Julia putzt ihre Zähne

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Julia putzt ihre Zähne

Julia putzt ihre Zähne

Anita Isiris

Sie tun es mindestens zweimal pro Tag.
Meist tragen sie dazu ihr Nachthemd. Ihren Pyjama. Oder einen schlichten BH, und untenrum nichts.
Sie mögen das Ritual, das ihnen seit Kindheit vertraut ist.
Der Blick einer Frau, während sie ihre Zähne putzt, ist zartschmelzend, liebevoll, in die Ferne gerichtet.
Die Paste, die ihr aus dem Mund tropft, erinnert an Sperma. Aber darum geht es hier nicht.
Die Gesichtsmuskulatur ist angespannt, manchmal entspannt, meist beides zugleich.
Und sie mögen den postdentalhygienischen Pfefferminzgeschmack, der sich in ihren Atem mischt.
Frauen sind nach dem Zähneputzen zu fast allem bereit. Es sei denn, sie müssen zur Arbeit oder das Baby stillen oder wickeln. War frühmorgens naturgemäss bei den meisten der Fall ist.

Wir schreiben das Jahr 2040. Gar nicht so weit entfernt, dieser Zeitraum, dennoch hat sich im kollektiven Bewusstsein der Menschen viel verändert in den vorangehenden beiden Jahrzehnten. Beginnen wir beim Mundschutz während der ersten Pandemien in den frühen 2020er Jahren. Es ging nicht lange, bis die Sex-Drehbuch-Autor:innen den Mundschutz als Accessoire, als Fetisch gar, für sich proklamierten. Tausende von Sexclips vögelnder Frauen, die einen Mundschutz tragen. Das lässt der Fantasie freien Lauf. Man kennt die Vulva der Darstellerinnen, wenn es hochkommt, in delikaten Nahaufnahmen, man kennt ihre Brüste, klar, und ihre Halsbeuge. Stellt man auf dem Smartphone Slow Motion ein, kann man sich sogar über die schönen, venendurchzogenen Hände der Frauen freuen, die da gestossen werden, wieder und wieder, während 12 Minuten oder so. Aber der Mundschutz regt die Fantasie an. Hält sie den Mund geöffnet? Hat sie Schmoll-Lippen? Wäre ihre Zungenspitze zu sehen, ohne Mundschutz? Wird eine mundschutztragende Frau gebumst, sind ihre Augen wie Edelsteine. Das warme Glimmen geht den Zuschauern durch und durch.

Und die mundschutztragenden Männer, beim Liebemachen? Auch ganz o.k., klar, wenn sie die Mädchen stossen, mit entblösstem Oberkörper. Aber meist sind die Gesichter männlicher Sexdarsteller verpixelt, bleibt also der Fokus auf der Frau, ganz und gar.

Aber irgendwann einmal, so um 2025 herum, machten sie sich rar, die Sexdarstellerinnen und -darsteller mit Mundschutz. Das Thema war abgenudelt, und es kam nichts Neues nach. Die Geburtenzahlen sanken von Jahr zu Jahr, womöglich auch Seiten wie youporn geschuldet – vergnügt sich Mann damit während der Arbeit, steht womöglich am Abend nichts mehr, egal wie sehr sich die Partnerin verkrümmt und sich windet, in Erwartung eines heissen, glühenden Speers.
Die Jahre zogen ins Land, und irgendwann einmal war es weg, das Testosteron, und auch das Östrogen. Das heisst... natürlich waren die Hormone noch da, aber sie verharrten stumm in den Tiefen menschlicher Stoffwechsel – da köchelte einfach nichts mehr. Die Nutten standen sich die Beine in den Bauch, Intimissimi würde eines Tages vor dem Konkurs stehen, dafür hatte Liebesspielzeug, die am meisten krisenfeste Industrie ever, Hochkonjunktur. Immer gewagter wurden die Erfindungen, die Ideen, womit sich eine Vagina sonst noch bespassen liesse, und auch Sexroboterinnen hatten Hochkonjunktur... bei denen, die sich eine leisten konnten. Sexroboter waren eher Ladenhüter. Denn welcher Frau macht es schon Spass, sich auf einen leblosen Kunststoffkörper zu setzen und sich ein Gemächt einzuführen, das niemals lebt und pulsiert?

So wurde die Zahnbürste neu erfunden. Es begann alles mit einem kleinen Homevideo von Julia Behnert. Julia hatte auf tiktok Feuer gefangen. Sie war immer stärker fasziniert davon, was Frauen alles von sich herzeigen – aber immer haarscharf die Grenze kollektiven Anstands beachtend. Lycra. Camel Toe. Underboob. Banane lutschen. Weiche, offene Lippen. Bewegungen aus der Hüfte, im knappen Badeanzug. Frauen in der Badewanne, mit Nipple Protectors. Oder behaarte Bikinizonen, die niemals die Frage offenliessen, wie die Möse ohne Bikinihöschen aussehen könnte.

