Fließband der Perversionen

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Fließband der Perversionen

Fließband der Perversionen

Matthias von Schramm

Die Gejagten, die sich wünschten ihre Jäger zu schlachten, feige, verbissen, heftig und traurig, dies wären die Schlimmsten, habe ich von meinem Vater gelernt. Ehrlichkeit ist etwas Gutes, aber nicht wenn sie zur sexuellen Obsession der Zwerge würde. Das proletarische Volk würde auf den Dom gehen, in Hamburg zumindest und einen feinen Herrn wie mich beschimpfen und mit Bratwurst bewerfen. Das sollte ich wissen. Ich dürfe schon Autos klauen, aber nicht in einer Gegend wie St. Pauli. Das Grüblerische Unterdrücken der Wünsche gehöre ebenso zu unseren Pflichten als Menschen der Vorruhegesellschaft, die statt drauf zu schlagen Lösungen oder gar Antworten im Lexikon nachschlägt, wie eine allgemeine ruhige Zurückhaltung. In den eigenen vier Wänden, alleine mit ein paar Flaschen Wein und mit Wodka aufgepeppten Multivitaminsaft, da darf mensch schon mal verdorben sein. Aber niemanden etwas davon erzählen.
Abenteuer mit verkommenen Weibsstücken sollte mensch sich von der Seele zahlen. Traurig sollte mensch sein über das Stück verlorene Jugend durch den Krieg und mit der eigenen Frau wäre es vernünftig sich gut zu stellen. Die Hunde seiner Feinde zu töten, wäre ebenso verwerflich, wie mit ihren Frauen außerhalb der Dienstzeit zu telefonieren. Damit keine Probleme auftreten, die einen verletzen könnten sollte mensch leise sprechen, wenn mensch sich um Höflichkeit bemühte, wußte mein Vater. Mein Onkel, der Bruder meines Vaters hatte es zur Meisterschaft in dieser Disziplin gebracht. Er besaß eine kleine Fabrik mit ein paar Angestellten, von denen manchmal einer krank war (er machte diesen lustigen Scherz bis zu
seinem schmerzlichen Tod 1987). Ich war damals glaube ich sechzehn oder
siebzehn und durfte mein Schulpraktikum bei Onkel Peter machen. Dort wurde ich Zeuge eines sehr lehrreichen Dialogs zwischen ihm und einer Dame, die Interesse an den Funktionen seines Fließbandes hatte. Sie fragte sich nämlich, ob so etwas praktisch für ihre kleine Wohnung sei. Die Dame war das, was damals für emanzipiert gehalten wurde.
Schwang sich vom Kleinwagen übers Sportcoupé aufs Motorrad, trug ein offenes beiges oder blaues Kostüm und sprach drei südeuropäische Sprachen. Ärgerte sich darüber, dass ihr ein nicht perfektes italienisches R nachgesagt wurde. Gut, ich fragte mich natürlich was mein alter Onkel am Tag der offenen Tür seiner Fabrik mit einer Schwung genommen habenden Dame, die noch dazu jung war zu bereden hatte und zu allem überflüssigen Fleiße, warum diese sich auch noch mit diesem brunnenbäuchigen Pantoffellaten abgab. Ich war der festen
Überzeugung: Erwachsene würden sich benehmen und Pornographie und Horrorfilme wären eine Erfindung eines verderbten Individualkreises, welcher in den Kanälen unter der Stadt dunklere Messen abhielt. Ich wußte nicht, dass das perverse Erwachsen sein ein helles, pilsgetränktes Erwachen war, welches mit ängstlicher Schamröte unter Scheinverboten
der Welt zur Schau gegeben wurde. Mit der Zeit verschwand die Schamröte, die Menschen waren somit ein wenig glaubhafter, glaubhafter als Vater und Onkel z.B., aber durchaus widerlicher.
Und Onkelchen, der den Brunnen seines Bauches vergiftete, nachdem seine Frau unter entsetzlichen Qualen den Sekundentod verpaßt bekam, war auf der Schwelle zum nicht mehr rot werden.
Ich wurde auch nicht rot, ich schwitzte.

