„…und ab!“ Auch heute war Olivia die Chefin an Bord einer A350 auf dem Weg nach Seoul. Der Flug würde ruhig verlaufen und Olivia erzählte ihren Fluggästen neben den üblichen Infos auch ein wenig über das Flugzeug selbst. Welches Startgewicht man auf über 300km/h beschleunigen musste, um abzuheben, wie viele Passagiere sich an Bord befanden, wie viel Begleitpersonal und welche Menge Sprit sie voraussichtlich verbrauchen würden.
Sie erinnerte sich an ein Telefongespräch vor wenigen Tagen mit Roland, dem Testpiloten. Er und seine neue Lebensabschnittsgefährtin Severine schwebten nach wie vor auf Wolke 7, auch wenn einer seiner Vorgesetzten ihm nun sehr reserviert gegenübertrat. Mit großer Sorge nahm Olivia seinen Hinweis auf, dass in der neuen 737MAX des Konkurrenzherstellers ein sog. MCAS-System verbaut wurde, welches großen Einfluss in Flugmanöver nimmt, es aber keinen Hinweis für die Piloten in den Handbüchern gibt. „Ich würde in solch ein Flugzeug nicht einsteigen!“, war Rolands Rat.
Auf Olivias Frage, woher er das wisse, meinte er nur: „Beziehungen!“ Zwei Abstürze in den zwei darauffolgenden Jahren bestätigten Rolands Warnung und sorgten dann auch für Nachbesserungen und mehr Transparenz, nachdem die Flieger weltweit auf dem Boden bleiben mussten.
Es gab auch viel Zeit über Privates nachzudenken. Es ärgerte Liv ein wenig, dass sie gerade die Tage nicht zu Hause wäre, jetzt, wo der Poolbau beginnen würde. So konnte sie nicht selbst auf die Kinder achtgeben. Vor allem auf Leon, der sicher vornedran sein würde, wenn der Bagger kommt, um die Grube auszuheben. Aber auf Anne würde sie sich verlassen können. Sie überlegte auch, mit welcher Strategie sie Kristina und Jakob wieder zusammenbringen könnte.
Liv lachte sogar laut bei dem Gedanken, dass Fatma eine ihrer Freundinnen vorgeschlagen hatte, in Haus und Garten als Teilzeitkraft mitanzupacken, wo es nötig wäre. Ihr Cockpitkollege fragte nach, warum sie denn lache. „Das willst Du nicht wissen…!“ antwortete Olivia selbstbewusst. Denn Fatma wollte diesen geheimnisvollen Kellerraum unbedingt selbst betreuen und baute gleich vor: „Von dem Zimmer muss sie ja nichts wissen! Das mache ich!“
„Momentan kommt es dicke!“ kam Liv in den Sinn. Denn auch Clara hatte angefragt, wann sie denn endlich zu Oma Mareike und Opa Hendrik fahren dürfe. „Weißt Du noch: Schwedisch lernen!“
Apropos Oma und Opa. Die beiden würden gerne in die Penthouse Wohnung einziehen. Aber Hendrik muss noch mindestens sechs Jahre arbeiten und auch Mareike würde ihren Teilzeitjob nur ungern aufgeben. „Und unser schönes Häuschen…?“ Vielleicht sollte man doch Daniela und ihren Mann fragen…? Dann meldete sich die Flugsicherung und es gab zu tun.
*****
Wie so oft, verabschiedete sich Olivia auch heute persönlich von den Passagieren.
