Ich stieg ein und bemerkte zu meiner Verwunderung, dass der Platz, den ich gewöhnlich nutzte, besetzt war. Ein Platz, der sonst immer frei war, da kein ordentlicher Reisender diesen als adäquat für die Fahrt über Land erachtet. Aber diesmal war er besetzt. In meiner langjährigen Regionalbahnerfahrung kann ich nur auf ein weiteres mal zurückdenken, an dem der Platz besetzt war. Damals flegelten sich dort Jungendliche, die allgemein als soziale Brennpunkte bezeichnet werden. Diesmal war der Platz von einem Wesen besetzt das ca. 16 bis 19 Jahre alt war. Sie trug ein gewand aus schwarzem samt. Ihre Arme waren zart bestrumpft von einem Tüll aus schwarzem Gewebe. Ihre weiße, schlanke Erscheinung war derart in Schwarz gehüllt, dass sie, wenn die Zuginnenbeleuchtung erloschen wäre, mit dem Dunkel der Ecke eins geworden wäre. Sie saß in eben jener Ecke, die ich nur zu gern genutzt hätte weil von diesem Platz das Unter- als auch das Oberdeck des Wagons eingesehen werden kann. Vor ihr eine tragbare Musikanlage aus der im Laufe unserer Reise Klänge von „Sisters of Mercy“ bis „dead can dance“ ertönten. Sie hatte den rechten Arm von dem Gewebe befreit und saugte mit Inbrunst an einer Stelle kurz über dem Handgelenk, die sie wohl, unter Zuhilfenahme von mechanischen Hilfsmitteln bearbeitet hatte um sich an ihrem Lebenssaft zu laben. Nachdem die anderen Mitreisenden ihr ihren Spot angedeihen ließen, zog sie die Kapuze ihres elegant und Furcht einflößenden Gewandes über ihr Haupt und stellte die Musik etwas leiser. Dann nahm sie ihr Handgepäck und fing an darin zu suchen. Als sie eine Rotweinflasche aus ihrem Gepäck hervortat und anfing mit einem Schlüssel den Korken aus der Flasche auszuschaben, sah ich meine Chance aus der Distanziertheit der anderen Mitreisenden, zu denen ich unzweifellos gehörte, auszuscheren. Da auch ich mich schon einmal in jener perfiden Situation befand, eine Weinflasche ohne adäquatem Werkzeug Herr zu werden um an den Trank der Götter zu gelangen, hatte ich mir einen Designer-Reise-Korkenzieher zugelegt. Ich suchte, dieses in ihrer Situation bahnbrechende Werkzeug und begab mich zu ihr. Wenn man bei der Überwindung dieser Barriere aus Distanz und Hochmut ihr gegenüber den anderen Reisenden von einer Hemmschwelle spricht, die es für mich galt überwunden zu werden, so war diese Schwelle in jener Situation nicht nur Schwelle, sondern Treppe. Im psychischen als auch physischen. Eine Treppe, die mich mit stählernen Handlauf vom Oberdeck zu ihr führte. Sechs Stufen treppab und ich stand vor ihr und machte mich mit den Worten „für solche Gelegenheiten hab ich das hier immer dabei“ ihrer Weinflasche habhaft. Ich sah auf schwarzes samt. Auf rote, düster geschminkte Lippen die energisch an blasser Haut saugten. Bei der Vorstellung bis ans Ende meines Daseins in jenem Körper, abwechselnd vom Herz und roten Lippen Impulse für ein weiteres Fortschreiten zu bekommen; In einem Sog voll Lust, Begierde und Blutrausch gefangen zu sein, geriet auch mein Blut in Wallung. Hätte ich die Wahl gehabt mit einem jener Blutstropfen zu tauschen, die mit voller Inbrunst aus diesem sexy Alabasterkörper, von zärtlich aber bestimmt saugenden Lippen vorangetrieben zu werden;
Irgendwie im Kreislauf des Lebens dieses atemberaubenden Geschöpfes für immer gefangen zu sein? Ich hätte ohne zu Zögern "ja" gesagt!
Im Blutrausch
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