1. Michael:
Wir hatten uns das erste Mal zufällig in einem chat getroffen. Beziehungsweise in einem Forum fing es an. Es ging um Probleme bei der Erstellung von internet-Seiten, wo ich eine hilfreiche Antwort auf eine Frage ihrerseits geben konnte.
Ein anderes Problem zum gleichen Thema schien indes eine Nachfrage im chat zu erfordern, wobei sich dann jedoch herausstellte, daß auch der dort anwesende Betreiber des webservers nicht weiterhelfen konnte - nichts Ungewöhnliches übrigens.
Ich hatte jedoch dann nach genauerer Schilderung des eigentlichen Anliegens noch eine Idee, worüber wir uns angeregt unterhielten.
Das Thema war mir recht vertraut, obgleich ich mich selbst damit im Detail noch nicht beschäftigt hatte. Einige haltbare Ideen von mir jedoch verdienten eine genauere Diskussion. So unterhielten wir uns bis in den Abend hinein, ohne daß wir noch dazu gekommen wären, über Persönliches zu plaudern.
Sie wollte eine Projekt für Behinderte realisieren, welches mehr technische Möglichkeiten erforderte, als es das kostenlose Angebot des betreffenden Anbieters hergab. Da sie jedoch bereit war, in gewissen Rahmen Kosten selbst zu tragen, waren schnell geeignete Anbieter gefunden, die die erforderlichen Leistungen anboten.
Da ich ohnehin eigene Erfahrungen mit einem webserver hatte, konnte ich ihr diesbezüglich gut weiterhelfen, ebenso wie bei der Einrichtung eines Entwicklungs-servers zuhause, was sie in den nächsten Tagen angehen wollte.
Mir gefiel, daß sie sich zutraute, ihr Projekt nun wirklich selbständig zu erarbeiten, obgleich sie inzwischen ahnte, daß sie sich dafür noch viel würde aneignen müssen.
Tatsächlich kam dann nach drei oder vier Tagen wieder eine Rückmeldung von ihr mit weiteren Nachfragen. Ich unterbreitete ein paar Vorschläge, und so kam ihr Projekt nun offenbar ordentlich ins Rollen.
Nach einigen weiteren Tagen konnte sie bereits erste Rohentwürfe präsentieren, die ich konzentriert kritisierte und konstruktive Vorschläge zur Verbesserung machte.
2. Annette:
Einerseits hatte ich es gut getroffen, Michael in jenem Forum und dann im chat kennengelernt zu haben. Offen gesagt hatte ich keine Ahnung, wie eine internet-Seite erstellt wird und so erleichterten mir seine Tips den Einstieg sehr.
Als ich dann voller Stolz meine ersten Entwürfe präsentierte, ärgerte ich mich natürlich sehr, als statt des erhofften Lobes harte Kritik kam. Nachdem ich die erste Enttäuschung verkraftet hatte, erkannte ich, daß die Kritik viel detaillierten Inhalt enthielt und konstruktive Hinweise, wie es besser geht. Auch Quellen im internet gab er an, wo ich dazu lernen konnte.
Anfangs lustig, dann aber doch immer interessanter erschienen mir seine philosophischen Anmerkungen zum Medium internet. Einiges ärgerte mich sogar, wie scheinbar negativ er vieles sah, was ich für innovativ hielt. Ich ärgerte mich und hätte beinahe den Kontakt abgebrochen. Aber ich las die Texte, die er mir nannte und erkannte allmählich, daß viele Fehlentwicklungen, die er kritisierte, gerade jene traf, für die ich mich einsetzen wollte: Behinderte. Dabei betonte er immer wieder, daß es eben nicht nur um Minderheiten wie Blinde gehe, sondern aus verschiedenen Gründen mit ungeeigneten Techniken ganz verschiedene Gruppen ausgegrenzt werden, aufgrund von Alter, technischer Ausstattung oder auch nur aufgrund des benutzten Betriebssystems - und das in einem Medium, welches vom Anfang an allen gleichermaßen zur Verfügung stehen sollte.
