Herzlos

1 4-7 Minuten 0 Kommentare
Herzlos

Herzlos

Patricia Lester

"Wenn du meine beste Freundin bist, dann komm bitte sofort her." Conny schluchzte in den Hörer.
"Ist es mit Frank endlich aus?" Inke hatte die Angewohnheit, nicht nur hellseherische Fähigkeiten zu besitzen, sondern bei Telefongesprächen immer etwas zu essen, so klang ihre Stimme nicht sehr deutlich.
"Ich habe ihn erwischt, mit Lilly, dieser voll gekleisterten, dickbusigen Tippse aus seinem Büro." Conny nahm das letzte Tempo aus der Packung und brachte diese Worte ohne größeren Sturzbach heraus.
"Was? Wo? Bei dir ...?" Anscheinend hatte Inke nichts mehr im Mund.
"Nö, aber ..." Conny hielt den Hörer ein wenig weg.
"Wo denn dann?" Wahrscheinlich löffelte Inke jetzt ihren heiß geliebten Bananenquark.
"Bitte!"
Eine halbe Stunde später öffnete Conny die Tür. Von Inke sah sie nur zwei flache Kartons, aus denen es nach Pizza duftete.
"Mach eine Flasche Wein auf. Liebeskummer braucht Kalorien und Stimmungsmacher."
"So, jetzt erzähl mir die Schmonzette." Inke schob sich ein Stück in den Mund, nahm einen Schluck aus dem Glas und brachte es gleichzeitig fertig, einen Zug aus ihrer Zigarette zu nehmen. Conny hüstelte.
"Tja, wegen dieses Kerls hast du dir auch das Rauchen abgewöhnt."
"Halt die Klappe." Conny griff nach Inkes Schachtel und inhalierte tief den ersten Zug.
"Ich fand die Abrechnung eines Restaurants. Es war ausgerechnet bei `Mario´, wo ich und Frank ..." Nach einer Pause, Inke kaute immer noch: "Er hat Carpaccio gegessen und sie mein Lieblingsgericht. Gegrillte Scampis mit Knoblauchsoße."
"Woher willst du das wissen?", fragte Inke und griff nach dem letzten Stück Pizza.
"Frank hasst Fisch."
"Und warum bist du sicher, dass es seine Tippse war?"
"Weil er mir sagte, dass er Vorstandssitzung und anschließend ein Geschäftsessen habe und es spät würde."
"Nicht schlecht, Watson. Doch du übersieht was. Noch hast du keinen Beweis."
"Doch. Seit jenem Donnerstag hat er nicht mehr mit mir geschlafen, obwohl ich mir alle Mühe gegeben habe."
"Ist ja grauenhaft. Du musstest wirklich sechs Tage ohne Sex auskommen."
"Verarsch mich nur. Seit du den Telefon-Job für diese Verklemmten angenommen hast, kannst du Libido nicht einmal mehr buchstabieren. Und bitte ..." Einen Augenblick blieb Conny die Luft weg. "Woher weißt du, dass es exakt sechs Tage her ist, dass ..."
Eine Stunde und eine Flasche Wein später, zwei Pflanzen hatten der Diskussion nicht standgehalten und ihre Hydrokugeln auf dem Teppichboden verloren, saß Conny weinend und schniefend in einem Schaukelstuhl, und Inke brüllte ein paar Häuser weiter ihren Kater an, der ungemein provokant mit seinem Schwanz klopfte, und dessen linke Barthaare in einem lautlosen Trommelwirbel vibrierten. Shakin Dead stand kurz vor einem Tobsuchtsanfall, und Inke wusste es.
"Gut, du Satansbrut. Du hast Recht, ich habe mich lächerlich benommen und gemein. Wenn aber Frank auch so ein Idiot ist – wie alle Männer – und Spuren hinterlässt, die selbst Winnie aus Dummsdorf hätten stutzig machen müssen. O Gott, warum verliebe mich immer nur in die verkehrten Männer?"
"Was hat Inke, diese Möchtegern-Nymphomanin, mir einfach so zwischen Tür und Angel noch reingebrettert? `Mit dem einen ist es aus, na und, es laufen noch Tausend andere rum.´ Hat gut reden, die Frau. Ist um einiges älter und hat an ihrem Baum schon mehr Jahresringe gesammelt als ich. Ich frage mich, wo sind dann bitte die anderen neunhundertneunundneunzig. Ha!"
"Schätzchen, willst du nicht die Glotze ausmachen? Diese Soap ist einfach unerträglich."
Widerwillig drückte Linda auf die Fernbedienung und starrte geradewegs auf den Schießer-Feinripp, den Rob unter seinem graublau gestreiften Bademantel trug. Noch herrschte dort Funkstille. Doch der Alarm würde bald losschlagen. Die letzten News, der Wetterbericht und die Bundesliga-Ergebnisse, nicht zu vergessen die dreißig Minuten mit diesem schwarz gelackten Orgasmus-Komiker, und dann beträte Rob, der Feldherr, das Schlachtfeld und fiel über irgendeine unbedeutende und ärmliche Provinz her, die er dann im Sturm erobern und, mit ein paar Salzletten "Hurra" schreiend, keuchend nehmen würde.
