Nervös ging Sebastian vor dem Patrizierhaus auf und ab – immer dafür besorgt, dass die Stadtbüttel ihn nicht entdeckten und zur Rede stellten. Hinter den festen Mauern wurde in diesen endlosen Minuten Irmgard, seine Geliebte, vom Stadtvogt genommen, auf einem ausladenden Bett, mit Samtbaldachin, und einer Bettstatt aus rot flammendem Kirschbaumholz. Sebastian mochte sich die Details gar nicht vorstellen. Wie der Vogt an Irmgards blond gelocktem Vlies herumspielte. Wie sich ihre rosa Brustwarzen aufrichteten. Wie ihre Wangen erröteten, wenn er in sie eindrang. Sebastian liebte seine Irmgard über alles – aber er war von niedrigem Stand und keineswegs befugt, sie zu ehelichen. Patrizier hatten das Sagen, und zwar in jedem Lebensbereich, sie schalteten und walteten wie sie wollten – und sie benutzten alle Frauen, derer sie habhaft werden konnten.
Irmgard war den Männern schon immer sehr zugetan gewesen, und im Grunde mochte sie es, wenn sie ein harter Prügel zwischen den Schenkeln ausfüllte – auch wenn sie sich das nicht einmal selbst eingestanden hätte. Auf Aussenstehende wirkte sie schamhaft, unschuldig gar, wozu sicher auch ihre dichten blonden Locken beitrugen, die ihren zarten Nacken umspielten. Natürlich durfte Sebastian sie auch ab und zu haben, in der kleinen Kammer unter dem Dachgiebel, aber die Tatsache, dass er Irmgard mit der halben Stadt teilen musste, wühlte wie Feuer in seinen Gedärmen. Sebastian war nicht nur eifersüchtig, sondern ausgesprochen stolz. Sein Vater war Schankwirt, und er, als Ältester, würde die beliebte Schenke, in der das beste Bier weit und breit gebraut wurde, dereinst übernehmen können. Aber die Tatsache, dass viele Bürger in der Stadt seine Irmgard wie käufliche Ware behandelten und mit ihr tun und lassen konnten, was ihnen beliebte, versengte ihm das Herz.
Ab einem gewissen Stand, etwa als Magd, war man als Frau so gut wie rechtlos – man musste noch nicht einmal eine Leibeigene sein. Mägde waren den Bauern zu Willen, den Knechten, den Männern höheren Standes und überhaupt allen, die etwa für ein gewichtiges Konzil einreisten und nach anstrengenden politischen Debatten Entspannung suchten. Wählerisch waren auch Handelsreisende nicht. Sie sahen in den zahlreichen Frauen, die sich ihnen zur Verfügung stellten, keine fühlenden Wesen, brachten ihnen keine Empathie entgegen und wollten sich lediglich erleichtern. „Mach die Beine breit“, war der gängigste, rüde Befehl, und es gab kaum eine Frau, die der Aufforderung keine Folge leistete. Tat sie es trotzdem, erregte das ihr Gegenüber erst recht – ein Nein bedeutete, dass eine Frau spielerisch Forderungen stellte, aber, ganz insgeheim, einen harten Prügel begehrte. Das war das damalige Selbstverständnis, aus heutiger, moderner Perspektive nahezu unerträglich anmutend – aber auch im 21. Jahrhundert pulsiert Fleischeslust in der Volksseele, die allerdings vermehrt Ersatzbefriedigung im Internet sucht – bei der 3D-Zurschaustellung von feuchten, geilen Mösen, schweren Hängetitten, gelocktem Haar und geöffneten Lippen. Die Lust geht durch alle Bildungsschichten, durch alle Stände hindurch – vom Strassenarbeiter bis hin zum hohen Politiker – und natürlich durch alle historischen Epochen.
