Er war bis an das Ende der Welt gereist, nach Feuerland, dem südlichsten Teil von Südamerika. Er hatte mit Bus und Flugzeug von Buenos Aires aus die Weiten Patagoniens erkundet. Nun war er nicht nur am Ende der Welt, sondern auch fast am Ende der Reise angelangt. Für Ushuaia, die südlichste Stadt der Welt, malerisch am Beaglekanal gelegen und von hohen Bergen mit Schnee auf den Spitzen umrahmt, waren zwei Tage vorgesehen. Es würden unvergessliche Tage sein, stand im Reiseführer, und sie wurden es, wenn auch anders, als eigentlich vorgesehen. Am ersten Tag machte er die üblichen Ausflüge, in den Nationalpark „Tierra del Fuego“, holte sich Briefmarken und einen Stempel in den Reisepass im südlichsten Postamt der Welt und fuhr ein paar Kilometer mit der Schmalspurbahn, die früher zum Holztransport eingesetzt worden war, aber jetzt nur noch für die Touristen da ist. In Feuerland war das Wetter keinesfalls nass und kalt, wie er erwartet hatte, sondern sonnig und warm. Am Himmel wechselten sich dramatische Wolkengebilde ab, die, zusammen mit der kargen Landschaft, einmalige Fotomotive ergaben, genau solche, die er als Fotograf liebte. Das schöne Wetter hielt auch noch am zweiten Tag an, als er eine ausgiebige Rundfahrt auf dem Beaglekanal unternahm, vorbei an einem einsamen Leuchtturm, zu einer Insel voller Kormorane, die in aufgeschreckten Schwärmen und wild kreischend ein paar Runde drehten, bevor sie sich wieder auf dem kahlen, vollgeschissenen Felsen niederließen, in enger Gemeinschaft mit großen, braunen, trägen Robben. Der Heimflug war am dritten Tag in der Frühe vorgesehen. So viel zum offiziellen Besuchsprogramm, aber das wahre Leben fängt meistens erst an, wenn die Nacht hereinbricht.
Er war in einem einfachen Hotel, dem „Fin del Mundo“, untergebracht. Wenn er kein Taxi nahm, musste er eine ganze Weile zu Fuß gehen, um in das Stadtzentrum zu gelangen, aber das war kein Problem. Der Weg führte immer am Ufer entlang, war deshalb nicht zu verfehlen und es gab genügend interessante Dinge zu sehen und zu fotografieren. Ganz in der Nähe des Hotels spielten auf einem Bolzplatz ein paar Jugendliche Fußball. Am eifrigsten war ein junges Mädchen, das mit großen, ständig wippenden Brüsten unermüdlich dem Ball nachjagte und die Knaben alt aussehen ließ. Im Zentrum waren es die großen Kreuzfahrtschiffe, die sein Interesse erregten, ein mit Muscheln bewachsenes Auto, das als Kunstobjekt am Ufer aufgestellt war, und natürlich das riesige, rot beleuchtete Casino, ein erratischer, geschwungener Klotz, das neue Wahrzeichen der Touristenmetropole Ushuaia. Hängen blieb er dann in einem Lokal, dem Ramos Generales, das, vollgestopft mit vielen skurrilen Sehenswürdigkeiten, eher einem kleinen Museum glich. Aber er war nicht deswegen eingetreten, sondern weil ein Schild vor der Tür eine „happy hour“ ankündigte, Bier wurde zum halben Preis abgegeben. Er trank zwei große Flaschen Patagonia Amber Lager, wenn man schon in Patagonien ist, dachte er, dann auch Patagonia, obwohl es ihm nicht so recht schmeckte, es war ihm irgendwie zu dünn. Nach der happy half hour ging er weiter auf der Uferstraße zu dem Restaurant „Culo del Mundo“, also bis zum Arsch der Welt, das man ihm wegen der riesigen Königskrabben empfohlen hatte. Die lebenden Tiere verbrachten ihre letzten Stunden in einem Tank unter der Veranda. Durch eine grüne, veralgte Scheibe konnte man sich die Tiere ansehen und dasjenige aussuchen, das dann umgehend daran glauben musste. Auf dem Weg zum Restaurant hatte ihn ein älteres Männchen angesprochen, hager, klein, verkniffenes, faltiges Gesicht, ob er nicht, im Anschluss an sein Abendessen, Lust habe, eine sehr schöne Show zu sehen, sehr sexy und unvergesslich, in einem privaten Club. Er werde es garantiert nicht bereuen, dort seien auch vorzüglich Chicas und alles zu sehr günstigen Preisen. Um elf Uhr sei der Höhepunkt, den dürfe er nicht verpassen. Dann steckte er ihm noch eine Karte mit einer Wegbeschreibung zu, der Club sei schlecht zu finden.
