Wenn der Durst am größten ist, spielt Geld keine Rolle. Das hatte ich schon mehrfach erlebt seit dem ich nebenbei auf 450 €-Basis Taxi fuhr. Heute war es mal wieder soweit und endlich würde ich mal gutes Geld machen, denn es war die Silvesternacht, und da würde ich volle Hütte haben bis zum Morgengrauen und das Trinkgeld würde auch lockerer sitzen bei den Fahrgästen, wie ich aus dem letzten Jahr wusste. Hoffentlich würde mir keiner das Auto vollkotzen.
Aber zurück zum Durst und der geldlich damit verbundenen Lockerheit: mein aktueller Fahrgast war eine Flasche Weinbrand, an der Tanke gekauft und zu einer mir von der Zentrale vorgegebenen Adresse in Ehrenfeld zu liefern. Als ich in dem Mehrfamilienhaus vor der Wohnungstür stand, hörte ich von drinnen laute Musik. Das schien ja schon gut abzugehen!
Ich klingelte. Ein junger Mann öffnete, sah den Weinbrand in meiner Hand und sagte in völliger Verkennung der Sachlage: „Man, das ist ja mal ein originelles Geschenk, du bist bestimmt ein Kollege aus Hannas Karnevalsverein … ihr wisst was der Körper braucht! Komm rein.“ Noch während er das sagte, zupfte er mich an meiner Jacke und zog mich in die Wohnung. Ich war so perplex, dass ich das Spiel mitmachte. Mal einen Happen Essen und ein Schlückchen auf das Wohl der Gastgeber konnte ja nicht schaden.
„Kommst bestimmt von der Schicht, oder?“, sagte er noch. Aber bevor ich irgendwas als Entgegnung murmeln konnte, war er schon im Getümmel verschwunden. Ich stellte die Weinbrandflasche zu den anderen Getränkevorräten und ging in die Küche, wo ein kleines Buffet aufgebaut war.
Dort machte ich Smalltalk mit einigen Gästen. Dieser lief im Grunde genommen immer gleich ab. Man sprach ein bisschen und irgendjemand fragte, „und woher kennst du Hanna?“
Ich sagte daraufhin „aus dem Karnevalsverein." Und jedes Mal wenn ich das sagte, schmückte ich es ein bisschen aus, was sie doch da für ein engagiertes Mitglied sei und so.
Nach ein paar solchen Gesprächen hatte ich das Gefühl Hanna wirklich gut zu kennen. Am Buffet stehen zu bleiben, ist wie in Afrika als Löwe am Wasserloch zu lauern. Irgendwann kommt jeder Mal vorbei.
Ich hatte mir gerade ein Mettbällchen reingeschoben und spülte mit einem schönen Gläschen Cola-Weinbrand nach, als eine zierliche blonde und sehr schlanke junge Frau durch die Tür kam. Sie war vielleicht ein oder zwei Jahre jünger als ich, trug einen äußerst figurbetonten Pulli. So einen ‚Kamelhaarpulli‘ wegen der Höcker, ihr wisst schon wie ich das meine, einen der deutlich zeigte wovon sie genug hatte: Busen. Sie war der Typ Frau über den wir als pubertierende damals gewitzelt haben, dass sie doch Bleiplatten in den Schuhen haben müssten, weil sie andernfalls vornüber kippen würden. Aber die Mörderhupen sahen an ihr nicht unnatürlich aus, sondern extrem lecker! Es gab ja auch ‚too much‘, aber von dieser Grenze war sie in meinen Augen noch weit entfernt.
Nun war ich sicher, dass ich noch ein Weilchen bleiben würde. ‚Scheiß auf die Taxischicht‘, schoss mir durch den Kopf. Ich wollte dem Ausbeuter von Taxiunternehmer sowie in den nächsten Tagen kündigen. Nach dieser ‚Mutter aller Umsatzverluste‘ würde er mir morgen zuvorkommen. Egal!
Sie musterte mich schon beim Betreten der Küche unverhohlen, nahm sich dann ein paar Käse-Spicker und baute sich vor mir auf. Aha, es bahnte sich das übliche Gespräch an.
