Etwas war anders

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Etwas war anders

Etwas war anders

Eva Wittmann

Etwas war anders. Ich bemerkte es, als ich in den Spiegel sah. Ich sah irgendwie anders aus. Entspannter, klarer, - schöner. So als sei eine Last von mir genommen, von der ich noch nicht sagen konnte, was es war. Noch etwas war anders. Seit ein paar Tagen fiel es mir auf, um genau zu sein, seit dem Silvesterfest.

Die Einladung hatte in mir Unbehagen ausgelöst. Trotzdem hatte ich angenommen. Hinter der kleinen Bar war ich Theo beim Cocktailmixen zur Hand gegangen und genauso froh wie er, eine Festung zu haben.

"Schau dir Lisa an. Aus ihr spricht der pure Neid. Und Peter spielt den Apostel, weil du ihn nicht ranlässt."

"Vielleicht habe ich mir das Landleben ausgesucht, um endlich Doppelmoral in ihrer Reinform kennenzulernen. - Sag ehrlich, bin ich der Typ heimliche Geliebte?"

Theo hatte gelacht. "Nein, eigentlich nicht. Aber verrate endlich, wer ist es?"

Trotz der Vertraulichkeit, die sich in den lockeren Ton schlich, spürte Theo, dass ich auch ihn nicht weiter vorließ und setzte schnell begleitet von einem seiner zu hohen Lacher hinzu: "Jedenfalls hast du endlich Leben in den Laden gebracht."

Nach dem zweiten Glas Sekt gewann seine Seite der Betrachtung an Reiz. Mit dem Film, der vor meinen Augen ablief, passierten die letzten Jahre Revue. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, verband mich mit jedem der Anwesenden eine Geschichte. Quer, verdreht, irgendwie schräge. . . Im Geiste spielte ich die verschiedenen Varianten des "Was wäre wenn" noch einmal durch und kam wieder zu dem Schluss: Hätte ich nur eines der Angebote angenommen, es wäre nur halb so aufregend gewesen. Und da hatte es angefangen, wie eine leise Stimme, die sich durch ihre Ausdauer langsam Gehör verschaffte.

Hatte ich deshalb meine innere Abwehr ignoriert und die Einladung angenommen? Zum ersten Mal fing es an mir zu gefallen die Außenseiterin zu sein. Das erlöste Aufatmen zwischen meinen Schenkeln war der Zuspruch die Rolle anzunehmen, auszufüllen und zu genießen. Evas Schlange erwachte, richtete sich auf. Vor mir wandelten sich die Personen in ihre eigenen Karikaturen. Ich spürte den züngelnden Kopf, spürte es wachsen, spürte wie es mein Rückgrat stärkte, wie sich "Solls" und "Müsste" auflösten.

Ich suchte nicht einmal eine Entschuldigung, als ich mich noch vor dem Neuen Jahr verabschiedete. Evas Schlange war wach, begleitete mich durch die klare Winternacht.

Ich stieg aus den hohen Schuhen, zog das Kleid aus, streifte vorsichtig die Strümpfe ab und bedauerte, dass er mir nicht zusehen konnte. Es hätte ihm gefallen, genauso wie mich liegen zu sehen. Nackt mit geöffneten Beinen in diesem Zimmer, das nicht nur der Kachelofen wärmte. Ich schloss die Augen und fragte mich, warum ich die Hindernisse gewählt hatte. Die Antwort kam schneller als ich erwartet hatte. Sie war einfach. Fast zu einfach. Ich legte meine Hand an die erblühte Stelle und folgte meiner Fantasie wie einer kundigen Führerin. Annehmen, ausfüllen und vor allem genießen. . . Mein Körper machte von selbst. Ich überließ mich. Zum ersten mal überließ ich mich. - Lag gerade im Unerfüllten die Fülle, im Schweren die Leichtigkeit, gab der beschränkte Raum Platz zur Entfaltung?

Nicht, dass in jener Nacht etwas Spektakuläres passiert wäre. Ich hatte mich wohlgefühlt. Sehr wohl. Wohlgefühlt, weil ich es so deutlich spürte. Dass ich dermaßen darauf reagierte. So auf diese einfache Vorstellung reagierte. Und ich hatte genossen. Außer dem Schwanz und meiner Erregung auch die Ahnung, ja die stille Vorfreude, dass damit mehr verbunden sein musste. Aber was?

Ich suchte es in meinem Spiegelbild, in den Blicken der anderen. Ich fühlte mich wohl. Dass es auf die Außenwelt reflektiert, war mir nicht neu. Trotzdem musste da noch etwas sein. Etwas ging im Verborgenen vor, das ich nicht fassen konnte.

