Im Solarium

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Im Solarium

Im Solarium

Anita Isiris

Jasmine war eine aufgeschlossene Frau. Eben erst hatte sie ihre Ausbildung abgeschlossen und war dabei, das Leben in vollen Zügen zu geniessen. Sie hatte einen langen Winter vor sich in dieser fremden Stadt; Jasmine kannte Hannover bisher nur aus der Zeitung – und durch irgendwelchen
Schulunterricht.
Sie freute sich auf’s Solarium. Dies war ihr Tag; reihenweise Stunden, die ihr – und nur ihr! zur freien Verfügung standen. Jasmine erstand ein Winterabo und ging langsam durch den langen Korridor, der von verschiedenen Wellnessräumen gesäumt wurde: Eukalyptusmassage gab es da, Honigpeeling,
Einreibungen mit Azaleensaft, Tiefenmeditation, Gurkenmilchbäder. Jasmine wollte ins Solarium. Eine freundliche Frau wies ihr den Weg, und Jasmine betrat mit Herzklopfen die Kabine. Wieso nur war sie so aufgeregt? Sie hatte den Raum ganz für sich allein, brauchte sich vor niemandem zu schämen und
konnte ganz tief in die Mittwochnachmittagsruhe eintauchen. Sie entledigte sich ihrer neuen Stiefel und der Winterjacke und stellte sich vor den hohen Spiegel. Sie war wirklich hübsch – weder ihre verflossenen noch ihre nächsten Partner würden sich in dieser Beziehung beklagen können. Jasmine
lächelte sich zu, kreuzte die Arme, fasste nach dem unteren Rand ihres Angorapullis und zog ihn sich über den Kopf. Es war drei Wochen her, dass Reiner sie zum letzten Mal im crèmefarbenen Seidenunterhemd gesehen hatte.
Selber schuld, der Idiot! Jasmines Arme und der Ausschnitt waren schon leicht vorgebräunt; am linken Oberarm hatte sie ein neckisches spiralförmiges Tattoo. Boris, der Vorgänger von Reiner, hatte es ihr einst zum Geburtstag geschenkt. Jasmine zog sich langsam bis auf den schwarzen Slip aus. Eng war er geworden. Hatte sie zugenommen? Sie blickte an sich herunter, fand aber keine störenden Wölbungen. Jasmine hatte faszinierende Brüste. Sehr klein waren sie; unter weiten T-Shirts kaum feststellbar.
Gekrönt wurden sie von festen, milchschokoladebraunen Brustwarzen, die dauernd steif waren. Das gehörte zu Jasmine. Sie besass dichtes, rotblondes Haar, das sie oft zu Zöpfen flocht, hochstehende Wangenknochen und einen perfekten Mund, der von Lachfältchen belebt wurde – auch dann, wenn sie
nicht lachte. Jasmine setzte sich auf den Rand der Solariumkoje und betrachtete ihre Zehennägel. Sorgfältig manikürt waren sie; Jasmine war eine gepflegte Frau.
Das stellten auch die 560'000 Männer fest, die, über den ganzen Globus verstreut, vor ihren Monitoren sassen, hofften, dass ihre Frauen nicht gleich nach Hause kamen und Bier, Kaffee oder Gin vor sich stehen hatten. Jasmines Solariumkoje wurde überwacht. Die qualitativ hochstehende Webcam speiste sämtliche Details ins Internet ein; auch Jasmines perlweiss lackierte Zehennägel. Jedesmal, wenn sie sich bewegte, ging ein Raunen durch die Menge – eine Menge, die nichts über sich wusste – jeder sass ja allein vor seiner Maschine. „So, Baby, tu das Höschen weg!“. Gunnar, seines Zeichens Bankangestellter, räusperte sich und flüsterte zu seinem Bildschirm. Als hätte Jasmine ihn gehört, stand sie auf, hantierte am oberen Rand ihres Slips und gab der Menge ihre Nacktheit preis. Es wurde totenstill in Nordrhein-Westfalen, Palermo, Stockholm und Novosibirsk: Jasmine war rasiert. Ahnungslos gab sie ihr Geheimnis der Kamera preis. Nun ist es keinesfalls so, dass Andreas aus der Schweiz, Nino aus der Toscana, Georgie aus Schottland und Herbert aus München noch nie Schamlippen gesehen hätten.
