In Dunklen Tagen

Tinas Geschichte - Teil 25

7 6-10 Minuten 0 Kommentare
In Dunklen Tagen

In Dunklen Tagen

Stayhungry

Nun war ich allein mit ihm. Aber Madame nahm wohl zu Recht an, dass ich keine Panik entwickeln würde. Seine Energie hatte nichts Bedrohliches, seine Heftigkeit hatte mich nicht verletzt. Und er war ihr Geschenk an mich und nicht meine eigene, vielleicht Gefahr behaftete Eroberung. Darf ich Dich anal lieben? Das war zwar eine etwas gestelzte Formulierung, aber trotzdem hatte er es schön gesagt. Denn der Versuch, sich respektvoll auszudrücken verheißt Angenehmes für das Kommende. Und so hatte er sich auch verhalten, ganz behutsam hatte seine Zunge mich entspannt, ein wohliges Gefühl abseits der Erregung meiner Klitoris geschaffen, anregend, aber mich langsam auf den Weg bringend. Ein wahrhafter Genuss, kein wilder Taumel. Auch wenn das etwas härtere Umfeld meiner sinnlichen Betreuung vermuten ließe, eine despektierliche oder ordinäre Ausdrucksweise sei dabei üblich, so muss ich betonen, dass ich gerade das nicht mehr hinnehme. Es stört meine Empfindung erheblich und so mancher hat ein schlechtes Benehmen mir gegenüber schon bereut.

Beim Friseur hatte ich gelesen, wie eine Redakteurin ihren Freund zum Analverkehr bittet. Was mir an diesem Bericht gefiel, war weniger die Bewertung des Ereignisses als das schönste Geschenk, dass man einem Mann machen kann. Denn allein aus diesem Grund hätte ich mich nicht für diese Liebespraktik begeistern können. Es ist schon mein eigenes Empfinden und Genießen, dass ich es liebe. Aber sie hatte wirklich süße Bezeichnungen für den Anus, Seestern nannte sie ihn und Ringdelta. Die Franzosen nennen das Objekt der etwas anderen Begierde feuilles de rose, Rosenknospe und auch K.s Ausdruck spitzer Kussmund gefällt mir ganz gut. Aber am schönsten finde ich l’entree des artistes, den Künstlereingang. Dieser Name drückt nicht nur das Besondere des Zugangs aus, sondern er verdeutlicht auch, dass es besonderer Begabung, Konzentration und Feinfühligkeit bedarf, um ihn zu benutzen. Nur Arschlöcher sagen Arschloch zu meinem Geheimgang ins Reich der Lust! Das zarte Herangehen meines Liebhabers war so respektvoll, dass meine kurz aufflackernden Bedenken gegenüber dieser immer auch ein wenig riskanten Verkehrsform mit Fremden nicht nachhaltig wirksam wurden. Ja, ich war wirklich wesentlich vorsichtiger als früher.

Er durfte. Und er machte es gut, verstand Schmerz in Lust zu verwandeln, mit Zähnen zu liebkosen und mit Lippen zu verletzen, seine Finger setzte er meisterlich ein. Ich kam noch vor ihm und seine harten Stöße nach meinem Abebben blieben meinem Hintern noch geraume Zeit in Erinnerung. Er ergoss sich über meinen Rücken bis in mein Haar, verrieb es mit seinen Händen über mich, wie um mich zu bedecken und Besitz zu ergreifen von mir. Ich richtete mich auf, mein Nacken fand seinen Mund, sein Mund nun auch widerstandslos den meinen. In der Erschöpfung küssten wir uns liebevoller als es in der Erregung möglich gewesen war und ich streichelte seinen Schritt, sein Glied, massierte Reste seines Spermas auch auf seine Hoden, meine Brüste, meinen Hals. Ich roch nach ihm und mir und er nach sich und mir. Wir sanken auf das Bett, lustvoll befleckt wie wir waren, und in seinen Armen schlummerte ich ein wenig ein. Auch mit ihm war es nicht gelungen, ein Gespräch zu beginnen. Er hatte zwar kein klares Verbot ausgesprochen, aber er war wortkarg und ein Hauch von Bitterkeit lag in seinem Gesichtsausdruck. Ich wollte nicht in ihn dringen, denn umgekehrt wäre es mir möglicherweise auch nicht recht gewesen. Ich selbst war sehr entspannt an die Begegnung herangegangen, da ich Agnes bedingungslos vertraute. Andererseits hatte sie auch nicht alle Eventualitäten in der Hand und dies auch nicht versprochen. Ich fügte mich in die Gegebenheiten, und als er bald danach unruhig wurde, wusste ich, er würde aufbrechen. Ich hob nur die Hand zum Gruß, und sagte: Danke, es war schön mit Dir. Er gab den Dank zurück, aber er war nur die halbe Wahrheit. Sein Geheimnis behielt er für sich.

