Das Landhaus
In einer angenehmen Landschaft, zwischen Wiesen, die zum Träumen einladen und Feldern, die das ökologische Gleichgewicht bewahren, umgeben von kleinen Wäldchen mit alten, charaktervollen Bäumen, liegt eines dieser sündhaft teuren Edellokale, das laut einschlägigen Gourmetführern einen Umweg lohnt, so es denn dort überhaupt verzeichnet ist. Einer dieser kleinen, aber höchst feinen Fresstempel, die ständig ausgebucht sind, in denen man über Wochen, wenn nicht Monate im voraus einen Tisch reservieren muss, weil man kurzfristig nur dann eine Chance hat, wenn man auf langjährige Beziehungen oder häufige Besuche verweisen kann oder den Besitzer persönlich kennt. Ein verschwiegenes Restaurant, das inzwischen auf den Rummel verzichtet, den Sterne mit sich bringen, dass aber dennoch sehr gut floriert und dem Eigentürmer, wie auch seinen Gästen viel Freude bereitet. Es wird immer nur ein einziges, erlesenes Menü angeboten, mit ein paar kleinen Möglichkeiten der Variation und das ausschließlich nur als Diner am Abend. Das Essen ist so exzellent und so ausgedehnt ausgelegt, die Getränke so exquisit und verlockend, dass es wirklich keinen Grund gibt, die gebotenen Genüsse nicht voll auszukosten, Stunde um Stunde hier zu verbringen und sich keine Gedanken um die Fahrt zurück nach Hause zu machen. Es gibt genügend Gäste, die gerne das Angebot des Hauses annehmen, ihren Aufenthalt nicht nur auf den Abend zu beschränken, sondern auch eines der wenigen Zimmer zu buchen, manchmal, sogar erst am selben Abend, je nach dem, welche Art von Gästen überwiegen, die lang angereisten, die kurz entschlossenen, die Stammkunden. Da das Lokal bedingungslos auf Qualität und nicht auf Quantität setzt, können immer nur wenige Gäste die kulinarischen Höhepunkte erleben und es stehen auch nur wenige Zimmer zur Verfügung. Sie sind nicht einmal besonders komfortabel eingerichtet, ein Bett, dass für drei reichen würde, nimmt fast den ganzen Raum ein und auch das Frühstück ist eher frugal, was aber angesichts der üppigen Fülle, die von den Gästen am Vorabend bewältigt werden musste, durchaus in deren Sinn ist, da die meistens gar nicht in der Lage wären, auch noch ein ausgedehntes Frühstücksbüfett zu plündern. Eines will das Landhaus bestimmt nicht sein, ein Wellnesshotel, das seinen Gästen dazu verhilft, die teuer erworbenen Pfunde wieder loszuwerden. So ist die Aufenthaltsdauer in der Regel auf eine Nacht begrenzt und der Preis für das Zimmer stellt sich, gemessen an den horrenden Kosten für das Menü, eher bescheiden dar, man könnte fast sagen, die Übernachtung ist nichts mehr, als ein zusätzliches Dessert. Manche Gäste haben rasch gemerkt, dass in solch einem Ambiente geschäftliche Absprachen sehr erfolgreich getätigt werden können und so werden Restaurant und Hotel nicht selten von einer ganzen Clique belegt, von einem großen Konzern gebucht, von vermögenden Privatiers in Beschlag genommen, aber auch diese Gäste bleiben meistens nur für eine Nacht, denn ein Konferenzhotel will das verschwiegene Landhaus auch auf keinen Fall sein.
Soviel zum Normalbetrieb, aber es gibt noch eine Steigerung, was das Angebot und auch was die Kosten betrifft, die ohnehin schon horrend sind. Ausgesuchte Gäste können ein Spezialevent buchen, das unter der Bezeichnung "Für alle Sinne" diskret, sozusagen nur unter dem Ladentisch vertrieben wird. Es wird nicht beworben, findet sich in keinem Prospekt und auf keiner Internetseite, es wird allenfalls in einschlägigen Foren besprochen, zu denen aber nicht jedermann Zugang hat. Man könnte fast meinen, Programm existiere gar nicht, aber es ist durchaus erfolgreich, obwohl es ausschließlich durch Mund zu Mund Propaganda verbreitet wird und obwohl man noch viel früher buchen und noch viel tiefer in den Geldbeutel greifen oder die Kreditkarte belasten muss. Eine weitere sehr hohe Hürde besteht darin, dass ein Interessent eine Referenzperson angeben muss, um eine Einladung zu erhalten. Man kann nicht einfach buchen, man muss es schaffen, eingeladen zu werden. Wie bei allen wirklich exquisiten Angelegenheiten reicht der Besitz von Geld allein nicht aus, um teilzuhaben. Das Haus will aus gutem Grund das Niveau sehr hoch halten und absolute Diskretion bewahren, um Ärger jedweder Art zu vermeiden. Wenn man erst einmal in den einschlägigen Kreisen bekannt geworden ist, scheint die Strategie der extremen Verknappung Erfolg zu bringen, so auch hier. Der glückliche Auserwählte erhält einen Anruf oder eine SMS, aber keine schriftliche Zusage und auch keine Rechnung, die er von der Steuer absetzen könnte. Er muss sogar, um die Risiken für das Haus abzumildern, eine beträchtliche Anzahlung leisten, ohne ein verbrieftes Recht auf Rückerstattung. Falls das Ereignis, aus welchen Gründen auch immer, nicht zustande kommt, wird nur ein anderer Termin angeboten. All das wird aber von den Auserwählten gerne akzeptiert, weil sie keinen Zweifel an der Seriosität und Kulanz des Veranstalters haben, der keinerlei Interesse hat, seinen Gästen zu schaden oder seinen Ruf zu schädigen. Und auch in einem weiteren Punkt können sie vollkommen beruhigt sein, absolute Diskretion ist die Voraussetzung für das Gelingen des Geschäftsmodells „Für alle Sinne“.
