Höhenflüge

Eine nicht alltägliche Familie - Teil 66

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Grauhaariger

„Descent Five-One-Four, cleared for Lauberhorn”

„Guten Morgen Frau Andersson. Herzlich willkommen zum Briefing für den heutigen Flug am Lauberhorn“ wurde Olivia von Flugkapitän Bernhard Ruckstuhl mit einem Grinsen im Gesicht begrüßt. Es handelte sich dabei um den Piloten, welchen sie am Vortag während des Assessments kennengelernt hatte.
„Flug am Lauberhorn?“, fragte Olivia hochgezogenen Augenbrauen.
„Jetzt mach nicht ein Gesicht wie eine Kuh beim Fotografen“, lachte Angie. „Heute ist dein großer Tag und als Anerkennung für die Geschichte mit der A350 darfst du heute bei unserem Sonderflug dabei sein. Du wolltest doch einmal in den Bergen fliegen und heute kannst du es.“
Olivia wusste nicht, was sie sagen sollte. „Nur mein Mann wusste, dass ich einmal in den Bergen fliegen möchte. Aber woher wisst ihr davon?“
„Ach Olivia, das ist doch ganz einfach“, gab Angie zur Antwort, „dein Mann hatte die Idee mit den Bergen. Also zum Verständnis … dein Mann spricht mit deinem Chef, der telefoniert mit meinem Chef und dieser wiederum erteilt mir diesen Auftrag. Und wie ich dir gestern schon sagte, habe ich das Vergnügen, dich die beiden Tage zu begleiten.“
Bei Olivia lösten sich langsam einige gedankliche Nebelfelder. Deshalb also die Andeutungen von Herrn Zeller und außerdem noch die Bemerkung von Martin letzte Nacht.
„Noch kurz zur Erklärung“, brachte sich Kapitän Ruckstuhl wieder ins Gespräch ein. „Unsere Unternehmung ist offizieller Partner des ‚Ski World Cup‘ in Wengen und immer vor dem Start des Abfahrtsrennens fliegen wir zusammen mit der ‚Patrouille Suisse‘, der Kunstflugstaffel der Schweizer Luftwaffe, ein Display über der Rennstrecke. Für den heutigen Flug ist die ‚Charly-Alfa‘, eine Bombardier CSeries, vorgesehen.“
Staunend verfolgte Olivia das Briefing, welches durch Kapitän Bernhard Ruckstuhl abgehalten wurde. Anhand von Grafiken und Luftbildern erklärte dann Angie, welche für diesen Flug die Rolle des ‚Safety-Piloten‘ übernahm, wie der Flug genau ablaufen wird.
„Start wird kurz nach 10.00 Uhr sein und wir fliegen zuerst südwärts zum Baldeggersee, drehen ab Richtung Entlebuch und werden dann über der ‚Schratteflueh‘ mit der Patrouille Suisse zusammentreffen, welche in Emmen starten wird. Gemeinsam fliegen wir dann nördlich am ‚Hohgant‘ vorbei und drehen anschließend Richtung Süden ab. In Formation werden wir dann von Interlaken herkommend in 7500 ft Flughöhe ins Lauterbrunnental eindrehen, hier auf der Grafik in blau dargestellt.“
Dabei zeigte Angie auf das Luftbild, wo die Flugmanöver mit verschiedenen Farben dargestellt waren.
Insgesamt fünf Durchgänge sollen geflogen werden in Höhen zwischen 6000 bis 8000 Fuß über Grund. Ein Blick auf die Luftfahrtkarte zeigt Olivia, dass das Gebirgsmassiv, an dem sie mit den Flugzeugen vorbeifliegen werden, am höchsten Punkt 13642 ft hoch war.
„Nach den geplanten Überflügen“ führte Angie weiter aus, „werden wir mit einem großen Bogen über Grindelwald und die ‚Grosse Scheidegg‘ wieder in den Bereitschaftsraum über dem Brienzersee gelangen und dort auf Abruf stehen. Unterdessen führt die Patrouille Suisse ihr Programm vor und nach dem Finale treffen wir wieder zusammen und machen nochmals einen gemeinsamen Überflug über die Rennstrecke. Anschließend fliegen wir wieder zurück nach Zürich und das wars dann.“
Sichtlich beeindruckt betrachtete Olivia nochmals die Aufnahmen des Gebietes. Sie hatte mit ihrer Landung damals in Barcelona schon ein ‚sportliches‘ Manöver geflogen, aber was hier auf dem Programm stand, war eine ganz andere Hausnummer. Zugegeben, heute waren keine Passagiere an Bord, aber die Flugmanöver hatten es trotzdem in sich.
„Noch Fragen? Sonst würde ich das Briefing beenden und wir gehen hinaus zum Shuttle-Bus“, schloss Kapitän Ruckstuhl das Briefing ab.

