Jetzt ohne Schimpf und ohne Spaß: Ich sag Euch, mit dem schönen Kind Geht´s ein für allemal nicht geschwind. Mit Sturm ist da nichts einzunehmen; Wir müssen uns zur List bequemen. Mephistopheles: Strasse - Faust, Der Tragödie erster Teil (Johann Wolfgang Goethe)
Es war ein lauer Frühlingsmorgen kurz nach Neun Uhr. Das Fenster rahmte die malerische Idylle eines strahlend blauen Himmels, über denen nur vereinzelte Zedernwölkchen ihre einsame Bahn zogen. Die Sonne fiel schräg über den Balkon in die Küche und ließ Jenny wie eine Ikone erstrahlen. Jenny, die geheime Sehnsucht von Henning. Seit er sie das erste Mal gesehen hatte, an dem Tag, da die beiden Mädchen ihr neues Domizil, welches sie die nächsten zwei Jahre bewohnen sollten, in Augenschein nahmen, war er von ihrer unschuldiger Schönheit und dem naiven Charme fasziniert. Mit ihren vierundzwanzig Jahren war sie weit hinter ihren Artgenossinnen zurück, nicht was ihre körperlichen Reize betraf, vielmehr ihre Unerfahrenheit und der schüchterner Umgang mit dem anderen Geschlecht. Doch sie war liebreizend und aufrichtig, stets um ihre Keuschheit besorgt, die sie nur dem Einen schenken wollte. Eine Illusion, die ihr Melinda zwei Wochen, nachdem sie eingezogen waren, nahm - Während der Einweihungsfeier ihrer neuen Bleibe, entsprechend studentischer Tradition. Dennoch bewarte sich Jenny ihre natürliche Scheu mit einem kindlichen Gemüt. Sie lernte diese Eigenheit für ihre Zwecke einzusetzen, auf ihrer Suche nach dem Traumprinzen.
Tief im Innersten glaubte sie an die Große und Einzige Liebe. Stunden verbrachte sie damit, Melinda von ihren Träumereinen zu erzählen. Gelegentlich schmachtete sie dahin, beim Anblick der kräftigen Arme, der muskulösen Brust und den knackigen Hintern ihrer Kommilitonen, wenn sie Volleyball spielten, beim Schwimmen oder wenn sie früh morgens aus Melindas Zimmer kamen.
Doch es waren eben nur Schwärmereien. Sie malte sich aus, wie es wäre, wenn die Zuneigungen, welche die Burschen den anderen Mädchen entgegenbrachten, ihr gelten würden. Wie sie sich ihnen hingeben und ihre Blüte offenbaren würde. Doch ihre Freunde betrachteten sie oft als zu kompliziert, zu anstrengend, zu aufwendig - die Mühe einfach nicht wert. Sie verloren das Interesse und die Lust, ob ihrer vielschichtigen Prinzipien, romantischen Fantastereien oder launischen Persönlichkeit. Melinda redete oft auf sie ein, versuchte ihr etwas von ihrem Pragmatismus zu beleihen, wenn sie an ihren eigenen Vorsätzen zu verzweifeln schien. Doch allein ihre Beharrlichkeit schützte sie nicht vor den Hormonen, die ihren Körper durchfluteten und sie immer wieder mitzureißen suchten. Auch machte es ihr Melindas Anwesenheit nicht eben leicht. Von deren Nektar hatten schon einige gekostet. Sie sah ihre Lust als den sinnlichsten Bestandteil ihrer Seele, dem sie durch ihren Schoß Ausdruck verlieh. Ein Geschenk an sie selbst, zur Freude ihres Gegenüber. Sie war feurig und wusste, wie sie bekam, wonach ihr Körper verlangte. Sie machte sich keine Gedanken über gesellschaftliche Normen und Moralvorstellungen. Sie pfiff auf das, was ihr Umfeld von ihr erwartete. Sie nahm sich ihrer Sehnsucht und jener die sie zu erfüllen vermochten an. Diese zwei Mädchen konnten unterschiedlicher nicht sein. Jenny mangelte es an Inbrunst und Leidenschaft, doch sie verzerrte sich nach den Zuneigungen, die an ihrer statt Melinda entgegen gebracht wurden, und das gänzlich ohne Schwierigkeit. Ihr jedoch wurden die süßen Früchte vorenthalten, auch wenn sie sich das selbst nie eingestehen, geschweige denn, anderen gegenüber, zugeben würde. Manchmal lag sie stundenlang wach und sinnierte, ob es an ihr lag, oder ob, der Mann ihrer Träume, die Schönheit einfach nicht erkannte, die in ihrem Inneren loderte. Ob sie ihrem Prinzen vielleicht sogar schon begegnet war und die Chance hatte ungenutzt verstreichen lassen. Jenny schrieb Tagebuch, jede noch so unbedeutende Kleinigkeit, der flüchtige Blick eines Verkäufers, die zufällige Berührung eines Kommilitonen in der Kantine, die zweideutigen Andeutungen von Melinda, alles wurde notiert. Es war ein Geheimnis, dass sie mit niemandem teilte.
Gretchen, oder die Verführung einer Valkyre
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