Der Besitzer des "Landhauses" war auf die Idee mit dem Spezialprogramm gekommen, als ein Gast, der oft in Japan zu tun hatte, von den Geheimnissen mancher Teehäuser schwärmte, die mehr anboten, als nur Tee und auch viel mehr, als nur den Gesang von Geishas. Sie unterhielten sich manchmal noch lange, wenn das Restaurant schon längst geschlossen war und da der Besitzer ohnehin gerade dabei war, einige japanische Komponenten sowohl in seinen Speiseplan als auch in das Ambiente des Hotels aufzunehmen, entschloss er sich zu einer spontanen Reise in den fernen Osten, um eigene Eindrücke vor Ort zu sammeln und nützliche Kontakte zu knüpfen. Der Gast war gerne bereit, ihm zu helfen und so kam es, dass sie sich in Kyoto trafen und dort einen unvergesslichen Abend in einem verschwiegenen Teehaus verbrachten, einen Abend, der ihn sehr beeindruckte und schließlich auch auf die richtige Idee brachte. Am faszinierendsten fand der Gastronom, wie sich in der japanischen Kultur Kunst und Erotik mühelos miteinander verbanden. Übernehmen konnte er das Konzept des verschwiegenen Teehauses freilich nicht, dafür fehlte hier die Jahrhunderte lange Tradition und die Unbekümmertheit, mit der die Japaner den sexuellen Aspekten gegenüber stehen. Hier bleibt ein Puff ein Puff, auch wenn es noch so edel daherkommt und in einem Sternerestaurant zu vögeln, gilt als sehr unschicklich. Seine Idee, neben oder während des Essens der fleischlichen Lust nachzugehen, indem man einfach die Tabletts mit den Köstlichkeiten beiseiteschiebt, ein Futon ausrollt, vielleicht noch einen Paravent aufstellt, ließ sich nicht durchsetzen. Aber der Keim für sein Konzept war gelegt und er tüftelte lange herum, wie er die wesentlichen Elemente einer Nacht mit willigen Geishas, die wirklich zu allem bereit waren, in sein kulinarisches Basisprogramm übernehmen könnte. Als er dann mit ausgewählten Gästen, das ungewöhnliche Programm testete, war er selbst überrascht, welchen Erfolg das Angebot "Für alle Sinne" schon nach kurzer Zeit hatte.
Wie jedes bessere Lokal brauchte auch das verschwiegene Landhaus seine Ruhetage. Es waren der Dienstag und der Mittwoch, erfahrungsgemäß die Tage mit dem geringsten Gästeaufkommen und damit dem kleinsten Umsatz. An diesen Tagen blieb die Küche kalt und die Hotelzimmer standen leer. Es wurde geputzt, repariert, bilanziert, vorbereitet, aber die Mehrzahl der Angestellten, guter Service braucht nun mal sein Personal, hatte frei. Doch einmal im Monat wurden die Ruhetage ausgesetzt, denn nun reisten acht ausgesuchte Gäste an, nicht mehr, denn auch hier galt Klasse statt Masse, aber auch nicht weniger, weil das Programm "Für alle Sinne" ständig ausgebucht war. Sie blieben auch nur diesen einen Abend und die Nacht von Dienstag auf Mittwoch. Die Küche bereitete das Diner für den Dienstagabend schon am Montag vor, ein Menü aus kalten Leckereien und einigen wenigen warmen Komponenten, die von einem einzigen Koch ohne Qualitätsverlust aufgewärmt und serviert werden konnten. Ansonsten sorgte noch ein Mann vom Stammpersonal für die Sicherheit und war für technische Belange zuständig und einer Salondame oblag die Begrüßung und Einweisung der Gäste. Das Ziel des Angebots „Für alle Sinne“ war das uneingeschränkte Glück und die optimale Befriedigung der Gäste in jeder nur denkbaren Hinsicht. Es wurde alles getan, damit diese für ihr vieles Geld auch auf ihre Kosten kamen, denn der eigentliche Clou waren die persönlichen Betreuerinnen, die sich ständig und voller Hingabe um die Gäste kümmerten. Die Damen wurden über erstklassige Escort Agenturen gebucht, vor Aufnahme ihrer Arbeit noch speziell geschult, mit einem Arbeitsvertrag versehen und so gut bezahlt, dass keine auf die Idee kommen konnte, den Job abzulehnen, sich zu beklagen oder später irgendwelche Forderung zu stellen. Voraussetzung war nicht nur, dass sie gut aussahen, sondern dass sie auch eine gute Allgemeinbildung hatten und sich irgendeinem Gebiet der Unterhaltungskunst auskannten, sei es singen, tanzen, vorlesen oder sich gekonnt auszuziehen. Die wesentlichste Bedingung war jedoch, dass sie bereit waren, alle Wünsche der Gäste zu erfüllen und sich in dieser Nacht ohne Wenn und Aber zu prostituieren. Alles geschah auf freiwilliger Basis, aber laut Arbeitsvertrag durften sie nur ablehnen, wenn die Wünsche eindeutig perverser oder gewalttätiger Natur waren, nicht aber, wenn ihnen der Mann nicht zusagte. Prostitution darf ja hierzulande legal ausgeübt werden und dieses Spezialprogramm befand sich selbstverständlich im Einklang mit allen geltenden Gesetzen und Vorschriften, was zum Beispiel die Arbeitserlaubnis, die Räumlichkeiten, die Arbeitsbedingungen oder das Alter der Frauen und der Gäste betraf. Sie verpflichteten sich auch zu absoluter Diskretion und mussten zum Beispiel ihre Handys abgeben und keine Kameras mitbringen. Die Erfahrung hatte gezeigt, dass eine Mischung aus jungen, fast unschuldigen Mädchen und erfahrenen, reifen Frauen, aus Blondinen und Dunkelhaarigen, aus Dünnen und Dicken, aus Weißen und Farbigen am besten ankam, weil dann für jeden Geschmack etwas dabei war. Weil das Angebot "Für alle Sinne" auf einen kleinen Kreis sehr vermögender Kunden begrenzt, somit sehr exquisit und teurer, sehr diskret und dennoch legal war, wurde es im Kreis der potentiellen Kunden sehr beliebt, denn mehr Genuss konnten sie in diesem Leben nicht erwarten, nach dem Motto: . "erfüllen Sie sich das, was Sie noch nicht einmal zu träumen gewagt haben". Und so war es nicht erstaunlich, dass trotz aller Diskretion und der fehlenden Werbung, das Hotel an diesen Tage lange im Voraus ausgebucht war.