Linda hasste diese öden Samstagsabendspiele. Es war so lächerlich, wenn ein erwachsener Mann Sofakissen auf dem Boden wie im Sandkasten hin- und herschob, vier Flaschen Bier die Zinnen einer Burg waren, die schnellstmöglich fallen mussten, gekrönt von dem Böllerschuss aus einem überfüllten Bauch. Ekelhaft war es, primitiv. Conny oder Inke in der Sendung hätten sich nie auf so etwas eingelassen. Die wussten ihre Männer zu nehmen, und immer gab es einen romantischen Schluss bis zur nächsten Folge, in der dann wieder eine dieser dramatischen Tragödien Einzug hielt. Linda seufzte, und Rob hielt es für Leidenschaft.
"Ja, Baby, so habe ich es gern. Dein Asbach nimmt heute Melba dran und morgen Legoland." Rob keuchte. Heute ritt er mal wieder die Doofen-Tour, was Linda rasend machte, und fingerte an Lindas Body. Sie hatte die Knöpfe im Schritt mit Sekundenkleber fest verschweißt. Sollte sich Rob die Nägel abbrechen. Vielleicht bekam sie dann etwas zum Lachen. Inke hatte in einer Folge damit einen irren Erfolg gehabt. Doch deren Liebhaber gehörten einer anderen Gattung an.
"Ist das so ein Fummel von Billigmann? Los, zieh das rote Spitzending an. Ich werde Salomon die Fesseln einzeln abreißen und die Pyramiden zu Brei stampfen."
"Klar, Tarzan", murmelte Linda. Der Witz war, dass Rob als Grundschullehrer an dieser albernen Geschichtsverdrehung noch Spaß zu haben schien, zumindest wenn sie sich aufregte. Das war das letzte Mal vor einem Jahr gewesen. Aber er hielt an diesen ausgelutschten Jokes und dem ätzenden Blödsinn fest, als seien es Potenzmittel. Er kapierte einfach nicht, dass sie auf Linda wie Schlafpillen wirkten. Sehnsüchtig blickte Linda auf die Uhr. In fünf Minuten ginge wieder eine Folge zu Ende mit ihren Heldinnen, die so viel mehr Aufregendes und Erotisches mit ihren Liebhabern und anderen Unterhaltungskünstlern erlebten. Gedankenverloren nahm sie eine Schere und schnitt den Body auf. Der Stoff schien zu seufzen, als die Klinge ihn durchdrang. Beinahe widerwillig gab er nach. Linda hielt in der rechten Hand die Schere, mit der linken wollte sie sich den Body über den Kopf nach oben ziehen, als sie ein Flüstern vernahm.
"Verschenk dich nicht an so eine Dumpfbacke", flüsterte Conny. Linda spürte, wie eine weiche, warme Frauenhand zwischen ihre Schenkel glitt und an den Stofffetzen spielte. "Du hast viel Besseres verdient." Linda packte den Griff der Schere fester. Zwei Finger klopften zart und behutsam, nahmen ein Büschel Schamhaare und zogen daran.
"Du hast Recht, Conny", wisperte Linda und spreizte ihre zitternden Beine.
"Dein Busen ist wunderbar. Weißt du das, meine Kleine?" O, wie Linda Inkes verführerische Stimme liebte, ihre Lippen, die sie geöffnet hielt wie eine Venusfliegenfalle, in die all die armen, dummen Männer freiwillig stolperten und in der sie verschlungen wurden.
"Spürst du die Süße meiner Zunge? Sie küsst deine vorwitzigen Warzen. Doch sie ist noch lange nicht satt. Sie will mehr von dir, alles, und auch Conny ist hungrig. Wir wollen dich verwöhnen, lieben und dich für deine Treue belohnen. Willst du unsere Freundin sein?"
"Ja, jaaaahhh, bitte ja." Linda starrte in den Spiegel. Sie war nackt. Ihre Haare hingen wirr über die Schultern. Ihre Lippen schimmerten. In ihren Schenkeln nistete etwas, das sich vertraut, gefährlich, schmerzhaft und doch verlockend anfühlte. Überall war ein Pochen und Dröhnen, heiß, fordernd, erregend.
"He, Baby-Jane! Wo steckst du? Tarzan wartet auf dich."
"Ich komme." Es war nicht Lindas Stimme, die antwortete. Es war der ferne Chor unbekannter, gnadenloser Sirenen. Die Schere blinkte in Lindas rechter Hand, als sie langsam zur Treppe ging.

 

Klicke auf das Herz, wenn
Dir die Geschichte gefällt
Zugriffe gesamt: 2116

Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.

Gedichte auf den Leib geschrieben