Das „Grand Hotel des Voyageurs“ hatte seine großartige Zeit schon lange hinter sich, obwohl die Fassade immer noch pompös ist und die Säulen am Eingang den Eindruck von Klasse und Größe noch immer vermitteln. Auch an seiner Lage hat sich nichts geändert, es befindet sich nach wie vor an einem großen Platz gegenüber einem großen Bahnhof in einer großen Stadt. Obwohl sich die Lage nicht verändert hat, ist nichts mehr so, wie früher. Was sich verändert hat, ist die Umgebung. Früher war es eine durchaus ehrenwerte Gegend, aber nun hatten die Anwohner und die Stadtverwaltung den Kampf gegen den Verfall und die Trostlosigkeit längst verloren und das Viertel hatte im Laufe der Zeit einen zweifelhaften Ruf bekommen und auch das „Grand Hotel des Voyageurs“ hatte sich dem nicht entziehen können. Mit der Umgebung hatte sich auch das Publikum verändert, oder war es umgekehrt? Denn früher verbrachten wohlhabende Reisende eine Nacht im Hotel, wenn ihre Züge zu geschäftlichen Terminen oder in die Ferien sehr früh abfuhren. Sie stärkten sich in dem hervorragenden und durchaus berühmten Restaurant, bevor sie ihre Plätze in den Abteilen erster Klasse in den Expresszügen einnahmen. Das Restaurant im Erdgeschoss gibt es nicht mehr, stattdessen haben sich ein billiger Universalladen, 24 Stunden 7 Tage, und ein Schönheitssalon für Hunde den Platz aufgeteilt. Es ist beklemmend und faszinierend zugleich, immer noch die Architektur und die Dekoration des Fin de Siècle in diesen jetzt so banalen Räumen zu erkenne. Das Restaurant musste schließen, weil es die wohlhabenden Reisenden nicht mehr gibt, die nicht nur viel Geld, sondern auch viel Zeit zur Verfügung hatten und beides gerne in dem berühmten Hotel ausgaben und verbrachten. Wegen der fehlenden Nachfrage gibt es heute in der ganzen Bahnhofsgegend kein wirklich gutes Restaurant und auch kein passables Hotel mehr, nichts, was man bedenkenlos hätte empfehlen können. Es gibt nur noch Billiglokale und Absteigen unterschiedlicher Qualität, insofern ist auch das „Grand Hotel des Voyageurs“ keine Ausnahme, aber immerhin hat es seine Vergangenheit und immer noch die klassische Fassade. Die Zimmer, einstmals wahre Suiten mit allem erdenklichen Komfort, hatte man durch dünne Wände in kleine Parzellen unterteilt und mit Nasszellen nachgerüstet. Die Lobby, einstmals ein repräsentatives Entree mit Marmor, Plüsch und Mahagoni, war verkleinert und verschandelt worden, zu einem dunklen Raum mit einer nichtssagenden Empfangstheke, ein paar Automaten für Getränke und Snacks und ein paar Sitzgelegenheiten, die nicht zusammenpassten, der Rest warne Lagerräume für die beiden Geschäfte. Im „Grand Hotel des Voyageur“ stieg man nur ab, wenn es keine andere Möglichkeit für eine Übernachtung gab, wenn der Geldbeutel keine Wahl zuließ oder, nun ja, wenn man eindeutig zweideutige Bekanntschaften suchte. Aber all das waren nicht die Gründe, weshalb er dieses Hotel ausgesucht hatte.
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