Ich mußte das alles erst einmal ein paar Tage verdauen, und um den verletzten Stolz etwas zu pflegen. Je mehr ich mich aber informierte, desto begeisterter wurde ich und sah ein, daß er in fast allem Recht hattte. Gerade bei meinem Projekt für Behinderte wäre es absurd gewesen, eine Seite technisch so zu gestalten, daß neue Barrieren aufgebaut werden, gegen die wir ja gerade kämpften. Was sollte ich schließlich mit einer Seite, die nicht garantiert für alle zugänglich wäre. Je mehr ich mich umschaute, umso bedrückter wurde ich wegen der vielen bereits vorhandenen Hürden und der Schwierigkeiten bei bereits vorhandenen Standardlösungen, die Leute erstellt hatten, die sich um Minderheiten offenbar nicht scherten und zwar technisch zu vielem fähig sein mochten, sich aber mit dem Medium und seinen Besonderheiten offenbar überhaupt nicht auseinandergesetzt hatten. Und ich wäre beinahe in die gleiche Falle getappt.
Ich hoffte, mein tagelanges Schweigen hatte ihn nicht verärgert und mich dumm erscheinen lassen. Ich fand ihn bereits anfangs ganz nett. Dann schockierte mich seine bedingungslose Härte in der Analyse von Mängeln. Daraufhin schätzte ich aber gerade wieder das. Eine bessere Hilfe und einen ehrlicheren Kritiker hätte ich mir gar nicht wünschen können.
Zum Glück hatte er mein Schweigen nicht übel genommen und bei einer email wagte ich es dann erstmals, ganz vorsichtig und nebenbei nach Persönlichem zu fragen. Sein Beruf und seine Beschäftigung mit webservern und verschiedenen internet-Projekten erklärte dann natürlich, warum er auf dem Gebiet so viel Ahnung hatte, vor allem aber, wie es ihm gelingen konnte, blitzschnell und mit scharfen Verstand die Schwächen eines Projektes zu analysieren.
Die Portraits auf seinen privaten Seiten gefielen mir sehr gut und ebenso, was ich sonst über ihn erfuhr - ein richtiger Mann mit eigenem Kopf, attraktiv, aber kein Modell, mit Ecken und Kanten und nicht hormongesteuert.
Ich selber antwortete etwas ausweichend, denn eigentlich war alles gut, so wie es war und er mußte ja nicht gleich alles über mich erfahren. Kritisch war dabei natürlich, daß wir auch noch zufällig in der gleichen Stadt lebten.
Wenn ich es mir recht überlege, hatte ich da schon Angst, daß er enttäuscht wäre, wenn er mich persönlich kennenlernte. Ich hatte Angst vor seiner Reaktion, gerade weil ich ihn so schätzte. Seit ich den Unfall hatte, war es mit meinem Selbstvertauen ohnehin nicht mehr allzu weit her, wozu natürlich die allgegenwärtigen Probleme als Rollstuhlfahrerin ebenfalls beitrugen sowie auch die Unterschätzung durch andere.
So suchte ich ihn etwas auf Distanz zu halten, vielleicht gerade, weil er mir immer sympathischer wurde und ich es genoß, mich mit ihm auseinanderzusetzen.
3. Michael:
Anette hatte mein Interesse geweckt, ihre schnelle Auffassungsgabe, ihre Hartnäckigkeit und Zielstrebigkeit bei der Realisation ihres Projektes beeindruckte mich.
So erzählte ich ihr gern etwas über mich und gab ihr die Adresse meiner privaten internet-Seite, die sie wohl auch selbst hätte herausfinden können, doch schien sie mit dem Medium noch nicht so viel Erfahrung zu haben. Natürlich wurde ich zunehmend neugierig, zumal sie ja sogar in der gleichen Stadt wohnte. Sie war offensichtlich intelligent und zumindest teilweise an ähnlichen Dingen interessiert wie ich, an Literatur, Kunst, ihrem internet-Projekt.
Das ergab zahlreiche Möglichkeiten zu weiterer Konversation. Mit knapp dreißig war sie ein paar Jahre jünger als ich. Natürlich begann meine Phantasie allmählich ein feines Netz zu spinnen, doch wäre es mir peinlich gewesen, nach einem Bild oder ähnlichen Details zu fragen, nach solch profanen Dingen eben.
