Kennen Sie Yamti? Natürlich kennen Sie Yamti nicht. Yamti wohnt in Suwkiko, ein Kaff rund 200 Kilometer westlich von Timbuktu. Ich werde Ihnen Yamti vorstellen, und Sie werden auch erfahren, warum Yamti Highheels trägt, mitten in der Sahara. Vor ein paar Wochen habe ich mein Zelt bei Suwkiko aufgebaut. Sie müssen wissen, ich arbeite an einer Dissertation über Sandflöhe, und die gibt's nun mal in der Sahara. Also musste ich rein in den Pizzaofen. Neulich war ich beim Wasserloch von Suwkiko, weil die Wüste durstig macht und nirgends eine Kneipe ist. Ich fülle meine Flaschen und betrachte den lehmigen Boden rund um das Wasserloch. Manchmal sind da auch durstige Sandflöhe in den vielen Huftritten der Tiere und in den Abdrücken von nackten Menschenfüsse zu sehen. Was erblicke ich? Anstatt Sandflöhe sind da Abdrücke von Highheels. Ich glaub, ich spinne. Es kann unmöglich eine Fatamorgana sein, weil ich mich da auskenne. Da ging jemand in Heels seinen Durst löschen. Sandflöhe und Dissertation hin oder her. Wer trägt hier Highheels? Ich muss das rauskriegen. Die Nacht verbring ich am Wasserloch und nicht im Zelt. Ich mach kein Auge zu. Ziegen kommen und saufen, ein Esel ist auch dabei und zwei Schakale drücken sich rum. Weil sie mich in der Nase haben und ich noch kein Stück Aas bin, wissen sie nicht so recht, ob sie saufen sollen. Sie fürchten meine Spezies. Ich tu ihnen aber nichts. Das spüren sie schliesslich und saufen. Dann schluckt sie die Wüstennacht. Die Sonne geht auf. Bald wird sie mir wieder wie ein Lötkolben im Nacken brennen. Highheels habe ich keine gesehen. Ich bleibe in der Gluthitze am Wasserloch liegen und beobachte weiter. Frauen und Mädchen aus Suwkiko kommen und holen Wasser. Wie sie gegangen sind, kriech ich ans Wasserloch und untersuche den lehmigen Boden. Ha, hier sind sie wieder, die Abdrücke der Highheels. Wer hat hier gestanden? Die Kleine, in den blauen Tüchern? Klar. Weil ich mit dem Clan in Suwkiko bekannt bin, weiss ich, wie sie heisst: Yamti. Sie ist die Tochter des Karawanenführers Muhamar und trifft sich heimlich mit dem jungen Achmed, der für ihren Vater arbeitet und mit den Kamelen alle paar Wochen auf den Markt nach Timbuktu geht. Yamti in Highheels, mitten in der Sahara; Mann, das ist ein Ding. Für Heute mach ich blau. Die Sandflöhe müssen ohne meine wissenschaftliche Aufmerksamkeit klar kommen. Ich geh nach Suwkiko mit Muhamar Tee trinken und palavern. Seine Tochter Yamti serviert uns den reichlich mit Zucker versetzten Minzeaufguss. Die blauen Tücher, in die Yamti gehüllt ist, fallen bis zum Boden. Ich sehe ihre Füsse nicht. Weil ich mit ihrem Vater am Boden sitze, fällt es mir aber nicht schwer, verstohlen und wie zufällig mit der Hand unter den Saum ihres Stoffbehangs zu tasten. Und was spür ich da: Schuhe an den Füssen von Yamti, richtige Highheels. Mann, ich glaub, mich tritt ein Elch! Yamti erschrickt, entzieht den Fuss meiner Hand und verschwindet. Na, kleines Sahara-Girl, du wirst mir was beichten müssen. Am Abend geh ich zum Palmenhain hinter Suwkiko, wo sich Yamti jeweils heimlich mit Achmed trifft. Die beiden sind schon da als romantische Mond-Silhoutte. Ich trete zu ihnen, palavre ein bisschen und dann frag ich nach den Schuhen von Yamti. Die beiden werden bleich, das seh ich auch im Mondlicht. Yamti druckst herum und beginnt zu erzählen. Als sie nach dem grossen Sturm eine verirrte Ziege suchen musste, fand sie ein vom Wind halb zerrissenes Magazin im Wüstensand liegen. Darin waren Modeaufnahmen abgebildet. Weisse Frauen in entzückenden Schuhen. Yamti durchfuhr es wie ein Blitz: Sie musste auch so etwas haben. Sie zeigte die Fotos Achmed und bettelte, dass er ihr solche Schuhe besorge, wenn er das nächste Mal auf den Markt nach Timbuktu gehe. Achmed versprach, den Wunsch zu erfüllen. Nun erzählte mir Achmed die Geschichte der Highheels von Suwkiko weiter. Das war so: Nirgends auf dem Markt in Timbuktu hatte er Schuhe entdecken können, in der Art, wie Yamti sie sich wünschte. Er war nahe am verzweifeln. Da sah er eine Gruppe von Touristen im Schatten eines Hotels sitzen. Eine Frau trug solche Schuhe. Aber wie konnte er sie in seinen Besitz bringen? Der Frau abkaufen? Womit? Achmed hatte kein Geld. Achmed lagert in der Nacht mit der Karawane vor den Toren von Timbuktu. Er konnte kein Auge schliessen. Der Wunsch von Yamti war ihm Befehl. Also schlich er nach Timbuktu hinein, kam zum Hotel und stieg dort durch ein offenes Fenster. Im Dunkeln tastete er sich durch die Gänge. Welch ein Glück. Vor den Zimmern der Gäste standen Schuhe, wohl zur Reinigung bereit gestellt. Achmed zündete ein Streichholz an. Ganz hinten im Gang entdeckte er die Highheels. Die Frau, welcher sie gehörten, war ihnen für die Nacht entstiegen und schlief wohl. Achmed ergriff schnell die Schuhe und verschwand aus dem Hotel. Noch vor Tagesanbruch verliess die Karawane Timbuktu mit Achmed und den Highheels, die er tief in seinem Burnus versteckt hatte. So kam Yamti zu ihren Schuhen. Sie zeigte sie mir stolz, indem sie das blaue Tuch anhob, in welches ihr Körper gewickelt war. Es waren rote Highheels mit goldener Stahlkappe und zwölfzentimeter Absätzen. - Jetzt wissen Sie, wer Yamti ist: Das Beduinenmädchen, das jeden Morgen zum Wasserloch stöckelt.
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.