Da saß er nun neben ihr und schmatzte. Die erste Runde des Turniers hatte er gewonnen, den Kuß – ihren Kuß – hatte er empfangen, und nun saß er neben ihr bei Tisch – und schmatzte. Indigniert verzog sie den Mund, den roten, spöttischen.
Der König bemühte sich, Konversation mit dem Gast zu machen. Nichts anderes als sie selbst, seine Tochter, stand auf dem Spiel, und sein Erbe, Hand und Land, so war es verkündet worden. Aber so schnell ging es nun doch nicht, das Turnier sollte den ganzen Sommer andauern. Gewiß, er hatte sich im Kampf hervorgetan, doch nun mußte das Protokoll gewahrt werden, galt es, bei Tisch höfisch zu parlieren und speisen.
Oh, es war kein großes Festmahl, die anderen Ritter waren nicht geladen worden, zerhauen lagen sie in den Lazarett-Zelten oder soffen und grölten vor den Toren. Nur der Kern der königlichen Hofgemeinschaft hatte sich bei Tisch versammelt und pflegte nach all dem Gehaue und Gesteche nun der höfischen Etikette.
Und Herr Arnolt – so hieß er wohl – schmatzte. Das war nicht eigentlich ein Verstoß gegen die Etikette, artig achtete er darauf, seinem Nachbarn beim Essen nicht den Ellbogen gegen die Nase zu rammen, und auch den Mund wischte er sich nicht am Tischtuch ab oder schneuzte die Nase darin. Dennoch – er war ihr zuwider. Zu penetrant der Geruch des hastig in frische Kleider gehüllten Körpers, zu laut und mißtönend das Lachen, das dem König antwortete, zu dreckig die gewaschenen Hände.
Heiraten wollte sie, heiraten mußte sie, davon hatte sie auch endlich ihren Vater, den König, überzeugen können. Lange schon fanden des nachts ihre Hände den Weg unter die Bettdecke, erkundeten der Rosengarten, den süßlich-muffig duftenden, fanden die glühende Knospe, verhüllt unter dem buschigen Dickicht. Irmengart, sie wußte es. Die alte, gute Irmengart. Unter ihren Augen war sie zur Frau geworden, hatte der alten Jungfer nachts ihre Träume ins Ohr geflüstert, hatte beruhigenden Trost von den streichelnden Händen empfangen. Und auf Rat der alten Kammerjungfer war es gewesen, daß sie ihren Vater überredet hatte, dieses Turnier auszurichten. Hand und Land, Hand und Land, sie sagte es stumm vor sich hin, während ihre linke Hand vom Tisch herunterglitt, in den Schoß sank, gedankenlos durch die Falten ihrer Röcke strich. Ihre Hand war versprochen, seine Hand wollte sie haben, und alle seine Finger, auch den einen, den letzten und ersten, den elften. In heißen Worten, dicht an ihrem Ohr, hatte Irmengart ihr von diesem erzählt, hatte Hitze in ihrem Garten entfacht, die Knospe zu glühender Blüte geöffnet.
Er wiederholte die an sie gerichtete Artigkeit, die sie nicht gehört hatte, die so falsch aus diesem unbeherrschten Mund klang, und auf die sie keine Antwort hatte – da wurde der Nachtisch gereicht. Birnen. Eine je für ein Tischpaar, die es artig zu teilen galt mit dem Messer, so wie mit dem Schwert im Kampf die Köpfe vom Rumpf. Nicht auf dem Turnier natürlich, dort sollte niemand zu Tode kommen. Herr Arnolt hätte dennoch beinahe einige erschlagen, und so wie auf seine Gegner mit dem Schwert, nachdem er sie einmal vom Pferd gestochen hatte, so ging er nun mit dem Messer auf die Birne los, zerschnitt sie achtlos in zwei Hälften und warf die eine Hälfte gierig, ganz und ungeschält in den Mund, bevor er ihr mit der klebrigen Hand die andere Hälfte anbot. Angeekelt wich sie zurück vor dieser Hand, der großen, hastigen, die ihr plötzlich fast mitten im Gesicht stak. Das war nicht die Hand, die durch ihre Nächte strich, nicht der Mund, der süße Geheimnisse feilbot, nicht der Mann, den der Traum schon lange eingelassen hatte in ihren Rosengarten.