Schließlich hatten wir uns durch ihr internet-Projekt kennengelernt und nicht zum persönlichen Kennenlernen, so daß ich in dieser Richtung nicht intensiv in sie drängen wollte, obgleich sie bei irgendeiner Gelegenheit nebenbei angegeben hatte, keine Beziehung zu haben, sondern mit zwei Freundinnen in einer Wohngemeinschaft zu leben.
Nun ging meine Überlegung dahin, ihr vorzuschlagen, daß wir uns doch einmal treffen könnten, um mit ihrem Projekt zügiger voran zu kommen. Da sei es einfach effektiver zusammenzusitzen, statt jedes Problem mit mehreren emails hin und her zu klären. Zunächst schien mir jedoch Zurückhaltung angebrachter, um ihr nicht zu nahe zu treten. Inzwischen schickten wir uns täglich Post und wurden langsam miteinander vertrauter.
Ich konnte mich nicht länger zurückhalten und versuchte meinen Vorschlag anzubringen. Immerhin konnten wir uns so unverbindlich beschnuppern, ohne Peinlichkeiten fürchten zu müssen oder mögliche Gefühle zu offenbaren, die verborgen bleiben sollten. Schließlich gab es das Projekt als konkreten Anlaß für ein Treffen, statt persönlicher Interessen, die man hätte zugeben müssen.
4. Annette:
Ich erzählte meinen Freundinnen und Mitbewohnerinnen Sonja und Anja von Michaels Vorschlag, uns zu treffen und rekapitulierte, was ich von ihm wußte.
Sie hielten ihn auch für attraktiv und nett und ermutigten mich. Wir hatten einen lustigen Abend, als ich erzählte, wie ich Michael über das Projekt kennengelernt hatte und was ich bereits über ihn wußte. Wir schauten seine internet-Seiten und die beiden witzelten, daß ich mir so einen netten und adretten Mann auf jeden Fall genauer ansehen sollte, zudem er ganz passabel aussehe. Das wußte ich natürlich selber und eigentlich hatte ich auch Lust auf eine neue persönliche Bekanntschaft. Ich wurde nur verlegen bei ihren kleinen Neckereien, aber das machte mir auch gerade deutlich, daß da längst etwas in mir im Gange war, was ich nicht mehr komplett ignorieren konnte.
Andererseits war ich immer noch skeptisch und konnte doch die ganze Nacht nicht einschlafen. Was sollte ich antworten? Hätte ich nicht längst klären sollen, daß ich in einem Rollstuhl saß, um so von Anfang an keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen? Hätte ich wenigstens insgeheim erforschen sollen, wie er allgemein zu behinderten Menschen stand, ob sein Verständnis rein über das Technische hinausging. Hätte er vielleicht mehr als nur prinzipielles Interesse?
Auch am nächsten Abend wußte ich noch keinen Ausweg, ich konnte mich nicht so leicht überwinden, einfach die Wahrheit zu sagen.
Am nächsten Abend versuchte ich mein Glück im Scherz und Humor, der dann doch nur aussprach, was mich bewegte.
Ich schrieb Michael im Scherz, er wolle mich ja nur treffen, um mich zu vernaschen, statt um mein Projekt besorgt zu sein. Doch sei ich sicher nicht sein Typ und so würde ein Treffen sicher nur in einer Enttäuschung enden.
Gleich darauf hatte ich schon wieder Angst, ihn gekränkt zu haben, daß er sich vielleicht nicht wieder melden könnte. Warum mußte immer alles so schwierig sein?
5. Michael:
Ich fühlte mich fast ertappt, als Annette endlich schrieb. Immerhin war ihre Formulierung so fröhlich und heiter, daß sie mir offenbar trotz der Ablehnung nicht böse war.
ich beschloß, auf ihre lockere und überraschend offene Reaktion entsprechend einzugehen und fabulierte, zweifellos ganz sprachlos beim Anblick ihrer liebreizenden Gestalt zu sein. Sie suche sicher nur, ihre grazile Erscheinung vor mir zu verbergen, um mich nicht den Verlockungen ihres Anblickes auszusetzen. Vermutlich sei tatsälich mein bescheidenes Äußeres, welches sie verschreckt habe, daß sie keinesfalls einen persönliches Treffen in Erwägung ziehe, selbst wenn es nur um ihr Projekt ginge.