Die Zeit für das Abendessen war wohl noch nicht gekommen, weder für die Einheimischen noch für die Touristen, denn das “Culo del Mundo“ war ziemlich leer, doch das änderte sich im Laufe des Abends drastisch, später, als er ging, war es rappelvoll. Während er auf seine Königskrabbe wartete, überbacken mit Parmesan und mit Nusskartoffeln als Beilage, dazu eine ganze Flasche, sehr guten argentinischen Chardonnay, er musste eine ganze Flasche nehmen, halbe Sachen gab es hier nicht, dachte er über seine Reise nach, über die Höhepunkte und die kleinen Erlebnisse, die sie bisher ganz interessant gemacht hatten und bedauerte schon jetzt, dass sie bald zu Ende sein würde. Nachdem er in aller Ruhe gespeist hatte, suchte er das Etablissement auf. Wäre der Weg nicht auf der kleinen Karte eingezeichnet, hätte er es nicht gefunden. Kein Hinweis, kein Licht, schon gar kein Rotlicht. Es war ein kleines, namenloses Haus, das man nur über einen Hinterhof erreichte. Vor der Tür stand der kleine Mann, der ihn sofort erkannte und freundlich begrüßte. Die Bar befände sich im Keller, die Spezialzimmer, er wisse doch, was er meine, seien oben und er solle den Eintritt unten in der Bar bezahlen. Die Bar, ein ziemlich kahler Raum mit schummeriger Beleuchtung, zwei gedimmte Strahler wechselten ständig zwischen rotem und blauem Licht, machte nicht unbedingt einen einladenden Eindruck. Vor einer kleinen Bühne, eigentlich nur ein Podium von einem halben Meter Höhe, standen kleine, runde Tische und rot gepolsterte Stühle. An der einen Wand sah er drei beichtstuhlartige Separées mit roten Vorhängen, die um diese Zeit noch unbesetzt waren. An der anderen Wand befand sich die Theke mit Zapfhähnen, vielen Gläsern und noch mehr Flaschen, dahinter eine etwas grobschlächtig wirkende Blondine in einem schwarzen Kleid mit großem Ausschnitt für ihren Atombusen. Es waren nur wenige Besucher anwesend, aber auch hier würde es sich schon recht bald ändern. Er machte drei Pärchen aus, ein paar einzelne Männer und eine Gruppe von Frauen, die an einem der Tischchen saßen und, ihrer Haltung und Aufmachung nach, vermutlich zum Haus gehörten. Er bestellte ein Bier. Die Show würde bald losgehen, versicherte die Blondine auf seine Nachfrage, man würde noch auf ein paar weitere Gäste warten, die aber kämen aber sicher. Kaum hatte er in der Nähe der Beichtstühle Platz genommen, löste sich einer der Frauen vom Gruppentisch und setzte sich zu ihm. Er nickte, reagierte aber nicht weiter, tat als ginge sie ihn nichts an. Er hatte einfach keine Lust auf Unterhaltung. Er wollte die Show in Ruhe genießen, so eine Art Folies Bergère, stellte er sich vor, aber dazu war der Club vermutlich zu klein. Das Mädchen, in einem kurzen rosa Cocktailkleid, war alles andere als attraktiv, klein und pummelig, mit einem unschuldigen Gesicht. Das einzige, was sie deutlich von den Kolleginnen unterschied, war ihr Busen, ein richtig großer Busen, der in einem zu kleinen BH steckte und somit sehr freizügig den Blicken der Männer ausgesetzt war. In Ushuaia schien es viele großartige Brüste zu geben, dachte er. Die Vollbusige blieb ein Weilchen sitzen, aber da er weder mit ihr sprach, noch Anstalten machte, ihr einen Drink zu spendieren, stand sie maulend auf und fragte ihn nur, ob er aus Schottland sei. Die Bemerkung störte ihn nicht.
