Er liebt seine Arbeit, auch wenn sie ihn oft an seine Grenzen bringt. Friedrich Schmitt, den alle Fritz nennen, arbeitet bei den Fährbetrieben am Bodensee. Seine Aufgabe besteht nicht nur darin, die Tickets der Passagiere zu kontrollieren und beim Anlegen der Autofähre zu helfen. Fritz muss auch die Toiletten kontrollieren und sicherstellen, dass sich dort keine blinden Passagiere verbergen. Das kommt vor allem in der warmen Jahreszeit vor, wenn die Fähre von Touristen in Autos und mit Fahrrädern jeglicher Preisklasse überrollt wird. Im Sommer ist der Job also besonders stressig, wohingegen in den Wintermonaten eine beinahe himmlische Ruhe die Vorherrschaft einnimmt. Kein Wunder also, dass Fritz die dunkle Jahreszeit bevorzugt. Die Nachteile der Wintermonate nimmt er in Kauf. Fritz hat genug Phantasie, um die Rundungen einer begehrenswerten Frau auch unter dicker Winterkleidung erahnen zu können. Es ist augenfällig, dass der Mittvierziger die Schönheit des weiblichen Geschlechts zu würdigen weiß. So ist es kein Wunder, dass Fritz gelegentlich ein Auge zudrückt, wenn er eine Schwarzfahrerin auf der Fähre entdeckt und ihr Alternativen zum erhöhten Beförderungsentgelt aufzeigt. Im Sommer passiert das relativ oft, wobei es im Winter die Ausnahme ist.
Heute ist ein Feiertag. Genauer gesagt der 6. Januar, der nicht nur im Süden Deutschlands Dreikönigstag genannt wird, aber nur in wenigen Bundesländern arbeitsfrei ist. Trotzdem befinden sich eine große Anzahl von Passagieren an Bord, die das lange Wochenende für einen Kurztrip an den Bodensee nutzen. Fritz ist deswegen auf der Hut. Seinem geübten Auge fallen zwei jüngere Frauen auf, die nervös wirken. Eine ist blond, was er trotz ihrer Mütze erkennt. Das andere Mädchen hat kurze, dunkelbraune Haare, die von keiner Kopfbedeckung verhüllt werden. Fritz schätzt die Frauen auf Mitte bis Ende zwanzig. Die Blonde besitzt einen üppigen Körper, der Begehrlichkeiten weckt. Fritz gefällt aber auch die schlanke Brünette mit den langen Beinen, denen ein schwarzer, knielanger Rock und dunkle Doc Martens die verdiente Aufmerksamkeit schenken. Fritz kassiert die Passagiere im Bord-Restaurant ab, wobei er die ungleichen Frauen im Blick behält. Er sieht, wie sie hinausgehen, um sich dann auf die Bugseite der Fähre zu begeben. Sein Verdacht verfestigt sich. Dem routinierten Kontrolleur ist klar, dass die Mädels das erst kürzlich erhöhte Beförderungsentgelt gerne einsparen möchten. Fritz ahnt, was nun folgen wird. Die zwei Frauen bewegen sich immer in jene Richtung, in der sie dem Kontrolleur nicht begegnen können. Nachdem Fritz seine Runde durch hat, macht er sich auf die Suche nach den Schwarzfahrerinnen. Die befinden sich nun auf dem unteren Deck der Fähre, wo sie sich zwischen den Autos der Fahrgäste verstecken. Er entdeckt die Blonde zuerst. Ihr für die Jahreszeit und ihre barocken Formen auffallend kurzer Rock über der roten Strumpfhose machen es leicht, sie zu identifizieren. Sie redet mit ihrer Freundin, deren Zeigefinger in Richtung Frauen WC weist. Dorthin gehen sie nun, während Fritz ihnen im sicheren Abstand folgt. Er ist gespannt, ob seine Vermutung stimmt, dass die Mädels nicht das nötige Kleingeld haben, um ihre Tickets bezahlen zu können. Bevor die Frauen die Toilette betreten können, werden sie von Fritz gestellt. „Brauchen sie noch einen Fahrschein?“, lautet seine Routinefrage.
Fährmann Fritz
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