So schrieben wir uns einige Male zu dem Thema hin und her und heizten die Stimmung im heiteren Spaß weiter an. Meine Neugier jedenfalls wurde nur größer, diese Frau kennenzulernen, die mir so sympathisch und humorvoll erschien.
Die Stimmung jedenfalls war ins leicht Erotisch-Lustig-Übermütige umgeschlagen. Was nun, wenn sie mir wirklich äußerlich nicht gefiel? War das überhaupt wichtig? Was würde daraus folgen? Was wenn ich ihr nicht gefiel? Nichts verpflichtete uns, mehr als gute Bekannte zu werden. Hatte ich mich nicht doch zu weit vorgewagt? Täte sie ein Rückzieher nicht kränken?
6. Annette:
Einerseits war ich so blöd, ihn weiter zu reizen, obwohl ich ihn doch eigentlich nicht persönlich kennenlernen wollte. Wir hatten völlig abgehoben und über Dinge gesprochen, die für mich einfach unmöglich wären.
Andererseits: Es hat Spaß gemacht. Ich schwelgte in verrückten Phantasien, was ein großer Genouß war. Seit dem Unfall war ich in der Hinsicht einfach blockiert.
Das war damals kurz nach dem Abitur und mein damaliger erster Freund starb bei dem Autounfall. Er hatte den Wagen selbst vor den Baum gesetzt, während er nicht angeschnallt war. Ich war es und trotzdem hatte mir das zwar das Leben gerettet, die Folgen jenes lustigen Diskoabends mußte ich aber mein Leben lang tragen. Genaugenommen waren wir beide leicht angeheitert und ich hatte ihn abgelenkt und übermütig gereizt, also nicht um ihn wütend zu machen, sondern mehr in erotischer Hinsicht, aber auch wieder nicht so, daß er nicht trotzdem hätte aufpassen können, wo wir hinfuhren. In jedem Falle waren wir beide ursächlich beteiligt. Autofahren jedenfalls mochte ich seitdem nicht mehr und Erotik lag mir auch irgendwie fern.
In der Rehabilitation hatte ich nicht einmal danach gefragt - und dann war mein Unterleib irgendwie kein Thema mehr für mich, mit dem ich etwas anderes verbinden konnte als meine Behinderung! Ich hatte einfach keine Ahnung, ob "nur" meine Beine nicht mehr funktionierten oder ob ich vielleicht doch noch sexuelle Empfindungen in meinem Unterleib haben konnte. Es war eigentlich lächerlich, daß ich das noch immer nicht wußte. Ich fühlte mich wie ein Neutrum.
Und jetzt erlebte ich, daß Erotik vor allem im Kopf stattfindet. Es bereitete einfach großes Vergnügen, mit Michael hemmungslos zu flirten, zu schreiben, zu phantasieren, anzudeuten, zu verwirren, zu spielen, herumzualbern.
Natürlich wollte Michael mich umso mehr persönlich kennenlernen, und davor hatte ich einfach Angst, obgleich es mich gleichzeitig lockte. Sehnsucht durchdrang mein Denken und die Angst vor Enttäuschung, egal für wen, vermutlich für beide, Angst, ihn wieder zu verlieren. Ich spürte, wie mein Herz schlug, wie ich atmete, daß richtiges Leben in mir war - ein wunderbares Gefühl, gleichzeitig aber unheimlich, als müsse das Herz mir gleich wieder abgedrückt werden, als würde mir der Atem genommen.