Da fiel die Birnenhälfte, fiel zu Boden, und sie lachte, schrill, hysterisch, befreit, lachte, bis Herr Arnolt schamrot anlief, und lachte noch, nachdem er eilends, halb rück-, halb vorwärts, nach links und rechts Verbeugungen andeutend, den Tisch verlassen hatte.
Weiter ging das Turnier, und immer noch stand der Mund der Königstochter nicht still, lachte atemlos und verkündete jedem, der es wissen wollte, und allen anderen auch, seine, Arnolts, Schande, seine übereilte Gier bei Tisch, ausgelöst durch eben jenen roten Mund, dem die andere Hälfte der Birne er zu offerieren nicht hatte erwarten können.
Und Arnolt zog beschämt von dannen, überließ sich dem Weg, den er doppelt und dreifach zurücklegte, als Ritter und Narr, als verlorener Sieger und siegreicher Verlierer, bis er schließlich endgültig ankam bei Hofe, das Land bei der Hand nahm und die Königstochter selbmit. Doch vorher galt es, den Mund zu stopfen, den roten, der die Birne verschmäht hatte. Denn dieser stand nicht still. „He Ritter“, so rief er, rief er quer über den Turnierplatz, sobald er, Arnolt, darauf erschien: „edler Held, der ungeschält, halbert warf die Birne in den Mund, Ihr seid ein rechter Gierschlund. Ritter, nein, die Etikette beherrscht ihr schlecht, seid wohl ein wahrer Bauersknecht.“
Der Diener kehrte mit dem Narrengewand zurück, mochte Gott wissen, wo er es aufgetrieben hatte. Arnolt fragte nicht. Unwillig ließ er sich nieder im ausgetretenen Kaminfeuer, senkte zögerlich den Hintern in die rußigen Kohlen, bis er schließlich saß inmitten der verbrannten Schwärze, nackt, unter den Augen Heinrichs, des Getreuen, dessen Rat ihn in die kalten Aschen gesetzt hatte. Wälzen sollte er sich und wollte er nicht, so daß Heinrich schließlich Hand anlegte, bis alles schwarz an ihm war, was zu schwärzen war.
Die Dunkelheit verschluckte den Weg – keinen doppelsinnigen diesmal, sondern den fußfesten, einfachen – mitsamt des rußigen Ritters in Narrenkleidern und spuckte im Feuerschein des Hofes dessen neuen Narren wieder aus. Und der Hof begrüßte das willkommene Pläsier, ein reizvoll-ekeles, possierlich-schmutziges Geschöpf, ungeschlacht, gerade recht gemacht für derben Scherz.
Stumm und taub, arm an Verstand, nackt unter dem kniekurzen Gewand, so kam er an, stieß man ihn umher, mit Scherzworten und Stichen, riskierte wohl gar selber ein paar Knüffe des Narren, der außer Rand und Band sich gebärdete, über Tische und Bänke sprang und unterhaltsame Unordnung in die Ordnung des Hofes brachte. So trieb man es an diesem Abend und an den folgenden, bis weit hinein in die Nacht. Ging man aber schließlich zu Bett, so verkroch sich Arnolt im Schatten der Gemäuer, fand seinen Weg vor die Gemächer der Prinzessin, rollte sich wie ein Hund vor dem Haus seines Herrn zusammen und spitzte die Ohren, lauschte wartend vor der steinernen Tür, hinter der der rote Mund nicht stillstand, unhörbar für ihn, Arnolt, aber nicht für die Erzählung.
Auch drinnen wurde erzählt, flackerten die erhitzten Gesichter der Prinzessin und ihrer Jungfrauen im Feuerschein, während von Ritterschaft und Minne die Rede war, von starken, schönen Helden, die jedoch auch die Sprache der Galanterie beherrschten, sich den Damen gegenüber zu benehmen wußten, nicht so ungeschlachte Tölpel wie der Ritter, der bei Tisch die halbe Birne ungeschält und in einem Stück verschlungen hatte.
Irmengart, die alte Kammerjungfer der Königstochter, jedoch saß in der Ecke und lächelte wissend, während die Stricknadeln in ihren Händen tanzten.