Sebastian ertrug das Warten nicht länger. Hinter den Butzenscheiben, die in der Sonne glitzerten, ging soeben der Stadtvogt an Irmgard zu Werke, auf einer rhythmisch quietschenden Matratze. Ob sie beim Geschlechtsakt die Arme hinter dem Kopf verschränkte, wie sie es bei ihm oft tat? So signalisierte eine Frau Entspannung, Offenheit und Vertrauen. Frauen, die ihre Achseln herzeigten, die sanfte Wölbung ihrer Brüste, den flachen Bauch, den Nabel, waren das Begehrenswerteste, was sich Sebastian vorstellen konnte. Zwischendurch erregte es ihn auch, zu wissen, dass Irmgard eine Hure war, oder, etwas gepflegter ausgedrückt, eine Hübschlerin. Sex als Beruf empfand er nicht grundsätzlich als verwerflich – und er hatte sich auch schon vergnügt, hinter dem einen oder andern Gebüsch, und einmal, als Söldner, mitten im Schwarzwald. Zudem genoss er Irmgards Erfahrung. Sie verfügte über eine umfassende Männerkenntnis und wusste genau, wo sie ihn berühren musste um ihn an den Rand des Wahnsinns zu bringen. Sie hatte ihn auch gelehrt, wie Masturbation zu einem wahren Freudenfest ausarten kann. Keine heimlichen, angestrengten Wichsereien hinter einem Heuhaufen, sondern geschicktes, sanftes Streicheln des Skrotums und intermittierendem Reiben am Penisschaft, bis die weissliche Flüssigkeit in hohem Bogen auf Irmgards nackte Brust spritzte. Ebenfalls hatte sie ihm gezeigt, wie man eine Frau richtig befingert. Kein grobes Zwirbeln der Bruswarzen, das mag keine. Sondern ein leichtes Umspielen der Klitoris, von deren Existenz er nichts gewusst hatte, bis er Irmgard kennen gelernt hatte. Sie hatte ihn, Schritt für Schritt, in die weibliche Anatomie und in das Elysium weiblicher Empfindungen eingeführt. Von Irmgard hatte er gelernt, dass Frauen nicht einfach über „Titten“, einen „Arsch“ und ein „Liebesloch“ verfügen, sondern dass es da ganz andere delikate Stellen zu bestreicheln und zu bezüngeln gibt – etwa die Achselhöhlen. Den Hals. Eine bestimmte Stelle unter dem Nabel, Den Damm. Und, klar, den Anus. Irmgards Anus. Sebastian hatte bis dahin auch keine Ahnung gehabt von der Beschaffenheit des weiblichen Arschlöchleins und erkannte darin einen weiteren Freudenspender.
Jetzt lag aber Irmgard, mit hinter dem Kopf verschränkten Armen, unter dem Stadtvogt. Sein Gesicht war hochrot, er schnaufte und stellte sich zwischen ihren Beinen, wie die meisten Liebhaber, sehr ungeschickt an. Nicht jedem war Irmgard eine Lehrmeisterin. Meistens liess sie „es“ einfach geschehen, seufzend zwar, aber ihr Seufzen wurde von den Männern als Stöhnen fehlinterpretiert. „Gefällt es Dir, Hure“, war dann der Satz, den sie zu hören bekam. Am Unterträglichsten waren die demütigenden, obszönen Äusserungen, die sie von den edlen Herren zu hören bekam. „Gib mit Deine Euter, Hure“, oder „mach die Schenkel breit, Nutte“, oder „geile Schweinefotze, ich fick Dein Spundloch“. Einen kleinen Rest Sensibilität und sprachliche Affinität hatte sich Irmgard im Innersten ihrer Seele bewahrt, und der Einzige, der das zu verstehen schien, war Sebastian. Er flüsterte ihr Gedichte ins Ohr, Lieder von Walter von der Vogelweide. Er sprach von „Vögeln“ und nicht etwa von „Ficken“, was sie als sehr hässlichen und lieblosen Begriff einordnete. Er suchte Worte, um Irmgards feuchtes, junges Geschlecht zu benennen. „Müschelchen“, „Orchidee“, „Liebesparadieschen“, „Goldstück“. In der Tat nannten viele von Irmgards Kolleginnen, allesamt Hübschlerinnen, ihre Muschi „Goldstück“, was ja den Tatsachen entsprach. Damit verdienten sie letztlich ihren Lebensunterhalt und liessen speziell den Schamlippen und der Vagina sorgfältige Pflege, etwa mit Ringelblumensalbe, gemischt mit Liebstöckel und Krauseminze, angedeihen.