„Oh, Frau Andersson, wie schön!“, wurde sie von einem Mann mittleren Alters angesprochen, der sich sogar ihren Namen gemerkt hatte. „Sie lieben ihr Flugzeug!“
„Ja, die A350 ist der modernste und beste Langstreckenflieger, den die Branche derzeit zu bieten hat. Dazu bin ich, soweit ich das weiß, die jüngste Chefpilotin auf diesem Flugzeugtyp weltweit!“
„Wow!“ meinte der Mann, „darf ich Sie einladen, mit mir heute Abend essen zu gehen?“
Olivia lehnte dankend ab. Hätte sie auch abgelehnt, wenn ihr Kopf frei wäre? Wenn es zwischen ihrer Freundin und ihrem Mann nicht gerade so knistern würde? Dieser Fremde, Anzugtyp, zwischen fünfzig und sechzig, wäre genau ihre Kragenweite gewesen. Ein paar Komplimente einheimsen, vielleicht hier in Südkorea eine neue Richtung Essen ausprobieren und dann eine Nacht lang sich verwöhnen lassen. Klar hätte sie Martin gefragt und er hätte ihr mit Sicherheit einen schönen Abend und eine geile Nacht gewünscht. Martin. Sollte sie ihrem Mann doch einmal freie Hand lassen bei Pat? Müsste sie wirklich befürchten, dass die Beiden sich ineinander verlieben? Irgendwie sind sie das doch jetzt schon? Trieben sie es gerade in seinem Büro? Nein, da ist es gerade mal 05:00 Uhr morgens. Aber später vielleicht? Liv spürte, wie die Eifersucht in ihr aufstieg. Bei Daniela hatte sie dies doch so schön in den Griff bekommen…? Nur weil die Zwei sich ständig im Büro sehen? Gelegenheit macht Diebe…
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„Drei Mal haben wir Die und Andere in den letzten Wochen bei größeren Aufträgen ausgebootet;“ berichtete Frau Baumüller im Kreis der Bereichsleiter. „Bei den Türken, da war einfach die deutlich bessere Performance entscheidend. Bei dem Hilfsprojekte-Projekt, weil wir günstiger waren. Und gestern bekamen wir den Zuschlag für den Brasilien-Auftrag. Martin hat das mit Herrn Gerstmeier eingefädelt und ich denke, wir stemmen das!“
„Habt ihr das auch gut durchdacht?“ Es war der Leiter der Fertigung, der fragte. „Ich habe die Ausschreibung gesehen und schätze mal auf ein Volumen von 100 Millionen.“
„Mindestens 140;“ bemerkte Martin trocken und ohne weitere Regung. „So haben wir das wenigstens angeboten. Natürlich mit der Option Preissteigerung und höherer Gewalt.“
„Die“, das war ein Konkurrenzunternehmen aus Österreich. Bisher versuchte man sich nicht allzu sehr auf die Füße zu treten und ließ auch mal eine Ausschreibung zu Gunsten der anderen außer Acht. „Martin und ich überlegen, die Firma im Falle eines Konkurses zu übernehmen?“ Patricia sah sich in der Runde um. Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe. Ein zweiter Standort. Würde man Produktionen dorthin verlagern? Vielleicht wäre es jetzt einmal an der Zeit den Leserinnen und Lesern zu verraten, dass Martins Firma Wasseraufbereitungsanlagen herstellt. Standard- und Individuallösungen. Von Hausanlagen bis zur Versorgung ganzer Ortschaften. Die Gassner GmbH agiert weltweit von ihrem hiesigen Standort aus.
Die „Neue“ wirbelte ganz schön. Hatte Martin auch ab und an einen Hammerauftrag angenommen, häufte sich dieses mit der zweiten Geschäftsführerin. Frau Baumüller wollte etwas bewegen und Martin Andersson, der Firmeninhaber, konnte sich nun viel intensiver auf vertrackte Aufträge konzentrieren anstatt diese, mangels Zeit, sausen zu lassen. Und nun plant sie sogar eine Firmenübernahme. Kann das gutgehen?
Nach dieser Info stürzten sich natürlich alle Beteiligten auf Patricia. Sie wurde mit Fragen überschüttet und stand allen Rede und Antwort.
„Ich weiß natürlich nicht, ob alles so funktioniert, wie wir es geplant haben. Aber ich weiß,“ Pat machte eine Pause, bis alle Stimmen versiegt waren, „ich weiß, dass ich mindestens zwanzig Leute unserer Belegschaft im brasilianischen Dschungel brauchen werde.