Dann begann die Show. Die Bar war nun gut gefüllt. Die Scheinwerfer hatten zu einem hellen, grellen Licht gewechselt und beleuchteten die Bühne bis in jedes Detail. Als Erstes traten zwei Männer auf, die als Frauen verkleidet, dümmliche Witze rissen, die er aber zum Glück nicht verstand. Das Grölen der Gäste lies ihn jedoch vermuten, dass sie ziemlich anzüglich waren. Als Nächstes gab es Striptease. Neben der Bühne hatte sich ein Mann mit einem Bandoneon platziert. Die Scheinwerfer schalteten wieder zurück auf Rot und Blau, die Bar wurde sofort wieder intimer. Der Musiker spielte ein paar Takte einer Tangomelodie, was denn sonst in diesem Land, dann trat eine der Frauen auf das Podium, die noch vor Kurzem an dem Damentisch gesessen hatte. Sie war recht hübsch, stark geschminkt und trug offensichtlich eine blonde Perücke, blond war wohl hier die Traumfarbe. Das, was sie zeigte, war allerdings nicht sehr gekonnt. Sie zog ziemlich hilflos und unästhetisch, vor allem unerotisch, erst ihre Bluse aus, dann streifte sie den kurzen Rock ab. In BH, Slip, Hüftgürtel und Netzstümpfen führte sie einen unbeholfen wirkenden Tanz vor. Ein paar Männer gingen trotzdem auf die Bühne und steckten ihr Geldscheine in den BH und den Slip. Als keiner mehr kam, obwohl sie herausfordernd in die Runde geschaut hatte, legte sie die restlichen Kleidungsstücke auf dieselbe amateurhafte Weise nacheinander ab, achtete dabei mehr darauf, dass die Geldscheine zusammenblieben, als auf eine erotische Wirkung. Am Ende gab es noch ein paar obszöne Bewegungen mit ihrem Unterleib und dem kleinen Hängebusen, dann hörte das Bandoneon auf, die Scheinwerfer gingen aus, die Schöne raffte ihre Kleidung zusammen und verschwand.
Während der Schönheitstanz noch in vollem Gange war, hatte sich die nächste Dame an seinen Tisch gesetzt. Sie war, im Gegensatz zu der Ersten, deutlich schlanker und attraktiver. Angeregt durch das nackte Fleisch auf der Bühne, nickte er, als sie einen Drink haben wollte, und zog sich auch nicht zurück, als sie ihren Stuhl dicht an seinen rückte und sich mit ihrem Oberkörper an ihn schmiegte. Ohne zu fragen, ohne weitere Präliminarien begann sie ihn zu streicheln, begann mit ihren Fingern sanft auf seinem nackten Unterarm, der auf dem Tisch lag, umherzuwandern und schon bald fand ihre andere Hand seinen Oberschenkel, erst das Knie, dann orientierte sie sich zunehmend in die entgegengesetzte Richtung. Er seinerseits blieb ziemlich steif, aber als dann die nächste Show ablief, taute er zwangsläufig auf, denn diese war der Höhepunkt des Abends. Auf die Bühne wurde ein breiter Sessel gestellt, darauf ein großes Handtuch gelegt. Das Bandoneon spielte einen Tusch, die grellen Scheinwerfer gingen wieder an und der Bandoneonspieler machte eine Ansage, die im begeisterten Applaus der Anwesenden unterging. Ein dunkelhäutiges Paar betrat die Bühne. Der Mann, ziemlich groß, sehr athletisch, gut aussehend, obwohl oder weil er eine Glatze hatte. Die Frau, nicht mehr die jüngste und auch nicht die schlankeste, aber mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht. Beide zogen sich ohne große Umstände aus, sie hatten ohnehin nur ganz gewöhnliche Straßenkleidung an, und warfen diese achtlos auf den Boden. Die Frau setzte sich nun ganz nackt auf den Sessel. Der Mann tänzelte um sie herum. Er fasste sie an, mal hier, mal da, immer nur kurz, fast wie unbeabsichtigt. Dann küsste er sie auf den Mund, spielte mit ihrem Busen, der nicht besonders straff war, ja manchmal deutlich abhing, und fasste ihr schließlich zwischen die Beine. Sie tat sehr erregt und stöhnte laut. Der Mann hatte von Anfang an einen großen, steifen, schwarzen