Der Stadtvogt brach erschöpft über Irmgard zusammen. Sein schweissnasser Kopf sank auf ihren Hals, weswegen sie sich angeekelt unter ihm hervor arbeitete. Seine Augen waren verdreht, wie sie erschreckt feststellte, seine Arme hingen schlaff herunter. Irmgard, ihres Zeichens auch des Heilens kundig, stellte nach dem kurzen Palpieren des Pulses des Stadtvogts Tod fest. Sie erstarrte. Wenn das die Magd erfuhr, die sie nach dem Schäferstündchen immer mürrisch zur Haustür begleitete, war sie erledigt und würde im Keller des Ziegelturms, des Stadtgefängnisses, ausharren müssen – bis sie dann vom Büttel zum Schandpfahl gezerrt und in aller Öffentlichkeit nackt ausgepeitscht würde. Bevor man sie, genau so nackt, aufs Rad flocht. Dabei würde sie von weiteren Stadtbütteln befingert, denen die Lust ins Gesicht geschrieben stehen würde. Stadtbüttel waren auch nur Menschen, klar – Gerichtsabgeordnete übrigens auch. Aber Irmgards nackte Brüste und ihr blondes Vlies, wehrlos preisgegeben, würde zuviel sein für sie alle. Auch für die Gottesmänner natürlich, die Mönche, die mit ihr ein letztes Gebet sprechen würden. „Irmgard, Gott zum Wohlgefallen… gib Dich mir noch einmal preis, bevor ich Dir die letzte Beichte abnehme. Gott und die Seinigen werden es Dir danken, Du kommst dann nicht in die Hölle, sondern in eine Zwischenhölle, wo es etwas weniger heiss ist. Für den Himmel wird es nicht reichen… aber für die Zwischenhölle. So, und jetzt, Gott zum Wohlgefallen, werde ich Dich ein letztes Mal ficken. Bück Dich über den Beichtstuhl, jaaah, Irmgard, so ist’s recht… zeig mir Deine Pflaume, ich spreize sie jetzt, jaaaa… welch Elysium, welch süsser Duft… ich nehm Dich jetzt, Irmgard… ein letztes Mal, bevor Du aufs Rad geflochten wirst… mir kommt’s gleich… ich zünde eine Kerze an, für Dich, Irmgard, nur für Dich… aaaaahmen!“
Irmgard sah nur eine einzige Möglichkeit. Der Schmuck, den sie sich jeweils um den Hals legen musste, bevor der Stadtvogt an ihr zugange gewesen war, behielt sie an. Die offene Schatulle, in der sich bis zum Rand Edel- und Halbedelsteine befanden, Smaragde und Rubine, schloss sie mit einem dumpfen Klappen und versteckte sie unter ihrem Rock. Sie wandte sich um und deckte den verkrümmt im Bett liegenden Stadtvogt mit der Leinendecke zu. Klopfte sachte an die Tür des Schlafgemachs. Wie immer, empfing die Magd sie mürrisch. „Mach dass Du das Haus verlässt, Hure“, zischte sie und stiess Irmgard vor die Haustür – direkt in Sebastians Arme.
Der Rest ist rasch erzählt. Mit zwei Maultieren machten Sebastian und Irmgard sich auf den Weg und verliessen Konstanz, mitten im 14. Jahrhundert. Die Büttel am Stadttor sahen ihnen fragend nach, hielten sie aber nicht auf. Nach mehreren Tagereisen, in Strassburg, bauten die beiden sich ein neues Leben auf. Irmgard gebar ihrem Geliebten Zwillinge, ein Sohn und eine Tochter, und bald lag ihr Hübschlerinnen-Leben hinter ihr. Immer mal wieder unterhielt sie aber, Abends, vor dem Kaminfeuer, ihren Gemahl mit erotischen Erzählungen aus ihrer beruflichen Vergangenheit. Darussen röhrten die Maultiere. Sachte wiegten Irmgard und Sebastian ihre kleinen Kinder, jedes in einer schmucken Holzwiege. Ein lauer Wind wehte zarten Kräuterduft in die Wohnstube – Kräuterduft aus Irmgards Gärtchen, das sie liebevoll hegte und pflegte.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Gott zum Wohlgefallen.
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