an die er sich beim Tanzen voller Lust gedrückt hatte, fokussierten sich sofort und ausschließlich auf den Engel, der heute keine traurigen Augen hatte, dessen Augen nur so strahlten vor Glück, die allein mit dieser Ausstrahlung einen eingefleischten Asketen umgestimmt hätten. Seine schlagartige Veränderung bemerkte Yoani natürlich sofort. Sie hatte Übung darin, Männer zu beurteilen, aber in diesem Fall hätte es auch ein Blinder bemerkt, und es war ihr sofort klar, dass dieser Kerl für sie verloren war. Sollte sie ihn kampflos aufgeben? Hatte sie eine Chance gegen dieses junge Ding, das sie mit ihrer jugendlichen Strahlkraft spielend übertrumpfte? Nein, beschloss sie, das lohnt sich nicht, aber ungeschoren soll dieser Verräter auch nicht davon kommen. Noch ehe es ihm selbst klar war, dass er ein Verräter war, noch ehe er sich überhaupt richtig entscheiden konnte, mit welcher dieser beiden so unterschiedlichen Frauen er den Rest der Nacht und den folgenden Tag verbringen wollte, schuf Yoani Fakten. Sie wartete noch den nächsten Tanz ab, zu dem ihn die junge, geile Chica gleich gedrängt hatte und beobachtete, wie diese sich an ihr Opfer, an ihren Mann für diese Nacht, mit voller Verve heranmachte, sich an ihn drückte, ihn auf offener Bühne abküsste, kurzum, ihn mit diesem Tanz vollständig verführt und für sich eingenommen hatte. Das war der willkommene Anlass, den Yoani noch brauchte, um die Trennung und ihren Abgang perfekt zu machen. Als die beiden an den Tisch zurückkamen, er immer noch völlig benommen, gar nicht wissend, was ihm gerade widerfuhr, verkündete sie klipp und klar, er sei ein Arschloch und sie könne auf ihn verzichten und würde jetzt gehen, ohne ihn, aber nicht ohne das Geschenk, das er ihr versprochen habe und ihr noch schulde. Er solle ihr das Geld jetzt sofort geben, dann würde sie verschwinden, ohne Theater zu machen und er könne mit dieser jungen Nutte, wie sie Angela beharrlich bezeichnete, glücklich werden. Ohne seine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort, wenn er das nicht täte, würde sie ein ganz großes Geschrei anfangen, es würde sehr unangenehm für ihn werden, sie würde bestehen, dass man die Polizei rufe, das sei schon schlimm genug, aber es käme noch dicker für ihn. Sie würde verkünden, dass er sie vergewaltigt habe, Antonio würde ihre Aussage bestätigen, er würde als Zeuge beeiden, dass sie von ihm im Hotel gegen ihren Willen missbraucht und vergewaltigt worden war. „Also entscheide dich, du Arsch, nicht nur zwischen der jungen Nutte und mir, sondern auch zwischen der Freiheit und ein paar Tagen oder Wochen oder Monaten oder gar Jahren in einem unserer Staatsgefängnisse, die alles andere als angenehm sind, das weiß ich leider aus eigener Erfahrung.“ Was blieb ihm übrig, als auf ihre Forderung einzugehen. Da sie mit seiner finanziellen Lage bestens vertraut war, fiel die Höhe des Geschenkes so aus, dass ihm praktisch gar nichts mehr übrig blieb, weder für sich noch für die junge Nutte. Kaum hatte sie die Scheine, die sie ihm erst vor kurzer Zeit gegeben hatte, in der Hand, stampfte sie hinaus, ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen und die junge Nutte sah sie natürlich auch nicht an.