Schwanz und die Frau hatte ständig ihre Beine breit geöffnet und zeigte ihre rosa Muschi. Nach einem Weilchen stellte sich der Mann vor sie und drang kurz in sie ein, auch dies schien völlig beiläufig, fast unbeabsichtigt zu sein. Dann tanzte er weiter, leckte ihre Muschi und sie nahm seinen Schwanz in den Mund, steckte ihn ganz tief hinein, erstaunlich, wieviel Platz in ihrer Kehle war. Auf einmal beugte sich der Mann über sie und klopfte sanft mit seiner Hand auf ihre Genitalregion. Ihr Körper zuckte, sie stöhnte noch lauter, reckte den Unterleib konvulsiv hoch und ein Strahl Urin schoss auf den Mann zu. Rasch hatte er seine Position so verändert, dass der Strahl sein Gesicht traf. Er bemühte sich, so viel wie möglich von der Pisse mit seinem Mund aufzufangen. Die Varianten des sich gegenseitigen Aufgeilens wechselten ab und die Frau entleerte noch einige Male einen Teil ihrer Blase in hohem Bogen. Wenn der Mann einen Mundvoll davon erhaschte, gab er den Inhalt umgehend an ihren Mund weiter. Schließlich hatten sie genügend Vorspiele betrieben und er begann sie zu penetrieren. Er begann mit ruhigen, sanften Stößen, wechselte dann zu heftigen, drängenden Bewegungen. Er hielt sie mit beiden Armen an der Taille und am Hintern fest, sodass sie ihren Oberkörper weit zurücklehnen konnte. Im Takt der intensiven Stöße hüpfte und wippte ihr Busen, die Nippel waren steil aufgerichtet. Die Vorstellung dauerte schon so an die zwanzig Minuten, ehe der Mann seinen Samen über den braunen Körper der Frau entleerte und sie den letzten Rest ihrer Blase mit einem kleinen Schwall auf das Handtuch. Es war erstaunlich, wie lange der Mann erregt bleiben konnte und wie viele genau dosierte Entleerungen die Frau zustande brachte. Applaus, das Bandoneon, das sehr gekonnt dem Rhythmus des Paares gefolgt war, spielte noch einen Tusch, die Scheinwerfer erloschen, die beiden verließen die Kampfstätte. Während das Paar noch auf der Bühne kopulierte, hatte die Frau an seiner Seite den richtigen Platz für ihre Hand zwischen seinen Beinen gefunden. Sie massierte und drückte seinen Schwanz, der natürlich deswegen und wegen der Show groß und hart geworden war, wenn auch nicht so riesig wie der des Schwarzen. Sie wollte mit ihm unbedingt in einen der Beichtstühle oder gleich in eines der Zimmer, aber der Preis, den sie für ihre Liebesdienste verlangte, war ihm zu hoch. Er lehnte ab, spendierte ihr aber noch einen Cocktail und dafür durfte er sogar kurz ihre Brüste betasten und auch seine Hand zwischen ihre Beine stecken. Dort fühlte es sich tatsächlich ziemlich feucht an, was er aber auf die Erregung der Frau durch das Paar zurückführte. Da nun auch die gesamte Vorstellung zu Ende war, zahlte er und ging hinaus in die sternklare Nacht.
Der Weg zum Hotel war ziemlich weit, aber er hielt trotzdem keine Ausschau nach einem Taxi. Er genoss es, in der kühlen Luft wieder einen klaren Kopf zu bekommen und außerdem wollte er ein paar Nachtbilder machen. Er holte seine Kamera aus dem Rucksack. Es war ein neues Modell mit phantastischen Eigenschaften, so lichtstark, dass man Dinge aufnehmen konnte, die von den Augen nicht mehr erfasst wurden. Er fotografierte aus der Hand die Wolken am nächtlichen Himmel, die Straßen, die nun ohne Verkehr sehr verlassen waren, Mülleimer auf einem Hinterhof und die Kreuzschiffe an der Mole. Auf dem Monitor konnte er in der Tat viele Einzelheiten deutlich erkennen, die er im Vorbeigehen nicht gesehen hatte. Er ärgert sich jetzt, dass er nicht wenigstens versucht hatte, in dem Privatklub ein paar Bilder zu machen, aber man hätte das sicher nicht gerne gesehen und ihm möglicherweise sogar die Kamera abgenommen.