Er faszinierte mich und ich spielte sogar mit dem Gedanken, meinen jugendlichen Liebhaber aus Agnes’ Studio konkret zu umwerben. Doch bei meinem nächsten Schäferstündchen mit ihr, an denen wir nach der Liebe über alles sprachen, was uns so bewegte, riet sie mir ab. Er war verheiratet, hatte zwei Kinder und liebte seine Frau über alles, die nach einem Unfall querschnittsgelähmt war. Seine Ausflüge in die Welt anonymer ungezügelter Lüste geschahen auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin. Ihre Liebe hatte sich mit dem wortwörtlichen Abschneiden der Gefühle verändert und obwohl er sich sehr mühte und mit sich rang, litt er. Das wollte sie sich nicht als Bürde aufladen in ihrem ohnehin schon schweren Los und sie liebte seine Erzählungen, die er mitbrachte aus seinen wilden Nächten. Es erregte sie manchmal mehr als seine liebende Berührung ihrer Brüste, mit denen allein sie noch empfinden konnte. Eines Tages pflegte er zu sagen, würde sie den Mut finden, mitzukommen zu Madame. Ich lag in ihren Armen und die Tränen übermannten mich bei der Schilderung einer so außergewöhnlichen Liebe. Wie anmaßend war es da, angesichts der eigenen Probleme zu leiden, wie kläglich empfand ich mein eigenes Scheitern.

Sie drückte mich an sich und ich blieb bis zum Morgen.

*

Nun stand er vor mir, mein Mister Garcia. Das Trennungsjahr neigte sich seinem Ende zu und wir sollten überlegen, wie wir unsere Scheidung regelten. Er schien bedrückt und hörte nicht richtig zu, was ich ihm vorschlug. Ich habe sie verlassen, sagte er ernst. Und wartete still auf meine Antwort. Er war kein Bittsteller, aber er konnte mir auch nicht mehr gegenübertreten als der sanfte Eroberer, der er gewesen war. Ich hatte nach wie vor nur gute Gefühle für ihn und ich achtete ihn. Fast wäre ich versucht gewesen, auf ihn zuzugehen und ihn zu umarmen, im Gefühl zu versinken wieder zusammen zu sein. Wie oft hatte ich ihn erlebt, diesen erotischen Moment, in dem alles wieder ganz einfach war, alles möglich, ganz nah, nichts zwischen uns, diesen Moment, der sich im Augenblick nicht leben ließ und doch so intensiv spürbar war – um dann nicht verwirklicht zu werden, sobald Zeit und Ort gefälliger waren, weil anderes wichtiger war, vergessen von einem der beiden, der sich nicht mehr daran erinnert. Und wie oft hatte ich ihn gefühlt, den Schmerz, der in mir blieb ab dem ersten Augenblick, in dem ich das Sterben der Gelegenheit vor ihrer Geburt erkannte und wie einen Tod eines Teils meiner selbst durchlitt.

Vor allem empfand ich tiefe Trauer darüber, dass in ihm kein Verlangen mehr gewesen war, gemeinsam zu suchen nach tiefen Gefühlen, Erregung, Begeisterung, dass keine Unruhe in ihm war zu erfahren, was denn in mir war an Sehnsucht, Hoffnung, Phantasie, Schmerz, Verletzung, Liebe, Wertschätzung, Lebens- und Liebeskraft.

Und nun? Was war es jetzt in mir? Was war es in ihm? Ich überlegte kurz, dann war ich stark.

Ich dich auch, sagte ich.

Ihn hatte ich am stärksten, nachhaltigsten, unbeschwertesten, zärtlichsten geliebt.

Hatte.

Nun war ich frei.

*

Ich erkannte den Mann am Tresen sofort, obwohl ich ihn fünfzehn Jahre nicht gesehen hatte. Juan war zurück. Wir standen uns gegenüber nach so vielen Jahren. Ich hatte kämpfen müssen, um mich seiner Herrschaft zu entziehen, aber ich hatte es geschafft. Ich hatte meine Liebe überwunden und die Demütigung durch ihn und meine Selbstachtung hatte ich wieder gewonnen. Ich war ganz unten gewesen, hatte mich verloren und neu gefunden. Meine Befreiung war ein Sieg über ihn und mich selbst gewesen und am Ende dieses Abstiegs in die Hölle war ich stärker als je zuvor. Er war älter geworden. Was für eine Feststellung, sein schwarzes Haar war durchzogen von grauen Strähnen. Die dunkelbraune Haut seines Gesichts war gegerbt von der starken Sonne Zentralafrikas, wo er die letzten Jahre verbracht hatte. Viele Menschen gewinnen mit den Jahren, auch wenn ihnen die Jugend merklich schwindet. Bei ihm konnte ich das nicht auf den ersten Blick einordnen. Zu stark war mein Bild von diesem kraftstrotzenden, ungezügelten Mann, auch Zeichen des Alterns konnten den Eindruck von Reife und Mäßigung nicht erwecken in mir. Und das Fehlen dieser unmittelbar spürbaren Kraft ließ mich ihn als gebrochen, besiegt empfinden, vielleicht auch nur deshalb, weil er sich an mich wandte. Doch ich wollte vorsichtig sein. Für einen Moment glaubte ich, in seinen Augen tatsächlich noch diese tiefe, fast diabolische Kraft zuerkennen.