Dann war da diese ganz bestimmte Software, mit der man jede Frau ausziehen kann, die sich jemals, ahnungslos, frontal hat fotografieren lassen. Die Freundin im T-Shirt, am Familienfest. Das Bild einlesen... warten... und schon zeigt die Geliebte ihre Brüste her, und auch das digitale Nachempfinden einer Vulva wurde von Woche zu Woche authentischer, weil die zur Verfügung stehenden Datenmengen exponentiell ansteigen. So perfekt war diese sexuelle Scheinwelt unterdessen, dass sogar Tanlines konsequent nachempfunden wurden, oder die eher hellen Nippel rothaariger Frauen. Klar gibt es auch rothaarige Frauen mit dunklen Nippeln. Aber wenn die Metadaten entscheiden, dann orientieren sie sich am Mainstream. Und Mainstream-Nippel rothaariger Frauen sind hell, was sich am jährlichen, in Schottland stattfindenden Redhead day, problemlos nachprüfen liesse.

Nun aber endlich zu Julia Behnert. Sie tat, aus einer reinen Laune heraus, nichts anderes, als sich eines Abends beim Zähneputzen zu filmen, mit ihrem Smartphone, und dazu trug sie ihren neuen, bei dirtyweekend erworbenen Seidenpyjama. Sie drückte, wie jeden Abend, die weisse Paste auf die Borsten und begann bei den Schneidezähnen, wobei sie mit rotierenden Bewegungen immer weiter nach hinten vorstiess.

Das Video ging derart viral, dass die weltweit verteilten Server mehrmals den Geist aufgaben. Am Anfang konnte man Julias Zähneputz-Video noch runterladen, aber dann war es vorbei damit. Sten, Julias Freund, entdeckte die Marktlücke und sorgte dafür, dass Julias Abendritual nirgends im Internet verfügbar war – auch nicht bei youporn. Klar. Es ging ja nicht um Porn, sondern um Toothbrushing. Die neue Seite war kostenpflichtig. Julia verstand die Welt nicht mehr, als sie in der Schule sogar von ihren Lehrern angesprochen wurde. Sie nahm das Video mehrmals in Augenschein und realisiert sofort, dass sie selbst nichts dabei finden konnte. Sehr wohl aber die vielen Viewer und Viewerinnen. Sie benutzten Julia als Projektionsfläche, und sie ahnte, dass sie nun, in den USA, in Spanien und der Schweiz als Wichsvorlage dienen würde... die Zähne putzende Julia auf den Kopfkissen, den Leintüchern und auf den Sofas und Umkleidekabinen dieser Welt.

So kam es, dass Julias erfinderischer Freund Sten mit einem Vorschlag anmarschierte. Er war keineswegs der eifersüchtige Typ, und es machte ihm nichts aus, wenn fremde Männer dabei zukucken konnten, wie seiner Julia das imaginäre Sperma, das nur aus harmloser Pfefferminz-Zahnpasta bestand, aus dem Mund tropfte. „Geil“, sagte er. „Du machst mich nur noch geil in Deinem hübschen Pyjama und vor allem mit Deiner Zahnbürste. Daraufhin hatten die beiden heftigen Sex, egal, was die Nachbarn davon mitbekamen. Julia war fickbar, und das so was von.

Dann ersannen die beiden, Julia und Sten, neue Hintergrund-Szenarien für Julias Zähneputz-Aktivitäten. Bisher hatte sie es sich nur vor dem Badezimmerspiegel gemacht, aber da musste Design her. Furniture Challenge. Light Diversity – und zwar, solange die Zähneputz-Reels noch brannten und nicht von allzu vielen Nachahmerinnen bedrängt wurden.

Somit kaufte Julia Tücher ein, die sie färbte, probierte mehrere Pyjamas und selbstverständlich auch mehrere Zahnbürsten in unterschiedlichsten Farben, die sie sorgfältig mit ihren Oberteilen assortierte. So kamen nicht weniger als 20 Sets zustande, was sehr viel ist in Anbetracht dessen, wie monoton Zähneputzen eigentlich ist. Julia putzte ihre Zähne... am Küchentisch sitzend. Rittlings, auf einem Lehnstuhl, auf ihrem Balkon. Auf einem blauen Medizinball, verführerisch die Hüften bewegend. Mitten in einem Maisfeld. Im Badezimmer ihrer Freundin, auch mal unten ohne. Bei einem Haar wäre Julia deswegen von Tiktok gesperrt worden, wegen des Nichteinhaltens der Policies. Julias Fötzchen auf Tiktok. Man stelle sich den Skandal vor. Aber Julia machte so lange weiter, bis sie komplett besessen war von sich selbst, besessen von der Leichtigkeit, im Internet zu weltweiter Anerkennung zu gelangen. Selbstverständlich hatte Julia Nachahmerinnen, so was geht sehr schnell. Aber Julia war die unbestrittene Tooth Brush Queen, vor allem ab dem Moment, als sie und Sten realisiert hatten, dass die Quote sofort anstieg, wenn sie ihren Pyjama öffnete und die Konturen ihrer riesigen Brüste zu erahnen waren. So, wie das auf Tiktok eben fast alle Frauen tun. Fast alle Frauen, die das können.