*****

Für die Crew stand am pistenseitigen Ausgang des Op-Centers ein Shuttle-Bus bereit, welcher sie zum Abstellplatz der HB-JCA, einer Bombardier CS300, bringen würde.
Zum ersten Mal betrat Olivia eine Bombardier CS300 und schaute sich interessiert um.
„Komm, wir haben noch zu tun“ wurde sie von Angie aus ihren Gedanken geholt. „Wir erledigen noch den Rundgang und machen die letzten visuellen Kontrollen.“
Zusammen mit Angie verließ Olivia wieder über die Gangway das Flugzeug und sie erledigten den Rundgang ums Flugzeug, um den visuellen Check von Fahrwerk, Triebwerken und diversen anderen Komponenten durchzuführen.
Zurück im Flugzeug schob Angie Olivia vor sich her ins Cockpit. Im Gegensatz zu ihrer gewohnten A350 war das Cockpit in diesem Flieger klein.
„Kommen sie Frau Andersson, setzen sie sich“, sprach Kapitän Bernhard Ruckstuhl und deutete dabei auf den Sitz rechts von ihm. „Sie kennen doch noch die Sicht vom rechten Sitz?“
Olivia war ein wenig überrascht, setzte sich aber dann auf den Co-Piloten-Sitz. „Natürlich kenne ich die rechte Seite noch, ist ja noch nicht so lange her. Aber sollte nicht Frau Bischoff hier sitzen?“
„Nein, nein, ist schon in Ordnung. Laëtitia ist heute als ‚Safety-Pilot‘ vorgesehen und wird mit dem ‚Jump-Seat‘ vorliebnehmen.“
Nach dieser Aussage des Kapitäns versuchte sich Olivia anhand der Anordnung der Instrumente und sonstigen Bedienelemente zu orientieren. Vieles konnte sie erkennen und die Funktion direkt zuordnen, aber es gab auch Elemente, die sie nicht auf Anhieb erkannte. Von Angie bekam sie eine kurze Einweisung über das Cockpitlayout und zusammen mit Kapitän Ruckstuhl begannen sie mit den Startvorbereitungen und dem Abarbeiten der Checklisten.
Zwanzig Minuten später wurde das Flugzeug mit einem Pusher vom Abstellplatz zum „Taxiway Echo“ umgestellt. Nach dem Hochlaufen der Triebwerke, den letzten Checks und der Kommunikation mit dem Tower, welche von Olivia übernommen wurde, war es dann so weit. Die HB-JCA erhielt die Freigabe zum Rollen, was sie entlang der Terminals zur Startbahn 28 führen wird.
Sie passierten nach kurzer Zeit das Dock B mit der Besucherterrasse. Olivia sah Leute mit Kindern dort stehen und öffnete kurzerhand das Seitenfenster, um den „Planespotters“ zu winken.
Beim Erreichen der Warteposition meldete sich der zuständige Controller für den betreffenden Abschnitt: „Descent Five-One-Four, Departure Grüezi, clearance expires at One-Zero-Zero-Six, cleared Lauberhorn und zrugg, Runway Two-Eight, leaving Three-Whiskey, SQUAWK Three-Zero-Four-Zero.“
Während des Funkgesprächs bereiteten sich die Piloten auf den kommenden Start vor. Beim Einbiegen auf die Startposition von Startbahn 28 erfolgte die Startfreigabe durch den Tower.
Sofort bestätigte Olivia die Freigabe: „Descent Five-One-Four, wind Two-Niner-Three, Three knots, runway Two-Eight, prepared for take-off.” Wie von ihrem normalen Ablauf her gewohnt, sagte sie noch: „… und ab!”
Kapitän Ruckstuhl bewegte den Schubhebel nach vorne und sofort begann das Flugzeug zu beschleunigen. Obwohl die Leistung geringer als bei Olivias A350 war, erreichten sie die Startgeschwindigkeit schneller und hoben ab. Kontinuierlich stieg das Flugzeug empor, um in 5000 ft Höhe nach links in Richtung Baldeggersee abzudrehen. Der weitere Verlauf des Fluges richtete sich nach dem Flugplan, wie er beim Briefing durchgesprochen wurde.
Bereits kurz nach dem Start erhielt Olivia eine kleine Einweisung über die Bedienung und das Handling des Flugzeuges. So konnte sie unter Anleitung von Angie und Bernhard Ruckstuhl bereits den weiteren Steigflug zuerst auf 7000 ft und später dann auf 10000 ft ausführen. Südlich des Baldeggersees führte die Flugroute in Richtung Luzern, um dann durch das Entlebuch zur Schratteflueh zu gelangen. Bis zum Zusammentreffen mit der Patrouille Suisse dauerte es noch knapp zwölf Minuten, sodass Olivia noch etwas Zeit hatte, um sich an den „fremden” Flugzeugtypen zu gewöhnen.