Sie waren ja alle verheiratet und hatten darüber hinaus geheime Internet-Bildarchive angelegt. Es ging ihnen auch nicht um Jasmines Schamlippen, wären sie ehrlich gewesen zu sich selbst. Was die Männer auf ihren Bürostühlen vor Erregung erstarren liess, war die Tatsache, dass Jasmine keine Ahnung hatte, dass sie sich hier mit 560'000 Männern (in der Zwischenzeit waren noch einige hinzugekommen) teilte. Sie legte sich in die Kabine und zog den Deckel zu. Auf 560'000 Bildschirmen wurde es schwarz,
aber nur einen kurzen Moment lang: Eine sündhaft teure Infrarot-Innenkamera trat in Funktion. Eiskalt richtete sie ihren geschickt getarnten Sucher zwischen Jasmines Schenkel, dorthin, wo die Kunst einer sorgfältigen, liebevollen Rasur zu bewundern war. Wohlige Wärme umgab Jasmine; sie schloss die Augen und spreizte entspannt die Beine. Mit weit aufgerissenen Augen sass auch Reiner, Jasmines Ex, vor seinem Monitor. Ganz zufällig war er hier vorbeigesurft, wirklich nur ganz zufällig. Erst hatte er ein wenig gechattet und darauf gewartet, dass sich der Rahmen auf dem Monitor („camera on,
downloading... please wait“) mit Farbe füllte. Und jetzt starrte er gemeinsam mit Mirko aus Norwegen, Tamino aus Tokyo, Jean-Pierre aus Südafrika und Fritz aus Adelboden auf Jasmines Schamlippen. Die Kamera zoomte. Das Geräusch war so leise, dass Jasmine davon nichts merkte. „Dieses Luder!“ Reiner stöhnte. So hatte sie sich ihm nie gezeigt. „Ich bin doch keine Pornostute“, hatte sie sich immer dann gewehrt, wenn er ihre Details erkunden wollte. Diese wunderbaren Fältelungen! Jasmines Venus gehörte einer staunenden, erigierten, biertrinkenden und atemlosen Welt. Ungläubig rieben sich 560'000 Männer die Augen. Wie schön diese Frau war, wie wunderschön! Mit der Steuertaste veränderten sie den Kamerawinkel, um mehr von der ahnungslos daliegenden Jasmine mitzubekommen. Diese Brüste! Diese kleinen, steifen, geilen Nippel! Gagarin aus der Ukraine griff in seine Pijamahose,
ebenso Imam aus Istanbul. Jasmine war zu viel für die beiden. Ohne voneinander zu wissen, rieben die Männer synchron ihre geschwollenen Penisse, betasteten ihre Hoden, drückten an der prall gefüllten Eichel herum. Jasmine hatte die Augen noch immer geschlossen. Wer über eine Standleitung verfügte, hatte ein fliessendes Bild und konnte sogar sehen, wie ihr Bauch sich hob und senkte, wer aber Opfer eines alten T-Online-Modems war, bekam nur ein Ruckeln mit. Die Farben waren auch nicht gerade das Gelbe vom Ei – Infrarot bleibt Infrarot. Aber Jasmine war ahnungslos. Das trieb die Meute in den Wahnsinn. Jasmine tastete mit ihrer linken Hand nach dem Bauchpiercing, dessen Metallteile etwas heiss wurden. Dann glitt die Hand nach unten. Würde sie etwa... 560'000 Männerhände betätigten die Steuertaste. Jetzt war Jasmines Muschi voll im Bild; der Autofokus tat den Rest. Jasmine zog die Beine an und begann sich ohne Hast zu streicheln. 559'999 Männer taten es ihr gleich. Nur Giorgio aus Dubai
nicht. Er war Eunuche. Dann begannen die Bildschirme zu glitzern. Jasmines Saft. Klar. Dafür hatten die Männer volles Verständnis. Wie entspannt sie wirkte! „Besorg es Dir doch, geile Fotze!“ Karl-Otto, Bundespolitiker, schlug beinahe mit dem Kopf auf seinem Monitor auf. Reiner, Jasmines Ex, raste vor Eifersucht. Hier war seine Jasmine zu sehen, seine künftige Frau, die sich hemmungslos mit der Online-Welt teilte.
Dann kam die Vielbestaunte und Begehrte zum Orgasmus – einsam in ihrer Solariumkoje. Ihr Körper verkrampfte sich und hatte keine Geheimnisse mehr.
560'000 Männer schliefen in jener Nacht nicht mit ihren Frauen. Sie nahmen Jasmine mit in ihre Träume und zogen sich die Bettdecke über den Kopf.

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