Sie sprachen dem Wein zu, dem roten, schweren, süßen, den sie heimlich in die Kemenate hatten kommen lassen, versetzten den Geist in einen heiteren, schwebenden Taumel, bis der Körper sein Recht forderte bei zweien der Jungfern. Etwas wacklig tasteten sie sich nach draußen, um sich zu erleichtern, Wein zu Wasser werden zu lassen. Sie hockten sich auf den Boden, rafften die Röcke und ließen die Unterhosen hinab, da bewegte sich der Boden unter den Röcken der einen, wurde zur menschlichen Hand, die den Knöchel faßte und sie spitz aufschreien und wegspringen ließ, so gut das im Wust ihrer Röcke eben möglich war.
Erschrocken und neugierig hielt die andere Jungfer die Laterne hoch, die sie mitgebracht und neben sich abgestellt hatte und deren Schein nun die Gestalt eines närrisch gewandeten Mannes aus der Dunkelheit löste, der auf dem Boden kauerte. Nur bis zum Knie reichte sein Oberkleid, von dem Darunter mochte man nichts wissen. Geschoren waren seine Haare über den Ohren, dreckig sein Gesicht und sein ganzer Körper, soweit sein Gewand ihn unbedeckt ließ, und das war definitiv zu weit.
Vergessen war das Bedürfnis, das die beiden Jungfern nach draußen getrieben hatten, und eilends huschten sie tuschelnd und kichernd wieder hinein, am Feuer von ihrem Fund zu berichten.
„Ich will ihn sehen“, wiederholte die Prinzessin, und sie beharrte darauf, das närrische Geschöpf, von dessen Aufenthalt bei Hof sie bereits gehört und den die Nacht nun vor ihre Tür gelegt hatte, sei hineinzubringen, auf daß sie alle ihre Freude an ihm hätten. „Ist er dreckig, nun, so soll er sich hier in der Asche wälzen, auf daß Unsere Asche ihn adele.“
Da lachte er wieder, der rote Mund, der den Ritter verspottet hatte, und er lachte noch, als der Narr endlich hineingebracht wurde von den kichernden Jungfern.
Possierlich war er anzusehen, fürwahr, und lustig anzufassen, mit spitzen Fingern zunächst, dann mutiger, fester. Sie schubsten ihn herum, der es sich stumm und närrisch grimassierend gefallen ließ, stießen ihn in die Aschen an den Rand des heruntergebrannten Feuers, nötigten ihn, sich zu setzen und zupften an seinem Gewand, dem kurzen, unter dem sich seine ritterliche Lanze, mit der die Natur ihn begabt hatte, zunehmend zu voller Pracht entfaltete.
Begierig starrte die Prinzessin auf diesen Speer, den elften Finger des Narren, den Widerhall von Irmengarts Worten im Kopf, während die Glut in ihrem Rosengarten stärker zu glimmen begann und sich allmählich zum Buschbrand ausweitete.
Sie spürte die Röte, die ihre Wangen überzog, und die nicht länger dem Feuer und den Erzählungen in seinem Schein geschuldet war. Mit hastig-harmlosen Worten, mißtönend in ihren eigenen Ohren, schickte sie alle Jungfrauen ins Bett, die ihrem Befehl kichernd, aber widerspruchslos Folge leisteten. Nur Irmengart blieb sitzen in ihrer Ecke, die tanzenden Hände über ihrer Handarbeit.
„Nun hilf mir, Irmengart, die Du mir immer geholfen hast, hilf mir, mein Verlangen zu stillen, das in mir brennt, mich um mein Leben und meine Ehre fürchten läßt, wenn es nicht augenblicklich gestillt wird.“
„Nur ruhig, Kind, vertraut Euch mir an, ich will Euch wohl führen auf dem Pfad der Minne an Orte und Höhen, die Ihr noch nicht kennt. Der stumme Narr wird Euch ein prächtiger und verschwiegener Begleiter sein, den ich wohl zu lenken weiß.“
Arnolt hörte und verstand, doch er sprach nicht. Eine geheime Schande der Prinzessin zu entdecken, sie in öffentliche zu stürzen, war er zurück an den Hof gekehrt, als Narr in ihre Kemenate gelangt. Hier verzog sich der rote Mund nicht mehr so höfisch-indigniert wie bei Tisch, hier sprach er eine andere Sprache als auf dem Turnier, wo er ihn als Birnenfresser beschimpft hatte.