„Du machst die Projektleitung?“, fragte jemand erstaunt.
„Ich mache die Projektleitung für Brasilien!“, bestätigte Pat.
„Und warum nicht…?“
Patricia schnitt dem Fragesteller die Worte ab. „Weil der die anderen beiden Großaufträge betreut!“
„Alles parallel?“ Die Stimmen erhoben sich und alle redeten durcheinander. Bis dato wurde immer nur ein Großauftrag abgearbeitet, bevor der Nächste folgte. Martins Firma beschäftigte nur einen, relativ jungen und belastbaren, Projektleiter, der richtig gute Arbeit leistete und jeden Cent seines durchaus sehr hohen Gehaltes wert war.
Franziska, ja die aus der Buchhaltung, flüsterte Patricia zu: „Ich würde mich das nicht trauen! Mit einer Horde Einheimischer und unseren Leuten fernab von zuhause! Wenn Du das hinbekommst…die Alle werden Dich bewundern…!“ Und ein wenig bemitleidend fügte sie hinzu: „Aber wenn nicht…?“
„Dann stehen wir vor dem Konkurs!“ prognostizierte Pat.
„Wir kriegen das hin!“ Martin hatte das Wort erhoben. „Es sind eure Arbeitsplätze! Patricia hat unseren etatmäßigen Projektleiter in ihrer Funktion als meine Assistentin schon sehr oft unterstützt und vertreten. Ich weiß, dass sie das kann! Und wenn wir alle zusammenhalten und Frau Baumüller in allen Belangen unterstützen, bekommen wir das hin!“
Pat wäre fast in Tränen ausgebrochen, als ihr nach Martins Worten alle Bereichsleiterinnen und Bereichsleiter (drei Frauen, drei Männer wie wir ja schon wissen) nacheinander die Hand gaben, alles Gute wünschten und versprachen, alle an einem Strang zu ziehen.
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Olivias Spiel hatte bei ihrem Mann Spuren hinterlassen. Spuren des Nachdenkens. Sie hatte schon recht, dass er auf dem besten Weg war, sich in seine vertraute, sehr geschätzte Prokuristin und Freundin zu verlieben. Wie gerne würde er sie flachlegen wollen! Einmal mit Patricia vögeln! Ungeschützt und hemmungslos! Und ohne darüber nachdenken zu müssen, was danach wäre!
Er begann zu träumen. Von einem alltäglichen Abendessen zuhause mit Patricia. Sie waren zusammen von der Firma in ihrer Wohnung angekommen und kochten zusammen. Nein, geduscht wurde getrennt. Aber danach gemeinsamer Sex. Blasen, lecken, er kommt über sie, Penetration, immer schnelleres und festeres Zustoßen, Ejakulation, Küsschen, umdrehen, schlafen. Getrenntes Aufstehen, denn Pat braucht im Bad einfach länger. Heute mit zwei Autos zur Firma. Auswärtstermine. Abends nach Hause. Vorwurf von Patricia: Du fickst eine Andere! Versöhnung, obwohl er sich keiner Schuld bewusst war. Schöner Sex, wobei er ins Schwitzen gerät. Lautes Stöhnen. „Herr Andersson! Sie haben in zehn Minuten ein Gespräch!“ Seine Sekretärin fand Martin irgendwie „abwesend“ vor. Er selbst bemerkte seinen erhitzten Zustand und brabbelte etwas von „in Gedanken“!
Patricia. Wollte er das wirklich? Solch einen Albtraum? Nein! Mit ihr vögeln: ja! Mit ihr leben: nein! Dafür ist Patricia viel zu „konservativ“! Und überhaupt: Martin liebte seine Pilotin über alles! Und die beiden Kinder natürlich auch! Welch eine Bereicherung die Zwei doch für ihr aller Leben waren!