Als er an einem hell erleuchteten Pub vorbei kam, war sein Durst wieder angestiegen und er beschloss, sich noch einen Absacker zu genehmigen. Das Lokal war proppenvoll. Die Menschen, fast nur Männer, starrten auf die Fernsehschirme. Das Endspiel des Copa Argentina wurde übertragen. Die beiden berühmtesten Vereine von Buenos Aires standen sich gegenüber, River Plate gegen Boca Juniors, Millionärsverein gegen Arbeiterverein, ein Spiel mit unendlich viel Zündstoff, wie er sofort an den Reaktionen der Zuschauer merkte. Die Leute schrien, regten sich auf, gaben lautstark ihrer Vorliebe Ausdruck und gingen private Wetten ein. Es waren noch gut zwanzig Minuten zu spielen, Boca Juniors führte 2:1. Er bestellte ein Bier, dann wurde es ihm zu laut, der Qualm der Zigaretten stört ihn, das Spiel und das Ergebnis waren ihm ziemlich egal, außerdem musste er pinkeln und hatte keine Lust, sich an den dicht an dicht stehenden, meistens betrunkenen Männern vorbeizudrängen, um auf das Klo zu kommen. Er zahlte und ging wieder hinaus in die klare, kühle Nacht.
Statt sich auf den Heimweg zu machen und direkt zum Hotel zu gehen, genehmigte er sich noch einen Abstecher an das nahe Meer. Das schwarze Wasser war ganz still. Da es nicht völlig dunkel war, spiegelten sich darin die Wolken. Ein phantastisches Bild. Er machte ein paar Aufnahmen, merkte aber auf einmal, dass er sehr müde war. Er wollte nun doch so schnell wie möglich, ohne Umwege, ohne länger zu trödeln in das „Fin del Mundo“. Er kam wieder an dem Pub vorbei und dort war jetzt die Hölle los. Das Fußballspiel war zu Ende. Die Menschen grölten, sei es aus Freude oder aus Enttäuschung und diskutierten heftig. Die ersten Autos machen sich hupend auf den Weg, ein mitternächtlicher Corso schien üblich zu sein. Er überquert die Straße, um nicht direkt an dem Lokal vorbei gehen zu müssen, aus dessen Tür immer noch Menschen kamen. Er hatte keine Lust, sich den Fahnen schwingenden, besoffenen Verrückten in den Weg zu stellen oder von ihnen angepöbelt zu werden. Er machte ein paar Bilder, dann ging er weiter. Das Hotel war nicht mehr weit, er wusste, wo er sich befand und wie er gehen musste. Dort vorne nach rechts abbiegen, dann noch drei Querstraßen und noch einmal abbiegen und dann war er am Hotel. Auf einmal fiel ihm aber wieder ein, dass er pinkeln muss, inzwischen ziemlich dringend. Bis zum Hotel würde er es nicht mehr aushalten. Er musste hier irgendwo sein Wasser abschlagen. Aber nicht direkt an der Straße, das macht man nicht, auch nicht mitten in der Nacht, auch wenn man ganz allein ist und vor allem nicht im Ausland. An einer Ecke war eine Art offener Vorgarten mit ein paar Bäumen und Büschen. Das war genau die sichtgeschützte Ecke, die er brauchte. Er stellte sich hinter den ersten Baum und empfand die Wohltat, als der Strahl die pralle Blase verließ. Noch während er sich erleichterte, zog auf der Straße eine Gruppe von fünf Männern an ihm vorbei. Er war froh, dass er sich nicht einfach an den Straßenrand gestellt hatte. Gute Erziehung zahlte sich manchmal doch aus. Die Männer redeten laut, gestikulierten, schimpften, manchmal schrien sie sich an. Sie redeten über Fußball, das war nicht zu überhören, über was auch sonst in dieser Nacht. Sie waren ganz offensichtlich nicht nur betrunken, sondern auch unterschiedlicher Ansicht über das Ergebnis des Finales. Boca hätte gewinnen müssen, lag wohl bis kurz vor Schluss in Führung, aber am Ende hatte doch Riverplate gewonnen, nur wegen der Millionen Pesos, hörte er einen der Männer schreien. Er war mit seinem Geschäft fertig, wollte wieder auf die Straße und langsam in gebührendem Abstand hinter der Gruppe hergehen, da kam ihm die Schnapsidee, die immer noch heftig gestikulierenden Männer, die jetzt stehen geblieben waren, zu fotografieren. Die Nacht war ja nicht richtig dunkel, seine Kamera hervorragend geeignet und die Gruppe hob sich gegen die hellere Straße deutlich ab. Er schaute auf den Monitor, drückte ab und drückte noch einmal ab, kontrollierte die Bilder und schaute dann wieder zu der Gruppe, deren Verhalten