Der etwas andere Abend

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Der etwas andere Abend

Der etwas andere Abend

Vera Stein

"...glaube ich dir nicht!", wiederholt er mit ernster Mine und seine Augen funkeln so geheimnisvoll. "Klar traue ich mich!", entgegnet sie ihm und fragt sich, warum er sich ständig wiederholen muß.
Gerade ein halbes Glas Wein hat sie getrunken, als er die nächste Flasche holt und ihr nachschenkt.
"Ich kann dir das einfach nicht abkaufen! Hast du denn keine Angst?"
"Nein...", antwortet sie ihm fast schon schnippisch.
‚Warum bin ich bloß hier?‘, geht es ihr durch den Kopf.
Es kommt ihr vor, als würde er keine Ahnung haben über das, was in ihr vorgeht, was sie von ihm will, dabei schaut sie andauernd auf ihren Rucksack neben sich, in dem sich all ihre Habseligkeiten für die kommenden Stunden befinden.
Sie kennen sich schon eine Weile, sie waren schon oft miteinander ausgegangen und heute sollte es einmal ganz anders sein.
Mit einem Zug trinkt sie ihr Glas leer, schüttelt sich und bekommt eine Gänsehaut. Sie zieht ihren Pulliärmel hoch, hält ihm ihren Arm hin und meint: „So eine Gänsehaut möchte ich nachher bekommen mit dir!“
Da springt er auf, greift nach ihrem Arm, dem Rucksack und zerrt dieses Gespann quer durch das Lokal. Im Vorbeigehen bezahlt er die Rechnung beim Wirt, der etwas entgeistert über diesen plötzlich Aufbruch des scheinbaren Liebespaares ist, dann geht es raus an die frische Luft dieses Abends.
Sie stolpert ihm hinterher und hat Mühe seinem Tempo zu folgen.
In der einen Hand hat er diesen Rucksack und seine andere krallt sich in ihren Oberarm.
Er sagt kein Wort, stürmt die Straße entlang zum Parkplatz, dort verfrachtet er sie mit einem heftigen Stoß auf dem Rücksitz.
Sie rappelt sich gerade auf, als er den Wagen startet und wie ein Besengter losfährt. Es gibt einen heftigen Ruck, der sie in das Polster drückt, was sie an den Start eines Flugzeuges erinnert.
„Mußt du so schnell fahren?“
„Halte deine verdammte Klappe!“, schreit er sie an.
Sie schaut in seinen Rückspiegel, wo sie sein Gesicht sehen kann, ihre Blicke treffen sich und am liebsten würde sie sich in der dunkelsten Ecke verkriechen.
Ein eiskalter Schauer geht ihr durch den Körper.
„Du kannst dir schon mal deine Klamotten ausziehen. Und überhaupt, du siehst heute wieder so unheimlich nuttig aus, so angetuscht, so vollgeschmiert!“
Hastig beginnt sie sich die Sachen auszuziehen.
„Langsam!“
***
Nach ein paar Minuten hält er den Wagen an.
Vor lauter Dunkelheit kann sie nicht sehen, wo sie gelandet sind, aber er wird es schon wissen.
Er steigt aus und geht los.
„Kommst du endlich?“, ruft er nach ihr.
„Aber ich habe doch nichts an!“
„Soll ich dir etwa extra noch einen Pelz reichen?“
‚Er scheint nicht sonderlich gut aufgelegt zu sein‘, denkt sie und so öffnet sie die Tür, hinter der sie die kalte Dunkelheit und dieser plötzlich ebenso kalte Mann erwartet, der sich von der einen zur anderen Minute so verändert hat.
Sie kann kein Haus entdecken, keinen Weg, eigentlich nichts.
Nackt und barfuß folgt sie ihm frierend durch den Wald. Tausende Dinge gehen ihr durch den Kopf. Vielleicht wird man sie morgen irgendwo tot auffinden, geschändet und vergewaltigt, oder auch erst in ein paar Tagen oder Wochen, vielleicht aber nie.
Unter ihren Füßen fühlt sie das kalte und nasse Laub, die kleinen Steinchen, die sich in ihre Haut bohren und permanent ist da diese Kälte!
Ihre Zähne klappern schon, als sie endlich etwas ausmachen kann.
‚Nur noch ein paar Schritte‘, sagt sie sich, dann geht sie hinter ihm die drei Stufen einer kleinen Hütte hinauf. Er holt die Schlüssel hervor, kann aber nicht den rechten finden.
Sie friert.
„Mach doch endlich auf“, bittet sie ihn.
So plötzlich, wie er in seinem Vorhaben innehält, die Tür zu öffnen, dreht er sich auch um, versetzt ihr eine schallende Ohrfeige, daß sie mit einem Satz gegen die Wand der Hütte knallt.
„Oh Gott!“, jammert sie und hält sich die Wange. Spätestens jetzt ist bei ihr der Augenblick erreicht, an dem sie bereut, ihn je kennengelernt zu haben.
Und tief in ihrem Inneren spürt sie, wie die Wut auf ihn wächst. ‚Ich hasse dich!‘
Endlich hat er den Schlüssel gefunden und die Tür geht auf.
„Gute Nacht!“, sagt er und dann läßt er sie einfach draußen stehen! Die Tür geht zu. Er ist drinnen. Sie steht draußen. Blankes Entsetzen treibt ihr die Tränen in die Augen.
‚Das kann er doch nicht tun!‘
„Bitte, bitte laß mich zu dir rein. Bitte!“
„Verdiene es dir. Geh auf die Knie, flehe mich an. Ich werde dich durch das Fenster beobachten!“
Sie blickt zum Fenster, hinter dem er steht.
„Was soll ich?“
„Fehler!“, schreit er und verschwindet vom Fenster.
Unschlüssig darüber, was sie jetzt tun soll, verharrt sie einige Minuten in der nächtlichen Kälte frierend vor der Tür, denn viel zu stolz ist sie, auf die Knie zu gehen und ihn anzubetteln. Noch!
„Wie lange muß ich noch warten?“, ruft er.
Wieder vergehen Minuten, die ihr wie Stunden vorkommen. Sie weiß, daß, wenn sie nicht bald in die Wärme kommt, sie krank werden wird.
‚Gott, was habe ich zu verlieren?‘
Zaghaft versucht sie immer wieder einen Ansatz zu machen, um auf die Knie zu gehen, doch immer schüttelt sie mit dem Kopf und sagt sich NEIN.
Mittlerweile hat er es sich in der Hütte bequem gemacht und ab und zu schaut er durch ein anderes Fenster nach ihr, ohne von ihr entdeckt zu werden. Erst nach einer Weile, die für ihn wie eine Ewigkeit vorkam, hört er ihre Stimme, die ihn weinend anfleht.
Endlich!
Die Tür geht auf und er nimmt sie in den Arm. Er führt sie in die Wärme, setzt sie an den Tisch, wo er ihr die Tränen mit seinem Taschentuch aus dem Gesicht wischt. Dann schenkt er ihr eine große Tasse Tee ein, den er für sie vorbereitet hat.

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