DIESE SCHLAUFEN SIND DAZU DA!, sagte meine Onkel, DAMIT SIE BEQUEM AUF ALLEN VIEREN PLATZ HABEN! Es waren also auch Ketten und Massakerösen auf dem Band angebracht, wie Onkel Peter versprach, so dass, wenn die Dame sich nun nach dem sie artig ihr Glas Sekt ausgetrunken hatte auch auf dem Fließband autoritär befestigt fühlte. Schließlich wäre das ja alles nichts, würde mensch zur Alberei übergehen. Klar das wußte mein Onkel zu bestätigen. Die Dame fragte, ob sie sich gleich nackt dieser Maschinerie aussetzen solle, oder nur leicht bekleidet. Denn schließlich erinnerte sie das ganze an eine Art Folterstudie, automatisiert und irgendwie der mittelalterlich denkenden Vergangenheit so nah.
NUN JA; VIELLEICHT DARF ICH SIE NÄHER ANS BÜFETT BITTEN!, meinte mein Onkel väterlich.
DIES IST ÜBERINGS MEIN NEFFE JONATHAN! FREUT MICH!, die Dame warf einen exaltierten Blick auf die anderen Besucher und wendete sich geschäftig konzentriert wieder meinem Onkel zu.
ICH MEINE, WENN ICH DA NUN AUF DEM FLIESSBAND BIN UND SICH DIESER SCHIER UNGLAUBLICH RIESIGE KALTE KOLBEN NIEDERSENKT, BUMST MICH DANN DIESE MASCHINE RICHTIG? SIE SOLLTEN NICHT SOLCHE WORTE VERWENDEN, MENSCH KÖNNTE UNS ZUHÖREN!, sagte mein Onkel streng und zog die Dame zart am Ellenbogen zu sich. Nachdem er ein wenig unter ihrem Kostüm ins sehr überflüssig verschnörkelte Fummeln geraten war, erwähnte er die weiteren Stationen auf dem Fließband.
DER KOLBEN HAT SICH ERHOBEN, EIN SCHLAUCH SIE ENTLERRT, GLÜHENDE GEDANKEN WERDEN SIE ERWÄRMEN, DANN WIRD DIE MASCHINE IHR ZUCHTMEISTER SEIN. SIE WERDEN LACHEN. EINE PLASTIKHAUBE WIRD IHREN KOPF UND SIE SELBST ISOLIEREN UND IHRE SCHREIE WIRD NIEMAND HÖREN. DIE KETTEN WERDEN SIE NICHT ERDRÜCKEN ABER FÜR EINE WEILE GEFANGEN NEHMEN. ES WERDEN KEINE KÖRPERFLÜSSIGKEITEN AUSTRETEN DIE DAS BAND VERSCHMUTZEN KÖNNTEN. MÖCHTEN SIE VIELLEICHT ETWAS LACHS? NEHMEN SIE DIE HAND DA WEG!,
empörte sich die Dame, und biß mit den Eckzähnen ein Stück Lachsbaguette ab.
LUDER!, brummte meine Onkel leise. NUN ICH MACHE ABER AUCH FILME UND SO!, fuhr Onkel Peter fort.
KEIN INTERESSE!, meinte die Dame und klappte abfällig ihr Handgelenk hinab. Ein bißchen verlegen drehte sie den Schuh und fragte, was denn die Anlage kosten würde. Er hätte da eine Verhandlungsbasis meinte mein Onkel, es käme darauf an, immerhin wenn er zuschauen dürfte käme es billiger.
MÖGEN SIE BLUT?, fragte er noch.
SCHEISSE!, antwortete die Geschäftspartnerin.
GUT AUCH MÖGLICH!
SCHNAUZE!, fuhr sie fort. ICH ZAHLE DEN PREIS OHNE ZUSCHAUER!. Abfällig sah sie an meinem Onkel herab. UND WENN ES MIR WEH TUT DANN NEHME ICH SIE IN DIE PFLICHT!
Sie holte ihr Scheckheft auf der Innentasche ihres Kostüms. Mein Onkel lief augenblicklich puterrot an und schwitzte wie ein fettes Wildschwein. Er zeigte zu einem kleinen Fleck vor ihren Fuß und meinte zu mir gewendet, die Dame hätte da etwas mit dem Champagner gekleckert, ich solle diesen Mist sofort beseitigen.

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