Sten unterstützte seine Freundin Abend für Abend beim Einrichten der Requisiten, seien es nun Tücher, geflochtene Körbe für Country-Fetischisten, Gitarren für Griffbrett-Fetischisten und Kochlöffel für Küchen-Fetischisten. Dann hielt Sten es nicht mehr aus. Er wollte seiner Zähne putzenden Freundin näherkommen, sehr nahe. So nahe, dass Julia und Sten sich in einen privaten Channel verabschieden mussten. Den Auftritt bereiteten die beiden gut vor. Das Zähneputz-Sex-Go-Live musste professionell daherkommen. Julia und Sten duschten gemeinsam, seiften sich gegenseitig ein und waren mal wieder ein Herz und eine Seele. Julias strahlendes Gebiss – welch Wunder – faszinierte ihren Lover derart, dass er Julia nur noch küssen wollte und sonst gar nichts.

Endlich standen die beiden vor Stens Badezimmerspiegel. Julia trug nur einen rosa BH. Sven stellte die Cam auf „on“ und trat hinter Julia. Er spürte ihre Erregung, was ihn noch heisser machte. Sten schmiegte sich an Julias grossen, warmen Hintern, während diese dem Glas ihre Zahnbürste entnahm, sie kurz abspülte, mit Zahnpasta bestrich und sie sich in den Mund schob. Julia spürte, dass sich Svens Lenden an sie schmiegten, und sie spürte seinen harten Stab. Julia schloss die Augen, während Sven von hinten ihren Oberkörper umfasste. Er streichelte ihren Bauch, während Julia sich unentwegt die Zähne putzte. Julia war untenrum nackt, und auf dem kleinen Monitor war zu sehen, dass jetzt Julias Muschi im Bild war. Mit ruhigen Bewegungen streichelte Sten den Oberkörper seiner Freundin und öffnete ihren BH, so, wie man Früchte von ihrer Schale befreit. Julias Brüste waren veritable Früchte, mit den geilsten Nippeln aller Zeiten, wie Sten sich auszudrücken pflegte. Sven streichelte sie steif und drängte sich noch enger an Julia. Diese atmete durch und befasste sich intensiv mit ihren Prämolaren, den Molaren und dann lange mit den Backenzähnen... bis Sven endlich tief in ihr war. „Haaah...“, stöhnte Julia, während ihre Zahnpasta aus dem Mund schäumte. Sten machte seine Sache gut, und es machte ihn an, seine geliebte Freundin mit der Welt zu teilen. Mit einer Welt, der die sexuellen Fantasien komplett abhandengekommen sind. Alle Fantasien – ausser dieser einen. Eine Frau dabei zu beobachten, wie sie ihre Zähne putzt.

Sten und Julia kamen gleichzeitig, und zeitsynchron floss die Zahnpasta aus Julias Mund ins Waschbecken. Alles war so zart, so frisch, so unschuldig, dass die Stimmung eins zu eins in die Wohnzimmer dieser Welt übertragen wurde. Noch einmal knetete Sten, den zahlenden Zuschauern zuliebe, Julias Titten und liess dann von ihr ab. So konnten die Follower Screenshots von Julias Oberkörper machen und diese dann in die Cloud hochladen. „Julia in and over the clouds“, wie Sten sich auszudrücken pflegte.

Ja, so wird er sein, der Sex rund um die 2040er Jahre. Dank Julia werden die Menschen wieder Kraft zu eigener Aktivität bekommen und ihre Zähne putzenden Frauen in den Millionen von Badezimmern dieser Welt verwöhnen. Und alles wird gut sein.

Sie tun es mindestens zweimal pro Tag.
Meist tragen sie dazu ihr Nachthemd. Ihren Pyjama. Oder einen schlichten BH, und untenrum nichts.
Sie mögen das Ritual, das ihnen seit Kindheit vertraut ist.
Der Blick einer Frau, während sie ihre Zähne putzt, ist zartschmelzend, liebevoll, in die Ferne gerichtet.
Die Paste, die ihr aus dem Mund tropft, erinnert an Sperma. Aber darum geht es hier nicht.
Die Gesichtsmuskulatur ist angespannt, manchmal entspannt, meist beides zugleich.
Und sie mögen den postdentalhygienischen Pfefferminzgeschmack, der sich in ihren Atem mischt.
Frauen sind nach dem Zähneputzen zu fast allem bereit. Es sei denn, sie müssen zur Arbeit oder das Baby stillen oder wickeln. War frühmorgens naturgemäss bei den meisten der Fall ist.
 
Ausser bei Julia. Sie war zur Influencerin des Jahres geworden und brauchte gar nichts mehr zu tun... als ihre Zähne zu putzen und sich dabei ab und zu ihrem geliebten Sten hinzugeben.

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