Doch nicht vorschnell gejubelt, nicht vorschnell den Sieg ausgerufen, die Tjost ist noch nicht bestanden, das Spiel noch nicht vorbei. Es beginnt gerade erst.
Ein ungefüges Ding war dieser Narr. Er rollte sich zusammen, als man ihn ausgezogen hatte, verbarg die stehende Lanze in seinem Schoß, während die Prinzessin doch bereits auf dem Rücken lag, mit gespreizten Beinen im Bett wartete auf den, der da kommen und das Feuer löschen sollte, das zwischen ihren Schenkeln brannte.
„Irmengart, so hilf mir nun, wie Du es versprochen hast.“
„Mit Vergnügen, Herrin.“
Und die alte Kammerjungfer drückte den Narren zwischen die weichen, weißen Schenkel, die ihn gierig umklammerten, seinen Speer in ihrem Delta aufnehmen wollten, doch der Narr ritt nicht zum Angriff, verstach seine Lanze nicht.
Da griff Irmengart zu einer Rute, die sich fand, stach und prügelte damit auf den Narren ein, bis das Geschöpf sich endlich zu bewegen, der Gärtner endlich zu düngen begann.
Doch wurde die Reise unterbrochen, führte nicht ans Ziel, denn noch bevor sie den Gipfel des Weges erreichte, den sie schon erblickte, ermattete ihr Begleiter, ihr Reittier und Reiter und rastete zwischen ihren Schenkeln.
„Stupf ihn, Jungfer Irmengart, in Deiner weiblichen Art, daß er sich wieder regt und mich auf den Gipfel trägt!“
Und Irmengart stach und stupfte, prügelte und schubste, zerrte und schob, drückte und zog, vermengte Arm und Bein, mein und Dein, daß alles ein Leib wurde, der stach und gestochen wurde, bis er schließlich in konvulsivischen Zuckungen explodierte und sich wieder in Ich und Du spaltete und jeder wieder wußte, wer er war, wo er aufhörte und der andere anfing.
Da fanden die Augen der Königstochter die ihrer alten Kammerjungfer und entdeckten sich neugeboren darin wieder, unter diesem dreckigen Narren, der sie und ihr Bett befleckt hatte, und ganz schnell schaute das Mädchen, das jetzt eine Frau war, wieder weg.
Wortlos stießen die beiden Frauen den Narren vor die Tür, warfen ihm seine Kleider hinterher und mieden dabei der jeweils anderen Blick.
Eine Stunde bald schrubbte und bürstete Heinrich schon an ihm herum, ihn von dem rußigen Dreck zu säubern, der seine Haut überzog, während Arnolt von der Narrenposse und ihrem Finale berichtete. Die Striemen auf seinem Hintern freilich ließen sich nicht abwaschen, zu hart hatte die alte Kammerjungfer der Königstochter auf ihn eingeprügelt.
Und Arnolt schwoll erneut der elfte Finger, als er im Bade saß und davon berichtete, und Heinrich tat so, als bemerke er es nicht.
„He Ritter, edler Held, der ungeschält, halbert warf die Birne in den Mund, Ihr seid ein rechter Gierschlund. Ritter, nein, die Etikette beherrscht ihr schlecht, seid wohl ein wahrer Bauersknecht.“
Das Turnier hatte seinen Ritter wieder, abgewaschen war der Narr, und erneut stieß der rote Mund der Königstochter seine Schmähungen aus, als er, Arnolt, Herr Arnolt, sich auf dem Feld sehen ließ.
Doch nun hatte er eine Antwort parat, die Heinrich ihm eingegeben hatte: „Stupf ihn, Jungfer Irmengart, in Deiner weiblichen Art, daß er sich wieder regt und mich auf den Gipfel trägt!“
Da verstummte der rote, spöttische Mund, flüsterte die Königstochter mit ihrer alten Kammerjungfer und heiratete schnell den ungehobelten Ritter, der ihr als possierlicher Narr soviel besser gefallen hatte. Der Ritter jedoch gedachte der Striemen auf seinem Hintern, und obwohl sich sein elfter Finger erneut rührte, war sein Mißtrauen gegenüber seiner geradezu närrisch lüsternen Frau größer als seine eigene Lust.
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