Der Gast
Dieser Geburtstag sollte etwas Besonderes werden, etwas Einmaliges, Unvergessliches. In diesem Jahr wollte er sich endlich einen Traum erfüllen, den er schon seit Langem hegte, den er aber bisher noch nie zu leben gewagt hatte, Ein Traum, der ihm all das bescheren sollte, was er seit Jahren vermisste, ein Männertraum, den sich vermutlich nur wenige erfüllten, weil sich nie die Gelegenheit bot, weil sie glaubten, ihn sich nicht leisten zu können oder weil sie sich einfach nicht trauten, ihn zu realisieren. Er war, ein Mann in denn mittleren Jahren, in den besten, wie man so sagt, verheiratet, aber nicht glücklich, kinderlos, nicht gerade sehr reich, jedoch ausreichend vermögen, um sich diesen ungewöhnlichen Geburtstagswunsch zu erfüllen. Er würde ihn eine Stange Geld kosten, aber nicht arm machen und er hoffte, von diesem einmaligen Erlebnis, noch sehr lange zehren zu können. Er hatte alles gut und lange im Voraus geplant, denn von seinen Absichten durfte keiner etwas erfahren, vor allem nicht seine Frau, die ihn nicht verstanden und sicher lange gezetert hätte. Zum einen wegen der maßlosen Geldverschwendung, sie war eine sparsame Hausfrau, die sich selbst kaum etwas gönnte und ihre Bedürfnislosigkeit am liebsten auch auf ihren Mann übertrug. Zum anderen wegen ihres sexuellen Frusts und ihrer Eifersucht, beide Gefühle hatten sich in ihr aufgebaut, nachdem alle Versuche, ein Kind zu bekommen, erfolglos geblieben waren. Sie war sehr gläubig und betrachtete ihre Unfruchtbarkeit als eine Strafe Gottes. Sie hatte sogar abgelehnt, sich untersuchen zu lassen, ob die Kinderlosigkeit an ihr oder an ihrem Mann lag, und nahm es als Gottes Fügung, die man nicht infrage stellen durfte. Und da für sie der wichtigste Grund, Sex miteinander zu haben, in dem Bibelwort, „seid fruchtbar und mehret euch", begründet war, betrachtete sie es fortan als Sünde, wenn ihr Mann mit ihr schlafen wollte. Nicht genug, dass sie sich ihm verweigerte, sie achtete auch darauf, dass er es mit keiner anderen trieb, denn, „Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen“ und Ehebruch ist laut Bibel ebenfalls eine schwere Sünde. Er unternahm ein paar Ausreißversuche wenn er auf Dienstreisen war, aber die Bordellbesuche waren unbefriedigend, nicht nur, weil sie ihm zu mechanisch erschienen, sondern weil er sich auch ein paar Mal Ärger eingehandelt hatte, weil er zum Beispiel eine Italienerin in aller Unschuld auf die Schulter küssen wolle. Auch der Versuch mit einer Konkubine glücklich zu werden, brachte ihm viel Ärger ein, weil man solche Beziehungen auf die Dauer nicht geheim halten kann, weil die Freundin Ansprüche stellt, weil man sein Leben gut organisieren muss und eine eifersüchtige Frau bei aller Geheimhaltung selbst die kleinsten Anzeichen findet und zu deuten weiß. Die Folge war, dass er sich darauf verlegte, heimlich Pornos anzuschauen und sich einen runterzuholen. Beide darbten und litten, blieben aber dennoch zusammen, weil wohl immer noch etwas Liebe vorhanden war und alles andere, außer dem Sex, ja prima funktionierte. Doch im Laufe der Zeit wurde bei ihm wurde der Wunsch, wieder einmal richtig zu vögeln, immer größer und stärker, während sie ihre Libido mit den Mitteln der Religion bekämpfte.
Er wollte wenigstens einmal etwas Maßloses, etwas Ungeheuerliches tun, es einmal im Leben so treiben, wie er es noch nie getrieben hatte und wohl auch nie wieder treiben würde, einmal etwas wagen und dieses eine Mal maßlos übertreiben und sein Tun vor niemandem, nicht einmal vor sich selbst rechtfertigen. Er fürchtete auch, dass seine Manneskraft bald verkümmern würde, weil er sie kaum noch nutzte und dass es somit höchste Zeit war, dieses Wagnis anzugehen.
Von einem Geschäftspartner hatte er den vagen Hinweis erhalten, dass es ein verschwiegenes Landhaus gäbe, wo man nicht nur hervorragend essen, sondern auch andere Dinge erleben könne, die unvergesslich seien und einen Mann, einen richtigen Mann, absolut glücklich machen, würden. Doch die Reise in die Welt der ausufernden Sinne sei sehr teuer und man müsse das Spezialprogramm "Für alle Sinne", das nur einmal im Monat stattfände, frühzeitig reservieren. Aber selbst das sei keine Garantie für einen der begehrten Plätze, man könne dort nicht einfach auftauchen und seine Kreditkarte auf den Tresen legen, man bräuchte einen Referenzpartner, der für die Seriosität und Bonität des Neulings gerade stehen würde, man wolle vermeiden, so der Bekannte, dass unvorhergesehene Probleme entstünden, man wolle unter sich bleiben, man wolle nur seriöse, vermögende, ältere Männer mit Geschmack bei diesen "Partys". Damen seien nicht erwünscht, auch nicht in Begleitung. Die Vorstellung, selbst einmal an solch einer Party teilzunehmen und alles, was er bisher entbehren musste, zu kompensieren, nahm Gestalt an und als er den Geschäftsfreund wieder traf und das Gespräch auf diesen Event brachte und großes Interesse zeigte, war der gerne als langjähriger Geschäftsfreund dazu gerne bereit. Mehr als eine Telefonnummer könne er ihm jedoch nicht geben und auch im geschwätzigen Internet gäbe es zwar eine Seite des Landhauses mitsamt Speisekarte und Preisen, aber keinerlei Hinweise auf das Programm "Für alle Sinne". Aber, so der Geschäftsfreund, es sei jeden Pfennig wert, wenn man tolerant und aufgeschlossen und bereit sei, das volle Angebot auszukosten. Es war verwunderlich, dass sein Bekannter das Wort Pfennig in diesem Zusammenhang in den Mund nahm, denn er war sicher kein Mensch, der sich mit Pfennigen abgab. Der Porsche, mit dem er zu den Dienstreisen angereist kam, ließ seinen eigenen Mittelklasse Mercedes sehr alt aussehen.
Er überlegte lange und gründlich, wog vor und Nachteile ab, scheute sich wegen der hohen Kosten, war aber doch schon so gebannt und elektrisiert, dass er schließlich anrief und sich nach dem Spezialprogramm erkundigte. Es meldete sich eine gewisse Louisa und er merkte deutlich, dass sie zögerte, aber als er den Namen seines Bekannten nannte und versicherte, dieser würde für seine Seriosität und Bonität bürgen, hatte sie keine weiteren Bedenken und er bekam eine Zusage für den Tag vor seinem Geburtstag, weil es bis dahin noch ein paar Wochen Zeit war. Er solle die Anzahlung überweisen und dann noch einmal anrufen, um ein paar Informationen zur Anreise zu erhalten. Schon ziemlich frühzeitig verkündete er seiner Frau, dass er an seinem Geburtstag leider eine Dienstreise machen müsse. Es seien aber nur zwei Tage, an denen er weg sei, das sei besser als zwei Wochen und sie wisse ja, dass er gar nicht so gern auf Dienstreisen gehe, dass er sein heimisches Bett jedem Hotelbett vorzöge und dass ihm ein liebevoll zubereitetes Wurstbrot mit einem kühlen Bier lieber sei als jedes festliche Essen in einem Spitzenrestaurant. Das verstand seine Frau, denn Dienstreisen waren in seinem Beruf und bei seiner Position nun einmal unumgänglich und sie hatte sich daran gewöhnt, auch an solchen Tagen manchmal allein zu sein. Außerdem fühlte sie sich durch seine Worte ein wenig geschmeichelt, obwohl sie nicht so recht glaubte, was er sagte, weil sie wusste, dass ihr Mann sehr gerne gut aß.
