Das Forsthaus im Spessart

Kapitel 1

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Das Forsthaus im Spessart

Das Forsthaus im Spessart

Nicolas Scheerbarth

Wieder einmal war ich an einem leuchtend klaren Herbsttag des letzten Jahres zu Fuß im Spessart unterwegs. Das Laub leuchtete in Gold- und Brauntönen, dazwischen immer noch einiges grün und manche roten Tupfer. Die Luft war frisch, doch nicht kalt, der Wald duftete würzig nach Erde, Laub, Pilzen und Nadelbaum, und außer den Vögeln und einem leisen Rascheln von Blättern oder dem Knarren eines Astes war nichts zu hören. Kein Mensch war mir begegnet, seit ich von einem abgelegenen Parkplatz losgegangen war.

Bis heute gehört der Spessart zu den ausgedehntesten Waldgebieten im Land. Immer noch kann man dort stundenlang wandern, ohne einer Menschenseele zu begegnen oder auf Spuren der Zivilisation zu stoßen - von den Wegen und Holzplätzen abgesehen. Ein besonderer Reiz sind die einsamen Forsthäuser, auf die man dann und wann trifft, romantische, oft gut gepflegte Bauten aus dem vorletzten Jahrhundert, mal bescheiden in eine Nische des Waldes gezwängt, mal herrschaftlich inmitten Wiesen, Koppeln und Feldern auf einer ausgedehnten Lichtung. Viele sind zumindest im Sommer bewirtschaftet, bieten deftige Kost und ein freundliches Wort. Denn im Gegensatz zu anderen Wald- und Bergregionen sind die Bewohner des Spessart von offener, freundlicher Art; eine Wegauskunft wird gern gegeben, und für ein kurzes Gespräch selbst mit exotisch wirkenden Fremden reicht es meist noch im abgelegensten Weiler.

Bei meinen Wanderungen war es immer mein Ehrgeiz, möglichst jedesmal neue Wege zu erkunden. Ich folgte dabei beschriebenen Wandertouren, den farbigen Wegzeichen oder der Karte ebenso wie spontanen Eingebungen. Manchesmal hatte ich mich dabei für kurze Zeit verlaufen, doch meist traf man schon an der nächsten Wegkreuzung auf eine Marke oder einen Hinweis, die die Orientierung wiederherstellten.

Ich war wie berauscht an diesem Tag, vergaß zeitweilig jeden Plan und marschierte einfach drauf los, völlig versunken in die Pracht der Natur um mich herum. Eine ganze Weile schritt ich kräftig aus, ohne es recht zu bemerken. Ich mochte dem Weg eine halbe Stunde gefolgt sein, als meine tanzenden Gedanken von der drängenden Frage des Verstandes erreicht wurden, wo ich nun eigentlich war. Ich hatte mir vor dem Aufbruch einen Rundweg zurecht gelegt, der laut Karte zunächst von einer roten Raute markiert war. Doch schon an der zweiten oder dritten Kreuzung verschwanden die Wegzeichen; vermutlich waren die markierten Bäume der Säge zum Opfer gefallen. Doch ich hatte ja meine Karte und einen guten Orientierungssinn. So war ich weitergegangen, ohne mir irgendwelche Sorgen zu machen.

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