Handykaufliebe

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Handykaufliebe

Handykaufliebe

Matthias von Schramm

In einem Seitenstrang seines Lieblingsrestaurants saß Jonathan und erinnerte sich. Gelegentlich erinnerte ihn etwas und dann erinnerte er sich. Ihm gegenüber saß Marion. Marion seine Postbotin. Jonathan war gelegentlich mit seiner Postbotin gut bekannt, manchmal befreundet, je nach Weitergabeadresse. Marion trug aus, hörte zu, trug zu. Sie war ideal als das visuelle Gegenüber, dieser Part zur Unterhaltung, wenn Jonathan sich erinnerte. Und daher, es trug sich zu:
Es gab Fisch mit etwas cremiger Sauce die sich zwischen den Beilagen verlor. Die Wölbungen des Restauranthimmels fanden ihr Gegenüber in den Kartoffeln, auf denen grüne Petersilienpunkte kleine Inseln bildeten, wie Einzelsequenzen von Jonathans Erinnerungen. Er sprach davon, dass er in der Kaufpassage seiner engen inneren Großstadt sein erstes Handy gekauft hatte. Er sprach vor allem davon wo er es erstanden hatte und wie und im speziellen von der Verkäuferin, welche es ihm verkauft hatte.
Es silberte schimmergrau, dieser Schieferstein eines Handys mit viel zu langer Antenne. Er mochte es auf Anhieb haben, er versprach sich die unbedingte Verbindung zur Welt davon. Er wollte auch nicht mehr ausgelacht werden offen auf den Straßen, wenn er Kleingeld raus kramte um in ein öffentliches Kartentelefongebilde vergeblich zu flüchten. Da sackte der Asphalt in das Kopfsteinpflaster, da verrieten ihm die Beine, dass sie versagten. Marion machte sich derweil über den üppigen Nachgeschmack mit mobiler Zahnseide her. Jonathan stieß auf. Seine Lippen feucht vom Wein, tropfte es aus ihm.
Sie hatte blonde kurze Haare, trug so eine Dienstuniform und hieß Nele Schmidt. Sie hatte ein gelbes Schildchen mit schwarzer Schrift am Revers, dass wußte Jonathan noch haargenau. Die Geschichte war die, Jonathan war zuvor in einem anderen Geschäft von einem rücksichtslosen scheinengagierten Verkäufer sinnbildlich degradiert worden zum unmündigen Mobiltelefonkunden. Der hatte ihm ein anderes Handy, ein besseres für weniger Geld empfohlen. Das konnte mensch mit Jonathan nicht machen, dass machte ihn ernstlich ungehalten.
„Legen sie’s mir zurück?“, fragte Jonathan den Verkäufer.
„Das kann ich Ihnen nicht versprechen!“, antwortete dieser schwungvoll schnodderig, „wenn es weg ist, ist es weg!“ Draußen war kalter Wind, obwohl August war. Nur die Sonne brannte unerbittlich und in der Verkaufspassage war Schatten und Klimaanlage. Frau Schmidt kam gleich auf Jonathan zu mit bibbernden Lippen, vorgeschickt von einem jungen von Zeh bis Zahn geschniegelten und gebügelten Vorgesetzten mit Gelglanz in den schwarzen Haaren, der diese königsblau schimmern ließ.
„Sie wünschen?“, fragte Frau Schmidt. Als Jonathan antwortete tanzten ihre Lippen seinen Worten lautlos nach.
„Ich möchte gerne das Modell ... mit ... zum Vertrag ...!“
„Das müßte ich mal fragen!“, sagte sie und wand sich in ihrem an Stewardessen erinnernden Kostüm mit Schwung um, machte eine forsche Handbewegung und flüsterte ihrem gegelten Kollegen etwas ins Ohr. Dieser zog Frau Schmidt an deren Schultern zu sich und sah ihr streng in die hellen Augen, so als ob er sie mit diesem Blick zwecklos mahnen wollte. Frau Schmidt lächelte etwas gequält, hätte wohl am liebsten sich zu Jonathan umgedreht und gesagt, dass es ihr erster Tag ist. Der junge Mann stolzierte an dem wartenden Jonathan vorbei und griente ihn mit so einem etwaig wissenden Blick an, obwohl er sicher gar nichts wissen konnte, was Jonathan über seine Absichten hier nicht selber wußte.
