Hohes Lied auf den Sozialstaat

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Hohes Lied auf den Sozialstaat

Hohes Lied auf den Sozialstaat

Matthias von Schramm

Wir schreiben, sofern wir das Schreiben noch für nötig befinden, das Jahr 2027. Die SPD regiert immer noch, nun aber alleine, da den Grünen das Koalieren mühseliger als das Tolerieren wurde. Mein Name ist Jonathan. Krawittel, Jonathan. Seit neulich 43 Jahre alt und Bezieher von Sozialhilfe. Meine große Befürchtung war ja, spätestens seit der gravitierenden enjaischen Bewusstseinskrise im Jahre 2000, dass dies der Untergang sei und es um mich geschehen wäre, sollte ich tatsächlich mal zum Sozialfall werden. Wie sehr ich mich in diesem Punkt irrte, zeigt die Realität, von der ich als Schreibender in Ausführlichkeit zu berichten weiss: Ich erhielt letzte Woche diese Anstecknadel mit weißer Schrift blockartig auf rotem Grund, ein silberner italic Schatten schmückt diese Erkennungsmarke auf der steht: „Sozialhilfeempfänger“! In der Öffentlichkeit ist diese zu tragen, als Erkennungsmal natürlich, keinesfalls als Stigma zu empfinden, sondern als Ausweis, der einem eine Sonderbehandlung zu Gute kommen läßt.
Naja, sie wissen ja wie das ist mit den Sozialkritikerseelen. Zunächst kam ich mir schon vor als Mensch dritter Klasse, ein Befürworter für die Darstellung seiner geminderten Gesellschaftsexistenz. Natürlich Quatsch, endlich kümmerte sich mensch um mich. Wenn auch erst mit einer Reihe von Formularen und Bewusstseinskrisenschreiben auf denen ich den Verzicht rechtlicher Maßnahmen unterschreiben durfte um mich im Hotel Sozialhilfe nicht allzu satt zu fühlen. Geregelt wurde: Kulturleben, Landleben, Urlaub, Weiterbildung und Sexualität. Ich will nicht verleugnen, dass es mir zunächst einen gewissen Schmerz antat, als ich merkte, dass ich nicht mehr zu den gewohnten Lokalitäten Zugang hatte. Halt nur zu denen, wo sich der Schriftzug meiner toll gestalteten Plastikmarke wiederfand. Hotels, Supermärkte, Suppenküchen, Kinos, Theater oder Museen. Aber es gab eben alles. Gut organisiert das. Da war die letzten Jahre doch eine Menge getan worden.