Die Fahrt in seinem Mercedes an einem regnerischen Dienstag im November war, im Vergleich zu manchen langen Bahnfahrten oder gar endlosen Flügen, relativ einfach. Er hätte sein Ziel schon am späten Vormittag erreichen können, aber ließ sich Zeit, verbummelte den halben Tag, nahm ein bescheidenes Mittagessen in einem Landgasthaus ein, um sich nicht schon im Voraus zu belasten, sein Magen sollte leer und sein Appetit, nicht nur auf das Essen, groß sein. Er hatte an beiden Tagen keine beruflichen Verpflichtungen, keine Termine, keine Telefonate, natürlich auch keine Besprechungen und hatte im Büro gesagt, er wolle mit seiner Frau zusammen mal so richtig entspannen und deswegen auch sein Handy abschalten. So näherte er sich am späten Nachmittag rechtzeitig und völlig entspannt seinem Ziel, nachdem er sich den ganzen Tag schon gedanklich dem Ereignis, das ihn erwarten würde, gewidmet hatte, von dem er aber keine konkrete Vorstellung hatte, er wusste nur das, was ihm sein Bekannter erzählt hatte. Er war gespannt, hungrig und erwartungsfroh.
Die letzten Kilometer der Fahrt, nachdem er die Autobahn verlassen hatte, machten ihm richtig Spaß. Es war, trotz des anhaltenden Nieselregens für die Jahreszeit noch ziemlich warm, die Wiesen waren immer noch satt grün, die Bäume hatten ihre bunten Blätter schon zum Teil abgeworfen. Er hielt an, wollte nicht zu früh ankommen, die Luft war würzig, er atmete tief durch und fühlte sich sehr wohl, wenn sich auch in seinem Innersten eine kleine Angst vor dem Ungewissen anfing auszubreiten, dennoch beglückwünschte er sich selbst zu dem Entschluss, dieses Ereignis als sein ureigenes Geburtstagsgeschenk ausgewählt zu haben. Das Landhaus lag wirklich bezaubernd auf einer großen Lichtung inmitten eines kleinen Wäldchens. Ein kurze, kurvige Allee führte von der Landstraße zu dem Anwesen. Das Haus, im Stil eines kleinen französischen Schlösschen, war nicht groß. Er vermutete, dass es früher einmal einem reichen Adeligen oder Industriellen als Jagdschloss gedient hatte. Sein Wagen war der Erste auf dem Parkplatz für Kunden und er schloss daraus, dass er auch der erste Gast war. Er war kaum ausgestiegen, als auch schon eine etwas ältere, sehr elegant gekleidete Frau auf ihn zu kam. Sie sprach ihn zu seiner Verwunderung mit seinem Namen an und stellte sich selbst als Louisa vor, die Frau, mit der schon telefoniert hatte und die, wie sie gleich erklärte, für alle organisatorischen Belange zuständig sei. Er könne sich jederzeit an sie wenden, sie sei die ganze Zeit über anwesend, bis zu seiner Abreise. Als er sich anschickte, den kleinen Koffer aus dem Wagen mitzunehmen, sagte sie, ein Angestellter würde das Gepäck auf sein Zimmer bringen, er solle ihr unbesorgt seinen Autoschlüssel überlassen. Dann bat sie ihn in die Lobby und fragte, ob sie ihm einen Cocktail oder einen anderen Drink zur Begrüßung anbieten dürfe. Er kannte sich mit Cocktails nicht aus, das einzige, was er ab und zu trank, war ein Mojito und kaum hatte er den Wunsch geäußert, zückte sie ihr Handy und orderte. Dann wünschte sie ihm einen angenehmen Aufenthalt, sie sei sich sicher, dass er an das Ereignis "Für alle Sinne" noch lange zurückdenken würde. Louisa sah nicht nur gepflegt aus, sie drückte sich auch ein wenig gestelzt aus, das gehörte vermutlich zu ihrer Aufgabe als Empfangschefin. Sie setzten sich in eine der Sitzecken und sie bat ihn um die Erlaubnis, ihm ein paar weitere Hinweise geben zu dürfen. Sein Name und die Nummer seiner Kreditkarte seien ja bekannt, die Anzahlung sei eingegangen, die Anmeldung damit schon erledigt und der Rest würde abgebucht, wenn das Ereignis beendet sei. Eine Rechnung, das wisse er ja bereits, würde er nicht erhalten. Sie fuhr fort, dass es hier üblich sei, sich mit einem Decknamen anzusprechen und sich untereinander und mit den Damen zu duzen. Sie hätte sich die Freiheit genommen, für ihn einen Namen bereits ausgewählt zu haben. Damit überreichte sie ihm eine schlichte Visitenkarte, auf der nichts weiter stand als "Siegfried". Sie hoffe, er sei damit einverstanden, schließlich sei Siegfried ja eine durchaus positive und sehr starke Persönlichkeit, man denke nur, wie er Gunther geholfen habe, Brünhild zu besiegen und auch Krimhild hätte er wohl zufriedengestellt, jedenfalls habe man nichts Gegenteiliges erfahren. Somit könne er es als Ehre auffassen, so genannt zu werden. Sie wechselte noch einmal das Thema und erklärte, dass fotografieren und telefonieren während des Ereignisses nicht erlaubt sei und deswegen solle er ihr bitte ihr sein Handy geben, sie würden es sicher im Tresor aufbewahren. Sie bat ihn auch, sein Portemonnaie mit Bargeld und Kreditkarte einzuschließen, Geld braue er hier keines, weil alle Angebote, wirklich alle, betonte sie, im Preis inbegriffen sei, es würden also keine Kosten entstehen, die er gleich bezahlen müsste. Um Missverständnisse bei der Vergabe von Trinkgeldern zu vermeiden, sei ein einfaches System eingeführt worden. Es gäbe Bonuskärtchen, auf den roten stünde die Zahl 10, auf den blauen 20 und auf den braunen 50. Sie zeigte ihm die Kärtchen. Er könne jederzeit welche bekommen und nur wenn er sie an den Empfänger übergebe, würde sein Konto um jeweils 10, 20 oder 50 € belastet. Auf diese Weise könne er sich erkenntlich zeigen, wenn er mit einer Dienstleistung besonders zufrieden war. Diese Regelung habe sich eingebürgert, Bargeld sei unerwünscht, es würde nur die angenehme Atmosphäre stören und außerdem würde man so vermeiden, dass doch einmal Geld abhandenkäme.
