Der Fotograph

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Der Fotograph

Der Fotograph

Reneé Hawk

Ich bin Fotograph. Erotikfotograph. Ich blicke durch die Linse und sehe Dinge, die so manchem Betrachter verborgen bleibt. Ich sehe weit gespreizte Beine, offene Münder, rasierte Haut, laszive Blicke, nackte und halbnackte Körper. Männer wie Frauen ziehen sich vor mir aus. Ohne Scheu und ohne Tabu zeigen sie meiner Kamera was sie sehen will.
Ich bin ein Neutrum. Ich habe weder Schwanz noch Muschi. Man kennt meine Stimme, man hört meine Musik im Hintergrund, doch man sieht nur die Linse meiner Kamera und reagieren auf das Surren des Auslösers.
Von Modell zu Modell ist es unterschiedlich. Das Shooting ist für manche eine neue Erfahrung. Manche zieren sich etwas, bis sie das Geräusch der Kamera völlig vergessen haben. Ich erinnere mich an Paddy und Ewan. Das war für mich das erste Mal. Eine neue Erfahrung. Etwas fremdes und spannendes posierte vor meiner Linse. Ein Pärchen. Mann und Mann. In zärtlicher Umarmung. Ich beobachtete, ich wurde ihr Voyeur, ihr Zuschauer, ihr Publikum, ihr Künstler.
Paddy hatte meine Website besucht und mich per E-Mail um einen Termin gebeten. Es ging alles sehr schnell. In meinem Terminkalender hatte ich noch einigen Platz und so konnte ich Paddy dazwischen schieben.
Das erste Treffen fand im Flughafen Heathrow statt. Ich war auf der Durchreise, hatte noch in Hongkong und Tokio einen Webeauftrag zu erfüllen. Um am Leben zu bleiben, erfülle ich lukrative Werbeaufträge. Eine Shampookampagne im Sydney, ein Duschbad in Hawaii, eine Käsesorte in Kanada oder Süßigkeiten in den Schweizer Alpen. Von meiner Kunst allein kann ich mich noch nicht ernähren.
Ich nippte an meinem Glas Cola als jemand meinen Namen fragend rief. Ich drehte mich um und sah einem rothaarigen und sommersprossigen Mann in seine lachenden grünen Augen. Ich nickte und lachte ebenfalls. Das Gesicht steckte mich mit Fröhlichkeit an. Er nahm meine Hand, schüttelte sie heftig und stellte sich als Paddy McCourley vor. Beim Kellner bestellte Paddy einen Whiskey ohne Eis und ohne Tonic. Zu mir gewandt sagte er, er wäre Ire und wüsste wie man Malt trinkt, dann lachte er wieder.
Ich war von seinem Lachen und von seinem Gesicht angetan. Seine grünen Augen hüpften vor Freude, sein Mund öffnete sich weit und zwei makellose Zahnreihen kamen zum Vorschein. Paddy besaß ein offenes Wesen.
Leider musste ich etwas auf Zeit drängen, denn mein Flugzeug würde in zwei Stunden starten. Paddy erklärte mir, dass er mit seinem Freund Ewan nach einer neuen Erfahrung in ihrer Liebe suche. Da ihnen meine Internetgalerie gefallen hatte und meine Fotos ihnen zusagten, wollten sie sich von mir ablichten lassen.
Ich entgegnete, dass ich bisher nur Single oder Heteros fotografiert habe und das er mich neugierig gemacht habe. Ich stimmte dem Shooting zu.
Schnell wurden wir uns einig. Wir legten einen Termin fest. Paddy fragte, ob ich die Bilder in ihrer Londoner Wohnung machen könnte, dem ich nicht wiederstehen konnte.
Drei Wochen später klingelte ich an der genannten Adresse und wurde in einen sonnendurchfluteten Raum geführt. Paddy hatte sich einen weinroten Kimono übergestreift und rief nach Ewan, der noch im Schlafzimmer nach dem passenden Kleidungsstück suchte, so Paddys Erklärung.
Das weiche Sonnenlicht begünstigte meine Arbeit. Ich schaute mich um. In einer Ecke entdeckte ich bunte Kissen. Ich fragte Paddy, ob sie sich dort positionieren wollten. Da lachten wieder diese lebendigen Augen. Dem Mann stand die Begeisterung und die Neugier förmlich im Gesicht. Er fragte mich, wie es mir gefallen würde. Ich nickte und stellte mein Stativ auf. Aus meinem Fotokoffer nahm ich meine Kamera, legte einen Film ein, nahm die Linsenabdeckung vorn ab und schraubte mein Auge aufs Stativ. Mit einem Probeblick stellte ich Blende und Abstand ein, und wurde zum unsichtbaren Genießer eines Schauspiels zweier Liebenden.
Ich hörte barfüssige Schritte auf dem Holzboden, ein sanftes Hallo flüstern, rascheln von Stoffen und dann tauchte Paddy nackt vor meiner Linse auf.
Ihm folgte ein hagerer Mann. Das müsste Ewan sein, dachte ich und mein Daumen drückte auf den Auslöser. Surrend schob sich der Film um ein Bild weiter. Vor der Linse beobachtete ich das Zwiegespräch der beiden Männer. Ewan schaute zu Boden, hielt sich an Paddy fest, der mit seinen Händen über Ewans Schultern streichelte und ihn sachte mit geschlossenen Augen auf die Wange küsste. Ewan hatte dunkelblonde, lange Haare, die er als geflochtener Zopf zusammengebunden hatte. Mach deine Haare auf, rief ich Ewan zu. Paddy legte sein Kopf auf Ewans Schultern, griff nach dem Zopf, berührte Ewans Pobacken wie beiläufig und öffnete den Zopf. Eine Woge dunklen Haares ergoss sich über den schmalen Rücken des Mannes und in schneller Folge drückte mein Daumen den Auslöser.
Das frühe Tageslicht flutete über die rekelnden Körper, meine Person verschwand hinter der Kamera und wurde zum Neutrum. Paddy und Ewan liebten sich und scheuten sich nicht ihre Liebe von meinen Augen auszukosten, zu genießen, zu erleben und zu dokumentieren.
Ich bin Fotograph. Erotikfotograph, bin Geschlechtslos und mein Auge ist mit einem Fokus ausgestattet. Mein Daumen drückt in schneller Folge auf den Auslöser und ich beobachte was sich vor meiner Linse abspielt.
Ich sehe mit einer Kamera Dinge, die so manchem Betrachter verborgen bleibt. Ich sehe das Leben als Neutrum. Ich bin ein geschlechtsloser Fotograph und genieße das Spiel des Voyeurs.

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