Dennoch war mir zunächst die Kulturauswahl nicht recht griffig, da irgendwie den Markt mehr nur überfliegend. Nehmen wir das Kinoleben. Für unsereins gibt es in Hamburg ein Kino. Dies ist im Hauptbahnhof neben der Post und zwischen Herrenklo und Wechselstube. Die Filme letzte Woche hießen: „Marktforschung“, „Die Seebrücke“, „Drei von der Tankstelle“ und „Die rehäugige Fickmaschine“ (FSK 18 nach Russ Meyer). Mein anschließender Kinoverzicht bedeutete, dass Kino nun für diesen Monat vertan war. Und da kam der alte Ärger, der zornige Murr eines ehemals jungen Wüstenfuchses in mir auf. Kaum zu glauben, wie unzufrieden ich manchmal sein kann. Auf U-Bahnhöfen werden für uns von netten Hilfswerkmitarbeiterinnen Mehrminutenterrinen gratis gegeben. Die Damen sind freundlich und erinnern keinesfalls an das Rabattmarkengrau welches noch meine Eltern erlebten. Die Suppen schmecken sogar, wenn mensch sich erst einmal dran gewöhnt hat und die Uniformen der Damen sind wunderbar rot. In ihnen leuchtet mensch so richtig, wie zwischen Zigarettenmädchen.
Das Essen, welches wir in den Lokalen bekommen ist reichhaltig. Da kann mensch nichts sagen. An Abwechslung fehlt es jedoch und dieses Schlabbern aus Metallnäpfen bedarf einer gewissen Gewöhnung. Meistens gibt es Nudeln mit Käse. Da steckt das drin, was der Körper braucht. Die Salatbars wurden wieder abgeschafft, da es sich für uns nicht rechnete und das verstehe ich. Irgendwie wurde mir klar, dass der Gaumen verflachen würde, natürlich! Kleine Opfer sind immer drin. Dafür haben wir eine gute Unfallversicherung bekommen, die wirklich gut ist, wie mir gesagt wurde. Sie soll sogar besser sein als manch andere Versicherung und uns in gewisser Weise ein wirkliches Gefühl der Behütung geben. Auf allen Lokalitäten, zu denen wir Zutritt haben, prangt der Slogan: Gut zu wissen, dass es die AnalOralVerona gibt!
Die Psychiater, Anwälte und Dirnen, die uns zugeteilt sind, haben natürlich Amtsaufträge und sind von daher eher sachliche Ausführer ihrer Dienstleistungen, was im letzen Fall mehr den bizarr anmutenden Freund anspricht. Auch da jammerte ich zunächst. Dieses Jammern hielt in meinen bösen Träumen Eingang. Ich träumte also davon, dass sie mir genommen werden sollte, meine Libido, da ich in den Augen der Fortschrittsgesellschaft nun mal ein Sozialfall und somit ein Arsch sei. Befürchtete also die Entkernung meiner männlichen mit recht launischen Befindlichkeiten. Die Rede ist von der Enthodung des Eiersackes. Der dickliche Amtsarzt mit der schwungvollen Parole auf den Lippen mich sehr nervend:
„Weintrauben gibt es schließlich auch kernlos!“ vor mir, ich auf einer Liege entkleidet sitzend:
„Ja beim Türken auf dem Markt und bei dem darf ich nicht einkaufen!“, war meine Antwort zwischen den verklemmten Zähnen, bevor ich schweißnaß erwachte und mir beim beruhigen eine Erkältung zuzog.
„Mach das Fenster auf!“, sagte ich zu Johanna, einer Illegalen in meinem Zimmer.
„Mir wird warm!“ und ich ergänzte noch,
„und wenn ich hier solange sitze bis ich mir den Tod hole bist Du schuld!“
Die Sache mit den nächtlichen Suppenküchen für uns stellte sich aber schnell nicht als so übel heraus, wie ich zunächst fürchtete. Die Frauen waren durchaus umgänglich und trugen weisse Kleider und ließen sich sogar Zeit für ein Gespräch. Das Uniformierte war seit der Fetischgeneration der späten 90er ja durchaus eine Sache, der sogar Schick abzugewinnen war. Das jeder Vorgang von der Sozialversichertenanstalt abgezeichnet werden mußte, bzw. von deren horizontalen Mitarbeiterinnen machte mich etwas mürbe in den Knochen. Gut, so strich ich dieses Angebot auch aus dem Programm für den nächsten Monat. Der Kontakt zu Illegalen gilt ja immerhin nicht als wirklich strafbar, so sind wir wahrlich wieder gut geschützt. Ehrlich gesagt hatte mich am ehesten noch gestört, dass selbst sog. erotische Assescoires mit dem Schriftzug des Johanniter Hilfwerks versehen sind und zusätzlich natürlich mit dem Slogan: Gut zu wissen, dass es die AnalOralVerona gibt!
Die wirklichen Vorteile meines neuen Standes konnte ich dann nun gestern erleben. Mir steht ja ein Museumsbesuch monatlich zu. Mit gemischtem Publikum sogar. Wir gehen also mit dem Publikum hinein, obwohl wir Gemeine sind und werden drinnen von den traditionell geschulten Museumsführern getrennt und uns zugeteilten umgeschulten Museumsführern zugeführt. Wachhabende trennen vor schmalen Türen Sozialhilfeempfänger vom Rest. Ich ließ mich also mit einem gewissen Stolz in die Reihe ein, welche vor dem Securitymann seine rote Marke vorzeigte, damit mensch in die Kloake der Kultur vordringen darf. Vor mir eine teuer angezogene Kurvenreiche, eng anliegendes Textil. Hätte mich in der nächtlichen Suppenküche sehr stutzig gemacht so eine, hätte schon ein Krankenschwesterkostüm tragen müssen.
Nun ich war mir sicher, dass sich die junge Frau nur an der Tür geirrt haben konnte. Sehr richtig lag ich da, denn der schillernde Mensch mit Alabasterhaut und sanft tätowierten Schulterblättern hatte keine Legitimation um am Brote der Armen nestelnd zu knabbern. Der Wachhabende wies sie mit einem Schlagstock von sich. Die junge Frau pöbelte ihn gründlich nieder und begriff ihre Rede als Anklage gegen diese ganze Scheisse hier, wie sie sich ausdrückte. Sie empfand den Vorgang des Trennens von Menschengruppen innerhalb eines Museums, einer Kulturpflaume sozusagen als unzumutbar. Ihr bebender Mut schlackerte ausschnittsweise den Beamten durch ihre Freundeskreise an. Er riß das Mädchen an sich, verlor die Glätte seiner Züge und löste zerreißend den Fummel von ihrer Haut ab. Aus dem kirschrot-mündlichen Wehren wurde ein mitteilsames Schnurren, welches den archaischen Grenzübertritt kommentierte.
Während des Streites zwischen der Frau und dem Wachhabenden löste sich eine Gruppe von Mutlosen hinter mir auf und brach in ihrer Persönlichkeit gestört den Monatsmuseumsbesuch ab. Wir waren zu dritt allein. Wie die Tiere fielen wir übereinander her und trieben es entsetzlich enthemmt, als hätte uns der Sozialstaat aller Sorgen entledigt. Um uns herum wurden die Museumsräume eiligst geräumt und wir wurden von einer Garde von bewaffneten Polizisten, Ärzten und Schwestern umstellt. Nachdem wir uns ausgelaugt voneinander trennten, wir Männer mit entsafteten Gliedern auf dem harten Rücken lagen und das Mädchen hochzufrieden ihren endlich ergriffenen Körper mit einem Lächeln wund leckte, wurden wir drei gescheitelt voneinander mit Desinfektionsmitteln besprüht.

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