Irgendwie war daraufhin die Stimmung verdorben. Der Charme von Angela, der ihn gerade noch bezaubert hatte, war schal geworden, der Glanz in ihren fröhlichen Augen war erloschen. Das Mädchen hatte mit zunehmendem Entsetzen den Ausbruch ihrer Rivalin beobachtet, nachdem sie sie zunächst völlig ignoriert hatte, aber schließlich zur Kenntnis nehmen musste. Sie wollte ihn abhalten, dieser prostituta, wie sie Yoani ihrerseits nannte, überhaupt Geld zu geben, und dann auch noch so viel. „Halt du dich da raus, du kleine Nutte“, hatte Yoani sie angefaucht und sie hielt sich dann auch raus. Erst als Yoani die Disko verlassen hatte, erst da fand sie ihre Sprache wieder. Was da eigentlich los sei, wollte sie jetzt wissen, er habe doch gesagt, dass sie die einzige Frau sei, die ihn interessiere. Ob er das vergessen habe oder ob das eine Lüge gewesen sei. Aber als er irgendwelche Erklärungen stotterte, hörte sie schon gar nicht mehr hin. Es genügte ihr zu wissen, dass ihr neuer Freund, praktisch keinen Centavo mehr in der Tasche hatte, nicht einmal genug, um ihr einen Mojito zu spendieren. Da nützte ihm sein ganzer Charme nichts, den er aber im Moment auch nicht parat hatte und auch nicht sein gutes Aussehen, das ja durch ihre Schuld gelitten hatte, noch seine Kunst, Frauen zu verführen. Dafür blieb ihm einfach keine Zeit mehr, auch nicht für weitere Erklärungen oder Entschuldigungen oder Versprechungen. Angela war zu dem Schluss gekommen, dass sie mit diesem Looser nur ihre Zeit verschwenden würde, bei dem gab es absolut nichts mehr zu holen und sie ärgerte sich, dass sie überhaupt soviel Energie in ihr Vorhaben investiert hatte, diesen Gringo auszunehmen. Es war Freitagabend, die Disko war voll, es war viel los, interessante Leute aus der Kapitale waren gekommen, darunter ein paar höchst attraktive Ausländer, die natürlich schon von den anderen Chicas belagert wurden. Sie müsste sich beeilen, wenn sie nicht zu spät kommen wollte. Sie ließ ihn einfach sitzen, ohne ein Wort, ohne eine Erklärung, ohne Bedauern.
So saß er schon bald, nachdem er gekommen war, allein am Tisch, von zwei Frauen nacheinander unter entwürdigenden Bedingungen verlassen und merkte, dass er nicht einmal mehr in der Lage war, die Rechnung zu bezahlen, die er mit diesem elenden Luder Yoani gemacht hatte, und überlegte nun krampfhaft, wie er sich aus der Affäre ziehen könnte. Er ging auf die Toilette und fand eine Tür, die ins Freie führte, in einen kleinen Hinterhof. Er musste nur über eine niedrige Mauer klettern, dann war er dieser verdammten Disko entkommen, dann war er auch schon auf dem Weg in das Hotel, mied dort die Bar, mied Antonio, das Risiko dieser verdammten Yoani nochmals zu begegnen, wollte er nicht eingehen. Er ging gleich in sein Zimmer und packte seine paar Klamotten zusammen. Er überlegte sich, wie er es anstellen sollte, den Koffer ungesehen ins Freie zu bringen, aber da außer ein paar dreckigen Kleidern nichts Wertvolles vorhanden war, beschloss er ihn einfach dazulassen. Er wartete, bis es drei Uhr war, dann schlich er sich die Treppe hinab, ging zur Rezeption, sah, dass der alte Mann, der üblicherweise Nachtdienst hatte, fest schlief und nahm den Haustürschlüssel vom Brett. Er hatte sich diesen Abgang schon länger überlegt und sich entsprechend informiert. Dann war auf der Straße, machte sich auf den Weg ins Zentrum, irgendwann hielt ein Auto an, das ihn mitnahm. Den Tag verbrachte er mehr schlecht als recht mit Herumlaufen, Herumlungern, mit hungern und dürsten. Gegen Abend gelangte er wieder per Anhalter zum Flughafen. Alles verlief gut, er bekam keine Schwierigkeiten bei der Ausreise. Er hatte ein bisschen gefürchtet, dass die Hotelleitung ihn anzeigen würde und die Polizei ihn aufhalten könnte, aber nichts dergleichen geschah. So saß er dann endlich im Flugzeug und nahm Abschied von dem Land und von seinen Träumen und Illusionen, die so gründlich zerstört worden waren.
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.