Nele Schmidt war eine junge, zuvorkommende Verkäuferin, da gab es gar nichts und im ganz speziellen wie so oft eigentlich, nicht sein Typ als Frau, aber das wäre ja auch beim ersten Handy vielleicht zuviel verlangt gewesen.
Über diese Bemerkung lachte Marion als Gegenüber Jonathans laut auf, bevor sie sich wieder ihren Zahnzwischenräumen widmete. Jonathan ließ keine Gräte zurück gehen, auch wenn er Innereien beim Essen nicht speziell schätzte.
Das mit den nicht stehenbleibenden Lippen war auffällig bei Frau Schmidt, sozusagen ein recht intensives Merkmal. Sie kratzte sich durch ihre etwas strubbelige kurze Frisur und zeigte ihm das Handy. Noch überreichte sie es ihm nicht, da es ihr gelang dieses professionell an der richtigen Stelle anzuschalten. Jonathan dachte sich, dass es nun sehr dumm wäre jetzt zu fragen, wie der Vibrationsalarm funktioniert. Frau Schmidt war nicht gerade sehr geschwätzig, als sie das Modell erklärte, da sie ja über das Gerät viel weniger wußte als Jonathan, der es sich ausgesucht hatte. Es war ein Moment gekommen, wo Jonathan, der froh war, dass ihm nicht ein besseres und billigeres Handy aufgeschwatzt wurde, aus Solidarität zur Verkäuferin auch lieber gar keine Ahnung gehabt hätte. Er hätte sich gerne ahnungslos in die Kaufentscheidung, bestimmt durch die Präsenz von Frau Schmidt reinfallen lassen. Ihre Lippen waren einen Moment still, aufeinander gekniffen und ein großer Blick wand sich an Jonathan aus der stillen Klarheit ihrer Kontaktlinsen. Jonathan nickte mit dem Kopf um seine Kaufentscheidung zu bestätigen und entdeckte einen kleinen Schönheitsfleck auf ihrem Hals. Er fixierte für Sekunden diesen Punkt, während der andere Kollege wieder an den beiden mit unverändert wissendem Lächeln entlang promenierte.
„Er nimmt es!“, sagte Frau Schmidt zu dem Mann leise, diesmal fast schüchtern klingend.
„Ich weiß!“, lachte der, was zu seinem Gehabe zuvor paßte. Sie nahm eine Originalverpackung aus dem Regal und tastete zitternd, ähnlich ihrem Lippenzittern, mit dem Kassenscanner den Barcode an der Verpackung ab. Sie packte den Karton in eine braune Papiertüte ohne Werbeaufschrift und überreichte diese Jonathan.
„Sie haben ja jetzt meine Telefonnummer!“, sagte Jonathan fast nebenbei um der in der Luft liegenden Spannung ein Wort zu geben.
„Das ist gar nicht nötig, dass ich sie mir merke!“, meinte Frau Schmidt und hob den Kragen ihrer Kostümjacke etwas an.
„Machst Du vorne weiter?“, fragte sie ihren Kollegen. Der nickte mit dem unverändert wissenden Blick. Frau Schmidt öffnete zwei Knöpfe ihrer Bluse, sank ihre Augen über ihre bewegten Lippen, die nach Stillstand suchten und wies mit einer Handbewegung auf das Hinterzimmer des Ladens.
Jonathan erzählte Marion, die bereits einige Zahnstocher zu Strünken gebissen hatte, dass er doch gerne dieses Handy in Ehren gehalten hätte. Doch es hielt nicht lange. Nämlich er und Nele Schmidt überströmten sich mit Meeren wilder Küsse und zogen sich dabei langsam aus. Zwischen den vielen Kartons des Lagerraumes zog sich dann der Liebesmoment zwischen ihm und seiner Handyverkäuferin zu einer Begegnung, die gewiß länger als jeder Vibrationsalarm andauerte.

(für Goldmund)

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