Dann wurde sein Mojito von einem bulligen Mann in einem tadellos sitzenden, schwarzen Anzug gebracht, den Louisa als Luis vorstellte. Luis sei der Mann für alles Technische und er sei auch für die Sicherheit zuständig. Luis lächelte andeutungsweise. Louisa meinte nun, sie müsse ihn jetzt allein lassen, da gleich die anderen Gäste kämen. Er könne es sich hier in der Lobby gemütlich machen oder auch auf sein Zimmer gehen, das ihm Luis gleich zeigen würde. Hier gäbe es etwas zum Lesen und einen Fernseher. Das Angebot an Unterhaltung sei so ausgelegt, dass eine auch Einstimmung auf das, was ihn erwarten würde, möglich sei. Im Übrigen gäbe es eine Einführung in das Ereignis, wenn alle Gäste beisammen seien. Wenn er etwas trinken wolle, könne er sich gerne an Luis wenden, der jederzeit zu erreichen sei.
Nachdem alle acht Gäste eingetroffen und bei allen die Formalitäten der Begrüßung erledigt waren und jeder, mit einem Getränk versorgt, sich in der Lobby eingefunden hatte, begann Louisa ihre Einführung mit einer kurzen Vorstellungsrunde, bei der jedoch nur die Decknamen genannte wurden. Alle waren gespannt, was Louisa nun über den Ablauf des Programms "Für alle Sinne" sagen würde, jeder wollte wissen, was ihn in den kommenden Stunden erwartete, aber stattdessen stellte sie erst einmal fest, dass alle acht zum ersten Mal an dem Ereignis teilnehmen würden und betonte, dass Diskretion das oberste Prinzip sei und man sich bitte im eignen Interesse daran halten möge. Dann entschuldigte sie sich, dass sie ein paar der Regeln für den Umgang miteinander und zur allgemeinen Sicherheit ansprechen müsse, die auch bitte unbedingt beachtet werden sollten. Auf das Verbot zu fotografieren, sei ja jeder schon hingewiesen worden, sie hoffe, dass niemand mit versteckten Geräten es dennoch versuchen würde. Ehrlichkeit sei genauso wichtig wie Diskretion, nur dann könne dieses einmalig Erlebnis funktionieren. Luis, der Mann, der ihr Gepäck entgegengenommen und die Drinks gebracht hatte, sei auch für die Sicherheit zuständig. Er würde schlichtend eingreifen, wenn es notwendig sei, zum Beispiel wenn sich Eifersuchtsdramen ankündigten oder jemand sich unbotmäßig verhielt, was nur höchst selten vorkäme, aber wenn es sein müsste, würde er sich nicht scheuen, den Gast hinaus zu komplimentieren, sich dagegen zu beschweren, sei sinnlos. Das gälte auch, wenn jemand nach zu viel Alkoholgenuss die Kontrolle über sich verlieren würde und er somit und für die anderen eine starke Belästigung oder gar zur Gefahr würde. In diesem Fall würde er zur Ausnüchterung in einen verschlossenen Raum gebracht. Jeder sei für sich selbst verantwortlich, dürfe aber andere nicht belästigen, vor allem nicht die Damen, die sehr tolerant seien, aber dennoch nicht alles mit sich machen lassen müssten, auch in diesem Fall würde Luis rigoros eingreifen.
Damit habe sie aber auch genug unangenehme Sachen angesprochen und man könne endlich zu der Sache kommen, weswegen alle hier seien. Man könne, fuhr sie fort, diesen Abend und die ganze Nacht unter das Motto "Menue surprise" stellen und weil das so sei, würde sie weder das Menü noch die anderen Überraschungen preisgeben, denn wenn man schon alles im Voraus wüsste, gäbe es ja keine Überraschungen mehr. Nur soviel, das Haus und alle Angestellten seien ehrlich bemüht, wirklich alle menschlichen Sinne möglichst individuell anzusprechen, anzuregen und auch zu befriedigen. Natürlich sei der Geschmacks- und Geruchssinn, das kulinarische Element, wenn man so wolle, ganz besonders wichtig, aber der stünde ja auch schon ohne im Normalbetrieb des Landhauses im Mittelpunkt. Das Ereignis „Für alle Sinne“ würde mehr bieten, viel mehr, da sei etwas für das Auge, man würde den Ohren schmeicheln, der Tastsinn würde voll auf seine Kosten kommen. Hier würde auch das grundlegende menschliche, männliche Bedürfnis nach körperlicher Nähe in angenehmer Gesellschaft voll befriedigt und es würde auch vor den angestrebten Höhepunkten nicht haltmachen. Das Ereignis sei sehr von der japanischen Kultur inspiriert und man würde das bieten, was sehr gute Geishas ihren Kunden bieten, die beileibe keine banalen Prostituierten seien, sondern eine lange Ausbildung hinter sich hätten und in allen gängigen Künsten hervorragend bewandert seien. Dann gab Louisa noch den guten Rat, sich auf alle Angebote voll einzulassen, alle Verklemmtheit, alle Scham, alle Schüchternheit abzulegen, den vollen Genuss zu suchen und den auch auszuleben, dann sei jeder Euro (sie sagte nicht Pfennig) gut investiert worden. Man solle aber bitte seine sexuellen Gelüste erste einmal bezähmen, jeder käme auf seine Kosten, die Nacht sei ja noch lang, das Geheimnis der Erfüllung bestände in seiner maximalen Verzögerung. Und noch eine große Bitte habe sie, wenn es zum Vollzug des Geschlechtsaktes komme, dann bitte nur auf den Zimmern. Nebenbei erwähnte sie noch, dass Kondome, die dort bereitlägen, unbedingt verwendet werden müssten und dass auch Viagra und andere Hilfsmittel erhältlich seien, aber nur jeweils nur eine Pille pro Mann. Ja, meinte sie zum Schluß, es sei teuer hier, aber auch einmalig.