sich deutlich verändert hatte. Sie diskutierten nicht mehr, schrien nicht mehr und auch das wilde, unkontrollierte Gestikulieren hatten sie eingestellt. Sie hatten sich stattdessen aufgestellt, drei gegen einen, der fünfte Mann war verschwunden und fingen an, Schläge auszutauschen, mit den Fäusten aufeinander einzuschlagen. Vermutlich hatte der Einzelkämpfer eine abweichende Meinung und wurde deshalb von den anderen drei bedrängt. Aber er war offensichtlich der Stärkste und der Schnellste. Er wehrte sich erfolgreich und hielt seine Angreifer auf Distanz. Der fünfte Mann war vielleicht auch seiner Meinung, hatte aber vermutlich Angst und blieb verschwunden. Der Beobachter zögerte, ein weiteres Mal abzudrücken, es wurde ihm leicht mulmig, als er sah, wie brutal die Schläge geworden waren. Aber dann schaltete er die Kamera auf Video um und hielt sie möglichst ruhig auf die Kämpfenden gerichtet. Der Bedrängte bekam einige heftige Schläge ab, blieb aber stehen und kämpfte tapfer weiter. Sollte er eingreifen und ihm helfen? Er konnte doch solch einen Streit nicht schlichten. Er hätte sich ja nicht einmal verständlich machen können und außerdem, was ging ihn der Streit von ein paar Besoffenen an. Die Polizei konnte er auch nicht rufen, er hat sein Handy nicht dabei. Sollte er zum Pub gehen und dort von der Schlägerei berichten? Höchstwahrscheinlich würde man ihn nur auslachen und sagen, dass an solchen Tagen Schlägereien wegen Fußball an der Tagesordnung seien.
Er hatte sich, halb unbewusst, aber jedenfalls aus einem Sicherheitsinstinkt heraus, an eine dunkle Hauswand gedrückt. Er wollte unbedingt vermeiden, dass ihn die Männer entdeckten und bemerkten, dass er sie fotografierte. Vielleicht hätten sie ihn in ihren Streit einbezogen. Vielleicht hätten sie ihm die Kamera, dies teure Gerät, abgenommen oder kaputtgemacht. Aber die Fünf dachten gar nicht daran, nach einem Unbekannten Ausschau zu halten, denn die Situation hatte sich erneut verändert. Der fünfte Mann war wieder aufgetaucht. Er kam angelaufen und hielt einen Stock in der Hand, vielleicht eine Gartenlatte, was auch immer. Er schlich sich von hinten an den Einzelkämpfer heran und schlug mit dem Stock auf ihn ein, erst gezielt auf die Beine, dann auf den Rücken und schließlich auf den Kopf. Er schlug mehrfach und heftig. Das Opfer ging schon bei den ersten Schlägen zu Boden, die drei anderen hörten mit Boxen auf, der Lattenmann schlug noch ein paarmal zu und trat auch mit seinem Fuß heftig gegen den Körper, der mitten auf der Straße lag. Die Prügelei hatte aufgehört, für ein paar Sekunden sagte keiner ein Wort und diese Stille war bedrückender, als der vorausgegangene Lärm. Die Vier standen nun um den liegenden Mann herum und redeten auf ihn ein. Einer bückte sich, versuchte ihn aufzuheben, hochzuzerren. Der heimliche Beobachter hatte die Stockschläge, wie fast die gesamte Prügelei, festgehalten, aber nun packte ihn die Angst, eine richtige, abgrundtiefe Angst und er schaltete die Kamera aus. Wenn sie ihn jetzt entdeckten, konnte es richtig gefährlich für ihn werden. Er war Zeuge, hatte das Geschehen nicht nur beobachtet, sondern sogar aufgenommen. Er wusste, dass der Kleine mit der hellen Windjacke die Schläge mit der Latte geführt hatte und das könnte er sogar beweisen. Er hatte gesehen, dass die anderen ihn nicht daran gehindert hatten, ihm nicht in den Arm gefallen waren. Keiner hatte versucht, das Schlimmste zu verhindern. Er hatte genau beobachtet, dass das Opfer keine Chance hatte, zu entkommen. Und er hatte alles festgehalten. Für ihn war es jetzt höchste Zeit, sich aus dem Staub zu machen. Vielleicht ist der Geschlagene nur betäubt, wahrscheinlich aber bewusstlos, dachte er. Helfen konnte er ihm jedenfalls nicht. Vorsichtig, die Schatten der Häuser ausnutzend, ging er den Weg zurück, den er gekommen war, bog an der ersten Kreuzung ab und gelangte in einem großen Bogen zu dem Hotel. Die Haustür war offen, aber an der Rezeption kein Mensch. Er ging auf sein Zimmer und schlief bald ein, trotz aller aufrüttelnden Erlebnisse an diesem Abend.