Was willst Du? fragte ich ihn. Sein Verhalten verlegen zu nennen, wäre eine maßlose Übertreibung. Aber er schien zu spüren, dass er nicht mehr diese Wirkung auf mich hatte wie damals. Als ich mich damals abgewandt hatte von ihm und er dann zu werben begann, war das wohl noch ein Teil seines Kampfes, in irgendeiner Form über mich bestimmen zu können, wenn er auch inhaltlich Angebote und Gelübde dargebracht hatte, die dazu nicht zu passen schienen. Nun aber war er derjenige, der eine Bitte darzubringen hatte, denn ich hatte nicht auf ihn gewartet und ich hatte ihn auch nicht vermisst. Ich will Dich, sagte er ernst. Mit dem düsteren Blick meinte er wohl, mich wieder faszinieren zu können. Mich? fragte ich in schallendem Lachen und warf meine Mähne in den Nacken. Mich, sagte ich triumphierend, bekommst Du nie wieder!

Wortlos nahm er mich und führte mich in die Musik. Der Tanz mit ihm war furios. Es war nicht wie mit meinem soliden Trainingspartner und nicht wie in meiner Theatergruppe, in der die Choreografie die Entfaltung meiner Gefühle erlaubt, aber den Rahmen eben vorgibt. Das hier war reine Lust, Herausforderung, Provokation, Kampf, äußere Kraft gegen innere Stärke. Die Schauder jagten wieder über meinen Rücken, einer nach dem anderen. Mein Körper spürte sie schon, da war noch keine Berührung außerhalb der gebotenen Zonen Wirklichkeit geworden. Seine Augen aber, sein Atmen, verlangten nach mir. Ich habe dem nicht nachgegeben.

Der Abend war ein wilder Wechsel aus leidenschaftlichem Tanz, Austausch über die Geschehnisse der Jahre seit unserer Trennung und auf meiner Seite trotziger Betonung meiner Autonomie ihm gegenüber. In die Lust, ihm leidenschaftlich die kalte Schulter zu zeigen, was ihn in gewisser Weise natürlich ermutigte, mich zu bedrängen, mischte sich die dunkle Ahnung, dass eine Begegnung zwischen Johanna und ihm nicht gut für sie sein würde. Bis jetzt hatte er auch noch nicht um ein Treffen mit ihr gebeten. Grundsätzlich wäre ich der Meinung, wenn ein Kind seine Wurzeln kennen lernen will, sollte man es nicht brutal unterbinden, nur versuchen, dies zu verantwortlich zu lenken. Aber Juan traute ich nicht zu, sie rücksichtsvoll zu behandeln. Ich fürchtete, er könnte eine Wunde reißen, die es bis dahin nicht gegeben hatte. Sie wusste um ihre Abstammung, ohne die Details meiner verhängnisvollen Beziehung zu ihm zu kennen. Aber sie hatte nie größer gefragt, sich immer auf Albert konzentriert.

In mir wuchs der Wunsch zu gehen. Er drängte mich zu bleiben, versuchte mich zu halten. Ich entwand mich, stellte klar, dass er nicht über mich verfügen könne. Er bat mich, ihn die nächsten Tage aufzusuchen, nannte sein Hotel. Er sagte es ruhig, aber für mich klang es so, als dulde er keine Widerrede. So sitze ich nun hier und überlege, was ich tun soll. Was wird, wenn er Johanna sehen will, was werde ich fühlen. Ich muss das klären, bevor er selbst meint, er könne bei ihr auftauchen. Doch ich will ehrlich sein. Auch in mir toben widerstreitende Gefühle. Es hat mich wieder ergriffen, das Feuer seiner dunklen Augen, ich habe wieder so viel verspürt in seinen Berührungen, auch wenn mich das erschreckt. Aber andererseits hatte er bei dieser Begegnung nie wirklich Macht über mich gehabt, ich habe ihm widerstanden.

Ja, ich werde ihm gegenübertreten. Ich glaube nicht, dass er mich noch einmal besiegen kann. Ich habe keine Angst vor dem, was kommt.

Ich werde es wagen!

Klicke auf das Herz, wenn
Dir die Geschichte gefällt
Zugriffe gesamt: 1907

Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.

Gedichte auf den Leib geschrieben