Das Ereignis
Mein Name ist Rose, das ist natürlich nicht mein richtiger, Name, sondern mein Name für diesen Abend, für diese Nacht. Ich bin 29 Jahre alt, das stimmt, das ist nicht dieses berühmte endlose Alter manche Frauen, die sich fürchten das vierte Lebensjahrzehnt zu beginnen. Ich sehe ganz gut aus, mittelgroß, gute Figur, ziemlich großer Busen, meine Beine erscheinen länger als sie sind, wenig Po, aber ein hübsches Gesicht mit langen, brünetten Haare. Ich bin ein fröhlicher Charakter, finde schnell Anschluss und lasse dann auch mal gern alle Fünfe gerade sein. Ohne diese Voraussetzungen hätte ich diesen Job nie bekommen. Ich habe mal angefangen Germanistik zu studieren, aber aufgehört, weil ich keine Lehrerin werden wollte, was macht man sonst mit einem solchen Studium, aber vor allem, weil ich eine ganz gute Einnahmequelle gefunden hatte. In den ersten Semestern habe ich mich für umme durchgevögelt, mit Kommilitonen, mit Professoren, ab und zu auch mit Frauen, ich bin da großzügig. Nach einer solchen lesbischen Nacht sagte mir die Partnerin, ich sei doch blöd, das alles für umsonst zu machen. Mit meinem Körper, mit meinem Aussehen, mit meinem Charakter, mit meiner Bildung könnte ich doch richtig viel Geld verdienen. Sie gab mir die Adresse einer Escort Agentur, in der sie auch manchmal jobbte. Um es kurz zu machen, ich gab das Studium auf und stieg voll in diesen Beruf ein, nebenbei war ich auch als Fotomodell tätig, aber da kam ich über ein paar anerkennende Worte und ein paar hübsche Bilder nicht hinaus, aber immerhin dienten sie als Bewerbungsfotos. Ich verdiene gut, mache eine Arbeit, die mir gefällt und weil meine Agentur seriös ist, werde ich fast nur an Männer vermittelt, die auch seriös sind und nichts fordern, was ich ihnen nicht geben wollte und das zu einem fixen Preis für eine paar Stunden oder eine Nacht, außerdem legen sie meistens noch ein großzügiges Trinkgeld drauf, weil sie merken, dass ich es ehrlich mit ihnen meine. Ich lebe alleine, ein Freund würde es mit mir nicht aushalten, mein Liebesleben wird von meinem Beruf voll ausgefüllt, in meiner freien Zeit lese ich und bilde mich weiter, von meinen Kolleginnen werde ich deswegen manchmal komisch angeschaut, aber diese Sekundärtugenden kommen bei manchen meiner Klienten gut an. Sie sind auch absolut notwendig, wenn man für das Event „Für alle Sinne“ angeheuert werden möchte. Die Louisa, die das Coaching macht, ist superpenibel und superanspruchsvoll. Aber der Job bei denen macht richtig Spaß, man lernt richtig nette Männer kennen, kann gut essen und trinken und endlich mal das einsetzten, was man außer seinem Körper noch zu bieten hat. Ich habe mich darauf spezialisiert erotische Geschichten zu erzählen und die Männer hören auch zu, wenn ich mit total rauchiger, sexy Stimme sie direkt anspreche, zum mitmachen animiere, ihnen das Gefühl geben, dass diese Geschichten nur für sie geschrieben und erzählt werden. Sie bewundern mich ehrlich, denn das kann längst nicht jede, das ist so etwas wie mein Alleinstellungsmerkmal. Dafür kann ich mich nicht so gekonnt ausziehen, wie manche andere und ich bin auch nicht so gut, ihnen einen Superorgasmus vorzuspielen, was für manche ganz wichtig ist. Und, last but not least, sie bezahlen einen wirklich fürstlich für diese eine Nacht und man muss eigentlich nicht viel mehr tun, als mit anderen Kunden auch. Es sind meist ältere Männer, die froh sind, dank Viagra ihren Schwanz über einige Zeit aufrecht zu halten und es manchmal sogar bis zum Orgasmus und zur Ejakulation schaffen. Natürlich muss ich ihnen geben oder zumindest glaubhaft vorspielen, was sie wollen, aber wenn mir das unangenehm wäre, hätte ich mir einen anderen Beruf suchen müssen. Also, bei mir ist alles klar, ich freue mich wieder auf diese Nacht, auf das Erlebnis „Für alle Sinne“, es ist ja nicht zum ersten Mal, dass ich angeheuert wurde und das spricht ja durchaus für mich.
Wir haben uns in der Lobby versammelt, die Gäste sitzen schon an ihren Tischen im Restaurant und sind gespannt. Alle sind zum ersten Mal hier, hat Louisa gesagt, wir sollen besonders rücksichtsvoll sein, einige seien schon kurz vor dem Scheintod, die dürfe man nicht zu sehr fordern. Junge kommen ja sowieso nicht hier her. Es ist zum einen viel zu teuer, sie haben meistens nicht das nötige Kleingeld, und was sollen sie, zum andern, mit all dem Beiprogramm. Die wollen nur vögeln, vögeln, vögeln, allenfalls saufen und mit ihrem Durchhaltevermögen bei den anderen Männern und den anwesenden Weibern protzen, aber doch keine Musik, keinen Tanz. Wenn die das Wort "vorlesen" hören, lachen die doch nur oder schlafen ein, weil sie völlig ausgelaugt sind. Die Alten sind mir sowieso viel lieber, die sind rücksichtsvoll, brauchen ihre Zeit, spritzen nicht gleich nach einer Minute ab und sind meistens mit einem Mal voll bedient und sie geben auch noch anständige Trinkgelder. Die Jungen fragen höchstens, ob man für sie anschaffen wolle, das ist dann für mich ein Grund zu lachen. Meine Kolleginnen sind ziemlich unterschiedlich, Louisa achtet darauf, dass neben blutjungen auch ältere Frauen da sind, zudem sucht sie gerne sehr verschiedene Typen aus, blonde, brünette, dünne, dicke, dunkelhaarige, auch farbige Mädchen sind immer dabei. Jeder der Gäste soll etwas finden, das seinem Geschmack entspricht, so Louisas Worte. Wir haben hübsche Kleider an, die unsere Figur betonen, mit großem Ausschnitt und der Rocksaum endet ein paar Handbreit über dem Knie. Die Kleider werden gestellt, nur die Unterwäsche ist unsere eigene, nicht nur aus hygienischen Gründen, hier weiß jede selbst am besten, was ihr steht und wie sie damit auf Männer wirkt. Ein paar von den Frauen kenne ich. Wir waren entweder schon einmal zusammen hier oder man ist sich in der Agentur oder zu anderen Anlässen begegnet, der Markt für Edelnutten ist ja nicht so groß. Die meisten werden über Agenturen gebucht, manche sind auch freischaffend. Wir kommen eigentlich ganz gut miteinander aus, es ist