„Hi", sagte sie. Eine schöne Stimme hat sie, dachte ich. Und schon waren wir in einen Small Talk verwickelt in dem wir schnell eine Gemeinsamkeit entdeckten, unsere Liebe zum Reisen im Allgemeinen und zu Sardinien im Besonderen. Wir waren beide schon mehrfach dort gewesen, liebten die Insel und tauschten nun Erlebnisse und Tipps zu Sehenswürdigkeiten und originellen Übernachtungsmöglichkeiten aus. Sie war schlagfertig, eloquent und hatte Esprit und ... Titten, aber das erwähnte ich ja schon.
Alter, was für eine Frau! Sie konnte wirklich gut mit Sprache umgehen, das fiel mir sofort auf. Eine wahre Meisterin des geschliffenen Wortes. Irgendwann sagte ich, „lass mich raten, was du arbeitest." Und sie antwortete, „nur zu!“
„Hhhmm, … ich würde sagen irgendwas mit Sprache, … Lehrerin, … nein … Journalistin?"
Sie kicherte, „fast, … ich bin Korrespondentin im Landesfunkhaus.“
„Echt? Habe ich dich schon mal im Fernsehen gesehen?"
„Das glaube ich nicht, es sei denn du guckst Frauenmagazine und Beiträge über Familien, Senioren und andere soziale Beiträge".
Da musste ich passen, das tat ich nicht.
Dann kam die Frage aller Fragen: „Und du, woher kennst du Hanna?“
„Aus dem Karnevalsverein.“
„Ich bin da ja kein Mitglied, aber ich höre immer so viel darüber. Erzähl mal, macht ihr da schon lange was zusammen?“
„Oooch, ja ein paar Jahre sind das wohl schon. Sie ist da die gute Seele. Wir haben sie alle sehr gern.“
„Hmm, ob sie schon mal von Dir erzählt hat? – Wie heißt du überhaupt?“
„Benjamin, aber Freunde nennen mich Benny.“
„Hanna auch?“
„Auf jeden ... Hanna und ich sind so …“ Ich kreuzte die Finger. „Wir beide gehen zusammen immer so richtig ab und mischen den Laden auf. Auch außerhalb der Karnevalssaison haben wir ´ne Menge Spaß.“
Warum tat ich das? Wollte ich damit die Kleine beeindrucken?
Die namenlose Frau grinste. „Das ist ja interessant, sie ist sonst immer so still und introvertiert. Faszinierend."
Ich geriet ins Schwitzen. Hatte ich mich zu weit aus dem Fenster gehängt?
„Na ja, die einen sagen so, die anderen so." Mein Versuch das Ganze ins Lächerliche zu ziehen scheiterte kläglich.
„Ne, Du erzähl mal. Sie hält den Club so ein bisschen vor uns verborgen. Was treibt sie denn da wirklich?"
Ich setzte noch zu irgendwelchen neuen Münchhausiaden an, kam aber sofort ins Stottern und das namenlose, aber umso bezauberndere Geschöpf lachte lauthals los.
„Lass mal stecken … Ich bin Hanna, und ich wollte unbedingt mal den Typen kennenlernen, der die Chuzpe besitzt, sich hier einzuschleichen - auf meiner Party! Schon einige meiner Gäste haben mir verwundert erzählt, dass da jemand wäre, der mich aus dem Karnevalsclub kennt. Dabei ist doch das unter meinen Freunden nur so ein ‚Running Gag‘. Auch wenn wir hier in Köln sind, … ich hasse Karneval."
Ich wurde knallrot. „Autsch!“
Sie grinste. „Das kann man wohl sagen, aber jetzt sag mal, wie kommst du hier rein?"
„Na, ich bin der Taxifahrer, ich hab den Weinbrand gebracht."
Sie lachte schallend: „Göttlich, ein Mann mit Eiern und eine köstliche Geschichte! Magst du tanzen?" Nachtragend war sie schon mal nicht. Sie zog mich hinter sich her auf die Tanzfläche, auf der wie in der Disco jeder irgendwie für sich tanzte. Aber kaum waren wir angekommen gab es ‚Engtanz‘. Aus den Lautsprecherboxen quoll Rod Stewart, ‚I'm Sailing‘.
