Fiasko in Verona

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Fiasko in Verona

Fiasko in Verona

Susi M. Paul

»Zuerst die Doppelzimmer!«, verschaffte sich die leicht hysterische Stimme der Reiseleiterin Platz im Gewusel und Gesumme der Hotelhalle. Brav formierte sich, wenn auch nicht ohne Konflikte, eine Schlange von gelangweilten Ehemännern mit ihren erwartungsfrohen Ehefrauen, von Müttern und Töchtern, von ältlichen Damen, dazu von vier schnatternden Teenies, die allesamt paarweise ungeduldig der Schlüsselübergabe entgegenkrochen.
Entlastet von den Anstrengungen der Alpenüberquerung und der Panik, bei der Verteilung der bequemsten Betten mit dem schönsten Ausblick auf die Etsch zu kurz zu kommen, rauchten draußen vor der Tür zwei Frauen mittleren Alters zusammen mit dem Busfahrer eine Vergeschwisterungszigarette. Da die abgeschabten Sessel im Foyer ausnahmslos von Koffern, Taschen und Jacken in Beschlag genommen waren, hatten sich ihnen auch die übrigen, dem Nikotin nicht oder nicht mehr frönenden Alleinreisenden zugesellt: drei weitere Frauen im so dehnbaren Bereich des mittleren Alters sowie ein Mann in den frühen Vierzigern.
»Aida scheint vorzugsweise beim weiblichen Geschlecht ihre Wirkung zu entfalten«, wagte dieser, seine elegant herausgeputzte Sitznachbarin anzusprechen, die nach dem Gruß bei der Abfahrt in München das Wort nicht mehr an ihn gerichtet hatte, sondern sich hinter einem Buch zuerst, und ab dem Brenner bis zur Ankunft in Verona hinter einer Schlafbrille verschanzt hatte. Sie würdigte ihn nicht einmal eines Blickes. Schorsch, der Busfahrer, der praktisch von den Pendeltouren zur Arena lebte, nahm hingegen den Hinweis dankend auf und bekräftigte diese Vermutung heftig nickend.
Die jüngere der beiden Rauchenden, aus der Sicht des Mannes die eindeutig attraktivste von allen, sie hatte die Schmerzgrenze der Vierzig wohl, wie er selbst, soeben erst überwunden, setzte sogleich zu einem Loblied auf Verdi, die Atmosphäre der Aufführung und, natürlich, nicht zu vergessen, auf den kurzen Abstecher nach Venedig an, der ja der eigentliche Grund ihrer Buchung gewesen sei, da sie, man sollte es kaum glauben, es in ihrem ganzen Leben noch nicht geschafft hatte, die Lagunenstadt zu besuchen. »Zuerst aus Mangel an Geld, dann aus Mangel an einem ausreichend romantisch gestimmten Partner.« Doch nun sei es an der Zeit, unerfüllte Jugendträume zu erfüllen. Lieber spät als nie.

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