unser Beruf, dem wir nachgehen und nicht ein Heiratsmarkt. Eifersüchteleien gibt es manchmal, aber de geht es meist darum, dass man sich nicht einen mit großen Spendierhosen wegschnappen lassen will. Wenn jemand eifersüchtig ist, dann sind es die Männer untereinander, da muss man aufpassen, da kann es schon einmal krachen und Luis, der Saalordner, wie ich ihn nenne, muss eingreifen. Heute kenne ich nur Zwei und wir freuen uns ehrlich, dass wir wieder einmal zusammen hier sind. Die eine ist die dicke Elfie, ein höchst passender Name, ihr quietschendes Lachen hört man immer mal wieder, sie lacht viel und gern. Dicke sind immer dabei, sie kommen bei manchen Männern gut an. Wenn wir am Ende unsere Bonuspunkte vergleichen, haben die Dicken fast immer am meisten abgesahnt. Das Grundeinkommen ist ja bei allen gleich, abgesehen von dem Aufschlag, den jede bekommt, wenn sie schon mal da war, je öfters, je beliebter desto mehr. Aber die Bonuspunkte, das ist die eigentliche Vergleichswährung, da kann man protzen oder neidisch werden. Ich kann mich nicht beklagen, ich sammle immer ganz gut ein, aber ich bin auch gut, das kann ich sagen, ohne rot zu werden. Ich weiß, wie man alte geile Männer um den kleinen Finger wickelt. Die zweite, die ich schon kenne, ist die Conchita, eine Latina mit einer sehr aufregenden Figur, die ist sogar noch älter als ich und auch sehr beliebt, weil sie immer so einen Hauch von Exotik um sich verbreitet und die Männer meinen, dass sie etwas ganz besonderes sei, aber in Wirklichkeit macht sie auch nur das, was wir alle machen, aber sie kann gut singen, am liebsten so spanische Schmachtfetzen, die immer ankommen. Einige von den Frauen sind zum ersten Mal hier, manche sind vielleicht sogar reine Amateure, Studentinnen, die ihr Taschengeld aufbessern wollen, aber die kommen in der Regel nicht wieder. Sie sind zu ungeschickt, der Job ist für sie zu anstrengend oder sie machen Zicken. Wenn sich ein Gast beschwert, dass seine Partnerin zu langweilig sei, ist das in der Regel das Aus für sie. Da ist Louisa gnadenlos, auch wenn sie selbst merkt, dass die Begeisterung fehlt oder die Hygiene nicht stimmt, so was wie Mundgeruch oder der Bildungsgrad einfach nicht ausreicht, dann wird es schwer, noch einmal engagiert zu werden. Louisa achtet auch darauf, dass immer eine Erfahrene mit einer Neuen zusammenarbeitet. Es wird zwar ausgelost, aber das ist Show, Louisa weiß sehr genau, welche Kombinationen funktionieren und diese stellt das Los zuverlässig zusammen. Heute werde ich mit Flor arbeiten. Sie ist neu und dazu blutjung und ziemlich dunkel, vermutlich eine Mulattin mit viel schwarzem Blut, im Gegensatz zu Conchita aber ganz schmal und grazil, das perfekte Gegenstück zu der dicken Elfie. Sie kommt aus den Antillen, spricht Spanisch und kaum Deutsch. Ich kann auch etwas Spanisch, da können wir kommunizieren und uns gegenseitig absprechen, uns helfen, um mit dem Typ, der uns zugelost wird, ein gewisser Siegfried, klarzukommen.
Das Programm beginnt, indem wir gemeinsam zu den Klängen klassischer Musik das Restaurant betreten. Luis, der alte Gauner, sorgt für die Musik, die Auswahl trifft aber immer Louisa, sie hat Geschmack. Luis ist ein Rambo, allerdings technisch begabt und er sieht gut aus in seinem schwarzen Anzug. Ich glaube der war mal bei einem Geheimdienst oder bei der Polizei. Er versucht immer eine von uns, vorzugsweise eine Neue für ein paar Minuten in einen freien Raum zu locken und schnell zu vernaschen, am liebsten in der Besenkammer, da verirrt sich sonst keiner hin. Wenn Louisa das mitbekommt, wird sie wütend. Sie schärft uns immer ein, wir seien für die Gäste da und nicht für Luis oder für den Koch Luigi. Aber der ist ein anständiger Kerl, Familienvater, der hat noch nie eine angemacht, soviel ich weiß, jedenfalls. Für Luis ist es ein regelrechtes Spiel, Louisa auszutricksen, eine willige Biene findet er immer. Mich wundert, dass sie ihn wegen dieser Eskapaden noch nicht gefeuert haben, wohl deswegen nicht, weil er seinen Job sehr gut und zuverlässig macht. Ich muss auf Flor aufpassen, sie wäre das ideale Opfer und ich kann mir nicht leisten, wenn sie verstimmt oder wütend ist oder auch nur nicht mit ihren Gedanken bei der Sache. Diesmal ist es Triumphmarsch aus Aida, wir schreiten, so muss man es nennen, feierlich in das Restaurant. Vorher hat sie noch genau kontrolliert, ob jede ihr Handy abgegeben hat und ob die Kleidchen richtig sitzen.
Im Saal, also dem Restaurant, sind acht Tische zwischen Grünzeug und Sichtblenden so angeordnet, dass für jeden Gast ein intimer Bereich geschaffen wurde und zugleich alle einen guten Blick auf die freie Fläche in der Mitte haben, die quasi als Bühne dient. Dort stehen auch die Tische, auf denen das üppige Büfett angerichtet ist. Vom Kochen verstehen Luigi und seine Kollegen etwas, da kann ihnen so schnell keiner das Wasser reichen, man merkt überhaupt nicht, dass alles schon vorgekocht ist und nur aufgewärmt wird. Die Getränke müssen übrigens immer aus der Bar im Nebenraum geholt werden, die Gäste haben keinen Zutritt, obwohl alles was man konsumiert, im Preis inbegriffen ist und das hat einen guten Grund. Denn während die Gäste das Beste vom Besten bekommen, ist in den Flaschen, aus denen wir bedient werden, nur gefärbtes Wasser mit Geruchsstoffen oder die alkoholfreien Varianten zum Beispiel vom Sekt. Ein Rotwein oder ein Whisky sehen haargenau so aus, wie sie aussehen müssen und riechen auch so ähnlich, enthalten aber keinen Tropfen Alkohol und das dürfen die Gäste natürlich nicht merken. Louisa hat uns erklärt, dass die Damen aus vielen Gründen unbedingt nüchtern bleiben müssen, die Herren aber trotzdem zum Trinken anregen sollen, damit die sich besser entspannen und besser genießen können. Abstinenzler, so Louisa, seien schrecklich, sie verdürben die ganze Stimmung. Männer bräuchten in solch einer verführerischen Umgebung einfach Alkohol im Blut, um aufzutauen, schließlich seien sie ja gekommen, um ihren Spaß zu haben.