Am nächsten Morgen wollte er schon recht früh zum Terminal für die Kreuzfahrt im Beaglekanal aufbrechen. Wie es seine Gewohnheit war, stand er mehr als rechtzeitig auf, die Sonne war noch nicht aufgegangen. Gewöhnlich tat er dies, um noch eine kleine Runde zu drehen und das schöne Morgenlicht für ein paar Fotos auszunutzen. Doch heute stand ihm nicht der Sinn, nach Motiven Ausschau zu halten. Er wollte nur wissen, ob es noch Spuren des gestrigen Kampfes gab. Und die gab es in der Tat. Die Straße, in der er die Prügelei beobachtet hatte, war mit roten Plastikbändern abgesperrt. Polizisten standen herum, neben ihren Autos auch ein schwarzer Wagen mit verhängten Scheiben. Er kam in dem Moment an die Kreuzung, als zwei Männer in schwarzen Anzügen einen Körper in einen Metallsarg legten und in den Leichenwagen schoben. Er fragte eine Polizistin, die die Absperrung überwachte, was hier los sei. Eine Schlägerei mit tödlichem Ausgang, alles wegen Fußball, aber er solle keine schlechte Meinung von Ushuaia haben, es sei eine sehr sichere Stadt, nur manchmal würden auch solche Dinge passieren. Er erzählte der Polizistin nicht, was er in der Nacht beobachtet hatte. Er wollte ja gleich zu seiner Rundfahrt aufbrechen und am nächsten Tag wollte er abreisen. Der Flug war am frühen Morgen, er das Ticket und eine Umbuchung wäre sehr problematisch geworden. Er hatte absolut keine Lust, als Zeuge vernommen zu werden, möglicherweise hier bleiben müssen, vielleicht mit den Schlägern konfrontiert werden, die er ja nur von Weitem, also gar nicht richtig gesehen hatte. Er würde sie mit der Sicherheit, die man für eine Zeugenaussage bräuchte, gar nicht wiedererkennen. Natürlich hatte er noch die Aufnahmen mit der Kamera, die Fotos und Videos. Er hatte sie sich gleich angeschaut, als er zurück im Hotel war. Die technische Qualität war herausragend und der Informationsgehalt auch. Aber die Kamera würde er der Polizei schon gar nicht geben, vielleicht würde man sie ihm als Beweismittel abnehmen. Es konnte ihm sogar blühen, dass er wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt würde oder dass man ihn gar verdächtigen würde, an der Schlägerei beteiligt gewesen zu sein. Schließlich hatte er sich ja zur Tatzeit am Ort des Geschehens aufgehalten und das über längere Zeit, wie man aus den Kameradaten entnehmen könnte, genau dort, wo ein Mann zu Tode geprügelt worden war. Er sagte nichts, sondern entfernte sich wieder möglichst unauffällig, das Taxi wartete sicher schon vor dem Hotel. Später sollte er aus dem Internet erfahren, dass ein Mann in Folge einer nächtlichen Schlägerei seinen Verletzungen erlegen war, dass der Tod am frühen Morgen eingetreten sei und dass man in der Zwischenzeit die vermutlichen Täter bereits festgenommen hatte. Da sie eine Beteiligung aber abstritten, suche man dringend Zeugen für die Aufklärung der nächtlichen Vorgänge.
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.