Ich brachte es einfach nicht fertig, die Wahrheit über mich zu sagen und so log ich. Der nächsten email war einfach ein digitalisiertes Bild von Sonja angehängt, mit der Behauptung, das sei mein Konterfei. Es galt, Zeit zu gewinnen und Sonja war wirklich ein Prachtweib, welches ihn, nein einfach jeden Mann beeindrucken mußte. Das war Sonjas große Lebenslast. Gern hätte ich getauscht, doch nein, das wäre Sonja gegenüber gemein. Jeder hat sein eigenes Päckchen zu tragen, wenngleich mir Sonjas auch oft sehr angenehm erschien. Manchmal aber sehnte sie sich aber auch nach etwas Ruhe, danach ein Neutrum zu sein. Manchmal sagte sie das so dahin und entschuldigte sich dann gleich wieder, mich an der Schulter streichelnd, für meinen Ausdruck, den sie nicht benutzen sollte.
Ich zierte mich, gab mich widerspenstig, als ob ich mit ihm spielte. Irgendwie gefiel mir diese Rolle der geheimnisvollen Fremden und so ging das Reizen weiter.
Das Bild gefiel ihm offenbar sehr gut, ebenso wie mein Spielchen. Wir begannen, Phantasien auszutauschen.
Mit Sonjas Bild ging irgendwie alles wie von selbst. Sonja hatte ein paar wilde Jahre hinter sich, bevor sie im letzten Jahr etwas ruhiger geworden war. Ohne persönlich zu werden, hatte sie manche Anekdoten erzählt - und das bot mir eine reichhaltige Quelle für meine Spielchen mit Michael.
Leider übertrieb ich dann - was erst nur harmlose Spinnerei war, verführte mich dazu, eine ganze Geschichte zu erzählen: Wie sich zwei total Fremde in einer Hotelbar treffen und spontan auf einem Zimmer Sex miteinander haben. Das war einfach Wahnsinn.
7. Michael:
Nun, die Geschichte kam richtig in Fahrt, Annette schickte sogar ein Bild, keine Spur von häßlich oder irgendeinem Makel, ein roter Teufel, daß einem das Herz stehenblieb. Bezaubernde blaßblaue Augen und ein verlockend frischroter Schmollmund, neckische Grübchen und eine schlanke Figur mit recht fraulichen Formen. Der Blick erschien mir fordernd frech, ihr lockiges Haar umspielte locker ihre Schultern, dem Betrachter Lust auf mehr machend. Allein das Bild bereitete einem schlaflose Nächte, was mußte sie erst in Natura für eine Ausstrahlung haben? Wenn sie sich bewegte, lachte, lockte, mit den Augen spielte und ihren Körper bewegte, wie mußte das wirken!
Und dann begannen wir mit erotischen Phantasien, geradezu unheimlich, etwas so Intimes mit jemandem zu teilen, den ich nicht einmal persönlich kannte. Aber es machte gewaltigen Spaß und wir hatten beide viel Vergnügen darin, Mehrdeutigkeiten zu schreiben und dem anderen im Spaß Eindeutiges zu unterstellen.
Und dann schickte Annette die Geschichte von den beiden Fremden im Hotel, eine Phantasie von knisternder Erotik, von Übermut und Frohsinn.
Ich überlegte einige Stunden, wie die Erwiderung aussehen sollte und fragte alsdann halb im Spaß, ob wir das nicht einfach wirklich ausprobieren sollten. Das war einmal wieder eine klare Provokation, die die Spannung unermeßlich steigerte. Ich bereute es schon, als ich es losschickte, doch zu spät, die Geschichte war ins Rollen geraten, hoffentlich verstand sie den Spaß und meldete sich wieder. Was aber, wenn sie schockiert und verärgert wäre?
8. Sonja:
Annette bat mich um Hilfe, und es dauerte eine Weile, bevor ich überhaupt verstand, um was es ging.
Sie war ja ganz aufgelöst vor Aufregung und zeigte mir, in welche Schwierigkeiten sie sich mit ihrer hübsch geschriebenen Geschichte gebracht hatte.
Ich lachte vergnügt, was sie da angestellt hatte und fragte, ob sie hingehen wollte. Sie klopfte nur mutlos auf ihre Rollstuhllehne und erwiderte "Wie denn?"
Dann begann sie vor Verzweiflung zu weinen. Sie hatte sich in eine ausweglose Situation gebracht, denn weder wollte sie von Michael lassen, noch traute sie sich, ihm gegenüber zu ihrer Behinderung zu stehen.
