Erinnerungen an Alexandrine

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Erinnerungen an Alexandrine

Erinnerungen an Alexandrine

Andrea Pfister

Am Anfang des privaten Fernsehens in Deutschland lief bei irgend einem Sender eine Anwaltsserie mit dem Titel „L.A. Law.”
In einer Nebenrolle spielte dort eine junge Schauspielerin die leicht geistig behinderte und verhaltensgestörte Tochter des Kanzleichefs.
Die Schauspielerin verkörperte den Charakter der Tochter so einmalig, dass sie dafür den TV-Oscar: „Emmy” bekam. Sie hieß, glaube ich, Amanda Plummer.
Das Auffälligste an ihr war ihr eigenwilliges, nicht ausgesprochen hässliches, aber geradezu biestiges Gesicht mit eiskalten und bösartigen Augen.
Ein schlimmes Weib.
Ich war damals 22 geworden und fuhr mit dem Zug ( SNCF) zu einem Studienseminar nach Perpignan in Südfrankreich. Es war Dienstag und ich fuhr in aller Herrgottsfrühe ab Metz, wohin Freunde mich gebracht hatten.
Es war Frühsommer und ich freute mich auf eine ruhige Fahrt und auf das Buch das ich mitgenommen hatte. Zu dieser Zeit waren die Züge in Frankreich fast leer.
Die Sonne schien schon so stark, dass ich zum lesen eine Sonnenbrille brauchte.
Als der Zug den Bahnhof von Nancy verließ flog plötzlich die Abteiltür auf und eine junge Frau
enterte das Abteil. Sie plackte eine Reisetasche auf den erstbesten Sitz, angelte einen mittelgroßen Koffer aus dem Gang und wuchtete ihn auf die Gepäckablage.
Dann zog sie die Abteiltür zu, arrangierte ihre Reisetasche auf dem Nebensitz und ließ sich, offensichtlich genervt, in den Sitz fallen. Dabei knatschte sie unüberhörbar Kaugummi.
Als sie saß entbot sie mir ein knappes: „Bon jour.” und nestelte aus ihrer Handtasche die neueste Vogue und ein Cassettentonband mit Kopfhörer.
Hinter den dunklen Gläsern meiner Sonnenbrille konnte ich den Alptraum eines ruheliebenden
Reisenden betrachten, alles was sie tat, tat sie lautstark.
Sie trug ein beiges Kostüm (Jil Sander), petrolfarbene Bluse, Hermès - Halstuch, Strümpfe und beige Pumps.
Sie zog sich den Kopfhörer über und begann in der Vogue zu blättern.
Sie hatte jenes vorher erwähnte strenge, biestige Gesicht und trug ihr aschblondes Haar in einem strengen Pagenschnitt, links gescheitelt.

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