Was hatte Patricia ihm anvertraut? „Fick doch mal mit ihm!“ hätte ihr Mann ihr vorgeschlagen. Nein, Martin versuchte sich genau zu erinnern. Nils hat ihr angeboten, doch einmal mit ihrem Chef…
Ihr Mann hätte also nichts dagegen, wenn Patricia einmal mit ihm…! Und in diese Worte interpretierte Martin viel mehr als nur das ordinäre und oberflächliche „ficken“! Einmal diese Frau richtig „besitzen“, mit allem, was zu einer total befriedigenden Nacht, oder auch nur wenigen Stunden, dazugehört! Zärtliches Streicheln, begehrliche Küsse, sich danach verzehren, endlich ihren Körper von allen Kleidungsstücken zu befreien und sie nackt zu sehen und zu spüren! Sich weiter und weiter gegenseitig zu reizen. Spannung aufzubauen. Dann endlich den Moment der Vereinigung erleben! Martin stellte sich vor, wie das Stöhnen von Patricia wohl klingen würde? Wie sie so ist, wenn der Punkt, von dem es kein Zurück mehr gibt, näher und näher rückt. Würde sie ihn mitreißen? Beim ersten Mal ganz bestimmt…!
„Herr Andersson, ihr Gesprächspartner ist hier!“ Heike Gerber geleitete einen Mann in Martins Büro. Der Firmenchef verdrängte seine Gedanken. Bis sie später wieder auftauchen würden…
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Olivias Smartphone meldete ein ankommendes Gespräch. Sie blinzelte auf das Display und meldete sich: „Hallo mein Geliebter!“
„Hallo mein Herz!“ Martin wollte nach diesem Tag unbedingt mit seiner Frau reden. „Entschuldige bitte! Bei Dir ist sicher noch mitten in der Nacht?“
„Fünf Uhr und vier Minuten!“, gab Olivia durch. „Macht nix! Ich habe sowieso von Dir geträumt!“
„Hoffentlich nur Gutes?“
Details wollte Liv gerade nicht verraten und fragte nach, wie es den Kindern gehe.
„Leon ist absolut in seinem Element. Der Bagger hat heute die Grube für den Pool ausgehoben.“
„War er begeistert? Erzähl!“ Olivia war nun hellwach.
„Ich darf dir nichts erzählen. „Das sag ich Livia lieber selber!“, hat Leon mir als Versprechen abgenommen.“
„Du;“ Martin klang irgendwie kleinlaut. Was Liv von ihm so überhaupt nicht kannte.
„Ja;“
„Mit geht dein kleines Spiel nicht mehr aus dem Kopf. Ich will mich nicht in Pat verlieben! Nein, bestimmt nicht! Und mein Verstand sagt mir auch, dass ich ganz die Finger von ihr lassen soll. Allein schon, um Dich nicht zu verletzen.“
„Dann lass es! Distanzier dich!“, hakte Olivia ein.
„Dann läuft sie mir wieder über den Weg.“ Es entstand eine kurze Gesprächspause, in der weder Liv noch Martin etwas sagte.
„Weißt Du,“ fing Olivia leise an, „es wäre heute ein Leichtes gewesen, mit einem Anzugtypen zum Essen zu gehen. Und er hätte mich anschließend sicher gut gevögelt. Ich habe es nicht gemacht. Weil ich ständig nur an Dich denken muss. Denken, dass ihr es miteinander getrieben habt und Du mir sagst, dass sie so toll ist und deine neue große Liebe! Wenn ich nach einer durchfickten Nacht die Türe hinter mir zumache, dann ist der Typ für mich Vergangenheit. Ich würde nur noch an ihn denken, wenn ich Dir von ihm und wie wir es gemacht haben erzähle. Du kannst das auch! Aber nicht bei Patricia Baumüller. Und davor habe ich Angst! Du warst schon so begeistert, als Du sie vor aller Augen zu einem Orgasmus gebracht hast. Was erst, wenn ihr allein…soviel Nähe. So viele Gefühle. Auch wenn Du das jetzt abstreitest. Meine Angst wird bleiben!“
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