Und dann gestand sie, daß sie mein statt ihr Bild geschickt hatte - und wenn sie nicht wie ein heulendes Elend vor mir gesessen hätte, hätte ich ihr eine schallende Ohrfeige gegeben. Es war eine Frechheit, und sie übertraf sich selbst, als sie vorschlug, daß ich statt ihrer gehen solle. Ich starrte sie an, und sie fuhr ungeniert fort, daß Anja und ich selbst ja gelobt hätten, wie gut Michael aussehe und wie wir sie ermutigt hätten, auf ihn einzugehen. Sie aber könne nicht tun, was mir doch leicht fiele.
Wir schwiegen beide.
Dann erklärte ich ihr, ich hätte das hinter mir. Schon wahr, während des Studiums war ich schnellen Abenteuern oft nicht abgeneigt und bei so einem Mann hätte ich nicht nein sagen können.
Bereits als ich dann einen Job hatte, sei das seltener geworden, am Wochenende noch mal ein oder zwei one-night-stands, aber das auch zunehmend seltener. Dann traf ich einen alten Bekannten wieder, der mir berichtete, er sei HIV-infiziert. Das war ein großer Schock. Ich machte den Test, war nicht infiziert und zumindest für mich erleichtert. Aber ich war ins Grübeln gekommen. Schnelle Abenteuer für eine Nacht wollte ich nicht mehr und für eine dauerhafte Beziehung war ich schon immer ungeeignet. Und so hatte ich nur noch wenige delikate Treffen, jetzt eigentlich gar keine mehr.
Sie bat mich zu lesen, was sie in ihren mails und der Geschichte geschrieben hatte und wie er jeweils geantwortet hatte. Die Geschichte war gut geschrieben und sie hatte sogar auf Details geachtet. Ich hatte zum Beispiel tatsächlich zuletzt immer Kondome benutzt, und das hatte sie auch wirklich beschrieben.
Sie tat mir leid, vielleicht weil ich zu wissen glaubte, was in ihr vorging, welche Sehnsüchte und Ängste da in ihr durchgebrochen sein mußten. Ich las auch, was sie sich sonst geschrieben hatten und nahm die zitternd Weinende in meine Arme. Sie flüsterte "Bitte!" Ich suchte sie zu beruhigen. Sie aber meinte es wirklich ernst. Naja und er war ja wirklich ganz süß - nein, das ist das falsche Wort - interessant. Was er schrieb und was er dachte, gefiel auch mir. Ich schaute mir nochmal seine Bilder an.
Jetzt hatte ich gerade deswegen Bedenken, weil ich Lust bekam, es war ja schließlich eigentlich Annettes Verehrer. Ich sagte ihr offen, wenn ich auf ihren Vorschlag einginge, könne gut alles noch schlimmer werden. Vielleicht habe er den letzten Vorschlag gar nicht ernst genommen und es wäre am geschicktesten, ihn gar nicht zu kommentieren. Annette schüttelte jedoch heftig den Kopf, das sei ausgeschlossen. Ich könne doch lesen, wie begeistert er über mein Bild geschrieben habe, er sei einfach scharf auf mich - und dummerweise habe sie sich dazu hinreißen lassen, das noch weiter anzuheizen. Es sei Unfug gewesen, doch es habe einfach so viel Spaß gemacht, ohne weiteres drauflos zu schreiben. Sie bat mich weiter und hatte wohl bereits gemerkt, daß ich eigentlich schon Lust hätte, stichelte, ich täte mich nur zieren und wolle mein Interesse nicht zeigen, bat mich weiter mit einem Gesichtsausdruck, der nicht nur Steine, sondern sogar gehärtetes Edelstahl hätte erweichen können.
Bevor das noch mein Verstand überhaupt mitbekommen hatte, stimmte ich plötzlich zu. Ich hätte darauf bestehen sollen, daß sie ehrlich zu ihm und vor allem zu sich sein müsse.
Ich gebe zu, letztlich konnte ich dem verlockenden Gedanken nicht widerstehen, ihre hübsche kleine Geschichte ein Stückchen weiterzuspinnen. So planten wir also.
Olaf Hoffmann 2004
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.