Seit dem Abend war ich in ständiger Begleitung. In Begleitung meiner Fantasie, in Begleitung ständigen Angeregtseins. Es war unglaublich. Seitdem war es da. Ausdauernd. Wach. Stellvertretend. Es war ein Zustand, der erst gar nicht erlöst werden wollte und weckte einen Kreislauf der Lebendigkeit. Mein Gott, wie lange hatte ich mich nicht so gefühlt.

Er war auch da. - Ich forschte in einem Labyrinth, sah in den verschlungen Gängen den Ausweg zwar nicht klar, aber ich spürte ihn. Ich fühlte mich wohl, fühlte mich ausgefüllt und der anhaltende Puls zwischen meinen Beinen forderte mich auf weiterzugehen.

Ich rief ihn an. Sein tiefes Lachen auf meinen forschen Vorstoß weckte einen Schwarm kitzelnder Schmetterlinge.

"Endlich sagst du es."

"Ja, weils jetzt stimmt." Es kam ein bisschen schnippisch und hätte das, was er dann sagte nicht so ehrlich geklungen, mich hätte wieder der Mut verlassen. - "Ja, sogar so geil, dass es fast nicht mehr zum aushalten ist. "

"Es ist wirklich schön, es von dir zu hören."

Ich wollte wissen, wohin es führte, streckte mich aus und wusste, es würde es ihm gefallen: Mich so liegen zu sehen, meine Hand an der fiebernde Stelle, das Öffnen, das Flehen.

"Ich weiß, du hörst es gerne." Die Überwindung ließ mich für einen Moment in mir selbst verschwinden. Dort wo die Schlange nistet. Wo Eva den Mond umarmt. Wo das Unerfüllte sich nach Entfaltung sehnt.

"Bist du noch da?"

"Doch. Nur - es ist so ungewohnt."

Ich wagte mich vor. Erst weil ich wusste, dass es ihm Freude macht. Dann, weil ich es stärker spürte.

"Es fühlt sich so echt an."

"Was fühlt sich echt an?" Wieder das Lachen, die liebevolle Provokation mit meinen Vorbehalten zu brechen.

Es kam mir vor wie eine fremde Stimme, als ich anfing zu sprechen:

"Dein Schwanz, dass er in mir steckt und dass er wächst. . . - Er wird tatsächlich größer . . ." Es klang holprig, trotzdem sagte ich es. Ich sagte ihm, was mir gefallen würde. - Wie es mir gefallen würde. Der Puls wartete aufgeregt auf die Antwort.

"Wenn du es sagst, macht ihn das unwahrscheinlich an. . ."

Ich sank tiefer und wusste nicht, ob ich es wegen der Worte oder seiner Stimme spürte, oder einfach nur, weil es stimmte. Es stimmte. Mit ihm stimmte es. Auch das. Mit kraftvoller Ruhe drang er ein.

Annehmen, ausfüllen und genießen. Ihn. Die Nähe. Seine Selbstverständlichkeit.

"Soooo. . . . Ja? - Gefällt es dir? "

"Ja, so. . . Genauso . . . Mann, das ist geil! Mach weiter!"

Ruhig und selbstverständlich suchte er im Dunkel, fand das Verlies. . . Ruhig und selbstverständlich löste er Fesseln, salbte er Wunden. Und ich wurde Fließen. Endlich wurde die Stimme Ich. Deshalb. Genau deshalb.

Der treibende Puls antwortete seinem Atem.

"Weiter . . . weiter . . . Es ist so echt. Echter, ehrlicher, dichter -"

Ich klemmte den Hörer fester ins Kissen und folgte den gleichmäßigen Stößen. Folgte ihnen dorthin, wo die Zeit sich im Unendlichen auflöst. "Mach weiter. Weiter, weiter. . . .weiter!!! -- und sag was!"

Ich fühlte mich wohl, weil die Enge ausgefüllt und ich getragen wurde. . . Getragen von seinem Atem, seiner Stimme. Ruhig und selbstverständlich führte sie mich. Ich wurde leicht.

Deshalb. Genau deshalb. - Weil eigentlich gar nichts geschehen musste. Weil ich nichts tun musste. Nichts, außer genießen. . . Und weil ich mich wohlfühlte. . . Weil ich spürte. Mich. Mein Ich. Weil ich sein konnte, die ich sein wollte. . . Geil sein konnte. Herrlich geil. Geil Geil Geil.---- Deshalb. . .

Als er sagte, "ich komme!" kam es mir mit. Es war echt. So echt. Er erlöste die Schlange. Der Mond warf sein Licht sanft auf Evas wahres Gesicht.

Annehmen. Ausfüllen. Entfalten. . . Seufzen aus offenen Schenkeln . . . - und vor allem genießen!

In diesem Jahr wurde noch vieles anders.

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