„Fliegt sich fast wie eine A321“, meinte Olivia nach einigen Minuten und ein paar sanften Flugmanövern.
„Die Flugzeuge werden sich immer ähnlicher“, bestätigte Kapitän Ruckstuhl. „Das waren noch Zeiten, wo noch nicht mal eine 747 gleich war wie andere.“
Die Minuten vergingen und Flug 514 näherte sich der Schratteflueh. Plötzlich sah Olivia durch ihr Seitenfenster einen rot-weißen Militärjet auftauchen und aus dem Funkgerät hörten sie: „Ufrotte Bambini, Tiger Uno“, „Due“, „Tre“, „Quttro“, „Cinque“, „Sexi“.
„Das ist der Leader der Patrouille Suisse mit seinen Bambini“, erklärte Angie von ihrem Notsitz. „Sie kommunizieren immer noch mit dem alten, sogenannten Bambini-Code.“
Gebannt schaute Olivia aus dem Seitenfenster und sah, dass sich auf ihrer Seite drei der sechs Jets aufreihten und immer näher zu ihrer CS300 heranrückten. Für den weiteren Verlauf des Fluges übernahm Angie nun die Kommunikation mit den Jets, da sie im Gegensatz zu Olivia als Militärpilotin den Bambini-Code beherrschte.
Da der erste Überflug beim Lauberhorn genau um 11.40 Uhr zu erfolgen hatte, musste die Formation noch eine Warteschleife fliegen. Dadurch hatte Olivia die Gelegenheit, zusammen mit den Militärjets in einer engen Formation zu fliegen. Ganz beeindruckt stellte sie fest, mit welch knappen Abständen die Piloten der Patrouille Suisse unter sich und auch zum Passagierflugzeug flogen.
„Bambini, ordine lilitour, corso uno otto zero, formazione vista… Toc”, hörten sie das Kommando des Leaders.
„Captain übernimmt”, kam daraufhin das Kommando von Bernhard Ruckstuhl und sofort drehte er die Maschine nach links, um auf Kurs 180 zu gelangen.
„Captain übernimmt”, bestätigte Oliva noch, obwohl Kapitän Ruckstuhl bereits die Kontrolle übernommen hatte.
Auf dem Display direkt in ihrem Sichtfeld konnte Olivia den Kurs und die geplante Route sehen. Immer wieder wanderte der Blick zur Seite, wo sie die drei Jets sehen konnte. Ihre Anflugroute führte sie nördlich am Hohgant vorbei, sodass sie nun ihre Flughöhe auf 7500 ft verringern konnten. Im Sinkflug überflogen sie Habkern und Interlaken, um dann bei Wilderswil der Lütschine zu folgen.
Auf der Anzeige am Instrumentenfeld konnte Olivia die Zeit ablesen – 11:39:25 Uhr. Für den Anflug drehte die Formation leicht nach rechts ins Lauterbrunnental und flog auf der rechten Talseite in Richtung der Berge. Die Anzeige zeigte nun 11:39:49 Uhr und die Flughöhe betrug genau 7500 ft, wie vorgesehen.
Sofort kamen die ersten Flugangaben von Angie: „50° Querlage links, Schub 80 %, sinken auf 6000 ft.” Bereits waren sie über Wengen auf der anderen Talseite und hatten den 180° Bogen geflogen. Um den zweiten Überflug vorzubereiten, stiegen sie wieder auf 7500 ft und flogen eine Rechtskurve über Zweilütschinen. Der Anflug erfolgte diesmal auf der anderen Talseite und die Rennstrecke lag auf ihrer linken Seite. Im leichten Sinkflug auf 6500 ft flogen sie mit knapp 200 Knoten um das Lauberhorn. Beim anschließenden Steigflug veränderte auch die Patrouille Suisse ihre Formation. Von unten betrachtet sahen die Zuschauer nun einen Pfeil mit der CS300 als Pfeilspitze.
„Schub 60 %, Querlage rechts 45°, absinken auf 6500 ft” kam schon das nächste Kommando von Angie, welche ganz konzentriert zwischen ihren Unterlagen, den verschiedenen Displays und den Cockpitfenstern hin und her sah.
Bereits waren sie beim dritten Überflug und Olivia konnte Tausende von Zuschauern entlang der Rennstrecke erkennen, welche im Anschluss an die Flugvorführung die Lauberhornabfahrt sehen wollten. Bei jedem Überflug konnte sie sehen, wie die Leute mit den Händen winkten und Fahnen wurden geschwungen.

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