Ich fasste sie behutsam an den Hüften, sorgfältig darauf achtend genug Abstand zu halten. Ich wollte nicht übergriffig wirken, zumal es mittlerweile nicht nur auf Rods Segelboot einen Großmasten gab, sondern auch in meiner Jeans. Aber sie schmiegte sich an mich, so dass Hose auf Hose schubberte. Wenn sie unten rum nicht ganz taub war, musste sie meinen Zustand längst erfasst haben. Aber sie ließ sich nichts anmerken, hatte wohl einen Narren gefressen an mir, diesem dreisten Münchhausen. „Machst du das öfter?"
Jetzt musste ich lachen. „Öfter? Engtanzen? Ganz bestimmt nicht. Habe gerade keine Freundin am Start.“ Toll hatte ich das wieder gemacht. Konnte man sich plumper anbiedern? Aber auch darauf ging sie nicht ein.
„Quatschkopp, ich meine bist du ein Partycrasher, einer von denen, die sich ständig auf anderer Leute Party einzuschleichen?“
„Große Güte, nein! Das hat sich einfach ergeben. Es wird mich eine Menge Umsatz in der festtesten aller Taxi-Schichten kosten und auch mein Job als Taxifahrer. Egal … ich hatte eh keine Lust mehr dazu."
Sie schaute mich erschrocken an, als ob es um meine Existenz ginge.
„Keine Angst, war nur ein Job, um mir eine Kleinigkeit dazu zu verdienen. Bin derzeit Doktorand mit Stipendium.“
Sie schaute erleichtert. Machte sie sich schon Sorgen um mich?
Und dann? Was soll ich sagen? Wir wichen uns den ganzen Abend nicht mehr vom Bein und entdeckten in vielen Dingen eine regelrechte Seelenverwandtschaft. O.k., ein bisschen Geilheit wird meinerseits auch dabei gewesen sein, … sie war definitiv mindestens eine neun! Und das meine ich nicht nur nach optischen Gesichtspunkten. Sie schien mir zu den Menschen zu gehören die auch von innen schön sind. Nichts Unüberlegtes kam über ihre Lippen, alles hörte sich wertschätzend und empathisch an.
Zum neuen Jahr stießen wir mit Sekt an. Eng an eng mit den anderen Gästen auf ihrem Balkon stehend, schauten wir in den nächtlichen Himmel und bewunderten das Feuerwerk über der Stadt. Sie zitterte vor Kälte, trotz ihres Pullis, aber ich widerstand der Versuchung wärmend einen Arm um sie zu legen. Genaugenommen traute ich mich nicht, und das obwohl sie mir als Neujahrsgruß ein Küsschen auf die Wange gedrückt hatte. Ich nahm ihr Parfüm wahr und war sicher: ich konnte sie gut riechen, sehr gut!
„Danke für nix! – Blödes Zwanzigdreiundzwanzig“, rief einer der männlichen Partygäste und kippte sich ein weiteres kleines Fläschchen Jägermeister in die bereits reichlich angeheiterte Rüstung.
‚Danke für alles‘, dachte ich, denn ich war fest entschlossen Hanna zu ‚knacken‘ und wenn es Monate dauern würde. Mein Handy vibrierte inzwischen ununterbrochen. Gut das ich es auf lautlos gestellt hatte. Die Taxizentrale war inzwischen aufmerksam geworden, da ich per Funk nicht mehr zu erreichen war. Egal, das war es Wert! Dann fiel mir ein, dass man meinen Standort orten konnte und bevor sie die Polizei anrufen würden oder sonst etwas, verkrümelte ich mich auf dem Klo und rief die Zentrale. Ich wurde sofort mit Vorwürfen überschüttet, mein Chef sei außer sich etc. pp. Ich krähte ein fröhliches „Fickt Euch“ in das Mikro und „schöne Grüße an den Ausbeuter, ich kündige. Wo der Wagen steht, wisst ihr ja und den Schlüssel bringe ich morgen. Ach … und Frohes Neues Jahr!“
Als ich zurückkam, klang Hanna erneut besorgt.
„Alles in Ordnung?“
„So was von … es ist alles in allerbester Ordnung.“
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