An jedem Tisch stehen drei bequeme Stühle, einer ist jeweils besetzt. Auf den Tischen Teller, Besteck, Gläser, weiße Stoffservietten und die Visitenkarte mit dem Decknamen. Louisa stellt uns der Reihe nach vor, natürlich auch nur unsere Decknamen. Danach beginnt die Verlosung. Luis sammelt die Visitenkarten der Frauen ein und legt sie in einen umgestülpten Hut. Dann kommt Luigi der Koch, ins Spiel, er zieht jeweils eine Karte und ordnet sie reihum den Gästen zu, wie schon gesagt, alles ist nur Show, alles fake, aber die Gäste haben die Illusion, dass es Zufall ist, wer zu ihnen kommt und somit kein Grund besteht, zu meckern oder sich zu beschweren. Wir suchen dann unsere Herren auf, begrüßen sie, stellen uns noch einmal selbst vor und setzen uns zu ihnen. Louisa wünscht noch allen eine wunderschöne Nacht, die jetzt gleich mit dem Dinner beginnen wird. Man könne, so ihre abschließende Bemerkung, im gegenseitigen Einverständnis die Begleitpersonen auch jederzeit austauschen.
Jetzt kommt der entscheidende Moment, jetzt werden die Weichen gestellt, jetzt beginnt entweder eine fröhliche, angenehme Nacht oder es wird ein krampfiges, eher lustloses Abspulen des Programms, wobei der Gast niemals, wirklich niemals merken darf, dass wir keinen Spaß haben, wir müssen immer ganz wild auf ihn sein, gute Laune verbreiten, Erregung erzeugen, perfekte Unterhaltung bieten. Das erwarten sie von uns und das haben wir verdammt noch mal auch zu bieten, in diesem verdammt teuren Programm, aber Anspruch und Wirklichkeit sind nun mal zwei verschiedene Dinge. Siegfried schien ganz in Ordnung zu sein. Ein Mann in den Fünfzigern, schlank, recht gut aussehend, vermögend, sonst wäre er nicht hier, willig, sonst hätte er dieses Programm nicht gebucht. Ob er witzig ist und Stehvermögen hat, wird sich noch zeigen, das weiß man im Voraus wirklich nie, da gibt es die seltsamsten Überraschungen, positive wie negative. Du hast deine Chance, Siggi, nutze sie. Bevor Flor und ich mit einer etwas erweiterten Vorstellung beginnen, frage ich ihn, was er zum Aperitif wünscht und leiere eine Reihe von Vorschlägen herunter. Nein das stimmt nicht, ich leiere nicht, ich frage ganz dezidiert, was er denn gerne hätte und gebe ihm Hilfestellung, indem ich die verfügbaren Alkoholika aufzähle. Er ist zum Glück kein Abstinenzler und will einen Mojito. Das dürfte für Luigi kein Problem sein, er kann nicht nur gut kochen und servieren auch gut Getränke mixen. Ich hole den Mojito und bringe für uns Campari Soda mit, in diesem Fall aus Johannisbeersirup. Dann reden wir. Die Typen wollen immer wissen, wie alt man ist, 24, was man tut, studieren, wo, in Berlin, was, Sprachwissenschaften, ob man gerne hier ist, selbstverständlich, ob man verheiratet ist, nein, ob man einen festen Freund hat, das verrate ich nicht, aber er ist auf jeden Fall nicht hier. Meine Antworten sind auswendig gelernt, nichts stimmt. Aber es wird Vertrauen geschaffen, die oft vorhandene Verklemmung etwas gelockert. Komisch, dass gestandene Männer so verklemmt sein können, wenn ihnen alles zu Füßen liegt und sie zugreifen können, nehmen können was sie wollen.
Ich helfe Flor mit ihren Antworten, sie kann kaum Deutsch, ich stricke ihre Vita, mache sie interessanter als sie ist, diese kleine Schnalle, die nichts anderes zu bieten hat, als ihren kleinen appetitlichen Körper, aber das reicht ja meistens schon. Siggi weiß noch nicht, für wen er sich entscheiden soll. Beide wird er nicht befriedigen können, das ist er jetzt schon sicher, das verrät seine Körpersprache. Ich komme gut an mit meinem Charme, mit meiner Intelligenz, mit meinen Worten, das merke ich, aber er schielt doch meistens auf den perfekten Körper der Mulattin, schaut in ihre großen, dunklen Augen, die alles versprechen, auf ihren Mund, den er sicher jetzt gleich küssen würde. Aber in Wirklichkeit tut er gar nichts, hört nur höflich zu, nippt an seinem Cocktail. Andere sind da viel forscher, die fangen schon mit dem Aperitif zu fummeln an und möchten schon vor der Vorspeise auf das Zimmer. Siggi, komm, tau auf, es wird schon, sage ich zu mir, denn er scheint wirklich ein wenig verklemmt, auf jeden Fall ziemlich zurückhaltend zu sein. Zum Glück gibt es aber das Büfett, es ist wirklich gut und damit werden wir jetzt anfangen. Siggi gehört nicht zu der Sorte, die als Allererstes vögeln wollen, um sich selbst zu beruhigen und sich dann auf alles andere zu konzentrieren, aber die sind ohnehin selten. Und so fange ich an, ihm zu erklären, was auf den Tischen so alles auf uns wartet. Soll ich eine Auswahl treffen, will er mitgehen, will er sich überraschen lassen, Louisa hat doch etwas von „Menue Surprise“ gesagt. Siggi will sich von uns überraschen lassen, aber zuerst einmal ein Bier, schön kalt und schäumend muss es sein. Ich übersetze für Flor. Wir lachen. Dann gehe ich und lasse die beiden allein. Als ich mit einem Tablett mit drei Tellern zurückkomme, sitzen die beiden immer noch genauso distanziert nebeneinander. Anscheinend ist das Sprachproblem doch zu groß oder Flor zeigt zu wenig Initiative, kann ihre Wünsche und Fähigkeiten nicht ohne Worte ausdrücken und Siggi ist einfach schüchtern, aber das gibt sich noch. Wir fangen an zu essen. Ich schiebe kleine Häppchen in Siggis Mund. Dabei beuge ich mich tief über den Tisch. Ich weiß genau, dass man mir dann zwischen den Brüsten hindurch bis auf den Bauch sehen kann. Mein BH ist nur ein hellblaues Fast-Gar-Nichts. Das wirkt immer, er bewundert sichtlich mein Dekolleté, kann die Augen kaum noch abwenden. Ich bin ganz für ihn da, deswegen bin ich ja hier. Er fühlt sich offensichtlich wohl, seine Augen strahlen, aber er schweigt und macht auch keinen Versuch, mal kurz in meinen Ausschnitt zu greifen, was andere sehr gern tun oder meinen Po zu begrapschen, als erweiterte Vorspeise sozusagen. Ich schicke Flor los, um für uns Getränke zu holen, Weißwein sage ich ihr, den 73er Riesling aus Deidesheim. Man muss schließlich zeigen, dass man was versteht. Und noch ein Bier, ruft ihr Siggi nach.
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